OGH 10Os150/78

OGH10Os150/7825.10.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Oktober 1978 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Walenta und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hammer als Schriftführer in der Strafsache gegen Hubert A wegen des Verbrechens des versuchten Mords nach den § 15, 75 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Kreisgericht Leoben vom 2.Juni 1978, GZ. 13 Vr 1468/77-49, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Schnatke und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Karollus, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Strafe unter Ausschaltung des § 41 StGB. auf 10 (zehn) Jahre erhöht. Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Die Geschwornen haben die auf Verbrechen des versuchten Mordes lautende Hauptfrage (I.) mit fünf Stimmen ja und drei Stimmen nein mehrheitlich beantwortet und die auf Vergehen der gefährlichen Drohung lautende Hauptfrage (IV.) stimmeneinhellig bejaht, die ihnen zu diesen Hauptfragen wegen allfälliger Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB.) gestellten Zusatzfragen (II. und V.) aber bezüglich der Hauptfrage I mit drei Stimmen ja und fünf Stimmen nein mehrheitlich und bezüglich der Hauptfrage IV stimmeneinhellig verneint und demgemäß die von ihnen zunächst ebenfalls verneinten, auf volle Berauschung (§ 287 Abs. 1 StGB.) lautenden Eventualfragen (III.) und VI.) unbeantwortet gelassen. Darnach wurde der Angeklagte Hubert A des Verbrechens des versuchten Mords nach den § 15, 75 StGB. und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach dem § 107 Abs. 2 StGB. schuldig erkannt, weil er in Schladming 1. am 4. November 1977 getrachtet hat, die Annemarie B dadurch zu töten, daß er sie von der Rauterbrücke in die Enns warf, 2. am 2.November 1977 die Cornelia C durch die öußerung, 'Ich bring' Dich um', wobei er sein Taschenmesser öffnete, mit dem Tod gefährlich bedroht hat, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Der Angeklagte hat eine auf die Z. 5 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde erhoben, deren Ausführungen sich sachlich nur gegen den Schuldspruch wegen Verbrechens des versuchten Mords richten.

Als Verfahrensmangel rügt der Beschwerdeführer das Unterbleiben der von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung vor Beginn des Beweisverfahrens zum Beweis dafür, daß die Zeugin auf Grund ihrer geistigen Beschränktheit zu Unwahrheit und Phantasterei neige, beantragten Psychiatrierung der Annemarie B.

Die Untersuchung eines Zeugen auf seinen Geisteszustand ist zwar im österreichischen Strafverfahrensrecht nicht vorgesehen; sie kann aber nach der Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte ausnahmsweise stattfinden, wenn besondere Gründe dafür vorliegen (SSt. XXVII/38; EvBl. 1958

Nr. 174 u.a.). Außerdem muß der Zeuge seiner Untersuchung zustimmen

(SSt. XXIX/85, LSK. 1976/151 u.a.).

Die Zeugin Annemarie B ist am 15.Oktober 1960

geboren; sie war zur Tatzeit siebzehn Jahre und zur Zeit der Hauptverhandlung bereits siebzehneinhalb Jahre alt. Darnach müßten bei ihr solche Bedenken gegen ihre Fähigkeit Wahrnehmungen zu machen und diese wiederzugeben, bestehen, die den Voraussetzungen des § 151 Z. 3 StPO.

(wonach Personen, die zur Zeit ihrer Vernehmung wegen ihrer Leibes- oder Gemütsbeschaffenheit außerstande sind, die Wahrheit anzugeben, bei sonstiger Nichtigkeit als Zeugen nicht vernommen werden dürfen) praktisch gleichkommen. Der Angeklagte hat derartige Bedenken nicht dargetan. Er kann sich schon aus diesem Grund nicht durch die Nichterledigung seines Antrags beschwert erachten.

Abgesehen davon war beim Verfahrensstand im Zeitpunkt der Antragstellung vor der Eröffnung des Beweisverfahrens eine Untersuchung der Zeugin nach der Aktenlage überhaupt nicht indiziert. Ungeachtet allfälliger, in der Strafprozeßordnung nicht vorgesehener, die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts mehr oder weniger vorwegnehmender Amtsvermerke im Vorverfahren können sich die einen so schwerwiegenden, der Zustimmung des Zeugen bedürfenden Beschluß (Psychiatrierung) des erkennenden Gerichts veranlassenden Bedenken der Sache nach erst in der Verhandlung vor demselben Gericht ergeben. Wenn der Angeklagte also, bevor Annemarie B als Zeugin vor dem erkennenden Gericht vernommen worden war, deren Neigung zur Unwahrheit und Phantasterei zufolge geistiger Beschränktheit behauptete, lief dieses Vorbringen lediglich auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, den das Erstgericht zu Recht nicht aufgenommem hat (SSt. XXVIII/4;

XXXI/121 u.a.).

Der Schwurgerichtshof hat sich bei dieser Sachlage trotz der Bestimmung des § 238 Abs. 1 StPO., wonach über einzelne Parteienanträge sofort zu entscheiden ist, die Schlußfassung über den gegenständlichen Antrag zunächst vorbehalten (Band II S. 29) und nach der Eröffnung des Beweisverfahrens die Zeugin B ausführlich vernommen.

Dadurch wurde den Geschwornen die Möglichkeit geboten, sich selbst einen unmittelbaren Eindruck von der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin zu verschaffen und deren Aussage darnach zu würdigen (vgl. auch Band II S. 149).

Der während der ganzen Hauptverhandlung anwesende gerichtsmedizinische Sachverständige hat nach der Ergänzung seines Gutachtens über den Geisteszustand des Angeklagten auch zur Frage der Aussagetüchtigkeit und Aussageehrlichkeit der Zeugin B kursorisch Stellung genommen. Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur kann jedoch nicht gesagt werden, daß durch diese öußerung des Sachverständigen dem gestellten Beweisantrag bereits entsprochen worden wäre; fehlte es doch nach der Aktenlage an jeglicher Befundaufnahme, insb. an einer eingehenden Explorierung und somit auch an der Grundlage für ein fundiertes Gutachten überhaupt. Im übrigen hätte, wie schon verwiesen, ohne Zustimmung der Zeugin vom Gericht dem Sachverständigen gar kein Explorierungsauftrag erteilt, ja eine Explorierung nicht erlaubt oder geduldet werden dürfen, weil niemand verpflichtet ist, sich selbst (seine Persönlichkeit) als Beweismittel zur Verfügung zu stellen (LSK. 1976/151).

Der Beweisantrag des Angeklagten ist somit tatsächlich unerledigt geblieben und der Beschwerdeführer daher zur Berufung auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 5 des § 345 Abs. 1 StPO. formell legitimiert. Nach dem Vorgesagten ist die Verfahrensrüge jedoch sachlich nicht berechtigt.

Unter dem Nichtigkeitsgrund der Z. 8 des § 345 Abs. 1 StPO. vermißt der Angeklagte in der Rechtsbelehrung Ausführungen über den Tatbestand der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung (§ 87 StGB.) und über den untauglichen Versuch (§ 15 Abs. 3 StGB.).

Im ersten Punkt erweist sich die Rüge schon darum als nicht zielführend, weil eine Rechtsbelehrung lediglich insofern angefochten werden kann, als sie Fragen betrifft, die den Geschwornen tatsächlich gestellt worden sind (siehe § 321 Abs. 2 StPO.). Eine (Eventual-) Frage wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung ist nicht gestellt worden. Darüber hinaus wurde in der Rechtsbelehrung ohnehin dargelegt, daß ein absolut untauglicher Versuch, bei dem die Vollendung der Tat nach der Art der Handlung unter keinen Umständen möglich ist, gemäß § 15 Abs. 3 StGB. straflos wäre (S. 129/II. Band). Von einer derartigen Unmöglichkeit kann hier nicht gesprochen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die samt und sonders unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte Hubert A unter Bedachtnahme auf den § 28 Abs. 1 StGB. nach dem § 75 StGB.

und unter Anwendung des § 41 Abs. 1 Z. 1 StGB. zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Strafzumessung wertete es das Zusammentreffen zweier Straftaten als erschwerend, dagegen den Umstand, daß es im Faktum 1 beim Versuch geblieben ist, die deutlich labile, haltschwache Persönlichkeit des Angeklagten im Sinn des Gutachtens des Sachverständigen sowie die Alkoholeinwirkung zur Tatzeit als mildernd.

Die Staatsanwaltschaft strebt mit ihrer Berufung eine Erhöhung des Strafmaßes an, der Angeklagte hingegen mit seiner Berufung eine Strafermäßigung.

Die Strafzumessung des Erstgerichts ist rundweg als verfehlt zu bezeichnen. Nach dem Ablauf der dem Angeklagten zur Last liegenden Geschehnisse kann seine Alkoholisierung bei dem für die Strafbemessung ausschlaggebenden Mordversuch nicht mildernd sein; hatte der Angeklagte doch schon am 2.November 1977 in alkoholisiertem Zustand die Cornelia C mit einem geöffneten Taschenmesser verfolgt und mit dem Umbringen bedroht, er wurde darnach auf dem Gendarmerieposten ausgenüchtert. Unter diesen Umständen kann nicht davon gesprochen werden, seine abermalige Trunkenheit am 4.November 1977 werde nicht durch den Vorwurf aufgewogen, den der Genuß des berauschenden Mittels unmittelbar nach der Verübung einer Straftat im Rausch und nachdem er deshalb eine Nacht im Gendarmeriegewahrsam zugebracht hatte (I. Bd. S. 111), begründet.

Gemäß § 35 StGB. hat demnach der Milderungsgrund der Alkoholeinwirkung zur Tatzeit hinsichtlich des gravierenden Urteilsfaktums 1 zu entfallen.

Auf der anderen Seite hat das Erstgericht übersehen, daß der Angeklagte zwei Vorstrafen aufweist, die auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB.) wie der nunmehr abgeurteilte Mordversuch und die gefährliche Drohung beruhen, nämlich eine wegen des Aggressionsdelikts des § 468

StG. und eine wegen des gegen die persönliche Integrität gerichteten Verbrechens nach § 96 StG. verhängte Strafe (Punkte 1 und 4 der Strafregisterauskunft). Als weiterer Erschwerungsgrund tritt der Umstand hinzu, daß das Opfer des Mordversuchs verletzt wurde. Das siebzehnjährige Mädchen wurde noch bei morgendlicher Dunkelheit auf dem Weg zur Arbeitsstätte von dem ihm fremden Mann überfallen, zu einer Brücke geschleift und über das Geländer fünf Meter tief in den Ennsfluß gestürzt, der dort und damals einen Wasserstand von 72 cm, eine Strömungsgeschwindigkeit von einem Meter in der Sekunde und eine Temperatur von 5o Celsius hatte (I. Bd. S. 289). Schließlich ist im Hinblick auf die Entlassung des Angeklagten aus der wegen des Verbrechens der Entführung verhängten Strafe erst am 18.August 1977 (S. 85 im Akt 13 Vr 1212/73 des Kreisgerichts Wels) der Erschwerungsgrund des raschen Rückfalls anzunehmen. Aus dem Gesagten folgt, daß in Wahrheit die erschwerenden die mildernden Umstände überwiegen. Darnach ist die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung mangels der zwingenden Voraussetzung des ersten Halbsatzes des § 41 Abs. 1 StGB. nicht möglich, ganz zu schweigen von der gleichfalls nicht gegebenen, im weiteren Gesetzeswortlaut verlangten begründeten Aussicht auf künftiges Wohlverhalten. Die Strafe mußte daher in Stattgebung der Berufung der Anklagebehörde auf das gesetzliche Mindestmaß erhöht werden.

Der Angeklagte war mit seiner Berufung hierauf zu verweisen.

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