OGH 10ObS94/12i

OGH10ObS94/12i24.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Mag. Peter Skolek, Rechtsanwalt in Mödling, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 2012, GZ 9 Rs 39/12i-42, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Wurde ein Mangel erster Instanz in der Berufung zwar geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint, dann kann der Mangel nach ständiger Rechtsprechung - auch im Sozialrechtsverfahren nach dem ASGG - nicht mehr in der Revision gerügt werden (E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 503 Rz 8 f; Klauser/Kodek, ZPO16 § 503 E 38 mwN; RIS-Justiz RS0042963, RS0043061). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn das Berufungsgericht wegen unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat (Klauser/Kodek, ZPO16 § 503 E 40 mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier unbestritten nicht vor.

Soweit der Revisionswerber auf die Rechtsprechung Bezug nimmt, wonach der Grundsatz, dass eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens nur in der nächsthöheren Instanz wahrgenommen werden kann, nicht in bestimmten vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten familienrechtlichen Verfahren gilt, ist ihm entgegenzuhalten, dass es der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach mit ausführlicher Begründung abgelehnt hat, die Ausnahmen von dem dargelegten Grundsatz, die in der Rechtsprechung für bestimmte familienrechtliche Verfahren gemacht wurden, auf Sozialrechtsverfahren auszudehnen (vgl Neumayr in ZellKomm² § 87 ASGG Rz 5 mwN; 10 ObS 23/87, SSV-NF 1/32; 10 ObS 236/89, SSV-NF 3/115; 10 ObS 134/93, SSV-NF 7/74 ua). Die Ausführungen des Revisionswerbers bieten keinen Anlass für ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, wonach auch in Sozialrechtssachen angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, welche das Berufungsgericht nicht für gegeben erachtet hat, nicht mehr mit Revision geltend gemacht werden können. Es ist daher im Revisionsverfahren ein Eingehen auf die vom Rechtsmittelwerber neuerlich geltend gemachten angeblichen Verfahrensmängel erster Instanz nicht möglich.

Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht der Revisionswerber geltend, das Berufungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass seine Rechtsrüge in der Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführt worden sei.

Die gesetzmäßige Ausführung des Berufungsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung fordert die Darlegung, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheint. Die bloße, in verschiedenen Formulierungen ausgedrückte, aber begründungslos bleibende Behauptung, es sei eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgelegen, genügt nicht. Wird die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, was insbesondere auch dann zutrifft, wenn der Rechtsmittelwerber nicht von den getroffenen Feststellungen ausgeht, dann liegt in Wahrheit keine Rechtsrüge vor, sodass die rechtliche Beurteilung des Ersturteils nicht überprüft werden darf (E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 471 Rz 9 mwN). Eine im Berufungsverfahren unterbliebene (oder nicht gehörig ausgeführte) Rechtsrüge kann nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (E. Kodek aaO § 503 Rz 23 mwN).

Im vorliegenden Fall hat der Rechtsmittelwerber in seiner Berufung unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung selbst ausgeführt, dass „nach den erstgerichtlichen Feststellungen die Voraussetzungen für die Kostenübernahme des Heilmittels Magnosolv Granulat nicht vorliegen“, das Erstgericht aber „aufgrund der nicht objektiven Aussagen des gerichtlich beeideten Sachverständigen für innere Medizin an einer richtigen rechtlichen Beurteilung der Streitsache gehindert war“. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Rechtsrüge in der Berufung sei nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehe, ist daher nicht zu beanstanden. Hat der Kläger aber im Berufungsverfahren keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge erhoben, kann sie nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfahren nicht mehr nachgeholt werden.

Die außerordentliche Revision war somit mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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