OGH 11Os105/07m

OGH11Os105/07m24.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. August 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian L***** und einen weiteren Beschuldigten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2, 148 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 36 Ur 37/07v des Landesgerichtes Leoben, über die Grundrechtsbeschwerde des Christian L***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 19. Juli 2007, AZ 10 Bs 251/07y (ON 55 der Ur-Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Christian L***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Graz der Beschwerde des Beschuldigten Christian L***** (ON 53), gegen den beim Landesgericht Leoben die Voruntersuchung wegen der in der Folge bezeichneten Delikte geführt wird, wider die vom Untersuchungsrichter am 27. Juni 2007, GZ 36 Ur 37/07v-51, fortgesetzte Untersuchungshaft nicht Folge und setzte sie aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b, lit c StPO fort.

Danach ist L***** dringend verdächtig

I. des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB, weil er im Mai 2006 in Leoben, Graz und an anderen Orten Gabriele W***** durch Versetzen von Schlägen, Ziehen an den Haaren und Würgen sowie durch die Drohung, sein Verhalten werde sich so lange nicht ändern, bis sie als Bürge für einen Kredit gerade stehe, somit mit Gewalt und durch gefährliche Drohung letztlich zur Aufnahme eines Kredites bei der G***** in Höhe von 32.000 Euro, den er in der Höhe von 20.000 Euro zur Abdeckung seiner Schulden in Anspruch nahm, ohne bislang eine Rückzahlungsrate zu bezahlen, somit zu einer Handlung nötigte, die diese an ihrem Vermögen schädigte, wobei er mit dem Vorsatz handelte, durch das Verhalten der Genötigten sich unrechtmäßig zu bereichern;

II. des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall StGB, weil er mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern und in der Absicht, sich aus der wiederkehrenden Begehung der Tathandlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, die nachgenannten Personen durch die beschriebenen Täuschungen über Tatsachen zu Handlungen verleitete, die diese oder andere am Vermögen schädigten, wobei der Schaden 3.000 , nicht jedoch 50.000 Euro überstieg und zwar

1. in der Zeit von 6. September 2005 bis zum 31. Jänner 2006 in Leoben, Kapfenberg, Trofaiach und an anderen Orten Richard S***** durch die Vortäuschung einer Übereinkunft mit Amilton de O*****, Illker K*****, Ibrahim K*****, Gabriele W*****, Daniel Kn*****, Daniel H*****, Birgit I*****, Ingrid Ho*****, Robert T*****, Barbara Hi*****, Manuel Op*****, Irimis V***** und Manfred Si***** durch Vorlage falscher oder verfälschter Antragsformulare an die Versicherungen, somit falscher Urkunden, zu Provisionszahlungen von insgesamt 17.951,40 Euro, die er in Kenntnis seiner Rückzahlungsverpflichtung für den Fall der Vertragsstornierung umgehend verbrauchte;

2. am 10. März 2006 in Kapfenberg die M***** AG zur Auszahlung einer Provision bislang unbekannter Höhe durch die Fingierung einer Vereinbarung mit Christa Vo***** über den Abschluss einer Zusatzkrankenversicherung für Jonas Vo***** unter Vorlage eines gefälschten Versicherungsantrages;

3. im Oktober 2005 Franz Sch***** durch Täuschung über seine Zahlungsfähigkeit und -willigkeit zur Herausgabe von Speisen und Getränken im Wert von 372 Euro sowie Gewährung eines Darlehens in Höhe von 100 Euro;

4. im Februar 2006 Christa Vo***** durch die Vorspiegelung, er werde ihre Münzensammlung im Wert von 1.500 Euro verkaufen und ihr den Verkaufserlös herausgeben, zur Herausgabe der Münzensammlung;

III. des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB, weil er Güter, die ihm von den nachgenannten Personen anvertraut worden waren, deren Wert 3.000, nicht jedoch 50.000 Euro überstieg, sich mit dem Vorsatz zueignete, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern;

1. am 15. September 2006 in Gai Bargeld in Höhe von 650 Euro der Katharina Ka*****,

2. am 27. Oktober 2006 in St. Michael einen Laptop der U***** im Restwert von 2.585,92 Euro;

IV. des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 StGB, weil er am 27. Oktober 2006 in Vordernberg die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbrauchte, indem er die von Markus Ko***** zum Abschluss von Rechtsgeschäften ausgestellte Vollmacht dazu verwendete, dessen Lebensversicherung bei der F***** zu kündigen und eine neue Lebensversicherung abzuschließen, wodurch Markus Ko***** ein Schaden von 3.600 Euro entstand.

Die Annahme der Tatbegehungsgefahr begründete der Gerichtshof zweiter Instanz mit der (mutmaßlich) über einen langen Deliktszeitraum gesetzten Vielzahl von keineswegs nur mit der Tätigkeit als Versicherungsmakler im Zusammenhang stehenden Tathandlungen des mehrmals wegen Vermögensdelikten vorbestraften (ON 62) Beschuldigten, dessen Spielleidenschaft Mitte 2006 zumindest nicht ausreichend therapiert werden konnte und der sich in einer überaus schlechten finanziellen Gesamtsituation befindet.

Die Grundrechtsbeschwerde des Untersuchungshäftlings wendet sich gegen das Vorliegen des angenommenen Haftgrundes und behauptet überdies mehrfache Gesetzesverletzungen.

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Annahme einer der von § 180 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin überprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806).

Eine derartige Willkür bei der Annahme der Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b, lit c, Abs 3 letzter Satz StPO) vermag der Beschwerdeführer mit Hinweisen auf die Zusage eines festen Arbeitsplatzes in einer Handwerksbranche, seiner Therapiebereitschaft hinsichtlich seiner Spielsucht, der Unterstützung durch die Mutter in Form einer Wohnungszusage und der Bereitschaft zur Schuldenregulierung jedoch nicht aufzuzeigen.

Der Beschwerde ist zwar zuzugeben, dass das Oberlandesgericht unzutreffend vom aktuellen Vollzug einer Freiheitsstrafe (§ 180 Abs 4 StPO) ausging und demnach keine datumsmäßig fixierte (sondern eine nach Vollzugsende beginnende zweimonatige) Haftfrist festsetzte. Ungeachtet dieser Formulierung wurde indes durch den Beschluss des Beschwerdegerichtes eine mit dem Tag der Entscheidung beginnende Haftfrist von zwei Monaten in Gang gesetzt (§ 181 Abs 2 Z 3 StPO). Der Mitteilung im Haftbeschluss, bis zu welchem Tag er längstens wirksam sei, kommt nur deklarative Bedeutung zu (14 Os 57/94, SSt 62/12 uva), somit schadet auch die Unterlassung der Datumsangabe nicht.

Zur Vollziehung zahlreicher Ersatzfreiheitsstrafen aus Verwaltungsstrafen und einer gerichtlichen Ersatzfreiheitsstrafe wurde die am 9. Februar 2007 verhängte (ON 11) Untersuchungshaft am 15. Februar 2007 gemäß § 180 Abs 4 StPO unterbrochen. Zu Unrecht vermeint der Beschwerdeführer, während der Zeit der Strafvollzüge hätten Haftverhandlungen stattfinden müssen. Ein Untersuchungshaftbeschluss ist bei Einleitung des Vollzuges einer Strafhaft oder Haft anderer Art nicht aufzuheben, er verliert dadurch nur temporär seine Wirksamkeit, die mit Ende des Zwischenvollzuges wieder einsetzt, ohne dass es einer neuerlichen Beschlussfassung bedarf. In der Zwischenzeit allenfalls eingetretene Änderungen haftrelevanter Umstände sind von Amts wegen zu berücksichtigen. Eine bereits festgesetzte Haftfrist bleibt wirksam und wird lediglich in ihrem Fortlauf gehemmt, sodass amtswegige Haftverhandlungen nicht durchgeführt werden müssen (14 Os 176/94, SSt 62/35; 15 Os 84, 85/94, EvBl 1994/176 = RZ 1995/72; 13 Os 148/97). § 180 Abs 4 StPO differenziert nicht nach der Art der Haft; der von der Beschwerde ins Treffen geführte § 53 Abs 2 VStG regelt bloß örtliche Gesichtspunkte des Vollzuges verwaltungsbehördlich verhängter (Ersatz-)Freiheitsstrafen und vermag in keiner Weise auf das abschließend in der Strafprozessordnung geregelte Procedere im Zusammenhang mit Verhängung und Aufrechterhaltung einer Untersuchungshaft Einfluss zu nehmen.

Der Einwand verzögerter Vernehmung des Beschuldigten zu weiteren während der erwähnten Haftzeiten gegen ihn eingelangten Anzeigen (vgl den angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz S 14) wurde erstmals im Grundrechtsbeschwerdeverfahren erhoben und entzieht sich somit einem meritorischen Eingehen (vgl RIS-Justiz RS0061119, zuletzt 12 Os 98/060p).

Insgesamt wurde Christian L***** in seinem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt und war daher seine Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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