OGH 11Os121/20h

OGH11Os121/20h8.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Jänner 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Lukas R***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 15 U 250/18s des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens in Bezug auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 19. August 2020, AZ 135 Bl 27/20a, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00121.20H.0108.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Lukas R***** wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. Dezember 2019, GZ 15 U 250/18s‑33, eines am 11. Mai 2018 verübten Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Gegen dieses Urteil meldete der Verurteilte am 12. Dezember 2019 „volle Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld- und Strafausspruch sowie Privatbeteiligtenzuspruch“ an (ON 34). Nach Zustellung des Urteils am 17. April 2020 führte er das Rechtsmittel am 12. Mai 2020 aus und kritisierte erstmalig unter anderem eine überlange Verfahrensdauer, insbesondere die erst mehr als vier Monate nach der Verkündung des Urteils erfolgte Zustellung dessen schriftlicher Ausfertigung (ON 36).

[3] Mit Urteil vom 19. August 2020, AZ 135 Bl 27/20a (ON 40 der U‑Akten), wies das Landesgericht für Strafsachen Wien die Berufung wegen Nichtigkeit zurück und gab der übrigen Berufung nicht Folge. In der Begründung zur Straffrage führte das Rechtsmittelgericht aus, zwar sei „die Rüge der ungerechtfertigten Verzögerung der Ausfertigung des Urteils im Recht, da die Ausfertigung des erstgerichtlichen Urteils erst am 17. April 2020 und somit mehr als vier Monate nach der mündlichen Verkündung am 11. Dezember 2019 erfolgte, jedoch wirkte sich dieser Verstoß gegen § 9 Abs 1 StPO iVm Art 6 EMRK angesichts der ohnehin moderat ausgemessenen Sanktion im Endergebnis nicht aus“ (berichtigte Urteilsausfertigung ON 42 iVm ON 43).

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen dieses Urteil richtet sich der (fristgerechte) Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens, mit welchem der Verurteilte eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 MRK durch verzögerte Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils und durch Unterbleiben deren „spür- und messbar[er]“ Berücksichtigung bei der Strafbemessung geltend macht.

[5] Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, der unter anderem die in Art 35 Abs 1 MRK normierte Zulässigkeitsvoraussetzung der Erschöpfung des Rechtswegs erfüllen muss. Beim Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG handelt es sich um einen effektiven Rechtsbehelf zur Hintanhaltung unangemessener Verfahrensverzögerungen (RIS‑Justiz RS0122737 [T7, T18]; Reindl-Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 32; 12 Os 125/08m mwN, 14 Os 14/15p, jüngst 11 Os 80/20d). Diesen hat der Antragsteller hinsichtlich der Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils nicht gestellt, weshalb ihm die Geltendmachung einer allfälligen, aus der längeren Phase behördlicher Inaktivität resultierenden Grundrechtsverletzung (RIS‑Justiz RS0124901 [T3]) mit Antrag auf Erneuerung des Verfahrens verwehrt ist (siehe im Übrigen auch Frowein/Peukert, EMRK3 Art 6 Rz 250; zum Ausgangspunkt einer [allerdings nachvollziehbaren!] Strafenreduktion jüngst 11 Os 78/20k).

[6] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war der Antrag demnach zurückzuweisen.

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