OGH 11Os119/02

OGH11Os119/0211.2.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Februar 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Trauner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Arno Wolfgang R***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 19. Juni 2001, GZ 11 Hv 28/02k‑24, in nichtöffentlicher Sitzung nach Anhörung der Generalprokuratur den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:0110OS00119.020.0211.001

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Arno Wolfgang R***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGBaF (Punkt I des Urteilssatzes) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (II) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (III) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.

Darnach hat er, zusammengefasst wiedergegeben, vom 31. Mai 1994 bis 20. Dezember 1994 in Frankenmarkt

(zu I und II) die am 22. Jänner 1982 geborene und sohin zu den Tatzeiten unmündige Sabine A***** wiederholt mit Gewalt, nämlich Festhalten an den Handgelenken und Überwindung der körperlichen Gegenwehr, und durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er die Schlafzimmertüre bzw Wohnungstüre versperrte und den Schlüssel an sich nahm, zur Vornahme oder Duldung des Beischlafes sowie dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, nämlich mehrfachen Oral- und Handverkehr, genötigt;

(zu III) durch die zu I) und II) angeführten Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person bzw seinem Stiefkind, nämlich als Lebensgefährte bzw später Ehegatte der Mutter der Sabine A***** diese zur Unzucht missbraucht;

(zu IV) Sabine A***** durch gefährliche Drohung, nämlich die Äußerung, er werde mit ihrem Bruder das selbe machen, sohin durch Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper, wenn sie jemandem von den zu I) - III) angeführten Tathandlungen erzähle, zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung, nämlich Abstandnahme einer Anzeigenerstattung bzw Verheimlichen des unter I) bis III) angeführten Sachverhaltes genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Gründe der Z 3, 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, welcher jedoch keine Berechtigung zukommt.

Fehl geht zunächst der aus Z 3 erhobene Einwand unzureichender Beschreibung der zu den Fakten I und II verfahrensgegenständlichen Taten. Tatsächlich werden im Urteilstenor zum einen die strafbaren Handlungen, deren der Beschwerdeführer schuldig erkannt wurde, zwar mangels weiterer Aufklärungsmöglichkeiten nicht ihrer Anzahl nach und auch nicht in allen Einzelheiten ihrer Begehung konkretisiert, jedoch örtlich und zeitlich umgrenzt und die Art ihrer Ausführung ausreichend deutlich bezeichnet, um dem Zweck des § 260 Abs 1 Z 1 StPO, der die Abgrenzung von anderen Taten, die Beurteilung einer allfälligen Anklageüberschreitung und die Vermeidung der nochmaligen Verfolgung derselben Tat verfolgt, zu genügen (vgl Mayerhofer StPO4 § 260 E 32, 46a; Ratz in WK‑StPO § 281 Rz 266 ff, 291 f). Zum anderen aber werden auch die für die im Schuldspruch vorgenommene Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) erforderlichen Tatsachen vollständig angeführt, wobei von einer bloßen Verwendung der verba legalia ohne Sachverhaltsbezug der Beschwerde zuwider keine Rede sein kann.

Soweit der Beschwerdeführer unter demselben Nichtigkeitsgrund eine Verletzung der mit Nichtigkeit bedrohten Vorschriften des § 252 Abs 1 StPO in der Verlesung des Aussageprotokolls des Tatopfers und der Vorführung des über die kontradiktorische Vernehmung aufgenommenen Videos deswegen behauptet, weil die Zeugin ihre ursprüngliche Erklärung, ihr Entschlagungsrecht in Anspruch zu nehmen, revidiert habe, geht er von einer unrichtigen Prämisse aus. Denn Sabine A***** hatte in der Hauptverhandlung vom 3. Mai 2002, über ein ihr zustehendes Entschlagungsrecht (richtig nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO) belehrt, ausdrücklich angegeben, hievon Gebrauch zu machen (S 206), und nach weiterer - unrichtiger - Belehrung durch die Vorsitzende, diesfalls könnten ihre bisherigen Aussagen nicht verwertet werden, erklärt, "ich möchte schon, dass meine bisherigen Angaben verwertet werden, da ich aber schon kontradiktorisch einvernommen wurde, möchte ich heute keine Aussage mehr machen. Ich möchte heute keine Fragen beantworten!" (S 206). Damit hat sie sich jedoch unmissverständlich der Aussage entschlagen, wozu sie berechtigt war, und woraus die Zulässigkeit der Verlesung ihrer zuvor protokollierten Aussagen, aber auch der Vorführung des darüber aufgenommenen Videos folgt (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO).

Folgerichtig muss somit auch die gegen die (ersichtlich durch die Vorsitzende des Schöffensenates allein verfügte: S 231) Ablehnung des Fragerechtes gegenüber dieser Zeugin gerichtete Verfahrensrüge (Z 4) erfolglos bleiben, die allerdings wegen Fehlens eines Zwischenerkenntnisses schon aus formellen Gründen zurückzuweisen wäre.

Dieser Nichtigkeitsgrund ist aber auch aus dem weiteren dazu erstatteten Beschwerdevorbringen nicht ableitbar:

Dass die Vergewaltigung eines elfjährigen Mädchens nicht zwingend eine noch dazu durch Vernarbung auch später erkennbare Verletzung (im Vaginalbereich) des Opfers zur Folge hat, ist notorisch. Zutreffend wurde daher der auf die Bestätigung der gegenteiligen Behauptung zielende Antrag auf Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen abgewiesen.

Weil weiters nicht feststeht, dass Sexualdelikte der verfahrensaktuellen Art nur von Personen mit pädophiler Neigung begangen werden, ist es für das Beweisverfahren unerheblich, ob der Beschwerdeführer solche Präferenzen aufweist. Die Ablehnung der auf das Fehlen solcher Vorlieben abstellenden Anträge auf Einholung eines psychologischen Gutachtens und Vernehmung der Zeugen Dr. K***** und Mag. S***** stellt daher den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund (Z 4) ebenfalls nicht her.

Der Einwand (Z 5), die Feststellungen zum Tatzeitraum seien undeutlich, weil dieser sich nur dem Urteilstenor, nicht aber den Gründen entnehmen lasse, übersieht, dass insoweit Spruch und Gründe eine Einheit bilden, und betrifft überdies keine für die Unterstellung der angelasteten Taten unter das Gesetz oder die Wahl eines Strafsatzes entscheidende Tatsachen.

Aus der Formulierung des Schuldspruchs (I und II) in Verbindung mit den diesen tragenden Konstatierungen (insb US 6) ergibt sich, dass die deliktischen Handlungen innerhalb des genannten Zeitraumes wiederholt, wenngleich zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten, und jeweils in der Wohnung (s US 6: "...der Angeklagte hatte bei den jeweiligen Taten die Wohnungstür versperrt und den Schlüssel versteckt") stattgefunden haben. Als damit unvereinbar führt die Beschwerde in Punkt 3b vom Schöffengericht übergegangene und deshalb unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit (Z 5) relevierte Angaben der Zeugen Kr*****, Sabine A***** und Gabriele R***** an. Jedoch bezieht sich die Aussage Kr***** nur auf den Zeitraum 1. bis 21. September 1994, jene der Zeugin R***** auf die Zeit zwischen 24. November und 23. Dezember 1994 jeweils ab Mittag bis in die Nachtstunden und die des Tatopfers darauf, dass es ab 1. September 1994 keine Abholungen mit dem Auto mehr gegeben habe. Damit sind sie mit Blick auf die im Spruch angeführten, zeitlich innerhalb des sehr weit gezogenen Deliktzeitraumes nicht exakt einzuordnenden Tathandlungen und daher für die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens entscheidender Tatsachen ohne jede Bedeutung und waren somit auch nicht zu erörtern.

Soweit der Beschwerdeführer - unter Vernachlässigung der eingehenden Beweiserwägungen des Schöffensenates - mit der Behauptung fehlender Auseinandersetzung mit angeblich erheblichen Verfahrensergebnissen die Glaubwürdigkeit der Zeugin Sabine A***** in Zweifel zu ziehen versucht, bekämpft er lediglich unter dem Prätext einer Mängelrüge in hier unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer Schuldberufung.

Das weitgehend in einer Wiederholung der Argumentation zur Mängelrüge bestehende Vorbringen zur Tatsachenrüge (Z 5a) vermag erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrundeliegenden entscheidenden Tatsachen nicht zu erwecken, zumal dieser Vergewaltigungen im PKW nicht erfasst (!), weshalb auf die sich darauf beziehenden Einwendungen von vornherein nicht einzugehen war.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) wiederum orientiert sich nicht am Urteilssachverhalt und verfehlt damit die gesetzesgemäße Ausführung. Entgegen der Beschwerde nämlich wurde der tatbestandsessentielle Gewalteinsatz mit dem Festhalten der Arme des Tatopfers und Durchführung des (ersten) Geschlechtsverkehrs trotz Gegenwehr, aber auch, was der Beschwerdeführer übergeht, die durch Einsperren in der Wohnung bewirkte Entziehung der persönlichen Freiheit als (alternatives) Nötigungsmittel nach § 201 Abs 2 StGB bei jedem der wiederholten deliktischen Angriffe festgestellt. Dass die Abstandnahme von einer Anzeigeerstattung bzw das Verheimlichen der Tathandlungen zu I und II (Punkt IV des Urteilssatzes) durch (qualifizierte) gefährliche Drohung mit dem Tod erzwungen wurde, wurde ausdrücklich nicht angenommen (US 9).

Weshalb der festgestellte Sachverhalt die Subsumtion unter § 206 Abs 1 StGB nicht ermöglichen sollte, lässt die Beschwerde zur Gänze offen und ist demgemäß einer sachlichen Erwiderung entzogen.

Die Subsumtionsrüge (Z 10), mit welcher sich der Beschwerdeführer gegen die Annahme des - tateinheitlichen - Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 StGB wendet, zitiert zwar die Feststellung, dass ihm während der Abwesenheit der Mutter des Mädchens die faktische Aufsicht über Sabine A***** zukam (US 5), ohne indes in methodisch vertretbarer Weise aus dem Gesetz darzulegen, weshalb ungeachtet dieser Feststellung der Schuldspruch nach § 212 StGB verfehlt sein soll. Weil die Beschwerdeargumentation gerade diese Konstatierung unberücksichtigt lässt, wird der relevierte Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt.

Ein allenfalls in Betracht zu ziehendes Vorgehen nach § 290 StPO verbietet sich angesichts dessen, dass allein das Zusammenleben eines (unmündigen) Tatopfers, dessen Mutter und deren Lebensgefährten im gemeinsamen Haushalt bereits ein Autoritätsverhältnis zwischen Lebensgefährten und Kind iSd § 212 StGB begründet (vgl Mayerhofer StGB5 § 212 E 13 ff).

Auch soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Annahme eines idealkonkurrierenden Zusammentreffens der Delikte der Vergewaltigung und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses wendet, wird diese Auffassung nicht, wie es erforderlich gewesen wäre, aus dem Gesetz heraus entwickelt. Der Verweis auf die zudem nicht richtig zitierte Judikatur - die in älteren Entscheidungen nur im Falle einer (hier nicht gegebenen) Willensbrechung das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses verdrängt sieht, in jüngeren Entscheidungen aber selbst dann Idealkonkurrenz bejaht - und eine ebenfalls an die Willensbrechung anknüpfende Lehrmeinung genügt für eine den Prozessgesetzen entsprechende Darstellung dieses Nichtigkeitsgrundes nicht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit teils als nicht gesetzgemäß ausgeführt, teils als offenbar unbegründet bereits in nichtöffentlicher Sitzung nach Anhörung der Generalprokuratur sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1 und 2, 285a Z 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Linz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

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