OGH 10Os143/86 (10Os144/86)

OGH10Os143/86 (10Os144/86)21.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Oktober 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Kurt T*** wegen des (zum Teil als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB begangenen) teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG (nF) und § 15 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23.April 1986 und den Beschluß dieses Gerichtes vom 28. Juli 1986, GZ 6 b Vr 629/85-85 und 96, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Rzeszut, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. April 1986, GZ 6 b Vr 629/85-85, ist durch den Schuldspruch laut Punkt A. 2. das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 64 Abs. 1 Z 4 und Z 6, 65 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 Z 3 StGB verletzt worden. Dieses Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, wird im bezeichneten Schuldspruch und im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs nach § 38 StGB) ebenso wie alle darauf beruhenden gerichtlichen Beschlüsse und Verfügungen, insbesondere der Beschluß vom 28.Juli 1986, ON 96, aufgehoben; gemäß §§ 292, 288 Abs. 2 Z 3 StPO wird

1. in der Sache selbst erkannt:

"Kurt T*** wird von der Anklage, er habe am 12.Jänner 1985 den bestehenden Vorschriften zuwider 950 Gramm Cannabiskraut, also Suchtgift in einer großen Menge, aus den Niederlanden ausgeführt und über Belgien in Thionville nach Frankreich einzuführen versucht, und er habe hiedurch das teils vollendete, teils versuchte Verbrechen nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG (nF) begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen." sowie

2. die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im übrigen Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen. Ansonsten wird die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem im Spruch bezeichneten, auch andere Entscheidungen enthaltenden Urteil wurde der Österreicher Kurt T*** des zum Teil als Beteiligter nach § 12 (dritter Fall) StGB begangenen teils vollendeten und teils versuchten Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG nF und § 15 StGB sowie des Vergehens nach § 16 Abs. 1 (vierter und fünfter Fall) SuchtgiftG nF schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Schuldspruch wegen des angeführten Verbrechens erstreckt sich in einem Fall auf den im Tenor umschriebenen Anklagevorwurf (Faktum A.2.).

Wegen dieser Tat war der Angeklagte bereits mit dem Urteil des Gerichtshofs von Thionville (Frankreich) vom 12.April 1985, Nr 958/85, der unberechtigten Einfuhr von Suchtmitteln sowie der Einfuhr verbotener Waren ohne Zollerklärung schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe sowie zu einer Geldstrafe verurteilt worden; erstere sowie die für die Geldstrafe festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe hatte er in der Zeit vom 12.Jänner bis zum 27. August 1985 verbüßt (ON 51).

Im Inlandsverfahren wurden ihm diese Strafen mit dem unbekämpft gebliebenen Beschluß des Schöffengerichts-Vorsitzenden vom 28. Juli 1986 (ON 96) nachträglich gemäß § 66 StGB auf die hier über ihn verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Rechtliche Beurteilung

Das in Rede stehende Urteil hat allein der Angeklagte im Strafausspruch mit Berufung angefochten; darüber ist noch nicht entschieden worden. Es steht mit dem Gesetz insofern nicht im Einklang, als in Ansehung der nach dem Gesagten aktuellen Auslandstat die Voraussetzungen inländischer Gerichtsbarkeit nicht vorlagen:

§ 64 Abs. 1 Z 4 StGB ist mangels Angleichung des Zitates "die nach § 6 Abs. 1 des Suchtgiftgesetzes 1951, BGBl Nr 234, strafbaren Handlungen" an die durch die SuchtgiftGNov 1985, BGBl 1985/184, inhaltlich neu gestalteten Strafbestimmungen nach § 12 SuchtgiftG (nF) nicht mehr anwendbar (vgl JBl 1986, 466 ua; Leukauf-Steininger, Nebengesetze, 2. ErgH 1985, S 54). Österreich war aber auch nicht im Sinn des § 64 Abs. 1 Z 6 StGB zur Verfolgung dieser Tat verpflichtet. Denn nach Art 36 Abs. 2 lit a iv der sowohl von Belgien, Frankreich und den Niederlanden als auch von Österreich ratifizierten Einzigen Suchtgiftkonvention, BGBl 1978/531, gewährleistet zwar jede Vertragspartei (vorbehaltlich ihrer Verfassungsordnung, ihres Rechtssystems und ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften), daß (ua) das vorsätzliche Ein- und Ausführen von Suchtgiften, gleichviel ob von Staatsangehörigen oder Ausländern begangen, entweder von der Vertragspartei verfolgt wird, in deren Hoheitsgebiet der Verstoß begangen wurde, oder von der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet der Täter betroffen wird, wenn diese auf Grund ihres Rechts das Auslieferungsersuchen ablehnt und der Täter noch nicht verfolgt und verurteilt worden ist; im vorliegenden Fall war jedoch nur die zuerst relevierte Prämisse - und zwar schon deshalb, weil der Angeklagte Österreicher ist und deshalb nach § 12 Abs. 1 ARHG keinesfalls ausgeliefert werden darf (idS 10 Os 7,61/86; bei Ausländern vgl EvBl 1982/79) - gegeben, wogegen es der zweiten Voraussetzung für die Annahme einer Verfolgungspflicht im Hinblick darauf ermangelte, daß T*** wegen der hier aktuellen Tat wie dargestellt schon in Frankreich verfolgt und verurteilt worden war. Die Annahme inländischer Gerichtsbarkeit nach § 65 Abs. 1 Z 1 StGB schließlich kam deswegen nicht in Betracht, weil der Angeklagte die in Rede stehenden Auslandsstrafen bereits zur Gänze verbüßt hat (§ 65 Abs. 4 Z 3 StGB).

Durch den Schuldspruch zum Faktum A. 2. wurden demnach die - ihm der Sache nach (alternativ oder kumulativ) zugrunde gelegten - zitierten Bestimmungen des StGB über dessen Geltungsbereich verletzt; diese Gesetzesverletzung war in Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wie im Spruch festzustellen und nach § 292 letzter Satz StPO zu beheben. Als Folge der Ausschaltung des Schuldspruchs war aber auch der ausschließlich darauf beruhende Haftanrechnungsbeschluß zu kassieren, weil durch eine konkrete Maßnahme im Sinn der zuletzt relevierten Verfahrensbestimmung lediglich die gesetzwidrige Benachteiligung des Angeklagten ausgeschaltet, durch eine derartige Ausschaltung indessen nicht etwa umgekehrt eine dem Gesetz widersprechende Begünstigung des Täters herbeigeführt werden soll. Eine eigenständige Verletzung des Gesetzes in der Bestimmung des § 66 StGB hingegen ist durch diesen Anrechnungsbeschluß nicht bewirkt worden, weil zwar die nochmalige Bestrafung des Angeklagten wegen der betreffenden Auslandstat wie dargelegt gesetzwidrig war, die auf jenem rechtlich verfehlten Schuldspruch beruhende Anrechnung der erlittenen Auslandshaft auf die deswegen im Inland verhängte Strafe aber, für sich betrachtet, der relevierten materiellrechtlichen Bestimmung sehr wohl entsprach; insoweit war daher die Wahrungsbeschwerde zu verwerfen.

Daß die Anrechnung als Teil des Strafausspruchs nach § 260 Abs. 1 Z 3 StPO jedenfalls im Urteil hätte angeordnet werden müssen und - anders als die Zwischenhaft nach § 400 StPO - nicht mittels eines späteren Beschlusses des Vorsitzenden ausgesprochen werden durfte, ist mangels einer auf die Feststellung der solcherart prozessualen Gesetzesverletzung gerichteten Beschwerdeführung der Generalprokuratur nur der Vollständigkeit halber zu vermerken. Eine sofortige Strafneubemessung durch den Obersten Gerichtshof schließlich kam im Hinblick darauf nicht in Betracht, daß der in Haft befindliche Angeklagte zum Gerichtstag nicht selbst zu erscheinen vermag (§ 286 Abs. 2 StPO) und die Beigabe eines Verteidigers nach § 41 Abs. 2 StPO für ein Verfahren nach §§ 33, 292 StPO nicht wirksam ist (vgl JBl 1985, 505); dementsprechend wurde die Sache in sinngemäßer Anwendung des § 288 Abs. 2 Z 3 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung in dem durch den Teilfreispruch noch nicht erledigten Umfang der Urteilsaufhebung, also zur neuerlichen Strafbemessung für die aufrecht gebliebenen Teile des Schuldspruchs, in die erste Instanz zurückverwiesen, weil die Berufung des Angeklagten durch die Aufhebung des Strafausspruchs gegenstandslos geworden und eine Zuständigkeit des Gerichtshofs zweiter Instanz zu einer Strafneubemessung im schöffengerichtlichen Verfahren in der Prozeßordnung nicht vorgesehen ist. Bei der Erneuerung des Strafausspruchs wird der Gerichtshof erster Instanz in Beachtung des Verschlimmerungsverbots (§ 293 Abs. 2 StPO) auch den Wegfall des Anrechnungsbeschlusses zu berücksichtigen haben.

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