OGH 10ObS98/09y

OGH10ObS98/09y16.6.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Helmut Hutterer und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johannes N*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Kucher und Dr. Gerd Mössler, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1201 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. März 2009, GZ 7 Rs 19/09 g-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Dezember 2008, GZ 32 Cgs 237/08x-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist bei der *****versicherung ***** als Bezirksleiter im Außendienst beschäftigt. Am 13. 6. 2008 brachte er zunächst, nachdem er sein Auto vor dem Haupteingang der *****versicherung geparkt hatte, seinen Laptop ins Büro. Danach ging er in die Trafik des Günther P***** in der B*****straße, um Zigaretten zu kaufen. Mit P*****, der Kunde des Klägers ist, vereinbarte er ein Treffen in 15 Minuten in einem Café, um einige versicherungstechnische Dinge zu besprechen. Dieses Café liegt am direkten Weg zwischen der Trafik und dem Büro des Klägers. Der Kläger ging von der Trafik direkt in dieses Kaffeehaus, wo er P***** traf und mit diesem eine dienstliche Besprechung verrichtete. Während dieser rund 10 bis 15 Minuten dauernden Besprechung ging eine Bekannte des Klägers, die in einem Uhrengeschäft arbeitet, vor dem Café vorbei. Der Kläger wollte ihr seine defekte Armbanduhr aushändigen. Auf dem Weg zum Ausgang des Kaffeehauses, etwa 4 m vom Tisch im Kaffeehaus entfernt, rutschte der Kläger aus und verletzte sich schwer.

Mit Bescheid vom 30. 9. 2008 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Anerkennung dieses Unfalls als Arbeitsunfall ab und sprach aus, dass kein Anspruch auf Leistungen gemäß § 173 ASVG bestehe. Der Unfall stehe nicht im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung des Klägers. Der Weg zur Erledigung privater Interessen habe den Zusammenhang mit der dienstlichen Besprechung gelöst.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Gewährung einer Versehrtenrente und Feststellung, dass die beim Unfall vom 13. 6. 2008 erlittenen Verletzungen am rechten Bein und am rechten Ellbogen Folgen eines Arbeitsunfalls seien, gerichtete Klagebegehren ab. Die Anerkennung als Arbeitsunfall scheitere schon daran, dass die Armbanduhr des Klägers nicht als Arbeitsgerät im Sinn des § 175 Abs 2 Z 5 ASVG qualifiziert werden könne. Voraussetzung dafür sei, dass das Gerät seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen gebraucht werde, was im Fall des Klägers nicht gegeben sei, zumal die Zeit auch anderswo abgelesen werden könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Zutreffend habe es das Erstgericht abgelehnt, die Armbanduhr des Klägers als Arbeitsgerät gemäß § 175 Abs 2 Z 5 ASVG zu qualifizieren. Es stelle kein Spezifikum der beruflichen Tätigkeit eines Außendienstmitarbeiters einer Versicherung dar, Termine einhalten zu müssen und aus diesem Grunde auf das Vorhandensein einer funktionstüchtigen Armbanduhr angewiesen zu sein. Auch ihrer Zweckbestimmung nach diene eine Armbanduhr wohl kaum hauptsächlich der Tätigkeit im Unternehmen.

Der Unfallversicherungsschutz sei aber aus folgenden Erwägungen zu bejahen: Im Fall des Klägers habe der Aufenthalt in dem Café einer Besprechung mit einem Kunden gedient und sei damit Ausfluss der beruflichen Tätigkeit gewesen. Es könne davon ausgegangen werden, dass es zu einer ganz kurzfristigen Unterbrechung dieser dienstlichen Besprechung kommen habe sollen, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, seine defekte Armbanduhr seiner in einem Uhrengeschäft arbeitenden Bekannten zu übergeben. Die Judikatur lässt den Versicherungsschutz dann noch bestehen, wenn eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit nach ihrer Art und Dauer bei natürlicher Betrachtungsweise nur zu einer geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit führe und noch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und der betrieblichen Tätigkeit bestehe. Außerdem räume die gesetzliche Unfallversicherung dem Versicherten grundsätzlich ein bestimmtes Maß an räumlicher Bewegungsfreiheit ein, ohne dass er negative versicherungsrechtliche Auswirkungen befürchten müsse. Auch dann, wenn ganz nebenher oder gleichsam „im Vorbeigehen" eine private Verrichtung ausgeübt werde, also eine privaten Zwecken dienende unerhebliche tatsächliche Unterbrechung, die zeitlich und räumlich nur ganz geringfügig sei und einer Verrichtung diene, die „im Vorbeigehen" erledigt werde, werde der Versicherungsschutz als aufrecht bestehend bejaht. Eine diffizile Unterscheidung, welche Schritte möglicherweise eigenwirtschaftlich sind und welche zum üblichen Arbeitsweg gehörten, widerspreche dem Grundsatz, dass der Arbeitsweg grundsätzlich unter Unfallversicherungsschutz stehe.

Wenn der Kläger im Zuge seiner dienstlichen Besprechung die Gelegenheit nützen habe wollen, seiner Bekannten die defekte Armbanduhr zwecks Reparatur zu übergeben und nach Zurücklegen einer Wegstrecke von nur 4 m noch im Lokal zu Sturz gekommen sei und sich dabei verletzt habe, sei nach Auffassung des Berufungsgerichts von einer Verwirklichung der unter Unfallversicherungsschutz stehenden Weggefahr zu sprechen. Dies könne nicht anders gesehen werden als wenn der Kläger etwa die Besprechung zum Aufsuchen der Toilette hätte unterbrechen müssen.

Letztlich könne auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger den zum Unfall führenden Weg dazu nützen habe wollen, der zufällig am Kaffeehaus vorbeigehenden Mitarbeiterin eines Uhrengeschäfts seine Armbanduhr zwecks Durchführung der Reparatur auszuhändigen. Auch wenn es sich - wie bereits ausgeführt - bei der Armbanduhr nicht um ein Arbeitsgerät im Sinn des § 175 Abs 2 Z 5 ASVG handle, so könne jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die Uhr vom Kläger zum Zwecke der Einhaltung von Terminen Verwendung finde und damit nicht mehr davon gesprochen werden kann, der Weg hätte ausschließlich eigenwirtschaftlichen Interessen gedient. Der zu fordernde innere Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit könne auch dann gegeben sein, wenn der Weg zumindest auch wesentlich der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt gewesen sei, was hier nicht ausgeschlossen erscheine.

Somit stehe der vom Kläger am 13. 6. 2008 erlittene Unfall unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Da das Erstgericht ausgehend von einer vom Berufungsgericht nicht geteilten Rechtsansicht weder zu den Unfallfolgen noch zur Höhe der beim Kläger bestehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit Feststellungen getroffen habe, sei das Urteil des Erstgerichts aufzuheben. Auf die von der Berufung vermissten Feststellungen komme es nicht an, da sich die Dauer der Unterbrechung - Aufstehen vom Tisch bis zum Unfallereignis - schon nach allgemeiner Lebenserfahrung nur über wenige Sekunden erstreckt haben könne. Auch die Häufigkeit der Verwendung einer Armbanduhr könne für eine abschließende Beurteilung der hier vorliegenden Rechtsfrage nicht von Bedeutung sein.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zu der Frage, inwieweit geringfügige und kurzzeitige „Abwege" während einer dienstlichen Tätigkeit den Unfallversicherungsschutz beseitigen bzw unterbrechen, oberstgerichtliche Judikatur fehle.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Wiederherstellung der klagsabweisenden Entscheidung erster Instanz.

Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Abgesehen von der Ablehnung einer Qualifikation der Armbanduhr als Arbeitsgerät nach § 175 Abs 2 Z 5 ASVG steht die beklagte Partei in ihrem Rekurs auf dem Standpunkt, dass im konkreten Fall zwischen der versicherten dienstlichen Besprechung im Kaffeehaus und dem Weg vor das Geschäft zur Übergabe der zu reparierenden Armbanduhr zu unterscheiden sei. Dieser Weg vor das Kaffeehaus stelle sich - im Verhältnis zu der versicherten Besprechung im Kaffeehaus - nicht nur als ganz kurzer oder geringfügiger und damit unbeachtlicher Abweg von der dienstlichen Besprechung dar. Die Kontaktaufnahme mit der Bekannten und der Weg hin zu ihr stelle keine nebenher oder gleichsam „im Vorbeigehen" ausübbare private Verrichtung dar, die noch unter Unfallversicherungsschutz stehe.

Dazu wurde erwogen:

1. Die Ansicht des Berufungsgerichts über die fehlende Qualifikation der Armbanduhr des Klägers als Arbeitsgerät ist im Hinblick auf die Zweckbestimmung der Uhr zu teilen (RIS-Justiz RS0085000; ausdrücklich zur Armbanduhr Krasney in Becker/Burchardt/ Krasney/Kruschinsky [172. Lfg 2008] § 8 SGB VII Rz 289; ähnlich Schwerdtfeger in Lauterbach4 [34. Lfg 2007] § 8 SGB VII Rz 593).

2. Es ist unbestritten, dass die dienstliche Besprechung des Klägers im Kaffeehaus selbst unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ausnahmslos jeder Unfall während der Gesamtdauer der Besprechung ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall im Sinn von § 175 ASVG ist. Vielmehr stehen sogenannte „eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten", die dem privaten Bereich zuzurechnen sind, nicht unter Unfallversicherungsschutz (vgl 10 ObS 105/02t = SSV-NF 17/52; RIS-Justiz RS0084229 [T15]). Andererseits entfällt der Versicherungsschutz nicht, wenn eine solche private Besorgung so gestaltet ist, dass sie vor allem hinsichtlich ihrer Dauer und Art nach natürlicher Betrachtungsweise in die geschützte Tätigkeit „eingeschoben" ist und diese nur geringfügig unterbricht (Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky [157. Lfg 2006], § 8 SGB VII Rz 54). Eine Unterbrechung dieser Art lässt ausnahmsweise den Unfallversicherungsschutz aufrecht, wenn die (an sich zur unversicherten Sphäre gehörige) private Verrichtung unbedeutend ist und „quasi im Vorübergehen" und „ganz nebenher" erfolgt (Keller in Hauck [8. Lfg 1999] § 8 SGB VII Rz 38). Maßgeblich für die nur einzelfallbezogen mögliche Beurteilung, ob eine unschädliche Unterbrechung vorliegt, ist vor allem der zeitliche und räumliche Bewegungsaufwand für die private Verrichtung (Schulin, Unfallversicherungsrecht [1996] 579 f [§ 30 Rz 46]). Insgesamt muss sie so als unwesentlich in den Hintergrund treten, dass die geschützte betriebliche Tätigkeit dadurch kaum tangiert wird (vgl Schwerdtfeger in Lauterbach4 [7. Lfg 1998] § 8 SGB VII Rz 350), vor allem, wenn die private Versicherung von der betrieblichen Tätigkeit nicht klar zu trennen ist. In der deutschen Judikatur wird eine zeitliche Grenze von rund 5 Minuten und eine räumliche Grenze von nicht viel mehr als 5 - 6 m angenommen (Ricke in Kasseler Kommentar [53. Lfg 2007] § 8 SGB VII Rz 42).

3. In Österreich fehlt höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Aufrechtbleiben des Unfallversicherungsschutzes während einer Unterbrechung der geschützten Tätigkeit. Soweit Wege im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit zurückzulegen sind, hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Unfallversicherung dem Versicherten grundsätzlich ein bestimmtes Maß an räumlicher Bewegungsfreiheit einräumt, ohne dass er negative versicherungsrechtliche Auswirkungen befürchten muss. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs zum Wegunfall würde eine diffizile Unterscheidung, welche Schritte möglicherweise eigenwirtschaftlich sind und welche zum üblichen Arbeitsweg gehören, dem Gesichtspunkt widersprechen, dass der Arbeitsweg grundsätzlich unter Unfallversicherungsschutz steht (10 ObS 30/08x = RIS-Justiz RS0084578 [T5] = RS0083967 [T6]).

4. Im konkreten Fall ist zu beurteilen, ob und inwieweit die vom Kläger in einem (gewissermaßen losen) Zusammenhang mit seiner Besprechung vorgenommene Kontaktaufnahme mit einer Bekannten, deretwegen er sich zeitlich und räumlich von der dienstlichen Besprechung entfernt hat, nach den unter 2. genannten Kriterien unter Unfallversicherungsschutz steht.

4.1. Es ist klar, dass Bewegungen, die selbst der dienstlichen Besprechung dienen (zB Aufstehen samt kurzer Fortbewegung, um eine benötigte Unterlage aus einer Tasche zu holen), in einem unmittelbaren örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der geschützten Tätigkeit stehen und selbst geschützt sind.

4.2. Demgegenüber wollte sich der Kläger von der Besprechung entfernen, um eine Tätigkeit zu verrichten, die wegen der fehlenden Eigenschaft der Armbanduhr als Arbeitsgerät (siehe 1.) von ihrem Zweck her betrachtet als eigenwirtschaftlich zu qualifizieren ist.

4.3. Nach den unter 2. genannten Kriterien könnte der Unfallversicherungsschutz (nur) dann aufrecht bleiben, wenn die vom Kläger beabsichtigte private Besorgung so gestaltet ist, dass sie hinsichtlich ihrer Dauer und Art nach natürlicher Betrachtungsweise nur zu einer geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit führt, sodass sie letztlich noch als Teil der dienstlichen Besprechung angesehen werden kann.

4.4. Vergleicht man den konkreten Bewegungsaufwand des Klägers mit solchen Bewegungen, die auch sonst im Zuge einer dienstlichen Besprechung in einem Café vorkommen können (Gang an die Bar, um Speisen oder Getränke zu bestellen oder urgieren; Holen eines Kugelschreibers aus dem Mantel an der Garderobe neben dem Eingang), ist festzuhalten, dass das jeweilige zeitliche und örtliche Ausmaß kaum voneinander abweicht. Gesteht man dem Kläger eine „gewisse Bewegungsfreiheit" im Rahmen der dienstlichen Besprechung zu, muss auch die ganz kurze Entfernung von der Besprechung zu privaten Zwecken als geringfügig angesehen werden, sodass der Versicherungsschutz nicht unterbrochen wurde. Konsequenterweise verblieb der Kläger zwischen dem Aufstehen vom Tisch bis zur Rückkehr an den Tisch noch im geschützten Bereich.

5. Aus diesen Gründen ist der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts zu bestätigen; dem Rekurs der beklagten Partei kommt keine Berechtigung zu.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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