OGH 11Os137/11y

OGH11Os137/11y17.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Kevin A***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 16. August 2011, GZ 33 Hv 38/11a-23, sowie dessen Beschwerde gegen die Entscheidung gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 4, Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I und II, demgemäß im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung und in der Entscheidung gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 4, Abs 6 StPO (nicht aber hinsichtlich der Abweisung der beantragten vermögensrechtlichen Anordnung) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seinen auf die Aufhebung bezogenen Rechtsmittelteilen wird der Angeklagte auf die Kassationen verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kevin A***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II) und der Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er von zumindest Dezember 2009 bis 2. Mai 2011 in L***** und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift

I. in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, wobei er die Straftaten in Bezug auf Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge beging, indem er insgesamt ca 9,3 kg Cannabiskraut sehr guter Qualität zum Grammpreis von 10 Euro von Felix As***** erwarb und abzüglich geringer Mengen für den Eigenkonsum (ca 0,21 kg) an zahlreiche unbekannte und nachgenannte Abnehmer zum Grammpreis von 10 Euro bis ca 16 Euro verkaufte, unter anderem

1. in Teilmengen zu 10 Gramm (zum Gesamtpreis von 100 Euro), 15 Gramm (zum Gesamtpreis von 150 Euro) und 30 Gramm (zum Gesamtpreis von 480 Euro), insgesamt 55 Gramm Cannabiskraut an Rene K*****;

2. eine insgesamt unbekannte Menge Cannabiskraut, jeweils in Mengen im Gegenwert von 50 Euro an Martin D*****;

II. ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen, und zwar geringe Mengen Cannabis zum Eigenkonsum;

III. am 16. August 2011 in L***** nachgenannte Personen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er sie einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, und zwar des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB, falsch verdächtigte, obwohl er wusste, dass die Verdächtigung falsch ist, indem er fälschlich behauptete, Chefinspektor Bernhard B*****, Polizeibeamter des SPK L*****, und Dr. Erich J*****, Richter des Landesgerichts L*****, hätten Angaben in seinen Beschuldigtenvernehmungen niedergeschrieben, die er in den Einvernahmen nie gesagt habe, und zwar:

1. Chefinspektor Bernhard B***** die Angaben, dass er immer gleich 20 Gramm Cannabiskraut auf einmal von Felix (As*****) gekauft habe, wenn er viel Geld hatte, was zumindest drei Mal der Fall gewesen sei;

2. Dr. Erich J***** im Zuge seiner Einvernahme vor Verhängung der Untersuchungshaft die Angaben, wonach er, teilweise mit Freunden, während der ganzen Zeit über täglich 5 Gramm Marihuana verbraucht bzw verraucht habe, sowie durch die Protokollierung: „Ich habe das Marihuana nicht hergeschenkt, die Abnehmer haben mir Geld gegeben und darum habe ich dann Marihuana angekauft.“

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO.

Rechtliche Beurteilung

Aus deren Anlass musste sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugen, dass das bekämpfte Urteil in Bezug auf den Schuldspruch I. an einem nicht gerügten Rechtsfehler mangels Feststellungen leidet, der ein amtswegiges Vorgehen erfordert (§§ 290 Abs 1 Satz 2 erster Fall, 281 Abs 1 Z 10 StPO).

Nach seit Jahren gefestigter Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0088096, RS0112225; Fabrizy, Suchtmittelrecht4 § 28a Rz 2; Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 28 Rz 25, 76; Litzka/Matzka/Zeder SMG² § 28b Rz 18) ist eine Handlungseinheit, die zur Addition aller tatgegenständlichen Suchtgiftmengen der fortlaufenden Tatbestandsverwirklichung führt, nur dann anzunehmen, wenn die betreffenden Einzelakte objektiv mit einer am einheitlichen Gefahrenbegriff orientierten Kontinuität gesetzt werden und wenn dabei auf der subjektiven Tatseite der zumindest bedingte Vorsatz des Täters jeweils auch den an die bewusst kontinuierliche Begehung geknüpften Additionseffekt mitumfasst.

Derartige Feststellungen zur subjektiven Tatseite lässt die zur Beurteilung vorliegende Entscheidung indes vermissen (US 4, 11), was zum aus dem Spruch ersichtlichen Vorgehen zwingt. Mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 35 und 37 SMG waren gemäß § 289 StPO die Schuldsprüche II. zu kassieren (RIS-Justiz RS0115884; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 18).

Mit seinem auf die Schuldsprüche I. und II. und den Strafpunkt bezogenen Vorbringen war der Beschwerdeführer ohne inhaltliche Auseinandersetzung auf die Kassationen zu verweisen.

Die darüber hinausgehende Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich auf den zweifach in der Hauptverhandlung gestellten und zweifach abgewiesenen (ON 22 S 6, 16) Antrag auf „Beigebung eines Dolmetsch für die englische Sprache, da der Angeklagte der Verhandlung nicht folgen kann“.

Die Tatrichter gingen ausdrücklich davon aus, es gebe keine objektiven Anhaltspunkte für die Notwendigkeit von Übersetzungshilfe, weil sich der Angeklagte während der Hauptverhandlung - wie schon vor der Polizei und dem Haft- und Rechtsschutzrichter - ohne Probleme in Deutsch verständigen konnte.

Da aber über die Sachverhaltsgrundlage einer prozessualen Verfügung das dafür zuständige richterliche Organ in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) entscheidet und dies nur nach den Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO überprüft werden kann, versagen die lediglich eine Fehleinschätzung durch die Tatrichter monierenden Rechtsmittelausführungen, aus deren Hinweis auf eine in Ghana zugebrachte Kindheit - zumal der 21-jährige Nichtigkeitswerber je zwei Klassen Hauptschule und Berufsschule in Österreich besuchte - überdies nicht klar wird, welchen Vorteil der Antragsteller aus der Beiziehung eines Dolmetschers für die englische Sprache ziehen hätte können (RIS-Justiz RS0118977).

Die Behauptung der Mängelrüge (Z 5), es „ergeben sich überhaupt im gesamten Akt keinerlei Anhaltspunkte, dass Diskrepanzen in den Vernehmungsprotokollen von den jeweiligen Erstellern der Protokolle ... vorsätzlich unrichtig wiedergegeben worden waren“, lässt nicht erkennen, welche (Formal-)Nichtigkeit der Rechtsmittelwerber zur Darstellung bringen möchte.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) bestreitet mit dem Hinweis auf mangelnde Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers den „Tatbestand der Wissentlichkeit hinsichtlich eines Amtsmissbrauchs“, vermag aber mit der Hypothese, der Angeklagte könnte „etwas anders gesagt haben, als er tatsächlich gemeint hat“, sich also „versprochen“ haben (vgl dazu im Übrigen US 13), keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die den Schuldsprüchen wegen Verleumdung zu Grunde liegenden Feststellungen zu erwecken.

Der formelle Nichtigkeitsgrund nach Z 5a greift seinem Wesen nach nämlich erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).

Im nicht die Schuldsprüche I. und II. anfechtenden Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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