OGH 11Os114/12t

OGH11Os114/12t11.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Meier als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Claudio M***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG, AZ 6 U 49/12h des Bezirksgerichts Bregenz, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang in diesem Verfahren und den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Beschwerdegericht vom 14. Mai 2012, AZ 25 Bl 38/12w (ON 16 der U‑Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 6 U 49/12h des Bezirksgerichts Bregenz verletzen das Gesetz

1./ der in der Hauptverhandlung vom 7. März 2012 vorgenommene Vortrag von Aktenstücken in § 252 Abs 2a StPO iVm § 447 StPO;

2./ die im Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 14. Mai 2012, AZ 25 Bl 38/12w (ON 16), erfolgte Annahme der Rechtzeitigkeit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Feldkirch in §§ 88 Abs 1 zweiter Satz und 89 Abs 2 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Feldkirch vom 21. März 2012 gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 7. März 2012, GZ 6 U 49/12h‑9, als verspätet zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen Claudio M***** war beim Bezirksgericht Bregenz zu AZ 6 U 49/12h ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG anhängig.

In der am 7. März 2012 durchgeführten Hauptverhandlung, zu der der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Hinterlegung der Ladung (vgl Rückschein ON 6) nicht gekommen war, verkündete der Richter, nachdem er den erheblichen Inhalt der Aktenstücke gemäß § 252 Abs 2a StPO vorgetragen hatte (ON 8 S 2), den Beschluss auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 191 Abs 2 StPO wegen Geringfügigkeit (ON 8 S 2 f, schriftliche Ausfertigung ON 9). Seitens des öffentlichen Anklägers erfolgte vorerst keine Erklärung (ON 8 S 3). Am 22. März 2012 langte im Telefaxweg die mit 21. März 2012 datierte schriftliche Beschwerde der Staatsanwaltschaft Feldkirch beim Bezirksgericht Bregenz ein (ON 10). Dieser gab das Landesgericht Feldkirch mit Beschluss vom 14. Mai 2012, AZ 25 Bl 38/12w (ON 16 der U‑Akten), Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Eine solche ist noch nicht erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Im Verfahren AZ 6 U 49/12h des Bezirksgerichts Bregenz wurde ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend geltend macht ‑ das Gesetz verletzt:

1./ In der Hauptverhandlung vom 7. März 2012 erfolgte der Vortrag des erheblichen Inhalts von Aktenstücken gemäß § 252 Abs 2a StPO, obwohl dies die ‑ gegenständlich nicht vorliegende ‑ Zustimmung des (abwesenden) Angeklagten vorausgesetzt hätte. Aus dessen Fernbleiben von der Hauptverhandlung kann eine derartige Zustimmung nicht abgeleitet werden (vgl RIS‑Justiz RS0117012 [T2]; 13 Os 80/10d; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 103, 134).

Mangels Nachteils für den Angeklagten konnte es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden finden.

2./ Zum weiteren Vorbringen gegen die statt einer Zurückweisung wegen verspäteter Ausführung meritorische Entscheidung des Landesgerichts über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist aus den Akten festzuhalten, dass der Einstellungsbeschluss zwar mit Spruch und Begründung, jedoch ohne Rechtsmittelbelehrung verkündet wurde (ON 8 S 3). Auch die der Staatsanwaltschaft am 16. März 2012 zugestellte Ausfertigung des Beschlusses enthält entgegen § 86 Abs 1 StPO keine Rechtsmittelbelehrung (ON 9).

Nach mittlerweile gefestigter Judikatur löst gegenüber einem Beschuldigten (§ 48 Abs 1 Z 1, Abs 2 StPO) die Bekanntmachung eines Beschlusses (lege non distinguente sowohl bei mündlicher Verkündung als auch bei schriftlicher Zustellung) ohne Rechtsmittelbelehrung die Beschwerdefrist des § 88 Abs 1 zweiter Satz StPO gar nicht aus (RIS‑Justiz RS0123942).

Ob allerdings die Bekanntmachung eines Beschlusses ohne Rechtsmittelbelehrung auch der Staatsanwaltschaft gegenüber die Beschwerdefrist nicht auslöst, hat der Oberste Gerichtshof noch nicht entschieden.

Bis zum Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes (BGBl I 2004/19) war es unbestritten, dass der Staatsanwaltschaft generell keine Rechtsmittelbelehrung zu erteilen ist (vgl § 3 StPO alt; Fabrizy, StPO9 § 3 Rz 5, Mayerhofer StPO5 § 3 E 171 ff). Hinweise darauf, dass die Normsituation in einem so gravierenden Punkt geändert werden sollte, sind nicht zu ersehen (EBRV 1165 BlgNR XXI. GP, 138 mit dem Hinweis auf die gegenüber dem „Betroffenen“ bestehende Informationspflicht; Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren Rz 340). Tatsächlich wurde ja auch nur eine Bestimmung aus der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (§ 152 Abs 3) in die Strafprozessordnung transferiert, ohne dass damit eine Änderung des Sinngehalts ‑ zumindest was die Rechtsfolgen unterlassener Rechtsmittelbelehrung betrifft ‑ beabsichtigt war (vgl Danzl, Geo § 152 Anm 18).

Dagegen spricht auch die Bestimmung des § 268 StPO, die nur eine Rechtsmittelbelehrung des Angeklagten kennt (Danek, WK‑StPO § 268 Rz 12). Die undifferenzierte Lesart von § 86 Abs 1 StPO würde zu der paradoxen Situation führen, dass bei gemeinsamer Verkündung eines Urteils und eines Beschlusses der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Beschlusses Rechtsmittelbelehrung zu erteilen wäre, nicht aber hinsichtlich des Urteils. Eine solche Intention ist dem Gesetzgeber nicht zuzusinnen.

Der Grund für eine Differenzierung zwischen Staatsanwaltschaft und anderen Beteiligten liegt in der Schutzfunktion der Strafprozessordnung. Im Strafverfahren steht der hoheitlich auftretende Staat dem Angeklagten (und anderen gleichgestellten Beteiligten) gegenüber, die eines besonderen Schutzes bedürfen (Art 5, 6 MRK; §§ 3 Abs 2, 5, 6, 7 Abs 2, 8, 16, 17 StPO; zum Gesichtspunkt der Schutzwürdigkeit im gegenständlichen Zusammenhang s ausdrücklich 13 Os 67/09s). Die Staatsanwaltschaft als hoheitlich auftretende Behörde, als Organ der Gerichtsbarkeit (Art 90a B‑VG; vertiefend Schroll, WK‑StPO Vor §§ 19‑24 Rz 6 ff) bedarf dieser besonderen Fürsorge nicht.

§ 86 Abs 1 StPO ist daher teleologisch dahin zu reduzieren, dass der Staatsanwaltschaft eine Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt werden muss.

Die Beschwerde gegen einen Beschluss ist binnen 14 Tagen ‑ ua ‑ ab dessen Bekanntmachung beim Gericht schriftlich oder auf elektronischem Weg einzubringen oder im Fall der mündlichen Verkündung zu Protokoll zu geben (§ 88 Abs 1 zweiter Satz StPO). Mit Bekanntmachung ist die Verkündung des Beschlusses oder mangels Verkündung seine Zustellung gemeint (Tipold, WK‑StPO § 88 Rz 6).

Das Beschwerdegericht hat gemäß § 89 Abs 2 StPO eine Beschwerde, die verspätet oder von einer Person eingebracht wurde, der ein Rechtsmittel nicht zusteht (§ 87 Abs 1 StPO), als unzulässig zurückzuweisen. Es hat im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung somit auch die Frage der Rechtzeitigkeit, allenfalls aufgrund von Aufklärungen gemäß § 89 Abs 5 StPO, zu lösen.

Gemäß § 84 Abs 1 Z 3 StPO endete die vierzehntägige Beschwerdefrist gegen den am 7. März 2012 in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft Feldkirch verkündeten Einstellungsbeschluss mit Ablauf des 21. März 2012. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss vom 7. März 2012 wurde erst am Donnerstag, den 22. März 2012, sohin nach Fristablauf, im Telefaxweg an das Bezirksgericht Bregenz übermittelt (vgl den in Kopie beiliegenden Sendebericht ON 10). Dennoch ging das Beschwerdegericht ausdrücklich von der Rechtzeitigkeit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft aus (ON 16 S 2).

Diese rechtsfehlerhafte Annahme gereicht dem Angeklagten zum Nachteil. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher gemäß § 292 letzter Satz StPO zur spruchgemäßen Entscheidung veranlasst.

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