OGH 11Os130/05k

OGH11Os130/05k10.1.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Jänner 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Gomez Reyes als Schriftführer, in der Strafsache gegen Oswald K***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB, AZ 7 U 293/04y des Bezirksgerichtes Leopoldstadt, über die vom Generalprokurator gegen die in der Hauptverhandlung vom 19. August 2004 vorgenommene Verlesung der Aussage des Zeugen Christian M***** (S 47) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalsprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Verurteilten Oswald K***** sowie seines Verteidigers Dr. Kier zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Oswald K*****, AZ 7 U 293/04y des Bezirksgerichtes Leopoldstadt, verletzt die in der Hauptverhandlung vom 19. August 2004 vorgenommene Verlesung der Aussage des Zeugen Christian M***** (S 47) das Gesetz in der Bestimmung des § 252 Abs 1 StPO iVm § 458 Abs 5 StPO.

Es werden das Abwesenheitsurteil vom 19. August 2004 (ON 10) sowie alle darauf beruhenden Entscheidungen und Verfügungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Leopoldstadt zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren gegen Oswald K***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB, AZ 7 U 293/04y, führte das Bezirksgericht Leopoldstadt am 19. August 2004 die Hauptverhandlung gemäß § 459 StPO in Abwesenheit des Beschuldigten durch, weil dieser trotz eigenhändig zugestellter Ladung (S 1 verso) nicht erschienen war. Dabei verlas die Richterin auch die Anzeige ON 2, die ua das sicherheitsbehördliche Protokoll über die Vernehmung des Zeugen Christian M***** enthielt (S 9), der seiner Vorladung ebenfalls unentschuldigt nicht nachgekommen war (S 47). Mit - am 1. März 2005 in Rechtskraft erwachsenem (ON 23) - Abwesenheitsurteil vom 19. August 2004 (ON 10) wurde Oswald K***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 29. April 2004 als Lenker eines PKW auf Grund von Unachtsamkeit den die Fahrbahn über einen Schutzweg querenden Radfahrer Christian M***** angefahren hatte, wodurch dieser Abschürfungen im Bereich der linken Kniescheibe erlitten hatte. Beweiswürdigend stützte sich das Bezirksgericht Leopoldstadt ua auf die in der Hauptverhandlung verlesenen Angaben des Zeugen Christian M***** vor der Polizei (S 55).

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht die Verlesung des Protokolls über die sicherheitsbehördliche Vernehmung des Zeugen Christian M***** in der Hauptverhandlung vom 19. August 2004 mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach der - gemäß § 458 Abs 5 StPO auch vor dem Bezirksgericht geltenden - Regelung des § 252 Abs 1 StPO dürfen (ua) gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den im Gesetz genannten Fällen (§ 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO) verlesen werden. Da im vorliegenden Fall keiner dieser Ausnahmetatbestände vorlag, war die Verlesung des Protokolls über die sicherheitsbehördliche Vernehmung des Zeugen Christian M***** unzulässig. Insbesonders stellt weder das unentschuldigte Fernbleiben eines gehörig geladenen Zeugen den Verlesungstatbestand des § 252 Abs 1 Z 1 StPO her (vgl 12 Os 61/96), noch kann aus dem Nichterscheinen des Beschuldigten zur Hauptverhandlung dessen Einverständnis iS des § 252 Abs 1 Z 4 StPO abgeleitet werden (RZ 1999/26; zuletzt 15 Os 42/05y).

Die unzulässige Verlesung war nach der Aktenlage die Basis für die Urteilsfeststellung über die Ursächlichkeit des Verhaltens des Beschuldigten für die Verletzung des Zeugen M***** (vgl S 55). Der Beschuldigte hatte im Vorverfahren nämlich angegeben, Christian M***** habe ihm gegenüber unmittelbar nach dem Verkehrsunfall erklärt, nicht verletzt zu sein (S 17). Da somit nicht auszuschließen ist, dass die Verlesung dem Beschuldigten zum Nachteil gereicht hat, war die Feststellung der Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.

Bei der auch im erneuerten Verfahren vorzunehmenden Prüfung, ob den Beschuldigten ein schweres Verschulden trifft, wird das Bezirksgericht zu berücksichtigen haben, dass ein Schutzweg iS des § 2 Abs 1 Z 12 StVO nur für die Überquerung der Fahrbahn durch Fußgänger bestimmt ist, sodass ihn Radfahrer nicht befahren dürfen und ihnen folglich auch die nur für Fußgänger geltende Schutzbestimmung des § 9 Abs 2 StVO nicht zugute kommt (Pürstl/Somereder StVO11 § 9 E 36). In diesem Zusammenhang sei auch festgehalten, dass selbst die Missachtung dieser Norm für sich allein nach der Rechtsprechung noch kein schweres Verschulden darstellt (Burgstaller in WK2 § 88 Rz 27). Im Falle der Verneinung schweren Verschuldens würde die Wahrnehmung des Straflosigkeitsgrundes des § 88 Abs 2 Z 4 StGB einer diversionellen Erledigung vorgehen. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass - wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt - auch die Unterlassung der Anhörung des Anklägers zum Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil (ON 16) dem Gesetz widersprach (§ 478 Abs 2 erster Satz StPO).

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