OGH 11Os125/03

OGH11Os125/0320.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Thomas O***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht St. Pölten vom 18. Juni 2003, GZ 24 Hv 3/03i-52, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Winiwarter zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem stimmeneinhelligen Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde Thomas O***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall und Abs 2 aF StGB (Punkt A des Urteilssatzes) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (B) sowie der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (C) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (D) schuldig erkannt.

Danach hat er in Traismauer

(A) in der Zeit von 1997 bis 30. September 1998 eine unmündige Person dadurch, dass er die am 3. September 1987 geborene Renate O***** dazu veranlasste, seinen Penis in den Mund zu nehmen, in wiederholten Angriffen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich eine tiefergreifende Gemütserkrankung im Sinne einer Depression und Antriebs- sowie vegetativer Störungen von länger als 24-tägiger Dauer zur Folge hatten;

(B) in der Zeit von 1997 bis 3. September 2001 mit einer unmündigen Person, nämlich der am 3. September 1987 geborenen Renate O*****, dadurch, dass er mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang, sowie vom 1. Oktober 1998 bis 3. September 2001 dadurch, dass er sie dazu veranlasste, seinen Penis in den Mund zu nehmen, den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich eine tiefergreifende Gemütserkrankung im Sinne einer Depression und Antriebs- sowie vegetative Störungen von länger als 24-tägiger Dauer, zur Folge hatten;

(C) in der Zeit von 1997 bis Oktober 2002 dadurch, dass er in wiederholten Angriffen mit seinem Penis in die Scheide seiner am 3. September 1987 geborenen Tochter Renate O***** eindrang, mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, den Beischlaf vollzogen;

(D) durch die unter den Punkten A bis C dargestellten Tathandlungen sein minderjähriges Kind zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Gründe der Z 5, 6, 10a und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher jedoch aus den von der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigten Gründen kein Erfolg beschieden ist.

Die Verfahrensrüge (Z 5) sieht die Verteidigungsrechte des Angeklagten durch die Abweisung (S 518 f/I) in der Hauptverhandlung vom 18. Juni 2003 gestellter (S 496 f, 516 ff/I) Beweisanträge zu Unrecht beeinträchtigt.

Den Antrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens (S 496 f/I) konnte das Erstgericht ohne Nachteil für den Angeklagten abweisen, weil angesichts des langen Zeitraums zwischen dem letzten Geschlechtsverkehr und der angestrebten Untersuchung iVm der Möglichkeit einer natürlichen Abheilung der von der Zeugin Dr. L***** erwähnten Infektion (S 496/I) auch aus einem negativen Befund keine den Beschwerdeführer entlastenden Schlüsse hätten gezogen werden können.

Auch die Anträge auf Durchführung von Ortsaugenscheinen (S 517/I) verfielen zu Recht der Ablehnung, fehlt es ihnen doch schon an den für die vom Schwurgerichtshof vorzunehmende Eignungsprüfung erforderlichen und damit als Grundlage erfolgreicher Verfahrensrüge gebotenen Formalvoraussetzungen (dazu näher Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 ff). Der Antrag auf Durchführung eines Ortsaugenscheines im Hause "*****" entbehrt einer Darstellung, warum auf diese Weise unter den gegebenen Umständen die Unmöglichkeit (und nicht bloß erschwerte Möglichkeit) der Tatbegehung in der von der Zeugin Renate O***** geschilderten Art bewiesen werden sollte. Dem Beweisantrag betreffend die ehemalige Wohnung in "*****" wiederum fehlt zumindest der Hinweis, warum trotz des Umstandes, dass Renate O***** bei der in der Hauptverhandlung verlesenen (S 516/I) kontradiktorischen Vernehmung (ON 17) - abweichend von der bei ihrer ersten Vernehmung (S 35 ff) sinngemäß gemachten Aussage, die Tathandlungen hätten schon von Anfang an auch in einem Keller stattgefunden - solche Handlungen im Keller nicht auf die Anfangszeit bezog, der Augenschein für eine Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit der Zeugin bedeutsam sein sollte.

Dem Antrag auf "Durchführung (des) P 300 Brain-Fingerprinting nach Dr. Lorenz" (S 518/I), den der Verteidiger unter Berufung auf den Artikel einer Zeitschrift und die Behauptung stützte, dass es sich um eine in den USA entwickelte Methode handle, mit der "Spuren eines Verbrechen im Gehirn eines Täters nachgewiesen werden" (S 517/I) könnten, mangelt es schon an der Anführung eines Beweisthemas und überhaupt an der ausreichenden Darstellung der Durchführbarkeit des Beweismittels (dazu Ratz, aaO sowie bezüglich unzulässiger Beweisaufnahmen auch Rz 375 mwN).

Entgegen der Fragestellungsrüge (Z 6) bleibt es nach gefestigter Judikatur dem Ermessen des Schwurgerichtshofes überlassen, in die Hauptfrage uneigentliche Zusatzfragen nach strafsatzändernden Umständen - wie im vorliegenden Fall nach schwerer Körperverletzung als Folge von Unzucht mit Unmündigen (§ 207 Abs 2 erster Fall aF StGB) oder schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger (§ 206 Abs 3 erster Fall StGB) - aufzunehmen (Mayerhofer aaO § 317 E 6 b und c). Eine solche Verbindung von Fragen ist nur anfechtbar, wenn - anders als im vorliegenden Fall eines einfachen Sachverhalts - der Schwurgerichtshof diesen Ermessensbereich überzieht und dadurch den Geschworenen die vollständige Prüfung des Sachverhaltes oder die klare, erschöpfende Beurteilung desselben unmöglich macht oder doch die Gefahr einer pauschalen Beurteilung der einzelnen Fakten ohne sorgfältige Prüfung der Schuld im Einzelfall heraufbeschwört (Mayerhofer aaO E 6a).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) behauptet, dass die Zeugin Renate O***** "keinen 'echten' Selbstmordversuch" unternommen und sich in "zahlreiche von ihr nicht aufgelöste Widersprüche verwickelt" habe, die Projizierung ihres Hasses gegen die Lebensgefährtin des Angeklagten auf diesen "möglich wäre", die Defloration der Zeugin und die "wiederholte Penetration" keine Schuldbeweise darstellten, die Behauptung (zu ergänzen: des Sachverständigen Dr. Friedrich) mangelnder Erfindbarkeit von Einzelheiten im Zusammenhang mit den inkriminierten geschlechtlichen Handlungen nicht die Möglichkeit von "Anregungen" durch in der Wohnung aufgefundene Pornofilme und Gummipenisse berücksichtige und schließlich die Gutachten der Sachverständigen Dr. G***** und Dr. F***** einander widersprächen. Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen der Geschworenen, wie sie der Beschwerdeführer geltend zu machen versucht, setzen jedoch in der Regel das Aufzeigen von schwerwiegenden, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zu Stande gekommenen Mängeln in der Sachverhaltsermittlung oder von Hinweisen auf aktenkundige Beweisergebnisse voraus, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Fragen aufkommen lassen (Mayerhofer aaO § 345 Z 10a E 3).

Diesen Anforderungen entsprechen die Rechtsmittelausführungen des Angeklagten jedoch nicht, sondern stellen sich - wie dessen selbst beweiswürdigende Erwägungen verdeutlichen - nur als neuerlicher Versuch dar, die Beurteilung der Verfahrensergebnisse durch die Geschworenen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in Zweifel zu ziehen.

Die auf das Gutachten Dris. F***** bezogene Kritik, die "Qualifikation der schweren Körperverletzung (sei) nicht stichhältig, weil hiefür im konkreten Fall keinerlei individuelle Begründung angegeben wird, sondern der Sachverständige sich nur auf seine Erfahrungen mit ca 1000 missbrauchten Jugendlichen zurückzieht", ist nicht zielführend, zumal dessen - sich entgegen der Beschwerde auch auf die Angaben der Renate O***** stützenden (S 506/I) - Schlussfolgerungen mit den notorischen Erfahrungen über die (Spät-)Folgen sexuellen Missbrauchs Unmündiger übereinstimmen (vgl 11 Os 82/02).

Verfehlt ist schließlich auch die Strafzumessungsrüge (Z 13). Denn entgegen der Beschwerdeargumentation hat das Erstgericht die "völlige Uneinsichtigkeit" des Angeklagten nicht in den besonderen Erschwerungsgründen angeführt, sondern lediglich im Rahmen seiner spezialpräventiven Erwägungen festgehalten, dass der Angeklagte im Hinblick auf das Unrecht seiner Straftaten völlig uneinsichtig ist (US 5).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war

daher zu verwerfen.

Auch der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 206 Abs 3 StGB, welche einen Strafrahmen von fünf bis fünfzehn Jahren vorsieht, eine Freiheitsstrafe von neun Jahren, wobei es das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit zwei Vergehen, die oftmaligen Wiederholungen der Übergriffe und den langen Deliktszeitraum als erschwerend wertete, als mildernd hingegen den bisherigen unbescholtenen Lebenswandel berücksichtigte.

Der Einwand, die Uneinsichtigkeit des Berufungswerbers sei zu Unrecht als Erschwerungsgrund gewertet worden, geht, wie schon zur Erledigung des Nichtigkeitsgrundes der Z 13 ausgeführt wurde, deshalb fehl, weil damit nur Aspekte der bei der Strafbemessung zulässigerweise mitzuberücksichtigenden Spezialprävention angesprochen wurden, die im vorliegenden Fall überdies keine als unverhältnismäßig erkennbare Strafschärfung nach sich zogen.

Zusätzliche Milderungsgründe vermochte der Berufungswerber hinwieder nicht aufzuzeigen. Dazu sind weder spekulative Überlegungen über mögliche Straffolgeentscheidungen geeignet noch der Vergleich mit einem gänzlich anders gelagerten Straferkenntnis, welches zudem eine wesentlich geringer pönalisierte Straftat betraf. Der Milderungsgrund der "Unbescholtenheit", gemeint ein ordentlicher Lebenswandel und der auffallende Widerspruch der Tat zum sonstigen Verhalten des Täters (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), konnte angesichts der mehrjährigen, nur nicht früher offenbar gewordenen Delinquenz des Berufungswerbers zu seinen Gunsten im Strafmaß keinen stärkeren Niederschlag finden. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher bei entsprechender Gewichtung der besonderen Strafzumessungsgründe und unter Berücksichtigung der allgemeinen Schuldkriterien des § 32 StGB zu einer Reduktion des Strafmaßes nicht veranlasst.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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