OGH 11Os112/05p

OGH11Os112/05p13.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtswärterin Mag. Eck als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hans S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. Mai 2005, GZ 024 Hv 11/05v-16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hans S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (Punkt I des Urteilssatzes), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF vor dem StRÄG 2004 (IV) sowie der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 2 StGB (III) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (V) schuldig erkannt. Danach hat er in Wien und Langenzersdorf von 1994 bis längstens 2000 (zu I) ab 1996 mit unmündigen Personen, nämlich seiner am 20. Oktober 1989 geborenen Tochter Anna S***** und seiner am 12. Juli 1984 geborenen Tochter Beatrix S*****, in zahlreichen Angriffen den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen, nämlich Oral- und Digitalverkehr, unternommen, (zu II) an den zu I genannten unmündigen Personen in zahlreichen Angriffen durch Streicheln der Brust und Scheide geschlechtliche Handlungen außer den Fällen des § 206 StGB vorgenommen, und zwar an Beatrix S***** ab 1994 und an Anna S***** ab 1996,

(zu III) durch die zu I angeführten Tathandlungen Personen, mit denen er in absteigender Linie verwandt ist, zum Beischlaf verführt, (zu IV) Anna S***** ab 1997 in mehreren Fällen durch Gewalt und mit gegen sie gerichteter Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, indem er ihr Ohrfeigen gab und sagte, dass er im Falle ihrer Weigerung die ganze Familie umbringen werde, zur Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, nämlich Digital- und Oralverkehr, genötigt und (zu V) ab 1996 durch die unter I bis III angeführten Tathandlungen seine minderjährigen Kinder zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Gründe der Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, welcher indes keine Berechtigung zukommt. Durch die als Verfahrensmangel (Z 4) gerügte Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Franz K***** wurden Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Der Zeuge wurde zum Beweis dafür namhaft gemacht, dass der Angeklagte ihm gegenüber unmittelbar nach seiner polizeilichen Vernehmung, in welcher er ein Geständnis abgelegt hatte, erklärt habe, er habe mit den Angelegenheiten nichts zu tun und habe das Geständnis lediglich im Schock abgegeben (S 159). Tatsächlich bestritt der Beschwerdeführer in der Folge die ihm angelasteten Tathandlungen sowohl vor dem Untersuchungsrichter (ON 3) wie auch in der Hauptverhandlung (ON 12) und behauptete, vor der Polizei nur unter dem Eindruck der ihm sonst drohenden Freiheitsstrafe von zehn Jahren (S 57) und deshalb ein Geständnis abgelegt zu haben, weil er auf Grund des ungerechtfertigten Vorwurfs „mit den Nerven fertig" gewesen sei (S 109). Mit dieser Verantwortung hatten sich die Tatrichter ausführlich auseinandergesetzt, ihr jedoch keinen Glauben geschenkt. Der Zeuge K***** hätte schon nach dem geltend gemachten Beweisthema weder zum Wahrheitsgehalt des Geständnisses noch zur psychischen Verfassung des Angeklagten anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung zweckdienliche Angaben machen können. Dass aber der Angeklagte schon vor seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter, seine spätere Verantwortung vorwegnehmend, einem Dritten gegenüber seine Angaben vor der Polizei als unrichtig und im Schock zustande gekommen bestreitet, ist für die Entscheidung zur Tatfrage unerheblich, weshalb der Beweisantrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen wurde.

In der undifferenziert ausgeführten Mängel- (Z 5) und Tatsachenrüge (Z 5a) remonstriert der Beschwerdeführer gegen das Unterbleiben der Vernehmung der Zeugin Anna S***** in der Hauptverhandlung sowie gegen die Nichtbeiziehung eines psychiatrischen Sachverständigen zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit der beiden Tatopfer und kritisiert die für den Schuldspruch IV relevanten Feststellungen zur Gewaltanwendung und gefährlichen Drohung als unbegründet. Mit diesen Einwendungen vermag er jedoch weder formelle Begründungsmängel (Z 5) aufzuzeigen noch erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldsprüchen zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Das Vorbringen, das Erstgericht wäre auf Grund der Verpflichtung zu amtswegiger Wahrheitsforschung verbunden gewesen, im Rahmen der Hauptverhandlung Anna S***** als Zeugin zu vernehmen und (zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben der Tatopfer) einen psychiatrischen Sachverständigen beizuziehen, legt nicht dar, wodurch der Beschwerdeführer insoweit an der Ausübung seines Rechts auf zweckdienliche Antragstellung gehindert gewesen sein soll, und geht solcherart ins Leere (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480). Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass Anna S***** erklärt hat, in der Hauptverhandlung nicht aussagen zu wollen (S 81), womit das Erkenntnisverfahren in Bezug auf diese Zeugin gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO zu Recht auf die Verlesung des Protokolls über deren kontradiktorische Vernehmung (ON 8) beschränkt worden ist (S 159). Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen wiederum ist allein dem erkennenden Gericht vorbehalten (§ 258 Abs 2 StPO) und somit dem Sachverständigenbeweis schon grundsätzlich nicht zugänglich. Worin die geltend gemachte, nur bei Nichtberücksichtigung von Verfahrensergebnissen bewirkte Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) gelegen sein soll, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Die vermisste Begründung der für den Schuldspruch IV bedeutsamen Feststellungen über den Einsatz von Gewalt und gefährlicher Drohung schließlich findet sich in US 7 iVm den Angaben der Zeugin Anna S***** in ON 8 (S 83).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), mit welcher der Beschwerdeführer die Tatbestandsmäßigkeit des dem § 201 Abs 2 StGB aF unterstellten Verhaltens bestreitet, verfehlt das Ziel, durch einen Vergleich des Urteilssachverhaltes mit dem Gesetz die rechtsfehlerhafte Subsumtion nachzuweisen, in zweifacher Hinsicht: Zum einen orientiert sich das Beschwerdevorbringen mit dem behaupteten Fehlen des (angeblichen) Tatbestandsmerkmals der Widerstandsunfähigkeit des Vergewaltigungsopfers nicht am Gesetz (§ 201 Abs 2 StGB aF = idF vor dem StRÄG 2004, aber nach dem StRÄG 1989), welches dieses Erfordernis nicht (mehr) kennt. Zum anderen legt die Beschwerde nicht dar, weshalb die gegenüber Anna S***** erfolgte Äußerung, „die ganze Familie umzubringen", nicht als Androhung einer auch die Zeugin selbst betreffenden Übelszufügung zu verstehen sei.

Im Übrigen ist klarzustellen:

Rechtlich verfehlt ist zunächst die Subsumtion auch der vor dem Inkrafttreten von BGBl I 1998/153 begangenen dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen (Oral- und Digitalverkehr) unter den Tatbestand des § 206 Abs 1 StGB (I), weil die diesbezügliche Strafdrohung nach der damals geltenden Rechtslage (§ 207 Abs 1 StGB aF) für den Angeklagten günstiger war als die aktuelle (§ 61 StGB). Ebenso unrichtig ist die Annahme idealkonkurrierenden Zusammentreffens der Tatbestände der §§ 211 Abs 2 und 212 Abs 1 (Z 1) StGB, weil nach ständiger Judikatur im Fall der Verführung eines minderjährigen Nachkommens das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses infolge Konsumtion hinter jenes der Blutschande zurücktritt (11 Os 108/89, zuletzt 15 Os 49/03). Schließlich geht auch die Subsumtion unter den Tatbestand des § 212 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2004/15 fehl, weil die neue Fassung des § 212 StGB nach Art VII iVm Art VI StRÄG 2004 BGBl I 2004/15 grundsätzlich nur in Strafsachen nicht anzuwenden ist, in denen vor dem 1. Mai 2004 das Urteil erster Instanz gefällt worden ist, was hier nicht zutrifft. Da dem Beschwerdeführer aber aus diesen Rechtsfehlern - insbesonders mit Blick auf den Umstand, dass er nur jeweils eines Verbrechens nach § 206 Abs 1 StGB und eines Vergehens nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt worden ist, sowie auf die durch BGBl I 2004/15 unverändert gebliebene Strafdrohung - kein Nachteil erwachsen ist, bieten sie keinen Anlass für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, teils als offenbar unbegründet bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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