European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00008.18A.0220.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Der am 11. 5. 1957 geborene Kläger absolvierte die Hotelfachschule und führt seit 1978 als selbständiger Gastwirt einen gastgewerblichen Betrieb. Dieser umfasst neben einem Restaurant einen Beherbergungsbetrieb mit 17 Einheiten (Zwei- bis Vierbettzimmer). Daneben betreibt der Kläger ein Gewerbe für Gäste- und Mietwagen und einen Schilift samt Schiverleih. Im Betrieb sind insgesamt 14,5 Dienstnehmer beschäftigt. Der Kläger arbeitet an sieben Tagen in der Woche 12 bis 15 Stunden täglich. Neben diversen administrativen und kaufmännischen Tätigkeiten sowie buchhalterischen Vorarbeiten deckt er in verschiedenen Bereichen Bedarfsspitzen ab (etwa im Service, in der Rezeption, beim Empfang der Gäste, in der Gästebetreuung, im Rahmen der Haustechnik etc). Der Betrieb baut auf einer sehr persönlichen Note auf, auf die die Gäste – darunter viele Stammgäste – Wert legen. Es wäre dem Kläger möglich, einen Teil der Rezeptionstätigkeiten zu übernehmen, er könnte auch den Gästetransport erledigen. Auf diese Weise wäre seinem eingeschränkten Leistungskalkül (Tätigkeiten im Sitzen in einem Ausmaß von mindestens einem Drittel des Arbeitstags) entsprochen.
Mit Bescheid vom 18. 2. 2016 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit ab.
Das Erstgericht wies das dagegen gerichtete Klagebegehren ab. Die Erwerbsunfähigkeit des über 50‑jährigen Klägers sei nach § 133 Abs 2 GSVG zu prüfen. Ausgehend von der Notwendigkeit seiner persönlichen Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebs sei der Kläger (bei entsprechender Umorganisation) trotz seines eingeschränkten Leistungskalküls in der Lage, allen Anforderungen seiner selbständigen Erwerbstätigkeit als Gastwirt mit Fremdenzimmern nachzukommen. Ob Verweisungstätigkeiten vorhanden wären, sei nicht mehr zu prüfen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.
1.1 § 133 Abs 2 GSVG gewährt einen (eingeschränkten) Berufs- aber keinen Tätigkeitsschutz. Es wird nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur abgestellt, sondern nur auf jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren.
1.2 Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass– wie von § 133 Abs 2 GSVG vorausgesetzt – die persönliche Arbeitsleistung des Klägers im Betrieb erforderlich ist. Vor der Prüfung, ob ein Versicherter gesundheitlich in der Lage ist, andere selbständige Erwerbstätigkeiten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten (Verweisungstätigkeiten) auszuüben, hat jeweils noch die Klärung und Feststellung zu erfolgen, wie die Aufgabenteilung im Betrieb zwischen ihm und den anderen dort tätigen Personen bei wirtschaftlicher Betriebsführung in einer für den Versicherten möglichst schonenden Weise vorgenommen hätte werden können (10 ObS 147/98k; 10 ObS 114/04v, SSV-NF 18/94). Hat ein Versicherter sein Leistungskalkül überschreitende Arbeiten verrichtet, die aber bei anderer Aufgabenverteilung vermeidbar gewesen wären, dürfen sie nicht berücksichtigt werden. Es ist eine Umorganisation des Betriebs zu verlangen, sofern der Betrieb auf diese Art rentabel weitergeführt werden kann. Erst dann kann der notwendige Vergleich zwischen dem Anforderungsprofil des Betriebs und dem medizinischen Leistungskalkül erfolgen (10 ObS 49/97x mwN).
1.3 Die Beurteilung, der Kläger sei nicht erwerbsunfähig, weil er in zumutbarer Weise bestimmte Arbeiten, die er bisher verrichtet hat und die ihm nicht mehr möglich sind, vermeiden und andere Tätigkeiten vermehrt verrichten kann, sodass sein medizinisches Leistungskalkül nicht überschritten wird, stellt eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Beurteilung dar. Eine Fehlbeurteilung, die ein Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erforderlich macht, wird in der Revision nicht aufgezeigt. Soweit erneut die Festellungen zur Anzahl der vom Kläger beschäftigten Dienstnehmer angegriffen werden, ist darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof ausschließlich als Rechtsinstanz zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig wird und keine Tatsacheninstanz ist (RIS-Justiz RS0123663).
2. Auch mit dem Vorbringen, infolge zwischenzeitiger Erreichung des 60. Lebensjahres hätte das Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit zusätzlich nach § 133 Abs 3 GSVG geprüft werden müssen, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Im Falle eines Feststellungsbegehrens nach § 133a GSVG ist zu beurteilen, ob Erwerbsunfähigkeit zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt vorliegt, somit zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz (hier dem 2. 3. 2017). Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet. Abgesehen davon, dass der Schluss der Verhandlung in erster Instanz und nicht das Datum der Berufungsentscheidung maßgeblich ist, wird durch einen Antrag nach § 133a GSVG kein Stichtag ausgelöst (RIS‑Justiz RS0109045), weshalb die Erreichung des 60. Lebensjahres während des Berufungsverfahrens zu keinem neuen Stichtag („Stichtagsverschiebung“) führen kann.
Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
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