OGH 11Os126/06y

OGH11Os126/06y23.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Jänner 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kikinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann M***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 16. März 2006, GZ 40 Hv 28/06a-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 1998/153 (A), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl I 1998/153 (B 1) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2001/130 (B 2) sowie des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2004/15 (C) schuldig erkannt. Danach hat er in zahlreichen Angriffen

(A) die am 26. Dezember 1984 geborene Claudia M***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, nämlich in der Zeit

  1. 1) von Juni 1994 bis Juni 1997 durch Betasten ihrer Brüste und
  2. 2) von Juni 1997 bis September 1998 dadurch, dass er ihre Brüste und ihre Scheide betastete, einen oder zwei Finger oder die Zunge in ihre Scheide einführte und in zumindest zwei Fällen ihre Hand an seinen Geschlechtsteil führte,

    (B) in der Zeit vom 1. Oktober 1998 bis zum (richtig:) 26. Dezember 1998

    1) geschlechtliche Handlungen an Claudia M***** vorgenommen, indem er ihre Brüste und ihre Scheide betastete sowie

    2) mit Claudia M***** dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er einen oder zwei Finger oder die Zunge in ihre Scheide einführte, und

    (C) in der Zeit von 1994 bis September 2001 durch die zu A und B angeführten Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung die seiner Aufsicht unterstehende Claudia M***** zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wies das Erstgericht den Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung Yvonne M*****s zum Beweis dafür, „dass der Angeklagten gegenüber der Yvonne M***** keine derartigen Handlungen gesetzt hat und sich dies auf seine Glaubwürdigkeit entsprechend auswirkt" (S 278 f) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab (S 279 f), weil allfällige sexuelle Handlungen an der Genannten nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind und der Antrag nicht erkennen ließ, aus welchem Grund die begehrte Vernehmung geeignet sei, die Beweislage maßgeblich zugunsten des Beschwerdeführers zu beeinflussen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330, 341).

Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat auf sich zu beruhen, weil allein dieser den Gegenstand der Entscheidung des Gerichtshofs bildete und demnach auch der Oberste Gerichtshof dessen Berechtigung nur auf den Zeitpunkt dieser Entscheidung bezogen zu überprüfen vermag (SSt 41/71, zuletzt 11 Os 120/06s). Die Ausführungen zur von der Beschwerde angestrebten Befragung Wolfgang M*****s und Helmut K*****s entziehen sich einer inhaltlichen Erwiderung, weil der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung (ON 21) keine entsprechenden Anträge gestellt hat. Der diesbezügliche - außerhalb der Hauptverhandlung eingebrachte - schriftliche Beweisantrag (ON 20) ist aus Z 4 unbeachtlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310).

Indem die Mängelrüge (Z 5) die Feststellungen (US 5) releviert, der Beschwerdeführer habe sich im Anschluss an zwei der Tathandlungen selbst befriedigt, habe Claudia M***** mehrmals, „quasi die Übergriffe einleitend", Pornohefte gezeigt und die Intensität seiner sexuellen Attacken im Laufe des Tatzeitraums gesteigert, bezieht sie sich nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsachen. Mit Blick auf die zu jedem der Tatbestände konstatierte Vielzahl von - jeweils rechtlich gleichwertigen - Tathandlungen gilt dies auch für die Fragen, ob der Beschwerdeführer in einem Fall oder in zwei Fällen die Hand der Claudia M***** zu seinem Penis geführt hat (US 5), und ob er mit seiner Zunge in deren Scheide eingedrungen ist (US 5). Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass auch durch das Berühren des äußeren Scheidenbereichs mit der Zunge das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung verwirklicht wird (vgl Hinterhofer SbgK § 206 Rz 27), womit der diesbezügliche Beschwerdeeinwand schon im Ansatz fehlgeht. Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) pauschal auf die Mängelrüge verweist, bringt sie mangels Bezugnahme auf entscheidende Tatsachen auch den hiemit herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform zur Darstellung.

Der Einwand, die angefochtene Entscheidung übergehe die Aussage Claudia M*****s, es sei etwa ab dem Zeitpunkt, ab dem sie die dritte Schulstufe (HS) besucht habe, zu keinen Tathandlungen mehr gekommen (der Sache nach Z 5), entfernt sich seinerseits vom Akteninhalt, zumal sich die genannte Aussage nur auf eine bestimmte Tathandlung, nämlich das Lecken an der Scheide, bezogen hat (S 281 iVm S 126). Aus welchem Grund die Depositionen Claudia M*****s der tatrichterlichen Feststellung, die sexuellen Übergriffe haben sich anfangs oft mehrmals pro Woche zugetragen (US 4) und in der Folge an Häufigkeit abgenommen, wobei die Zeitabstände zwischen den Angriffen aber niemals mehr als eine Woche betragen haben (US 5), widersprechen sollen (erneut der Sache nach Z 5), vermag die Beschwerde nicht darzulegen.

Indem die Rüge auf angeblich widersprüchliche Aussagen zu einem von Claudia M***** verfassten Brief hinweist (ebenfalls der Sache nach Z 5), bezieht sie sich einmal mehr nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsachen.

Im Übrigen erschöpft sich die Tatsachenrüge in dem Versuch, aus einzelnen Details der Aussage der Zeugin Claudia M***** deren Unglaubwürdigkeit abzuleiten und verfehlt solcherart die gebotene Ausrichtung an der Gesamtheit der beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487).

Der Verweis der Subsumtionsrüge (Z 10) auf das Vorbringen zur Mängel- und zur Tatsachenrüge ist unverständlich, weil damit Rechtsfehler im Sinn des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes nicht einmal behauptet werden.

Der Beschwerdeeinwand, die „Feststellungsmängel des Erstgerichts" seien „immanent" und führen dazu, dass der Beschwerdeführer „infolge einer unrichtigen Gesetzesauslegung" nach § 206 Abs 1 und § 207 Abs 1 StGB verurteilt worden sei, entzieht sich mangels argumentativen Substrats einer sachbezogenen Erwiderung.

Darüber hinaus verlangt die prozessordnungsgemäße Darstellung der Rüge aus Z 10 die ausdrückliche Bezeichnung der angestrebten Subsumtion (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 644). Diesem Erfordernis wird die Beschwerde nicht gerecht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - entgegen der gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung des Verteidigers - gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Rechtlich verfehlt löste das Erstgericht - mit Ausnahme der Schuldsprüche A 2 und B 1 - die Frage, in welcher Fassung die jeweilige materielle Strafnorm auf die Tathandlungen anzuwenden sei. Gemäß § 61 zweiter Satz StGB sind Strafgesetze nämlich auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten dann anzuwenden, wenn die Gesetze, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren. Da die im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz in Geltung gestandenen Fassungen des § 206 Abs 1 (BGBl I 2001/130), des § 207 Abs 1 StGB (BGBl I 1998/153) sowie des § 212 Abs 1 StGB (BGBl I 2004/15) jeweils dieselben Strafdrohungen aufwiesen wie die zu den Tatzeiten geltend gewesenen und auch die gebotene - fallbezogen vorzunehmende (Fabrizy, StGB9 § 61 Rz 2) - Gesamtbetrachtung nicht für die Anwendung der alten Rechtslage streitet, wäre das von den Schuldsprüchen A 1, B 2 und C umfasste Verhalten sohin jeweils nach dem im Urteilszeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen gewesen.

Da die aufgezeigten Rechtsfehler aber nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers wirken, ist insoweit ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO nicht geboten.

Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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