OGH 11Os127/10a

OGH11Os127/10a20.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Dr. Bachner-Foregger und Mag. Michel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Koller als Schriftführer, in der Maßnahmenvollzugssache des Rene H*****, AZ 187 BE 82/10m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Untergebrachten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 11. August 2010, AZ 20 Bs 244/10v, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 14. Juni 2006, AZ 35 Hv 25/06k, wurde Rene H***** der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB und der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 2 Z 5 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt. Gleichzeitig erfolgte die Einweisung des Rene H***** nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe befindet sich der Verurteilte nunmehr seit 25. April 2008 im Maßnahmenvollzug.

Mit Beschluss vom 8. Juni 2010, GZ 187 BE 82/10m-25, stellte das Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht fest, dass die Unterbringung des Rene H***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher wegen weiter bestehender Rückfallsgefahr notwendig ist. Der Untergebrachte und seine Verteidigerin gaben zu dieser - nach Anhörung am 8. Juni 2010 vor dem Vollzugsgericht - in ihrer Anwesenheit verkündeten Entscheidung vorerst keine Erklärung ab (ON 24). Mit am 12. Juni 2010 eingebrachtem Schriftsatz behauptete der Untergebrachte, sein Verteidiger habe am 10. Juni 2010 einen die Beschwerde anmeldenden Schriftsatz verfasst, dieser wäre jedoch entweder aufgrund technischer Ursachen oder infolge Übermüdung und Erschöpfung seines Rechtsvertreters versehentlich nicht versendet worden, weswegen die Wiedereinsetzung beantragt und die Beschwerdeanmeldung nachgeholt wurde.

Das Oberlandesgericht Wien wies mit Beschluss vom 11. August 2010, AZ 20 Bs 244/10v (ON 32), den Wiedereinsetzungsantrag ab und die Beschwerde als verspätet zurück.

Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt der Untergebrachte die Erneuerung des Beschwerde-, eventualiter auch des erstinstanzlichen Verfahrens, weil eine Verletzung des Grundrechts auf ein faires Haftprüfungsverfahren (Art 5 Abs 4 MRK) stattgefunden hätte. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass § 152a StVG nach § 167 (Abs 1) erster Satz StVG im Verfahren über die bedingte Entlassung bei Untergebrachten nicht zur Anwendung käme, sein Wiedereinsetzungsantrag daher nur aus prozessualer Vorsicht eingebracht, die Beschwerde nach Zustellung einer Beschlussausfertigung rechtzeitig ausgeführt und ihm durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts der Zugang zu einem Gericht iSd Art 5 Abs 4 und des Art 6 MRK genommen worden wäre.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung ist zwar eine Planwidrigkeit des § 363a StPO anzunehmen und Lückenschließung dahin geboten, dass es eines Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für eine Erneuerung des Strafverfahrens nicht zwingend bedarf, womit auch eine vom Obersten Gerichtshof selbst - aufgrund eines Erneuerungsantrags - festgestellte Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts dazu führen kann (RIS-Justiz RS0122229). Dabei handelt es sich aber um einen subsidären Rechtsbehelf (RIS-Justiz RS0122737, RS0123350), weshalb in Bezug auf das gegenständlich als verletzt bezeichnete Grundrecht auf persönliche Freiheit die Bestimmungen des Grundrechtsbeschwerdegesetzes zur Anwendung gelangen, die insoweit den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ausdrücklich regeln. Nach § 1 Abs 1 GRBG steht wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung dem Betroffenen nach Erschöpfung des Instanzenzugs die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu. Dies gilt nach der ausdrücklichen Regelung des § 1 Abs 2 GRBG nicht für die Verhängung und für den Vollzug von Freiheitsstrafen oder vorbeugenden Maßnahmen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen, weshalb in diesen Fällen eine Grundrechtsbeschwerde nach § 1 Abs 2 GRBG ebenso ausgeschlossen ist wie der - subsidiäre - Erneuerungsantrag (14 Os 60/08t, 11 Os 148/09p).

Soweit der Einschreiter einen Verstoß gegen Art 5 Abs 4 und Art 6 MRK im Zusammenhang mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 11. August 2010, AZ 20 Bs 244/10v, behauptet, sieht sich der Oberste Gerichtshof dennoch veranlasst zu bemerken, dass die gegenständlich über die verhängte Freiheitsstrafe hinaus noch andauernde Anhaltung mit Urteil des zuständigen Landesgerichts St. Pölten vom 14. Juni 2006, AZ 35 Hv 25/06k, ausgesprochen wurde und damit auch die Überprüfung im Sinn des Art 5 Abs 4 MRK stattgefunden hat. Über die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Anhaltung wurde nach Anhörung (ON 24) mit Beschluss des Vollzugsgerichts vom 8. Juni 2010, GZ 187 BE 82/10m-25, erkannt; dass infolge einer - jedenfalls der Sphäre des Verteidigers zuzurechnenden - verspäteten Beschwerdeanmeldung eine Überprüfung der genannten Entscheidung des Vollzugsgerichts in der Sache selbst ausschied und das in zweiter Instanz befasste Oberlandesgericht die Beschwerde lediglich als verspätet zurückweisen konnte, vermag eine Grundrechtsverletzung nicht zu begründen. Hinsichtlich der Entscheidung des Oberlandesgerichts über den Wiedereinsetzungsantrag legt der Antragsteller nämlich nicht dar, woraus er ein Recht auf Entscheidung in der Sache selbst ableitet. Aus dem in diesem Zusammenhang erfolgten Hinweis auf Art 83 Abs 2 B-VG ist gegenständlich für den Einschreiter nichts zu gewinnen, weil ohnehin das zuständige Oberlandesgericht Wien in zweiter Instanz befasst war. Ein Recht auf Entscheidung in der Sache sieht auch Art 83 Abs 2 B-VG nicht vor.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass selbst Art 2 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK nur ein Recht auf Prüfung des Urteils durch ein übergeordnetes Gericht vorsieht und ebenfalls keine Entscheidung in der Sache garantiert.

Überdies steht dem Untergebrachten, worauf bereits das Beschwerdegericht zutreffend verwiesen hat, eine neuerliche Überprüfung des Maßnahmenvollzugs im Wege einer Antragstellung nach § 47 StGB offen. Diese Möglichkeit, jederzeit einen neuerlichen Antrag zu stellen, steht auch nach Ansicht des EGMR mit Blick auf Art 5 Abs 4 MRK einem Rechtsmittelrecht nicht nach (vgl EGMR 21. April 2009, Nr 11956/07 Stephens gegen Malta, „a fresh application is no less than an appeal“).

Im Übrigen erfolgten die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags und die Zurückweisung der verspäteten Beschwerde auch inhaltlich zutreffend. Zum einen wurde das bloß behauptete rechtzeitige Verfassen einer Beschwerdeanmeldung am 10. Juni 2010 nicht bescheinigt, zum anderen das Unterbleiben des Versendens, im Besonderen aber die gesonderte Kontrolle der tatsächlich erfolgten Absendung der elektronischen Eingabe vom Beschwerdegericht entgegen dem Vorbringen des Einschreiters ausdrücklich nicht als Versehen minderen Grads gewertet (ON 37 S 5 erster Absatz letzter Satz). Dahingestellt bleiben kann, ob die rechtzeitige Versendung aus technischen Gründen oder als Folge von Ermüdung bzw Erschöpfung des Rechtsvertreters unterblieb, lag das gravierende, eine Wiedereinsetzung ausschließende Versehen doch im Unterlassen der bei elektronischer Einbringung zutreffend geforderten Überprüfung, ob die Eingabe auch tatsächlich abgesendet wurde.

Entgegen dem Vorbringen des Untergebrachten ist auf den gegenständlichen Maßnahmenvollzug § 152a StVG unter Berücksichtigung der Sonderbestimmung des § 167 Abs 1 zweiter Satz StVG unmittelbar und uneingeschränkt anzuwenden (Drexler, StVG § 167 Rz 1); es hätte daher fallbezogen nach § 152a Abs 3 StVG der Anmeldung der letztlich ausgeführten Beschwerde bedurft. Das ungenutzte Verstreichenlassen der dreitägigen Rechtsmittelanmeldefrist bewirkt hinsichtlich der bei der Verkündung anwesenden Parteien die Rechtskraft des mündlich verkündeten Beschlusses über die bedingte Entlassung nach § 152a StVG (RIS-Justiz RS0111874). Der Umstand, dass das Erstgericht den kritisierten Beschluss samt Rechtsmittelbelehrung ausfertigte und dem Verteidiger zustellte, ändert an der bereits eingetretenen Rechtskraft nichts.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers - war der Antrag daher bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 Z 3 StPO zurückzuweisen.

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