Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 29.7.1993 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 27.4.1993 auf Invaliditätspension ab, weil sie nicht invalid sei.
Dieser Bescheid ist durch die innerhalb der Frist von drei Monaten ab
seiner Zustellung (§ 67 Abs 2 ASGG) erhobene Klage zur Gänze
außer Kraft getreten (§ 71 Abs 1 leg cit). Ihr Begehren richtet
sich auf die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.5.1993. Es stützt sich im wesentlichen darauf, daß die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen dem erlernten und immer ausgeübten Beruf einer Schneiderin nicht mehr nachgehen könne. Diesen habe sie nur im letzten halben Jahr vor einer Operation (im Juni 1992) halbtags, ansonsten immer vollschichtig ausgeübt.
Die Beklagte wendete ein, daß die Klägerin diesen Beruf weiter ausüben könne, und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es traf im wesentlichen folgende Tatsachenfeststellungen:
Die am 17.8.1949 geborene Klägerin leidet an einem Zustand nach einer Laminektomie (TH 6 - 8) mit Tumorexstirpation (spinales intradurales Meningeom) am 15.6.1992 und einer Rezidivoperatiom am 18.6.1992 wegen epiduraler Blutungen; es besteht auch ein Verdacht auf ein Liquorunterdrucksyndrom.
Seither kann die Klägerin nur mehr leichte körperliche Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen leisten; nach (ununterbrochenem) halbstündigem Sitzen muß sie etwa zehn bis fünfzehn Minuten im Gehen oder Stehen arbeiten können. Bei Arbeiten im Stehen kann sie ihren Oberkörper bis etwa 20 Grad vorneigen. Arbeiten, bei denen sie schwerere Lasten als 15 kg heben und tragen müßte, sind ihr nicht zumutbar. Sie kann während eines Zeitraumes von zwei Stunden eine Viertelstunde Stoßzeitarbeit bewältigen. Unter diesen Einschränkungen kann die Klägerin eine tägliche Arbeitszeit von vier Stunden einhalten. Kopfschmerzen würden nur dann auftreten, wenn die Klägerin eine Arbeitshaltung durch vier Stunden einnehmen müßte. Die Wege zur und von der Arbeitsstätte sind nur insofern eingeschränkt, als ein Fahrweg in sitzender Körperhaltung unter einer halben Stunde liegen muß.
Die Klägerin hat vom 1.9.1963 bis 28.2.1968 den Beruf einer
Damenkleidermacherin erlernt. Von Juli 1973 bis Jänner 1988 war sie
als Damenrockschneiderin in Heimarbeit tätig. Von Juni 1988 bis
November 1991 arbeitete sie als vollbeschäftige Arbeiterin,
anschließend bis August 1992 als mit 15 Wochenstunden
teilzeitbeschäftigte Angestellte in einem Möbelfachgeschäft. Dabei
wurde sie als Näherin für die Herstellung von Vorhängen und
Möbelüberzügen verwendet. Von Dezember 1991 bis August 1992
arbeitete sie auch als mit 21 Wochenstunden teilzeitbeschäftigte Reinigungskraft.
Die Arbeitsfähigkeit der Klägerin reicht für die vom Erstgericht näher beschriebenen Tätigkeiten einer Heimarbeits- und Änderungsschneiderin aus. Für Änderungsschneiderinnen gibt es auf dem gesamtösterreichischen Arbeitsmarkt mehr als 100 Teilzeitarbeitsplätze. Durch die kollektivvertraglich festgelegten Stundenlöhne wird die monatliche Lohnhälfte, die ein vollbeschäftigter Dienstnehmer zu erzielen vermag, überschritten.
Da die Arbeitsfähigkeit der überwiegend in einem erlernten Beruf tätig gewesene Klägerin noch für die Tätigkeit einer teilzeitbeschäftigten Änderungsschneiderin ausreiche, gelte sie nicht als invalid iS des § 255 Abs 1 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es erachtete auch die bekämpften erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, daß die Klägerin auf eine Teilzeitbeschäftigung verwiesen werden dürfe, entspreche der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (insb SSV-NF 7/62 und 126).
In der Revision macht die Klägerin unrichtig rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG idF der ASGG-Nov 1994 BGBl 624 auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin weist zutreffend darauf hin, daß § 255 Abs 1 und § 273 Abs 1 ASVG (dem Wortlaut nach) darauf abstellen, daß die Arbeitsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, während § 255 Abs 3 leg cit auf die Fähigkeit abstellt, durch eine auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete und zumutbare Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erzielen, das ein gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Während es bei überwiegend als Hilfsarbeiter tätig gewesenen Arbeitern nur auf die Erzielbarkeit der sogenannten "Lohnhälfte" ankommt, ist bei überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesenen Arbeitern oder bei Angestellten nach dem Wortlaut der bezogenen Gesetzesstellen entscheidend, ob ihre Arbeitsfähigkeit mindestens noch die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten erreicht.
Die nachfolgenden Ausführungen werden jedoch zeigen, daß der im § 255 Abs 3 ASVG ausdrücklich vorgeschriebene Maßstab der Lohnhälfte auch nach Abs 1 der zit Gesetzesstelle und nach § 273 Abs 1 leg cit anzulegen ist.
Nach § 255 ASVG in der Stammfassung galt der Versicherte als invalid, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte nicht imstande war, durch eine Tätigkeit, die mit seinen Kräften und Fähigkeiten im Einklang stand und ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufes zugemutet werden konnte, die Hälfte des Verdienstes zu erwerben, den körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend zu erzielen pflegten (Normalverdienst). Dieser für alle in der Pensionsversicherung der Arbeiter Versicherten einheitliche Invaliditätsbegriff der Stammfassung wurde im wesentlichen aus § 1254 RVO aF übernommen und wich davon nur hinsichtlich des für die Invalidität verlangten Maßes der Einschränkung der Erwerbsfähigkeit (mehr als die Hälfte gegenüber mehr als zwei Drittel) ab (RV zum ASVG
599 BlgNR 7.GP 86; MGA ASVG 56. bzw 35. ErgLfg 1298/24 und 1299 FN 1).
Durch die 9. ASVGNov BGBl 1962/13 wurden anstelle dieses einheitlichen Invaliditätsbegriffes zwei unterschiedliche geschaffen, und zwar einer für überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesene Facharbeiter und einer für Hilfsarbeiter. Nach § 255 Abs 1 ASVG idgF gilt der Versicherte, der überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. War der Versicherte nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen iS der Abs 1 und 2 tätig, gilt er nach Abs 3 als invalid, wenn er infolge seines köperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Der neue Invaliditätsbegriff für überwiegend als Facharbeiter tätig gewesene Versicherte wurde dem für in der Pensionsversicherung der Angestellten Versicherte geltenden § 273 Abs 1 ASVG nachgebildet. Nach dieser Gesetzesstelle (idF der 9. und 32. ASVGNov) gilt der Versicherte als berufsunfähig, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlichen und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Nach dem durch die
51. ASVGNov aufgehobenen § 255 Abs 3 und § 273 Abs 3 ASVG galt der Versicherte auch als invalid bzw berufsunfähig, wenn er a) das 55. Lebensjahr vollendet hatte, .......... c) in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hatte und d) infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande war, durch diese Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegte.
Sowohl bei der Invaliditätspension aus der Pensionsversicherung der Arbeiter (§ 254 ASVG) als auch bei der Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung der Angestellten (§ 271 leg cit) handelt es sich um Leistungen aus Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit (§ 222 Abs 1 Z 2 lit a und b ASVG). Diese Versicherungsfälle treten ein, wenn die (individuelle) Arbeitsfähigkeit eines (einer) in der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der Angestellten Versicherten auf weniger als die Hälfte der einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson herabgesunken ist. Diese voll arbeitsfähige (typisierte) Vergleichsperson ist bei Facharbeitern (Facharbeiterinnen) und Angestellten ein(e) Versicherte(r) von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten (§ 255 Abs 1 und § 273 Abs 1 ASVG), bei Hilfsarbeitern (Hilfsarbeiterinnen) ein(e) Versicherte(r), der (die) eine auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete und dem (der) Pensionswerber(in) zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) ausübt.
Die Arbeitsfähigkeit der typisierten Vergleichsperson ist immer nach den wirtschaftlichen Ergebnissen ihrer Tätigkeit, also nach dem durch diese regelmäßig zu erzielenden Entgelt zu beurteilen. Das wird zwar nur im § 255 Abs 3 ASVG ausdrücklich gesagt, der den Invaliditätsbegriff der überwiegend nicht in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesenen Versicherten enthält, gilt aber nach der Natur der Sache auch für die überwiegend als Facharbeiter(innen) oder als Angestellte tätig gewesenen Versicherten. Alle aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit zu leistenden Pensionen haben Lohn(Gehalts)ersatzfunktion. Diese Leistungen sollen aber erst erbracht werden, wenn der (die) Versicherte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande ist, wenigstens die in seiner (ihrer) Berufsgruppe (Facharbeiter und Angestellte) oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Hilfsarbeiter) für gesunde Versicherte regelmäßig erzielbare Lohn(Gehalts)hälfte zu erwerben.
Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien als bis 31.12.1986 letzter Instanz in Leistungsstreitsachen. Dieses Gericht sprach aus, Arbeitsfähigkeit iS des § 273 ASVG bedeute nicht etwa die Arbeitskraft, die dem Versicherten zur entgeltlichen Betätigung in irgendeiner Berufsstellung zur Verfügung stehe, sondern seine Fähigkeit, durch Arbeit im Rahmen seiner Berufsgruppe einen bestimmten Verdienst zu erwerben. Arbeitsfähigkeit iS des § 273 ASVG ziele daher auf die Erwerbsfähigkeit ab, allerdings mit der Beschränkung auf Tätigkeiten, die zur Berufsgruppe des Versicherten gehörten (SVSlg 12.410). Es sei zu prüfen, ob die Fähigkeit zur Erreichung einer bestimmten Verdienstgrenze bestehe, ob der Pensionswerber innerhalb seiner Berufsgruppe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die Hälfte jenes Verdienstes zu erwerben vermag, den eine gesunde Vergleichsperson regelmäßig zu verdienen pflege. Dieser Lohn sei als Normallohn zu werten. Er werde, wenn ein Kollektivvertrag bestehe, dem kollektivvertraglichen Lohn, ansonsten der üblichen Durchschnittsentlohnung gleichkommen (SVSlg 16.849). Das Gesetz stelle den Begriff der Berufsunfähigkeit auf das Vorhandensein eines bestimmten Grades von Minderung der Arbeitsfähigkeit ab, so daß zwar eine direkte Beziehung zum Verdienst im Gesetz selbst fehle. Die bisherige Rechtsprechung sei aber ebenso wie beim Begriff der Invalidität davon ausgegangen, daß sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt letzten Endes der Gehalt oder Lohn als Funktion des Grades der Arbeitsfähigkeit erweist. Daraus ergebe sich, daß auch für die Feststellung der Berufsunfähigkeit zu prüfen sei, ob die Fähigkeit zur Erreichung einer bestimmten Verdienstgrenze besteht. Als diese sei die Hälfte des regelmäßigen Verdienstes eines vergleichbaren gesunden Versicherten anzusehen (SVSlg 18.802 f, 20.511, 22.097, 23.511, 23.513).
Der Oberste Gerichtshof setzte diese Rechtsprechung zB in der E SSV-NF 3/73 insofern fort, als er aussprach, nach § 273 Abs 3 lit d ASVG in der damals noch geltenden Fassung komme es nicht darauf an, ob die (damalige) Leistungswerberin noch imstande sei, das übliche Entgelt einer gesunden Ganztagsverkäuferin zu erwerben, sondern darauf, ob sie noch das übliche Entgelt einer gesunden Halbtagsverkäuferin erzielen könne. In der E SSV-NF 5/136 sprach der erkennende Senat aus, es komme darauf an, ob die (damalige) Klägerin mit einer mit ihrem Leistungskalkül zu vereinbarenden Verweisungstätigkeit die "Lohnhälfte" erreichen könne.
Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4, 54 führt daher zutreffend aus, daß die Rechtsprechung auf den zu erwartenden Einkommensverlust abstelle: Nur dann, wenn der Angestellte nicht mehr in der Lage sei, in einem Verweisungsberuf wenigstens die Hälfte dessen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Angestellte dort durchschnittlich verdienen, nehme sie Berufsunfähigkeit an.
Schon Traindl, Die rechtlichen Aspekte des neuen Invaliditätsbegriffes auf Grund der 9. Novelle zum ASVG, SozSi 1962, 277 (278) wies darauf hin, die Rechtsprechung habe sich so entwickelt, daß ein Unterschied in der Feststellungsmethode zwischen den Begriffen der Invalidität und der Berufsunfähigkeit nicht getroffen werde. Auch beim letzteren Begriff, der auf einer Minderung der Arbeitsfähigkeit beruhe, werde geprüft, ob die Fähigkeit zur Erreichung einer bestimmten Verdienstgrenze bestehe. Daraus ergebe sich, daß beim heutigen neuen Invaliditätsbegriff durch die Verwendung der vom Begriff der Berufsunfähigkeit hergeleiteten Terminologie keine meritorische Änderung in der Feststellungsmethode herbeigeführt worden sei. Daher werde auch weiterhin beim Invaliditätsbegriff (des § 255 Abs 1) trotz Änderung in der Formulierung die Verdienstfähigkeit zu prüfen sein.
Auch nach Teschner in Tomandl, SV-System 7.ErgLfg 370 setzt die Beurteilung der Invalidität bei gelernten (angelernten) Arbeitern ua die Beantwortung der Frage voraus, welchen Verdienst der Versicherte aufgrund seines Leidenszustandes noch erwerben kann.
Im allgemeinen ist also der durchschnittliche Verdienst als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, den ein(e) gesunde(r) Versicherte(r) in der entsprechenden Berufsgruppe (§ 255 Abs 1 und § 273 Abs 1 ASVG) oder durch die Verweisungstätigkeit(en) (§ 255 Abs 3 leg cit) erzielen kann (ähnlich Brackmann, Handbuch der SV IV 28.Nachtrag 670f, 670f I mwN). Soweit der durchschnittliche Verdienst zB in Kollektivverträgen festgelegt ist, sind die danach zustehenden Löhne und Gehälter auch dann als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, wenn in Einzelfällen höhere Verdienste erreicht werden. Werden jedoch in der in Betracht kommenden Berufsgruppe regelmäßig über den Tariflöhnen und -gehältern liegende Entgelte gezahlt, sind diese zugrundezulegen. Da auf den Durchschnittsverdienst abzustellen ist, darf in der Regel nicht von dem Entgelt ausgegangen werden, das unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten (Überstunden, Akkord etc) in Einzelfällen erzielt werden kann. Es ist daher regelmäßig von der Normalarbeitszeit auszugehen (ähnlich OLG Wien SVSlg 29.977). Bildet aber ausnahmsweise in einem bestimmten Berufszweig zB die Akkordarbeit die Regel, so ist der Akkordlohn zu berücksichtigen (ähnlich Brackmann aaO 28.Nachtrag 670 f II mwN).
Der an der Höhe des regelmäßig erzielbaren Entgeltes zu messenden vollen Arbeitsfähigkeit der typisierten Vergleichsperson ist die nach demselben Kriterium zu messende individuelle Arbeitsfähigkeit des (der) Versicherten gegenüberzustellen (vgl SSV-NF 1/54; Brackmann aaO 28. Nachtrag 670 f III).
Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4, 54 und ihm folgend Grillberger, österreichisches Sozialrecht2, 85 führen unter Bezugnahme auf die zit E zutreffend aus, daß es auf die Prüfung der Einkommenserwartungen normalerweise überhaupt nicht ankommt. Da in den meisten Sparten Kollektivverträge Mindestlöhne festlegen, wäre die Lohnhälfte nur dann unerreichbar, wenn die Gehälter in dieser Branche durchschnittlich das Doppelte des kollektivvertraglichen Mindestgehaltes überstiegen. Das gilt allerdings nur dann, wenn ein(e) Versicherte(r) in der Lage ist, eine (Verweisungs)Tätigkeit ohne jede Einschränkung inhaltlicher oder zeitlicher Art auszuüben. Insbesondere dann, wenn die Arbeitsfähigkeit eines (einer) bisher vollzeitig tätig gewesenen Versicherten nur mehr für eine Teilzeitbeschäftigung ausreicht, stellt sich sinnvollerweise die Frage nach der Lohnhälfte. Dabei deutet der im § 255 Abs 3 ASVG ausdrücklich vorgeschriebene, nach den obigen Ausführungen aber auch nach Abs 1 leg cit und nach § 273 Abs 1 ASVG anzulegende Maßstab geradezu darauf hin, daß es nicht auf das zeitliche Ausmaß der noch möglichen Berufstätigkeit, sondern darauf ankommt, ob die Einkünfte aus dem Einsatz der verbliebenen Arbeitskraft weniger als die Hälfte des (regelmäßigen) Einkommens eines (einer) vollbelastbaren (vergleichbaren) Versicherten betragen (SSV-NF 7/126 unter
Bezugnahme auf Gitter, Sozialrecht3, 168 und OLG Linz SVSlg 38.082
= ZAS 1993 JudBlg 12).
Aus diesen rechtlichen Ausführungen ergibt sich für den vorliegenden Fall:
Nach den rechtlich zu berurteilenden Feststellungen reicht die Arbeitsfähigkeit der überwiegend im erlernten Beruf einer "Damenkleidermacherin" tätig gewesenen Klägerin jedenfalls für die Tätigkeit als Änderungsschneiderin aus. Sie kann alle erforderlichen Arbeitsgänge dieser zur Berufsgruppe der Kleidermacher gehörenden Teiltätigkeit ausführen, allerdings nur vier Stunden täglich. Damit ist sie zwar nicht mehr in der Lage, die gesetzlich vorgesehene Normalarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche oder acht Stunden pro Tag zu erbringen, wohl aber mindestens die Hälfte der Wochennormalarbeitszeit und die Hälfte der normalen Tagesarbeitszeit. Festgestelltermaßen kann die Klägerin durch eine solche Teilzeitbeschäftigung die Hälfte des üblichen kollektivvertraglichen Lohnes einer gesunden vollbeschäftigten Änderungsschneiderin erzielen. Schon das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß das Leistungskalkül keine Einschränkung auf eine Fünf-Tage-Woche enthält. Deshalb könnte die Klägerin insbesondere bei größerem Arbeitsanfall auch mehr als die Hälfte der Wochennormalarbeitszeit leisten.
Die in der Revision angeschnittenen Fragen, ob die Klägerin jederzeit in der Lage wäre, Überstunden und länger dauernde Arbeiten unter Streß sowie in Zwangshaltung ohne Unterbrechungen durch Stehen oder Gehen zu leisten, sind nach den obigen Rechtsausführungen nicht entscheidungswesentlich.
Soweit die Rechtsrüge davon ausgeht, daß die Arbeitskraft der Klägerin für die Tätigkeit als Änderungsschneiderin während einer täglichen Arbeitszeit von vier Stunden nicht voll ausreiche, ist sie nicht gesetzgemäß ausgeführt.
Daß die Kosten für die Fahrten zwischen Wohn- und Beschäftigungsort bei einer Teilzeitbeschäftigung einen höheren Prozentsatz des Arbeitslohnes ausmachen können als bei einer Vollbeschäftigung, macht die Verweisung auf eine solche Teilzeitbeschäftigung nicht unzumutbar.
Wenn die Revisionswerberin meint, es würde ihr eine vierstündige Arbeit zugemutet, die auch im Normalfall jedenfalls zu Kopfschmerzen führen würde, so daß sie sich anschließend ausruhen, hinlegen oder hinsetzen müsse, geht sie wieder nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen aus. Nach diesen treten Kopfschmerzen bei Einnahme einer Arbeitshaltung durch vier Stunden auf (Urteilsseiten 5/6, Aktenseiten 98/99). Die Einnahme einer einzigen Arbeitshaltung durch vier Stunden wird der Klägerin aber gar nicht zugemutet, weil sie als Änderungsschneiderin in wechselnder Körperhaltung arbeiten kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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