Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie einschließlich ihrer rechtskräftig gewordenen Teile lauten:
"Das Klagebegehren auf Leistung der Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe besteht dem Grunde nach für den Zeitraum vom 1. 9. 1988 bis zum 31. 5. 1990 zu Recht.
Der beklagten Partei wird aufgetragen, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. 9. 1988 bis zum 31. 5. 1990 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von monatlich S 5.004,- im Jahr 1988, S 5.134,- im Jahr 1989 und S 5.434,- im Jahr 1990 zu erbringen, und zwar die bereits fälligen Beträge binnen 14 Tagen.
Das Mehrbegehren auf Leistung der Berufsunfähigkeitspension für den Zeitraum vom 1. 3. 1988 bis 31. 8. 1988 und ab dem 1. 6. 1990 wird abgewiesen".
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 28. 3. 1988 wurde der Antrag der Klägerin vom 29. 2. 1988 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen. MIt der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung der Berufsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe ab dem 1. 3. 1988. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Begehrens.
Das Erstgericht stellte das Klagebegehren für die Zeit vom 1. 9. 1988 bis 31. 1. 1989 als dem Grunde nach zu Recht bestehend fest und trug der beklagten Partei für diesen Zeitraum die Erbringung einer vorläufigen Zahlung auf. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Das Erstgericht stellte im wesentlichen fest:
Die am 2. 2. 1938 geborene Klägerin erlernte nach dem Besuch der Pflichtschule keinen Beruf. Sie war von 1955 bis 1961 als Landarbeiterin, von 1961 bis 1969 als selbständige Landwirtin und daran anschließend in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausschließlich als Tankwartin tätig. Wegen subtotaler Verengung der Beckenarterie rechts wurde im April 1988 an der Klägerin eine medikamentöse Gerinnselauflösung und eine Aufdehnung (Dilatation) des verschlossenen Gefäßes durch einen Ballonkatheter durchgeführt. Seither steht sie unter blutgerinnungshemmender Therapie. Sie leidet darüber hinaus unter anderem an einer Läsion des medialen Meniskus rechts, die bei einem gesunden Menschen durch eine Arthroskopie als einem relativ kleinen Eingriff mit einem Komplikationsrisiko von unter 1 % innerhalb von drei Monaten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit völlig heilbar wäre. Die blutgerinnungshemmende Medikation wäre angesichts des sonstigen Gefäßzustandes der Klägerin längstens sechs Monate nach dem Eingriff im April 1988 über einen Monat verlaufend vorsichtig abzusetzen gewesen, wobei mit 90 %-iger Wahrscheinlichkeit keine Verschlimmerung im Gefäßzustand verursacht worden wäre. Ohne Durchführung der Meniskusarthroskopie ist die Klägerin in ihrer Gehfähigkeit weitestgehend eingeschränkt, insbesondere besteht bei plötzlich erforderlichem Aufstehen aus sitzender Arbeitsposition stets die Gefahr des Auftretens von Akutsymptomen. Nach erfolgreicher Durchführung der Meniskusoperation würden sämtliche Einschränkungen der Gehfähigkeit wegfallen. Bei einer Tankwartin oder den sonst in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten einer Garderobefrau, Billeteuse, Garagenwärterin oder eines Wachorgans ist zwar ausnahmsweise aber doch unmittelbar mit diesen Arbeiten das Erfordernis verbunden, zu Fuß wenn auch kurze Gehstrecken plötzlich, rasch und unter Zeitdruck zurückzulegen.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Klägerin treffe die Pflicht, sich zumutbaren, erfolgversprechenden Heilbehandlungen, etwa auch einer Operation zu unterziehen. Hier sei die Erfolgswahrscheinlichkeit der Meniskusoperation hoch, das Operationsrisiko hingegen gering, so daß die Operation zumutbar gewesen wäre. Da sie nicht erfolgt sei, müsse von dem Leistungskalkül ausgegangen werden, das sich bei durchgeführter Operation geboten hätte. Dann wäre die Klägerin aber in der Lage, ihre bisherige Tätigkeit zumindest an Selbstbedienungstankstellen, aber auch verschiedene Verweisungstätigkeiten wie die einer Garderobefrau durchzuführen, so daß sie nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs.1 ASVG bzw. - da nicht von Angestelltentätigkeit auszugehen sei - iS des § 255 Abs.3 ASVG anzusehen sei. Von diesem Zustand sei aber erst nach Verstreichen eines Zeitraumes von sechs Monaten der Durchführung der gerinnungshemmenden Therapie zuzüglich eines Monats für das Absetzen dieser Therapie zuzüglich dreier Monate für die Heilung des Meniskusschadens; insgesamt daher, da es sich um Maximalwerte handle, von neun Monaten ab April 1988 auszugehen. Während dieser neun Monate habe vorübergehende Berufsunfähigkeit der Klägerin bestanden. Bei einer solchen bestehe Pensionsanspruch erst ab Beginn der 27. Woche ihres Bestehens, also ab 1. 9. 1988, andererseits aber nur bis zum Zeitpunkt der ab April 1988 zu berechnenden Heilungsdauer von neun Monaten, demnach bis zum 31. 1. 1989. Außerhalb dieses Zeitraumes von fünf Monaten bestehe hingegen kein Anspruch.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es das Klagebegehren auf Leistung der Berufsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe für den Zeitraum ab 1. 9. 1988 (unbefristet) als zu Recht bestehend erkannte und der beklagten Partei ab 1. 9. 1988 vorläufige Zahlungen auftrug. Nach dem festgestellten Sachverhalt komme eine vorübergehende Berufsunfähigkeit in Betracht, weil deren Beginn und Ende zeitlich abgrenzbar seien. Das zeitliche Ende sei mit vier Monaten ab dem Eintritt des Bestehens einer Pflicht der Klägerin zur Durchführung der Heilbehandlung ihres Meniskusschadens feststellbar, nämlich einen Monat zur Absetzung der gerinnungshemmenden Medikation und drei Monate Meniskusheilbehandlung inklusive Krankenstand. Wegen der Erfolgsaussicht und dem geringen Risiko sei die Operation zumutbar, es bestehe Mitwirkungs- und Duldungspflicht der Klägerin. Daher liege nur vorübergehende Berufsunfähigkeit iS der §§ 271 Abs. 1 Z 2, 255 Abs.3 ASVG vor. Die erwähnte viermonatige Frist beginne ab Eintritt einer Mitwirkungspflicht der Klägerin. Eine solche Pflicht könne denklogisch nicht bestehen, solange sich die Versicherte ärztlicher Behandlung unterziehe und dieser begründet dahin vertraue, daß die gerinnungshemmende Medikation nicht abgesetzt und eine Operation daher nicht durchgeführt werden könne. Die Mitwirkungspflicht der Klägerin habe frühestens ab Zugang der Gutachtensergänzung vom 29. 12. 1989 (ON 30) im erstinstanzlichen Verfahren bestanden, mit welcher von einem kompetenten Fachmann klargestellt worden sei, daß die Blutmedikation eingestellt und einen Monat darauf die Operation vorgenommen werden könne und daß drei Monate später die Heilung eingetreten sein werde. Die Berufsunfähigkeit der Klägerin hätte daher bei sofortiger Entsprechung ihrer Pflicht zur Operationsduldung Anfang Mai 1990 geendet. Der Zeitpunkt liege nach dem Schluß der Verhandlung erster Instanz (31. 1. 1990). Der Klägerin gebühre daher eine Berufsunfähigkeitspension wegen vorübergehender Berufsunfähigkeit. Eine Befristung mit dem voraussichtlichen Ende der nach Schluß der Verhandlung erster Instanz wieder eintretenden Berufsfähigkeit könne vom Sozialgericht wegen §§ 256 letzter Satz, 271 Abs.3 ASVG nicht ausgesprochen werden, weshalb der Pensionsanspruch unbefristet zu Recht bestehe. Bei vorübergehender Berufsunfähigkeit bestehe der Anspruch ab Beginn der 27. Woche ihres Bestandes
(§ 271 Abs.1 Z 2 ASVG). Vorgebracht und festgestellt worden sei Berufsunfähigkeit ab Antragstellung (29. 2. 1988). Die Berufsunfähigkeitspension stehe daher ab dem 1. 9. 1988 (unbefristet) zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf Wiederherstellung des Ersturteils.
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die beklagte Partei wendet sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß der Klägerin eine Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht erst ab jenem Zeitpunkt vorgeworfen werden könne, zu dem sie von der möglichen Therapie Kenntnis erlangt habe. Die Mitwirkungspflicht sei nämlich so auszulegen, daß der Versicherte "von sich aus alle Therapiemöglichkeiten erforschen" und "entsprechende Fachleute von sich aus konsultieren müßte", um eine erfolgversprechende Therapie durchführen zu können. Der Klägerin wäre daher sechs Monate nach der Dilatation ein Absetzen der gerinnungshemmenden Therapie und im Anschluß daran die Kniegelenksarthroskopie möglich gewesen. Die Berufsunfähigkeitspension gebühre daher, wie das Erstgericht zutreffend erkannt habe, nur vom 1. 9. 1988 bis 31. 1. 1989.
Diese Revisionsausführungen sind verfehlt.
Nach dem allgemeinen Grundsatz, daß ein Versicherter die Interessen des Sozialversicherungsträgers und damit auch die der anderen Versicherten in zumutbarer Weise zu wahren hat, will er seine Ansprüche nicht verlieren, ist er verpflichtet, eine notwendige Krankenbehandlung durchzuführen, die zu einer Heilung und Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit führen würde, sofern die Behandlung für ihn nicht mit unzumutbaren Gefahren verbunden ist (SSV-NF 2/33 = JBl. 1988, 601 = SZ 61/84). Im vorliegenden Fall ist nicht mehr strittig, daß der Klägerin die oben geschilderte Behandlung samt operativem Eingriff (Meniskusarthroskopie) zur Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit an sich zumutbar ist (zur Zumutbarkeit solcher Maßnahmen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vgl. SSV-NF 4/23 = JBl. 1990, 734 mwN).
Ihre Duldungs- und Mitwirkungspflicht konnte die Klägerin aber so lange nicht verletzen, als sie sich einer ärztlichen Behandlung unterzog, die angeordnete (wenn auch - objektiv gesehen - nicht notwendige) Therapie durchführte und auf deren Zweckmäßigkeit aus ärztlicher Sicht vertraute. Sie war nicht verpflichtet, nach anderen, möglicherweise zweckmäßigeren Behandlungsmethoden zu forschen und andere Fachärzte zu konsultieren. Die Ansicht der beklagten Partei würde eine mit sozialer Rechtsanwendung nicht im Einklang stehende Überspannung der Mitwirkungspflicht eines Versicherten bedeuten. Insoweit ist daher dem Berufungsgericht voll beizupflichten. Die Klägerin erfuhr erst durch ein Sachverständigengutachten, welches ihr Anfang 1990 zukam, daß die gerinnungshemmende Medikation längst hätte abgesetzt werden können, daß also einer Meniskusarthroskopie nichts im Wege gestanden wäre. Die Mitwirkungs- und Duldungspflicht der Klägerin begann nach der mündlichen Streitverhandlung vor dem Erstgericht am 10. 1. 1990, in welcher der Sachverständige sein Ergänzungsgutachten, dem sich die Klägerin offenbar anschloß, erläuterte. Bei sofortigem Beginn der Einstellung der gerinnungshemmenden Medikation hätte die Operation einen Monat später durchgeführt werden können, weitere drei Monate danach - also im Verlauf des Mai 1990 - wäre die Arbeitsfähigkeit der Klägerin wiederhergestellt gewesen. Demnach hätte der Anspruch auf Pension wegen vorübergehender Berufsunfähigkeit ab der 27. Woche nach der Antragstellung, jedoch nur bis einschließlich Mai 1990 bestanden.
Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß dann, wenn die Arbeitsfähigkeit durch zumutbare Behandlungen innerhalb von 26 Wochen wiederhergestellt werden kann, das Begehren auf Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension abzuweisen ist, während bei einer erst nach längerer Zeit wieder bestehenden Arbeitsfähigkeit die Gewährung einer befristeten, d.h. zeitlich begrenzten Pension nach § 256 iVm § 271 Abs.3 ASVG in Betracht kommt (10 Ob S 413/90, 10 Ob S 383/90). Bei vorübergehender Invalidität (Berufsunfähigkeit) kann die Pension für eine bestimmte Frist zuerkannt werden, die nach der voraussichtlichen oder bereits feststehenden Dauer der Invalidität (Berufsunfähigkeit) zu bestimmen ist. Das Berufungsgericht hat sich der Judikatur des Oberlandesgerichtes Wien angeschlossen, wonach ein Sozialgericht nicht befugt sei, die Pension für die Zukunft befristet zuzusprechen, weil es sich beim Ausspruch der Befristung um eine Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers handle (SSV 23/7; ebenso SVSlg. 31.659; ähnlich auch OLG Linz, SVSlg. 33.314 und 33.955). Der erkennende Senat hält diese Auffassung für verfehlt. Ob und inwieweit Ermessensentscheidungen des Versicherungsträgers über freiwillige Leistungen vor den Sozialgerichten anfechtbar sind, kann dahingestellt bleiben, weil hier eine Pflichtleistung, nämlich die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension zu beurteilen ist. Es muß auch nicht geprüft werden, ob § 256 ASVG dem Versicherungsträger freies Ermessen einräumt oder ob nicht doch dessen Verhalten inhaltlich dahin determiniert ist, daß dann, wenn das Ende der Invalidität (Berufsunfähigkeit) zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Sicherheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann, eine zeitliche Begrenzung der Pension vorzunehmen ist, und zwar schon als verwaltungsvereinfachende Maßnahme, da ein späteres Entziehungsverfahren erspart wird (§ 100 Abs.1 lit b ASVG; RV zur ASVG-Stammfassung 599 BlgNR 7.GP 86; ähnlich Teschner ASVG
49. ErgLfg. 1321 Anm. 1 zu § 256; vgl. allgemein Schrammel in Tomandl, SV-System, 4. ErgLfg. 112). Wie der Oberste Gerichtshof in anderem Zusammenhang dargelegt hat, sind die Sozialgerichte im Rahmen der sukzessiven Kompetenz durchaus berufen, auch das dem Versicherungsträger (zumindest im Rahmen von Pflichtleistungen) eingeräumte Ermessen im Sinne des Gesetzes auszuüben, also ewta gemäß § 182 ASVG die Bemessungsgrundlage nach billigem Ermessen festzusetzen (SSV-NF 3/78). Ähnliches muß auch hier gelten: Da mit höchster Wahrscheinlichkeit feststeht, daß die Arbeitsfähigkeit der Klägerin spätestens ab 1. 6. 1990 wiederhergestellt gewesen wäre, kann die Berufsunfähigkeit bis einschließlich Mai 1990 befristet zuerkannt werden, auch wenn damit die Befristung über den Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz hinausreicht. Gegen diese Auffassung spricht auch nicht der letzte Satz des § 256 ASVG, wonach gegen den Ausspruch der Befristung in einem Bescheid eine Klage beim Sozialgericht nicht erhoben werden darf. Dieser Klagsausschluß ist nur eine Folge dessen, daß es nach dem zweiten Satz der genannten Gesetzesstelle bei Fortbestand der Invalidität (Berufsunfähigkeit) ausreicht, wenn spätestens innerhalb eines Monats nach deren Wegfall die Weitergewährung der Pension beantragt wird. Einer nur gegen die Befristung (und nicht gegen die Zuerkennung der Pension nur wegen vorübergehender Invalidität an sich) gerichteten Klage würde daher ein Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Aus § 256 letzter Satz ASVG läßt sich aber nicht ableiten, daß das Sozialgericht in einem Fall wie dem vorliegenden nicht eine Befristung der Pension aussprechen könnte.
In teilweiser Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen entsprechend abzuändern. Gegen die Höhe der vom Berufungsgericht auferlegten vorläufigen Zahlung wurde nichts eingewendet, so daß kein Anlaß bestand, höhere oder niedrigere Beträge festzusetzen.
Eine Kostenentscheidung konnte mangels Verzeichnung von Kosten entfallen.
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