Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Klägerin war zum 30.6.1993 ein Hilflosenzuschuß rechtskräftig zuerkannt. Deshalb wurde ihr nach § 38 Abs 1 Bundespflegegeldgesetz (BPGG) mit Wirkung vom 1.7.1993 ein Pflegegeld in der Höhe der Stufe 2 gewährt. Dem Zuerkennungsbescheid der Beklagten vom 30.7.1992 lagen folgende Diagnosen zugrunde:
Zustand nach Entfernung der rechten Niere (1986) präterminale Insuffizienz der Restniere, Zustand nach mehrmaliger Hämodialyse, Anämie mit körperlicher Schwäche, Zustand nach Bandscheibenoperationen (1973 und 1988) mit motorischem Defizit der Wurzel L 5 rechts, altersentsprechender Herz-Kreislaufzustand, depressives Zustandsbild. Die Beklagte ging damals davon aus, daß die Klägerin für die Nahrungszubereitung, die Bedienung der Etagenheizung samt Herbeischaffen des Heizmaterials, die gesamte Wohnungsreinigung, die Beschaffung der Nahrungsmittel und sonstigen Bedarfsgüter und das Waschen der großen und kleinen Wäsche 78,5 Stunden monatlich Wartung und Hilfe brauchte.
Mit Bescheid vom 22.11.1993 entzog die Beklagte das Pflegegeld unter Berufung auf § 9 Abs 2 und 3 BPGG mit Ablauf des Monates Dezember 1993. Der Pflegebedarf betrage wegen einer Besserung des Gesundheitszustandes weniger als 50 Stunden monatlich.
Dieser Bescheid ist durch die innerhalb der Frist von drei Monaten ab
seiner Zustellung (§ 67 Abs 2 ASGG idF BGBl 1993/110) erhobene
Klage zur Gänze außer Kraft getreten (§ 71 Abs 1 leg cit). Ihr
iS des § 82 Abs 1 bis 4 ASGG hinreichend bestimmtes Begehren
richtet sich auf Zahlung des Pflegegeldes in Höhe der Stufe 2 über
den 31.12.1993 hinaus. Es stützt sich darauf, daß sich der
Gesundheitszustand der Klägerin nicht gebessert habe und sie einen
Pflegebedarf von mehr als 75 Stunden monatlich habe.
Die Beklagte beantragte aus den Gründen ihres Entziehungsbescheides die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Es stellte neben den eingangs wiedergegebenen Grundlagen des Zuerkennungsbescheides zu den Lebensverhältnissen und dem derzeitigen Gesundheitszustand der Klägerin im wesentlichen fest:
Die Klägerin wohnt mit ihrem Ehegatten ein sauber eingerichtetes Bauernhaus im Ortsgebiet. Die sanitären Verhältnisse sind gut, die Dusche kann unter Verwendung eines Sessels selbständig benützt werden. Waschmaschine, Elektroherd und Mikrowellenherd sind vorhanden. Holz und Kohle für die Etagenheizung müssen aus dem Nebengebäude herbeigeschafft werden. Das nächste Lebensmittelgeschäft ist in einer, der praktische Arzt in zwei Gehminuten zu erreichen. Ein (öffentliches) Verkehrsmittel ist (zu Fuß) nicht erreichbar.
Gegenüber 1992 liegen nur mehr Zeichen einer leichten Niereninsuffizienz vor. Weiters bestehen ein Zustand nach Bandscheibenoperation (1973 und 1988) im Bereich L 5/S 1 mit Peronäusläsion rechts und leichtem Steppgang, Harn- und Stuhlentleerungstörungen, Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule, ein altersentsprechender Herz-Kreislaufbefund, ein kompensierter Zustand nach Hörsturz, Alterssichtigkeit und eine massive depressive Grundstimmung. Wegen der Gangunsicherheit ist die Fortbewegung auch in der Wohnung nur mit einer Stützkrücke oder mit Anhalten an den Möbeln möglich. Da die Hebefunktion des (rechten) Fußes durch die Peronäuslähmung eingeschränkt ist, kann die Klägerin bereits bei kleinen Hindernissen (zB Teppichen) stürzen. Wegen dieses Gesundheitszustandes braucht sie Hilfe für das Beheizen der Wohnung samt Herbeischafffen des Brennmaterials, für die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und sonstigen Bedarfsgütern, für das Waschen und Aufhängen der großen Wäsche, zur gründlichen, aber auch teilweise zur notdürftigen Reinigung der Wohnung. Da zwischen der Haustür und Straße steile Stufen überwunden werden müssen, kann die Klägerin Wege außerhalb des Hauses generell nicht mehr ohne fremde Hilfe erledigen.
Gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Hilflosenzuschusses hat sich der Gesundheitszustand der Klägerin insofern wesentlich geändert, als sich die Funktion der Restniere gebessert hat und nur mehr eine leichte Niereninsuffizienz vorliegt, die keine Dialyse erforderlich macht. Dadurch hat sich auch die körperliche Schwäche gebessert. Deshalb kann sich die Klägerin nunmehr täglich eine ordentliche Mahlzeit kochen, einige wenige Aufräumarbeiten verrichten und die kleine Wäsche selbst waschen und aufhängen.
Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes liege in den Übergangsfällen des § 38 Abs 1 BPGG eine wesentliche Änderung iS
des § 9 Abs 2 leg cit solange nicht vor, als der geänderte
Zustand nach der bis zum 30.6.1993 geltenden Rechtslage nicht zur Entziehung des Hilflosenzuschusses hätte führen können. Da die Klägerin monatlich rund 37 Stunden Wartung und Hilfe brauche, hätte sie nach der alten Rechtslage weiterhin Anspruch auf Hilflosenzuschuß. Deshalb könne ihr das Pflegegeld in der Höhe der Stufe 2 nicht entzogen werden, obwohl sie infolge des gebesserten Gesundheitszustandes nur mehr einen monatlichen Pflegebedarf von 50 Stunden (iS des BPGG) habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.
Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes entspricht § 9 Abs 2
BPGG inhaltlich § 99 Abs 1 ASVG. Die Entziehung bzw Neubemessung
des Pflegegeldes setze daher wie die Entziehung des
Hilflosenzuschusses vor dem 1.7.1993 eine wesentliche (entscheidende)
Änderung der Verhältnisse voraus. Eine solche sei bei der Klägerin
eingetreten, weil sich ihr Gesundheitszustand so gebessert habe, daß
sie nur mehr einen Hilfsbedarf von 50 Stunden monatlich habe. Damit
lägen die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 BPGG vor.
In der Revision macht die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend; sie beantragt, das Berufungsurteil durch Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils "aufzuheben" (richtig abzuändern) oder es allenfalls aufzuheben.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch bei Fehlen der
Voraussetzungen des Abs 1 zulässige Revision ist nicht berechtigt.
Personen, denen - wie der Klägerin - zum 30.6.1993 ein
Hilflosenzuschuß ................ rechtskräftig zuerkannt war, ist
nach § 38 Abs 1 Satz 1 BPGG von Amts wegen mit Wirkung vom
1.7.1993 nach den Vorschriften dieses Bundesgesetzes ein Pflegegeld
in Höhe der Stufe 2 zu gewähren. Dabei bedarf es aus Gründen der
Verwaltungsentlastung und Raschheit grundsätzlich keiner Prüfung des
konkreten Einzelfalles (EB RV-BPGG 776 BlgNR 18. GP 31;
Gruber/Pallinger, BPGG § 38 Rz 1; Pfeil, Neuregelung der
Pflegevorsorge in Österreich 206 ua). Diesen Personen gilt nach Satz
2 leg cit ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 als rechtskräftig
zuerkannt. Für diese Überleitung, die Gruber/Pallinger aaO § 38 Rz
3 als "ex-lege-Anpassung" rechtskräftiger Leistungstitel bezeichnen,
ist also kein Bescheid erforderlich (Pfeil aaO 206f). Die
bisherigen pflegebezogenen Geldleistungen, also im Falle der Klägerin
der Hilflosenzuschuß gemäß § 105 a ASVG, gelten nach § 39 Abs 1
BPGG mit 30.Juni 1993 als rechtskräftig eingestellt.
Aus den zit Übergangsbestimmungen ergibt sich, daß den davon
betroffenen Personen - zu denen auch die Klägerin zählt - ab
1.7.1993 anstelle des als rechtskräftig eingestellt geltenden
Hilflosenzuschusses ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 als
rechtskräftig zuerkannt gilt.
Ob ein (rechtskräftig zuerkanntes) Pflegegeld zu entziehen oder neu
zu bemessen ist, richtet sich ausschließlich nach § 9 Abs 2 BPGG.
Die Entziehung setzt den Wegfall einer Voraussetzungen für die
Gewährung von Pflegegeld voraus, die Neubemessung den Eintritt einer
für die Höhe des Pflegegeldes wesentlichen Veränderung (so auch
Gruber/Pallinger aaO § 38 Rz 3). Eine Voraussetzung für die
Gewährung von Pflegegeld fällt insbesondere dann weg, wenn die bisher
berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Inland
hat, wenn ihr keine Grundleistung mehr gebührt (§ 3 Abs 1 BPGG)
oder ihr Pflegebedarf infolge einer Änderung der tatsächlichen
Verhältnisse durchschnittlich nicht mehr als 50 Stunden monatlich
beträgt (§ 4 Abs 1 und Abs 2 leg cit) (Pfeil aaO 300f).
Im Hinblick auf die gesetzliche Vermutung des § 38 Abs 1 Satz 2
BPGG, nach denen den im ersten Satz dieses Absatzes genannten
Personen ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 als rechtskräftig
zuerkannt gilt, und den Umstand, daß das Pflegegeld in dieser Höhe
von Amts wegen mit Wirkung vom 1.7.1993 grundsätzlich ohne Prüfung
des Einzelfalles zu gewähren ist, ist davon auszugehen, daß damals
auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung
oder einer Sinnesbehinderung ein ständiger Betreuungs- und
Hilfsbedarf (Pflegebedarf) iS des § 4 Abs 1 BPGG von
durchschnittlich mehr als 75 Stunden monatlich bestand. Eine solche
Person ist so zu behandeln, als wenn ihr auf dieser
Entscheidungsgrundlage mit Bescheid oder Urteil ab 1.7.1993
Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zuerkannt worden wäre. Liegt der
ständige Pflegebedarf in der Folge durchschnittlich nicht mehr über
50 Stunden monatlich, dann ist eine der zum 1.7.1993 fingierten
Voraussetzungen für die Gewährung des Pflegegeldes nachträglich
weggefallen und das Pflegegeld nach § 9 Abs 2 leg cit zu
entziehen.
Diese Voraussetzung trifft im vorliegenden Fall zu. Nach den
rechtlich zu beurteilenden Feststellungen hat die Klägerin nur mehr
einen ständigen Hilfsbedarf für die Herbeischaffung von
Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der
persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und
Bettwäsche, die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der
Herbeischaffung von Heizmaterial sowie für Mobilitätshilfe im
weiteren Sinn (§ 2 Abs 2 Einstufungsverordnung zum
Bundespflegegeldgesetz). Für jede dieser Hilfsverrichtungen ist ein
- auf einen Monat bezogener - fixer Zeitwert von zehn Stunden
anzunehmen (Abs 3 der zit Verordnungsstelle), so daß der ständige
Hilfsbedarf 50 Stunden monatlich beträgt. Die Klägerin hat jedoch
keinen ständigen Betreuungsaufwand mehr. Sie kann nämlich alle in
relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen, die vornehmlich den
persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die sie der
Verwahrlosung ausgesetzt wäre (§ 1 Abs 1 der zit Verordnung),
wieder selbst vornehmen, insbesondere die Zubereitung von Mahlzeiten.
Deshalb beträgt der Pflegebedarf durchschnittlich nicht mehr als 50 Stunden monatlich und ist damit unter die Anspruchsgrenze auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 gefallen.
Das Pflegegeld ist daher nach § 9 Abs 2 BPGG zu entziehen. Die
Entziehung wegen einer (wesentlichen) Veränderung im Ausmaß des
Pflegebedarfes wurde nach Abs 3 Z 1 der zit Gesetzesstelle mit
Ablauf des Monates wirksam, der auf die Zustellung des Bescheides
folgte, mit dem die Entziehung ausgesprochen wurde, also mit Ablauf
des 31.12.1994. Deshalb hat die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Weiterleistung des Pflegegeldes.
Die von der Revisionswerberin vertretene Rechtsansicht, das
Pflegegeld könnte ihr nur entzogen werden, wenn die Voraussetzungen
für den seinerzeit gewährten Anspruch auf Hilflosenzuschuß nicht mehr
vorhanden wären, findet - wie dargelegt - im Gesetz keine Stütze.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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