OGH 11Os112/23i

OGH11Os112/23i21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. November 2023 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz als Vorsitzende sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Sekljic in der Strafsache gegen Dipl.‑Ing. * K* und andere Beschuldigte sowie mehrere belangte Verbände wegen Vergehen der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Vergabeverfahren nach § 168b Abs 1 StGB, AZ 29 St 33/16t der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 8. Mai 2023, AZ 17 Bs 166/22v, 167/22s (ON 3770 der Ermittlungsakten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, und der Verteidiger des belangten Verbandes S* AG, Mag. Petsche‑Demmel und Trafoier LL.M., zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0110OS00112.23I.1121.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

[1] Mit Beschluss vom 8. Mai 2023, AZ 17 Bs 166/22v, 167/22s (ON 3770), gab das Oberlandesgericht Wien (soweit hier von Bedeutung) der Beschwerde des belangten Verbandes S* AG gegen die vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 13. Mai 2022, AZ 333 HR 35/20x (ON 2809 der Ermittlungsakten), erteilte Bewilligung der „Anordnung der Durchsuchung der WKStA ON 2797“ teilweise Folge. Begründend ging es – abweichend von seiner früheren Rechtsprechung (OLG Wien 3. 3. 2008, 19 Bs 346/07g; OLG Wien 30. 3. 2009, 23 Bs 177/08k) – davon aus, dass § 168b StGB auf „von Privaten“ durchgeführte Vergabevorgänge (wie dem betreffenden Vorwurf der Verbandsverantwortlichkeit einer zugrunde liege) nicht anzuwenden sei (BS 37 ff).

 

[2] In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur Folgendes aus:

 

„Nach § 168b Abs 1 StGB ist, 'wer bei einem Vergabeverfahren einen Teilnahmeantrag stellt, ein Angebot legt oder Verhandlungen führt, die auf einer rechtswidrigen Absprache beruhen, die darauf abzielt, den Auftraggeber zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen', mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

Wie auch das Oberlandesgericht Wien zutreffend ausführt (BS 38), ist dem Wortlaut des Straftatbestands keine Einschränkung auf Vergaben durch öffentliche Auftraggeber zu entnehmen. Insbesondere enthält die – seit ihrem In-Kraft-Treten mit 1. Juli 2002 (BGBl I 2002/62) unverändert in Geltung stehende – Bestimmung im Unterschied zu zahlreichen anderen (vgl die Beispiele bei Fellmann/Moro, Die Strafbarkeit wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei [nicht] dem Bundesvergabegesetz unterliegenden Vergabeverfahren, ZWF 2020, 252 ff [FN 19]) keinen entsprechenden Verweis auf das Bundesvergabegesetz (BVergG).

Dennoch wird in der Lehre überwiegend (Leukauf/Steiniger/Flora, StGB4 § 168b Rz 4; Zeder, SbgK § 168b Rz 69; Birklbauer PK‑StGB § 168b Rz 6; vgl auch Brugger, Kartellstrafrecht: Keine Ausdehnung des § 168b StGB über das Bundesvergabegesetz hinaus, wbl 2015, 366; aM Kirchbacher/Ifsits in WK2 StGB § 168b Rz 13) die Ansicht vertreten, § 168b StGB determiniere keine Strafbarkeit wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Vergabeverfahren außerhalb des Geltungsbereichs des BVergG.

Das hierfür vornehmlich herangezogene Argument, eine solche Absicht des Gesetzgebers manifestiere sich in der Übernahme von Begrifflichkeiten aus der Terminologie des BVergG in den neu zu schaffenden Tatbestand, relativiert sich indes bei historischer Betrachtung (vgl EBRV 1005 BlgNR 21. GP 33 f):

Erklärtes Ziel bei Einführung des § 168b StGB war es, Strafbarkeitslücken zu verhindern, die durch die Beseitigung der gerichtlichen Strafbestimmungen aus dem Kartellgesetz (vgl dazu Kirchbacher/Ifsits in WK2 StGB § 168b Rz 1 ff) entstehen konnten. Insofern ergab sich das Bedürfnis nach einem gerichtlich strafbaren (Auffang‑)Tatbestand für jene Bieterabsprachen, die das Tatbild des Betrugs nur deshalb nicht erfüllen, weil kein Schaden erweislich ist. Bei seiner 'Ausgestaltung' orientierte sich der Gesetzgeber an § 298 dStGB, welcher unter der Voraussetzung der Einhaltung der wesentlichen Vergabegrundsätze auch Verfahren eines privaten Veranstalters erfasst (Heine/Eisele in Schönke/Schröder § 298 Rn 7; MüKoStGB/Hohmann § 298 Rn 46 f), entschloss sich aber – Anregungen im Be-gutachtungsverfahren folgend – für eine terminologisch stärkere Akkordierung mit dem österreichischen Vergaberecht. Dies sollte der Verallgemeinerung des Tatbestands dienen, der 'sohin grundsätzlich auf jedwede Vergabe von Liefer‑, Bau‑, Baukonzessions‑ und Dienstleistungsaufträgen anwendbar sein' sollte, 'sei es, dass die (im Sinne des Tatbestands manipulierte) Vergabe im Wege eines offenen Verfahrens, eines nicht offenen Verfahrens oder eines Verhandlungsverfahrens, im Wege eines Wettbewerbs oder ohne einen solchen durchgeführt wird'.

Seiner Funktion als Nachfolgebestimmung zu § 129 KartG 1988 und Auffangtatbestand für das Vermögensdelikt Betrug entsprechend wurde § 168b StGB in den sechsten Abschnitt des StGB eingefügt. Daraus erhellt, dass die neu geschaffene Strafnorm – wenn auch über den Umweg der Gewährleistung eines vergaberechtskonformen Wettbewerbs – letztlich die Hintanhaltung von Vermögensschäden auf Auftraggeberseite im Auge hat (Manquet, ZVB 2002/84, 220; zum Ganzen Kirchbacher/Ifsits in WK2 StGB § 168b Rz 55 ff). Eine sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung förmliche Vergabeverfahren durchführender 'privater' und 'öffentlicher' Auftraggeber ergibt sich demnach aus dem Schutzzweck der Norm gerade nicht (aM Brugger, Kartellstrafrecht: Keine Ausdehnung des § 168b StGB über das Bundesvergabegesetz hinaus, wbl 2015, 368 f; Fellmann/Moro, Die Strafbarkeit wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei [nicht] dem Bundesvergabegesetz unterliegenden Vergabeverfahren, ZWF 2020, 257).

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht verletzt daher in der Annahme, die inkriminierten Tathandlungen der Beschuldigten S* AG seien mangels eines zugrundeliegenden Vergabeverfahrens nach dem Bundesvergabegesetz dem Straftatbestand des § 168b Abs 1 StGB nicht zu unterstellen, diese Bestimmung.“

 

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[3] Dem belangten Verband (§ 13 Abs 1 VbVG) S* AG wird Verantwortlichkeit für § 168b Abs 1 StGB subsumierte Taten (natürlicher Personen) vorgeworfen (§ 3 VbVG), die bei einer seitens des „private[n]“ Unternehmens „I*“ vorgenommenen Ausschreibung eines „Bauvorhabens“ begangen worden seien (vgl BS 37 f).

[4] Tatbestandsmäßigkeit nach § 168b Abs 1 StGB verneinte das Oberlandesgericht nicht deshalb, weil dem inkriminierten Sachverhalt kein Vergabeverfahren nach dem Bundesvergabegesetz (im Folgenden: BVergG) zugrunde liege. Vielmehr trat es der – im angefochtenen Beschluss ausdrücklich referierten (BS 39) – Ansicht von Kirchbacher/Ifsits (in WK2 StGB § 168b Rz 13), wonach § 168b StGB auch wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren umfasst, die nicht unter das BVergG fallen, keineswegs entgegen.

[5] Hingegen verneinte es die Anwendbarkeit dieser Strafbestimmung auf Fälle, in denen (wie vorliegend nach der Verdachtslage) „ein privater Auftraggeber ein Vergabeverfahren […] durchführt“ (BS 38 f).

[6] Die beiden angesprochenen Kriterien – Abstellen auf den sachlichen Geltungsbereich des BVergG (was das Vergabeverfahren betrifft) oder auf „Privatheit“ des Auftraggebers – sind voneinander schon deshalb verschieden, weil das BVergG auch Fälle regelt, in denen private Auftraggeber Vergabeverfahren durchführen (vgl § 169 BVergG: „private Sektorenauftraggeber“); umgekehrt unterliegt nicht jede Vergabe durch „öffentliche“ Auftraggeber (oder öffentliche Unternehmen als „Sektorenauftraggeber“ – vgl § 2 Z 5 sowie §§ 4, 167 f BVergG) dem BVergG (siehe nur den Katalog der Ausnahmen von dessen Geltungsbereich in § 9 BVergG).

[7] Die von der Generalprokuratur (in concreto) als das Gesetz verletzend bezeichnete Rechtsmeinung (des angeblichen Erfordernisses „eines zugrundeliegenden Vergabeverfahrens nach dem Bundesvergabegesetz“) hat das Oberlandesgericht im angefochtenen Beschluss demnach gar nicht geäußert.

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war somit zu verwerfen (§§ 288 Abs 1, 292 StPO).

[9] Hinzugefügt sei, dass der in § 168b Abs 1 StGB gebrauchte Begriff (Vergabe-)„Verfahren“ nicht nur ein an formalrechtliche Regeln gebundenes Procedere, sondern – in einem weiteren Verständnis – auch sonst eine Vorgangsweise bezeichnen kann (vgl die seit dem Inkrafttreten des § 168b StGB neu geschaffenen § 74 Abs 1 Z 10 StGB, § 278e StGB und § 321b Abs 4 Z 5 lit c StGB, wo das Lexem „Verfahren“ jeweils in dieser alltäglichen Wortbedeutung verwendet wird; insoweit zutreffend übrigens Brugger, wbl 2015, 368 f).

[10] Ebenso wenig beschränkt sich der Gesetzeswortlaut auf Verfahren nach dem BVergG (erst 1997, dann 2002, dann 2006, nun 2018). In der bloßen Übernahme dessen Terminologie kann eine (gar dynamische) Verweisung auf jenes Gesetz (im Sinn einer ausschließlichen Erfassung dessen Geltungsbereichs) keineswegs erblickt werden (vgl die insoweit zutreffenden Überlegungen von Fellmann/Moro, ZWF 2020, 252 [254] und Sagmeister, Preisabsprachen 56 f, deren gleichwohl vertretene Ansicht, § 168b Abs 1 StGB meine nur Vergabeverfahren nach dem BVergG, die – von Sagmeister [Preisabsprachen 59 f] mit Blick auf Art 325 Abs 2 AEUV als Problem erkannte – Schwierigkeit, auch [nicht dem BVergG unterliegende] Vergabeverfahren durch Organe der Europäischen Union zu erfassen, überhaupt erst entstehen lässt).

[11] Angesichts der insoweit neutralen Tatbestandsformulierung unterscheidet der Wortlaut des § 168b Abs 1 StGB auch nicht zwischen öffentlichen und privaten „Auftraggeber[n]“.

[12] Hievon ausgehend wird die Wortlautgrenze des § 168b Abs 1 StGB weder durch dessen Anwendung auf nicht dem BVergG unterliegende „Vergabeverfahren“ noch durch die Annahme überschritten, die Strafnorm erfasse auch private „Auftraggeber“ (aA offenbar Zeder SbgK § 168b Rz 69 [„mit dem Wortlaut des Gesetzes kaum vereinbar“], der überdies mangelnde Bestimmtheit einer – von § 168b StGB jedoch gar nicht vorausgesetzten – „Ähnlichkeit“ mit Verfahren nach dem BVergG befürchtet, sowie Brugger, wbl 2015, 370 [„stößt an das strafrechtliche Analogieverbot“] und C. Fuchs/Schröder in Kert/Kodek, HB Wirtschaftsstrafrecht2 Rz 14.36: „mit der Terminologie des […] Wortlauts nicht vereinbar“).

[13] Im Übrigen erweist sich die Auffassung der Generalprokuratur, wonach sich entsprechende Tatbestandsbeschränkungen im Auslegungsweg auch sonst nicht ergeben, aus den von ihr genannten systematischen, subjektiv-historischen und objektiv-teleologischen Gründen als zutreffend.

[14] Dies ändert nichts daran, dass zur Ausfüllung der in Rede stehenden normativen Tatbestandsmerkmale des § 168b Abs 1 StGB („Vergabeverfahren“, „Auftraggeber“) – mit Blick auf den (auch beabsichtigten) terminologischen Gleichklang – Bestimmungen des BVergG durchaus heranzuziehen sind (Kirchbacher/Ifsits in WK2 StGB § 168b Rz 10 und 14).

[15] „Vergabeverfahren“ iSd § 168b Abs 1 StGB können „Verfahren zur Beschaffung von Leistungen“ (vgl § 1 Z 1 und 2 BVergG) allerdings auch dann sein, wenn sie weder den „öffentlichen Bereich“ noch den „Sektorenbereich“ iSd BVergG betreffen.

[16] Als „Auftraggeber“ iSd § 168b Abs 1 StGB wiederum ist „jeder Rechtsträger, der vertraglich an einen Auftragnehmer einen Auftrag zur Erbringung von Leistungen gegen Entgelt erteilt oder zu erteilen beabsichtigt“ (§ 2 Z 5 BVergG), auch dann zu verstehen, wenn er nicht „öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber“ iSd BVergG ist.

[17] Demzufolge meint § 168b Abs 1 StGB auch „Vergabeverfahren“, die private „Auftraggeber“ außerhalb des sachlichen Geltungsbereichs des BVergG durchführen (so auch Urlesberger/Ruech in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 20052 § 168b StGB Rz 10 und 18 sowie Gugerbauer, KartG und WettbG3 § 168b StGB Rz 3 und 8).

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