OGH 10ObS91/24s

OGH10ObS91/24s19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Anja Pokorny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Wochengeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juni 2024, GZ 7 Rs 49/24 p‑28, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Februar 2024, GZ 27 Cgs 217/23g‑19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00091.24S.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen – die im Umfang der Zuerkennung eines Wochengelds im Zeitraum von 24. Jänner 2023 bis 30. Mai 2023 von 126,29 EUR täglich durch das Berufungsgericht in Rechtskraft erwuchsen – werden im Umfang des auf Zuerkennung eines 126,29 EUR täglich übersteigenden Wochengelds im Zeitraum von 24. Jänner 2023 bis 30. Mai 2023 gerichteten Klagebegehrens aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage ob und bejahendenfalls wie Mehr‑ bzw Überstundenvergütungen bei der Höhe des Wochengeldanspruchs nach § 162 Abs 3 ASVG zu berücksichtigen sind.

[2] Die Klägerin war seit 23. April 2018 als Angestellte bei der E*gesellschaft beschäftigt. Sie informierte am 14. September 2022 ihre Dienstgeberin von der Schwangerschaft.

[3] Zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber war eine Gleitzeitregelung vereinbart, die eine Gleitzeitperiode jeweils vom 1. Oktober eines Kalenderjahres bis zum 30. September des darauffolgenden Kalenderjahrs (52 Wochen) und überdies vorsah, dass Plusstunden vor Ende der Gleitzeitperiode tunlichst in Form von Zeitausgleich zu konsumieren seien. Ein Übertrag von Zeitguthaben in die nächste Gleitzeitperiode war maximal bis zur Höhe von 20 Stunden möglich; allfällige nicht in die nächste Gleitzeitperiode übertragene Zeitguthaben wurden am Ende der Gleitzeitperiode mit Zuschlag ausbezahlt.

[4] Die Klägerin sammelte während ihres Dienstverhältnisses regelmäßig Plusstunden im Sinn der Gleitzeitvereinbarung an und diese wurden jeweils im Oktober eines Jahres ausbezahlt. So erhielt die Klägerin im Oktober 2018 aus der Gleitzeitvereinbarung 30,33 Plusstunden, im Oktober 2019 180,88 Plusstunden, im Oktober 2019 54,97 Plusstunden und im Oktober 2021 109,55 Plusstunden ausbezahlt. Im Oktober 2022 wurden der Klägerin 260,60 Plusstunden ausbezahlt.

[5] Mit Bescheid vom 18. August 2023 wies die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines höheren Wochengelds als 114,48 EUR täglich anlässlich des am 24. Jänner 2023 eingetretenen Versicherungsfalls der Mutterschaft ab. Die von der Klägerin angeführte Entscheidung 10 ObS 115/17k könne durchaus von Relevanz sein, jedoch sei die Klägerin beweispflichtig dafür, ob und in welchem Ausmaß Überstunden regelmäßig ausgeübt worden seien; aussagekräftig könnten hierbei zB Lohnzettel der letzten sechs Monate vor Bekanntgabe der Schwangerschaft an den Arbeitgeber samt Arbeitszeitaufzeichnungen sein.

[6] Dagegen richtet sich die auf Leistung eines Wochengelds von täglich 142,78 EUR (unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlung von insgesamt 14.538,96 EUR) gerichtete Klage. Regelmäßig geleistete Überstunden seien bei der Berechnung des Wochengelds zu berücksichtigen. Die Klägerin habe über die gesamte Beschäftigungsdauer regelmäßig eine Arbeitsleistung von 40 Wochenstunden erbracht und am Ende jeder Gleitzeitperiode eine erhebliche Anzahl an Überstunden angesammelt. Diese seien immer ausbezahlt und nie als Zeitausgleich konsumiert worden. Ab Meldung der Schwangerschaft habe die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin 40 Stunden nicht mehr übersteigen dürfen. Aufgrund dieses Verbots sei somit auch Überstundenentgelt weggefallen, das sie ohne das Beschäftigungsverbot bei Ende der Gleitzeitperiode im Oktober 2023 erhalten hätte.

[7] Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage. Aufgrund des voraussichtlichen Entbindungstermins am 21. März 2023 seien für die Berechnung der Höhe des Wochengelds die Monate Oktober bis Dezember 2022 heranzuziehen. Ein Anspruch aus einer Auszahlung aus der Gleitzeitvereinbarung könne nicht bei der Berechnung des Wochengelds berücksichtigt werden, weil es bei der Zuordnung von Erwerbseinkommen zu einer bestimmten Zeitperiode nicht auf den Zufluss, sondern auf die Leistungserbringung ankomme. Die an die Klägerin ausbezahlten „Überstundenvergütungen“ seien nicht dem relevanten Beobachtungszeitraum zuzuordnen.

[8] Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin ein Wochengeld von 130,42 EUR täglich unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlung von 14.538,96 EUR zu zahlen. Das auf Zahlung eines höheren Wochengelds gerichtete Mehrbegehren wies es ab. Bei der Zahlung, die die Klägerin im Oktober 2022 auf Grund ihrer Gleitzeitvereinbarung erhalten habe, handle es sich um Überstunden, die unter den arbeitsrechtlichen Entgeltbegriff des § 162 Abs 3 ASVG zu subsumieren seien. Sie seien auch im Beobachtungszeitraum (Oktober 2022) zugeflossen. Der Rechtsansicht der Beklagten, dass sich die zeitliche Zuordnung von Erwerbseinkommen zu einer bestimmten Periode nicht nach dessen Zufluss, sondern nach der Leistungserbringung richte, könne nicht beigetreten werden. Die Bruttozahlung entspreche einem Nettobetrag von 4.349,06 EUR. Da die Klägerin nur an 348 von 365 Tagen in der Gleitzeitperiode Überstunden leisten habe dürfen, sei der Nettobetrag auf einen Jahresbetrag hochzurechnen, der aufgrund des Beobachtungszeitraums von drei Monaten in Höhe eines Viertels zu berücksichtigen sei.

[9] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien Folge und änderte die Entscheidung dahin ab, dass es der Klägerin ein Wochengeld von 126,29 EUR täglich zuerkannte und das auf ein höheres Wochengeld gerichtete Mehrbegehren abwies. Soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz ging es – unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Innsbruck – davon aus, dass die der Klägerin im Oktober 2022 ausbezahlten „Plusstunden“, unabhängig von ihrer Qualifikation als „Überstunden“ oder „Mehrarbeitsstunden“, nicht in die Berechnung ihres Wochengeldanspruchs einzubeziehen seien. Vergütungen für Mehrdienstleistungen könnten nur dann bei der Bemessung des Wochengeldanspruchs berücksichtigt werden, wenn sie tatsächlich dem Beobachtungszeitraum zuzuordnen seien und die entsprechende Mehrdienstleistung also tatsächlich innerhalb des Beobachtungszeitraums erbracht worden sei. Für dieses Auslegungsergebnis spräche auch die Judikatur zum gegenüber dem Wochengeldanspruch (§ 162 Abs 1 und 2 ASVG) subsidiären Entgeltfortzahlungsanspruch des § 14 MSchG, nach der Verdiensteinbußen, die dadurch einträten, dass keine Überstunden mehr geleistet werden dürften, nicht abzugelten seien. Gegenteiliges könne auch nicht aus der Entscheidung 10 ObS 115/17k abgeleitet werden.

[10] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn eines Zuspruchs von Wochengeld in Höhe von 142,78 EUR täglich (unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlung von insgesamt 14.538,96 EUR); hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist; sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[13] 1. Im Verfahren ist der Anspruch der Klägerin auf Wochengeld (im Zeitraum 24. Jänner 2023 bis 30. Mai 2023) dem Grunde nach nicht strittig. Ebenso wenig strittig ist infolge der – insofern von der Beklagten nicht bekämpften – Entscheidung des Berufungsgerichts, dass neben dem laufenden Entgelt eine Teuerungsprämie von (netto) 200 EUR monatlich zu berücksichtigen ist und die bezogene Leistungsprämie bei der Berechnung des Wochengeldanspruchs dahingehend zu berücksichtigen ist, dass die Bemessungsgrundlage um 21 % (statt um 17 %) zu erhöhen ist. Strittig ist hingegen, ob und wie die nach der Gleitzeitvereinbarung von der Dienstgeberin abgegoltenen Zeitguthaben bei der Bemessung des Wochengelds zu berücksichtigen sind.

[14] 2.1. Das Wochengeld gebührt gemäß § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG in der Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teils des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen (bei Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, in den letzten drei Kalendermonaten) vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdiensts, vermindert um die gesetzlichen Abzüge; die auf diesen Zeitraum entfallenden Sonderzahlungen sind nach Maßgabe des § 162 Abs 4 ASVG (mit einem durch die Satzung festgelegten Prozentsatz des Netto-Arbeitsverdiensts) zu berücksichtigen.

[15] 2.2. Das Wochengeld soll einen Ersatz für den im Zusammenhang mit der Entbindung stehenden Verlust des Arbeitsverdiensts darstellen. Der Gesetzgeber entschied sich dabei aber für das Durchschnittsprinzip, das vergangene Werte berücksichtigt, und nicht für das Ausfallsprinzip, das die in Zukunft voraussichtlich zu erwartende Entwicklung in Rechnung stellt. Er nimmt daher in Kauf, dass die Versicherte trotz des Wochengeldes einen Verdienstausfall erleiden kann (RS0117195). Als gebührender Arbeitsverdienst im Sinn des § 162 Abs 3 ASVG ist grundsätzlich jeder Geld- und Sachbezug zu verstehen, der der vollversicherten oder teilversicherten Arbeitnehmerin als Arbeitsverdienst im Beobachtungszeitraum zustand, und zwar unabhängig von beitragsrechtlicher oder einkommenssteuerlicher Qualifikation (RS0084112). Darunter fallen grundsätzlich auch Vergütungen für Mehrdienstleistung (10 ObS 115/17k ErwGr 1.4.).

[16] 2.3. Das Gesetz stellt dabei auf den einzelnen Kalendertag entfallenden Teil des „gebührenden“ Arbeitsverdiensts ab. Bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage ist daher jener Bezug zu berücksichtigen, der im Beobachtungszeitraum zustand (RS0084112), also – ungeachtet seiner Fälligkeit oder Auszahlung – in diesem Zeitraum entstanden ist (ASG Wien 8 Cgs 79/15p, SVSlg 65.500). Bei aufgrund von Mehr- oder Überstundenarbeit gebührendem Entgelt ist dies jener Zeitraum, in dem diese Mehr- oder Überstundenarbeit geleistet wurde; dies gilt auch für Bezüge aufgrund von nach Ende der Gleitzeitperiode bestehende Zeitguthaben.

[17] 2.4. Da die Klägerin im Zeitraum Oktober bis Dezember 2022 unstrittig kein Zeitguthaben sammelte und die Abgeltung von 260,60 Plusstunden im Oktober 2022 nach der Gleitzeitvereinbarung ein aus dem Zeitraum vor Oktober 2022 stammendes Zeitguthaben betrifft, liegen im Zeitraum Oktober bis Dezember 2022 keine Zeitguthaben vor, die in diesem Zeitraum berücksichtigt werden könnten. Die insofern zutreffende Beurteilung des Berufungsgerichts wird von der Klägerin in der Revision auch nicht in Zweifel gezogen. Im Einklang damit steht auch der im Verfahren erster Instanz und in der Revisionsbeantwortung von der Beklagten vertretene Standpunkt, dass die ausbezahlten „Überstundenvergütungen“ nicht dem Zeitraum Oktober bis Dezember 2022 zuzuordnen seien, sondern den davor liegenden Zeiträumen, in denen die Klägerin die der Vergütung zugrunde liegenden Mehrstunden nach der Gleitzeitvereinbarung tatsächlich erbracht hatte.

[18] 3. Die Klägerin brachte aber bereits in erster Instanz vor, dass ihre wöchentliche Arbeitszeit ab Meldung der Schwangerschaft 40 Stunden nicht mehr habe übersteigen dürfen und somit aufgrund dieses Verbots auch Überstundenentgelt weggefallen sei, das sie ohne das Beschäftigungsverbot bei Ende der Gleitzeitperiode im Oktober 2023 erhalten hätte. Mit diesem – auch in der Berufungsbeantwortung wiederholten – Vorbringen setzte sich das Berufungsgericht nicht auseinander.

[19] 3.1. Bestimmte in § 162 Abs 3 Satz 6 lit a bis d ASVG definierte Zeiten bleiben bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdiensts außer Betracht. Dazu gehören Zeiten, während derer die Versicherte infolge Krankheit, eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungs-verbotes oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat (§ 162 Abs 3 Satz 6 lit b ASVG). Liegen in dem maßgebenden Zeitraum nur Zeiten der in § 162 Abs 3 Satz 6 (lit a, b, c oder d) ASVG bezeichneten Art vor, so verlängert sich der maßgebende Zeitraum um diese Zeiten; diese Zeiten bleiben bei der Berechnung des durchschnittlichen Arbeitsverdiensts wieder außer Betracht (§ 162 Abs 3 Satz 7 ASVG).

[20] 3.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs erfasst § 162 Abs 3 lit b ASVG auch Zeiten, in denen die Versicherte infolge eines durch das Verbot der Leistung von Überstunden gemäß § 8 Mutterschutzgesetz bedingten Entfalls von (ansonsten geleisteter) Überstundenarbeit Einkommenseinbußen erlitten hat (10 ObS 115/17k = RS0131847). Liegen im dreimonatigen Beobachtungszeitraum für die Bemessung des Wochengeldanspruchs daher auch Zeiten, in denen die Versicherte ein geringeres Entgelt bezog, weil bisher regelmäßig bezogene Überstundenentgelte nach § 8 Mutterschutzgesetz weggefallen sind, haben diese Zeiten bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdiensts außer Betracht zu bleiben und sind nur jene Zeiten für die Berechnung des Wochengelds heranzuziehen, in denen es zu keiner Kürzung des Entgelts infolge des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots gekommen ist; das Wochengeld ist also nur unter Zugrundelegung der Zeiten zu bemessen, in denen Überstunden im früheren Ausmaß geleistet wurden (Drs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 162 ASVG Rz 67 [Stand 1. 3. 2020, rdb.at]).

[21] 3.3. Enthält der Beobachtungszeitraum hingegen nur nach § 162 Abs 3 Satz 6 ASVG nicht zu berücksichtigende Zeiten, verlängert sich der Beobachtungszeitraum um diese Zeiten (das heißt um drei Monate bzw 13 Wochen), wobei diese Zeiten bei der Berechnung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht zu bleiben haben (Drs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 162 ASVG Rz 69 [Stand 1. 3. 2020, rdb.at]). Liegen in dem so neu berechneten Beobachtungszeitraum wieder nur nicht zu berücksichtigende Zeiten, ist der Beobachtungszeitraum so lange um drei Monate (bzw 13 Wochen) nach vorne zu verschieben, bis ein Zeitraum von drei vollen Kalendermonaten (bzw 13 Wochen) erreicht wird, aus dem sich ein durchschnittlicher Arbeitsverdienst errechnen lässt (vgl RS0131566). In Abweichung zur Entscheidung 10 ObS 76/16y (ErwGr 4.3.) kann der so verlängerte Beobachtungszeitraum auch jener Zeitraum sein, der auch sonstige nicht unter § 162 Abs 3 Satz 6 lit a bis d ASVG fallende Zeiten aufweist (zutreffend Drs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 162 ASVG Rz 69 [Stand 1. 3. 2020, rdb.at]).

[22] 3.4. Dem Vorbringen der Klägerin, wonach sie im Beobachtungszeitraum wegen § 8 Mutterschutzgesetz nicht den vollen Arbeitsverdienst beziehen konnte, weil sie kein Zeitguthaben aufbauen habe können, kommt daher Bedeutung zu. Träfe es auf Tatsachenebene zu, bliebe der Arbeitsverdienst für jene Kalendermonate, in denen ohne Anwendung des § 8 Mutterschutzgesetz Zeitguthaben gesammelt und in weiterer Folge (aufgrund der Gleitzeitvereinbarung nach Ende der jeweiligen Gleitzeitperiode) abgegolten worden wäre, bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 162 Abs 3 ASVG außer Betracht. Träfe dies auf alle drei Kalendermonate des ursprünglichen Beobachtungszeitraums (Oktober bis Dezember 2022) zu, würde sich der Beobachtungszeitraum nach der dargelegten Rechtsprechung entsprechend verlängern (und wären die Zeiten des Bezugs eines reduzierten Entgelts in diesem verlängerten Beobachtungszeitraum nicht zu berücksichtigen).

[23] 4.1. Das Erstgericht hat zu den für diese Beurteilung maßgeblichen Tatsachen keine Feststellungen getroffen. Die Beklagte trug in der Klagebeantwortung zwar vor, dass die Klägerin ab der Meldung der Schwangerschaft am 14. September 2022 keine Mehrarbeit mehr verrichtet habe. Daraus ergibt sich aber nicht, warum die Klägerin keine Zeitguthaben erwirtschaftet, nämlich, ob sie diese ohne das Verbot des § 8 Mutterschutzgesetz erwirtschaftet hätte.

[24] 4.2. Wäre letzteres – dem Vorbringen der Klägerin entsprechend – der Fall, würde sich der ursprüngliche Beobachtungszeitraum nach der dargelegten Rechtsprechung auf den maßgeblichen Beobachtungszeitraum Juli bis Dezember 2022 verlängern, wobei darin liegende Zeiträume eines reduzierten Arbeitsverdiensts nach § 162 Abs 3 Satz 6 lit b ASVG außer Betracht zu bleiben hätten. Im vorliegenden Verfahren gingen demgegenüber die Vorinstanzen von der Maßgeblichkeit des Beobachtungszeitraums nach § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG (hier: Oktober bis Dezember 2022) aus, weswegen sowohl Vorbringen als auch Feststellungen zu dem der Klägerin in einen allenfalls verlängerten Beobachtungszeitraum (ohne die nach § 162 Abs 3 Satz 6 ASVG außer Betracht zu lassenden Zeiten des reduzierten Arbeitsentgelts) gebührenden (Netto-)Arbeitsverdienst einschließlich jener Vergütungen fehlen, die der Klägerin aufgrund der von der Beklagten zugestandenen „Plusstunden“ zustanden.

[25] 4.3. Mangels Feststellungen zu jenen Tatsachen, aufgrund derer eine Ermittlung des im vorliegenden Verfahren maßgebenden Beobachtungszeitraums möglich ist, erweist sich die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Sozialrechtssache an das Erstgericht daher als unvermeidlich. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren zunächst zu prüfen haben, ob – wie die Klägerin behauptet – ein Fall des § 162 Abs 3 Satz 7 ASVG vorliegt, weil die Klägerin in den Monaten Oktober bis Dezember 2022 infolge eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht das volle Entgelt bezog. Sollte dies der Fall sein, wäre den Parteien zunächst Gelegenheit zur Erstattung von Vorbringen zum Arbeitsverdienst der Klägerin im maßgeblichen (verlängerten) Zeitraum zu geben und davon ausgehend der der Klägerin für diesen Zeitraum gebührende Netto-Arbeitsverdienst zu ermitteln, einschließlich der (der Berechnung unstrittig zugrunde zu legenden) Teuerungszulage und der Vergütung, die auf die in diesen Monaten geleistete Mehrarbeit zurückzuführen ist. Dieser Betrag wäre in weiterer Folge durch die in diesem Zeitraum liegenden Kalendertage zu dividieren und dieses Ergebnis um den (unstrittig) 21%igen Zuschlag nach § 162 Abs 4 ASVG zu erhöhen. Schließlich wäre der vom Berufungsgericht bereits rechtskräftig zuerkannte Betrag zu berücksichtigen.

[26] 4.4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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