Spruch:
Der Beschluss des Bezirksgerichtes Bludenz vom 27. April 1999, GZ 10 U 71/99v-7, verletzt das Gesetz
1. in dem im XX. Hauptstück der Strafprozessordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft und
2. infolge Unterbleibens der Einsichtnahme in den Akt über die frühere Verurteilung, AZ 26 E Vr 2380/96 des Landesgerichtes Innsbruck, in der Bestimmung des § 494a Abs 3 StPO.
Dieser Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.
Der Antrag der Anklagebehörde auf Verlängerung der Probezeit (S 21) wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 4. Februar 1997, GZ 26 E Vr 2380/96-12, wurde Karl F***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt. Nach Ablauf der Probezeit sprach das Landesgericht Innsbruck mit rechtskräftigem Beschluss vom 17. März 1999 (S 91) die endgültige Strafnachsicht aus (§ 43 Abs 2 StGB, § 497 Abs 1 StPO).
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 27. April 1999, GZ 10 U 71/99v-7, wurde über Karl F***** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB erneut eine bedingt nachgesehene Geldstrafe verhängt. Gleichzeitig fasste das Bezirksgericht - in Unkenntnis der mittlerweile erfolgten endgültigen Strafnachsicht - den Beschluss, die im Verfahren des Landesgerichtes Innsbruck bestimmte Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern. Die Entscheidung des Bezirksgerichtes Bludenz blieb unangefochten und ist demgemäß in Rechtskraft erwachsen.
Der Beschluss des Bezirksgerichtes Bludenz vom 27. April 1999 steht - wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 494a Abs 3 StPO hat das Gericht vor einer der im § 494a Abs 1 StPO vorgesehenen Entscheidungen unter anderem Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung zu nehmen; das Gericht kann sich nur dann mit der Einsicht in eine Abschrift des früheren Urteils begnügen, wenn diese - was hier nicht zutraf - eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung darzustellen vermag. Im vorliegenden Fall unterblieb die Akteneinsicht, obgleich die Möglichkeit einer zwischenzeitig erfolgten endgültigen Strafnachsicht bereits auf Grund der aus der Strafregisterauskunft (S 9) ersichtlichen Urteilsdaten indiziert war.
Diese Gesetzesverletzung hatte zur Folge, dass das Bezirksgericht Bludenz keine Kenntnis von der bereits am 17. März 1999 ausgesprochenen endgültigen Strafnachsicht erlangte und die Entscheidungskompetenz über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu Unrecht in Anspruch nahm. Ein gemäß § 497 StPO gefasster Beschluss auf endgültige Strafnachsicht entfaltet (selbst schon vor Eintritt der Rechtskraft) Bindungswirkung, derzufolge ein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung des Beschlusses nicht berechtigt ist, über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen. Der (rechtswidrige) Beschluss des Bezirksgerichtes Bludenz konnte somit weder den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck auf endgültige Strafnachsicht beseitigen noch sonst für den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolgen nach sich ziehen.
Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten auswirkt, war ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes gemäß § 292 letzter Satz StPO geboten, zumal die von der Staatsanwaltschaft Feldkirch beantragte "Feststellung der Wirkungslosigkeit des Beschlusses des Bezirksgerichtes Bludenz vom 27. April 1999" von diesem Bezirksgericht (ON 11) und dem Landesgericht Feldkirch als Beschwerdegericht (ON 14) zurecht (vgl 11 Os 193-195/96, 11 Os 82,83/96) abgelehnt wurde.
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