Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war aufgrund ihrer Beschäftigung bei einem inländischen Arbeitgeber zuletzt im Zeitraum vom 1. 4. 2008 bis 2. 11. 2008 als Angestellte zur Sozialversicherung gemeldet. Anlässlich der Geburt ihres Kindes H***** am 24. 4. 2009 bezog sie in der Zeit vom 3. 11. 2008 bis 12. 6. 2009 aus dieser Pflichtversicherung Wochengeld. Seit 2. (richtig: 20.) 6. 2009 bezieht die Klägerin das Kinderbetreuungsgeld sowie den Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld, wobei dieser Bezug voraussichtlich am 23. 10. 2011 endet.
Mit ihrem Arbeitgeber hat die Klägerin bis 24. 4. 2011 Karenzurlaub vereinbart.
Die Klägerin wurde neuerlich schwanger, wobei als voraussichtlicher Entbindungstag der 1. 10. 2010 errechnet wurde. Mit ärztlichem Zeugnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 11. 5. 2010 wurde der Klägerin gemäß § 3 Abs 3 MSchG bestätigt, dass bei Fortdauer jeder Beschäftigung das Leben und die Gesundheit der Klägerin und des Kindes gefährdet wäre, wobei die Dauer der Gefährdung bis zum Beginn der gesetzlichen Schutzfrist bestehe.
Unter Vorlage dieses amtsärztlichen Zeugnisses beantragte die Klägerin bei der beklagten Partei die Gewährung des vorzeitigen Wochengeldes ab dem 11. 5. 2010.
Die beklagte Partei lehnte diesen Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. 8. 2010 im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass mangels Vorliegens einer Beschäftigung der Klägerin mit Arbeitsverpflichtung die Voraussetzungen für die Gewährung eines vorzeitigen Wochengeldes nicht erfüllt seien.
Das Erstgericht gab der gegen diesen Bescheid von der Klägerin rechtzeitig erhobenen Klage statt und verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin ab dem 11. 5. 2010 ein vorzeitiges Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und eine vorläufige Leistung von 26,15 EUR pro Tag zu zahlen. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht im Ergebnis dahin, dass sowohl das absolute als auch das individuelle Beschäftigungsverbot nach § 3 MSchG dem selben Schutzzweck diene. Es sei daher für den Wochengeldanspruch der Klägerin nicht erst das tatsächliche Eingreifen eines arbeitsrechtlichen Beschäftigungsverbots maßgebend, sondern es reiche das „potentielle“ Vorliegen einer mutterschutzrechtlichen Arbeitsunfähigkeit aus, die eine allfällige Beschäftigungsaufnahme verhindere. Die gesetzlichen Bestimmungen, wonach Arbeitnehmerinnen, die sich im Karenzurlaub befinden und für die ein Freistellungszeugnis nach § 3 Abs 3 MSchG ausgestellt wurde, ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Wochengeld haben, seien insofern als absolut zu sehen. Die Frage, ob sich die Klägerin tatsächlich in einer Beschäftigung befunden habe oder nach dem AlVG beschäftigungsbereit gewesen sei, habe dabei unberücksichtigt zu bleiben.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin ab 11. 5. 2010 bis acht Wochen nach der Geburt bzw zwölf Wochen nach der Geburt im Falle einer Frühgeburt, Mehrlingsgeburt oder Kaiserschnittentbindung ein (vorzeitiges) Wochengeld von 26,15 EUR täglich unter Berücksichtigung des § 6 Abs 1 KBGG zu gewähren. Es schloss sich in seiner rechtlichen Beurteilung mit ausführlicher Begründung im Ergebnis der Rechtsansicht des Erstgerichts an, dass der Klägerin ein Wochengeldanspruch aus dem bei ihr neuerlich eingetretenen Versicherungsfall der Mutterschaft ab 11. 5. 2010 zustehe. Das Ersturteil sei daher mit der aus dem Urteilsspruch ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu der hier vorliegenden Fallkonstellation (Wochengeldanspruch aufgrund eines individuellen Beschäftigungsverbots bei vorangegangenem Kinderbetreuungsgeldbezug mit Wochengeldanspruch) noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Die beklagte Partei legt in ihren Rechtsmittelausführungen zunächst dar, dass die Klägerin am 5. 10. 2010 den Sohn M***** entbunden habe. Aus diesem Grund sei der Bezug der Leistungen nach dem KBGG aus Anlass der Geburt des Kindes H***** am 24. 4. 2009 mit 4. 10. 2010 beendet worden. Darüberhinaus sei der Klägerin im Zeitraum vom 6. 8. 2010 bis 30. 11. 2010, also während des absoluten Beschäftigungsverbots, das Wochengeld in der Höhe von 26,15 EUR täglich gewährt worden. Strittig sei somit lediglich der Anspruch der Klägerin auf (vorgezogenes) Wochengeld für den Zeitraum 11. 5. 2010 bis 5. 8. 2010.
Ein solcher Anspruch stehe der Klägerin nach Ansicht der beklagten Partei nicht zu. Nach § 162 Abs 1 dritter Satz ASVG gebühre über die vorstehenden Fristen vor und nach der Entbindung hinaus das Wochengeld ferner für jenen Zeitraum, währenddessen Dienstnehmerinnen und Bezieherinnen einer Leistung nach dem AlVG, KGG oder KBGG sowie Versicherte nach § 43 Abs 2 KGG im Einzelfall bei Dienstnehmerinnen nach § 4 Abs 2 ASVG aufgrund eines arbeitsinspektions- oder amtsärztlichen, bei Dienstnehmerinnen nach § 4 Abs 4 ASVG aufgrund eines amtsärztlichen Zeugnisses nachgewiesen wird, dass das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme einer Beschäftigung gefährdet wäre. Ob eine potentielle oder tatsächliche Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Mutter oder Kind vorliegen müsse, lasse sich dem Gesetzeswortlaut und den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Es sei daher auf die teleologische Auslegung zurückzugreifen. Das Wochengeld solle den durch die Mutterschaft entstehenden Einkommensausfall ausgleichen. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin keinen Verdienstausfall erleiden können, weil sie Leistungen nach dem KBGG bezogen habe. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld sei von einem individuellen Beschäftigungsverbot unabhängig und werde von diesem nicht berührt. Für Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld könne ein derartiges Freistellungszeugnis (nach § 3 Abs 3 MSchG) nur dann Wirkung entfalten, wenn während des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld eine Beschäftigung vereinbart worden sei. Dann könnte es zu einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Mutter oder des Kindes kommen. Dies liege im gegenständlichen Fall jedoch nicht vor. Die Klägerin habe mit ihrem Arbeitgeber die Wiederaufnahme der Beschäftigung erst nach Ablauf des gesetzlichen Karenzurlaubs vereinbart. Daher bestehe kein Anspruch der Klägerin auf Wochengeld während des individuellen Beschäftigungsverbots.
Während der Gesetzgeber beim absoluten Beschäftigungsverbot die (unwiderlegliche) Vermutung aufstelle, dass eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Mutter oder Kind jedenfalls vorliege, verlange das individuelle Beschäftigungsverbot demgegenüber eine, sich aus einer bestimmten Tätigkeit ergebende und somit also eine hinreichend konkretisierte Gefährdungssituation. Ein individuelles Beschäftigungsverbot könne daher evidentermaßen nur dann Wirkung entfalten, wenn diesem Verbot eine Beschäftigung und somit eine konkrete Gefährdung gegenüberstehe.
Ein anderes Auslegungsergebnis würde zu einer Ungleichbehandlung von Bezieherinnen von Leistungen nach dem KBGG führen. Die Bezieherinnen, die sich das individuelle Beschäftigungsverbot bestätigen ließen, hätten einen Anspruch auf vorgezogenes Wochengeld, während alle anderen Bezieherinnen keinen solchen Anspruch hätten, obwohl beide Gruppen ihr Kind während des gesetzlichen Karenzurlaubs betreuten. Es könne dadurch zu einer sachlich nicht gerechtfertigten finanziellen Besserstellung der Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld mit individuellem Beschäftigungsverbot kommen.
Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:
1. Der grundsätzliche rechtliche Zusammenhang zwischen dem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot und dem sozialversicherungsrechtlichen Anspruch auf Wochengeld ist evident. So korrespondiert der Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft mit dem Beschäftigungsverbot für werdende Mütter nach dem MSchG. Es tritt daher der Versicherungsfall der Mutterschaft immer zu jenem Zeitpunkt ein, in dem die Schwangere aufgrund der Beschäftigungsverbote nach dem MSchG ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann und daher grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf Bezahlung des Arbeitsentgelts gegenüber ihrem Arbeitgeber hat. Um den daraus resultierenden Verdienstentgang auszugleichen, steht Frauen ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Wochengeld zu (vgl Wolfsgruber, Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft auch ohne aufrechtes Versicherungsverhältnis?, RdW 2000/17, 30 ff [32]).
2. Das Mutterschutzgesetz (MSchG) verbietet die Beschäftigung von werdenden Müttern in den letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung (§ 3 Abs 1 MSchG). Dieses absolute Beschäftigungsverbot besteht unabhängig von einer Gefährdung für Mutter oder Kind durch eine Weiterbeschäftigung und stellt absolut zwingendes Recht dar. Vollversicherte Dienstnehmerinnen erhalten während der Schutzfristen Wochengeld von der zuständigen Gebietskrankenkasse, um den mit dem absoluten Beschäftigungsverbot verbundenen Entgeltausfall auszugleichen.
2.1 Über das absolute Beschäftigungsverbot hinaus darf eine werdende Mutter auch dann nicht beschäftigt werden, wenn Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet wäre (§ 3 Abs 3 MSchG). Das individuelle Beschäftigungsverbot wird für den Arbeitgeber mit Vorlage des amts- bzw arbeitsinspektionsärztlichen Zeugnisses wirksam. Während der Zeiten des individuellen Beschäftigungsverbots besteht ebenfalls Anspruch auf Wochengeld (§ 162 Abs 1 ASVG).
2.2 Bei dem generellen (absoluten) Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MSchG und dem individuellen Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 3 MSchG handelt es sich um Maßnahmen, die dem identen Schutzzweck dienen und auch in ihren Auswirkungen gleich zu behandeln sind (RIS-Justiz RS0070630).
2.3 Gemäß § 15 Abs 1 MSchG ist der Dienstnehmerin auf ihr Verlangen im Anschluss an die Schutzfristen des § 5 Abs 1 und 2 MSchG Karenz gegen Entfall des Arbeitsentgelts bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, zu gewähren, wenn sie mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein Karenzurlaub kann für jene Zeiträume, für die ein Beschäftigungsverbot nach den §§ 3 und 5 MSchG besteht, nicht in Anspruch genommen werden, da für derartige Zeiträume schon ex lege keine Verpflichtung zu irgendwelchen Dienstleistungen besteht, sodass eine Enthebung von einer solchen Verpflichtung in Form der Gewährung eines (Karenz-)Urlaubs begrifflich ausgeschlossen ist (vgl Arb 9639). Es wird daher bei einer neuerlichen Schwangerschaft mit dem Beginn des Beschäftigungsverbots der Karenzurlaub verdrängt (vgl 9 ObA 199/00f; 10 ObS 213/92, SSV-NF 7/63).
2.4 Nach § 15e Abs 1 MSchG kann die Dienstnehmerin neben ihrem karenzierten Dienstverhältnis eine geringfügige Beschäftigung ausüben. Nach § 15e Abs 2 MSchG kann sie mit ihrem Dienstgeber neben der geringfügigen Beschäftigung auch eine Beschäftigung über der Geringfügigkeitsgrenze für höchstens 13 Wochen im Kalenderjahr vereinbaren. Nach § 15e Abs 3 MSchG kann die Dienstnehmerin mit Zustimmung des Dienstgebers eine Beschäftigung iSd Abs 2 auch mit einem anderen Dienstgeber vereinbaren.
3. Gemäß § 120 Abs 1 Z 3 erster Satz ASVG gilt der Versicherungsfall der Mutterschaft mit dem Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung als eingetreten; wenn aber die Entbindung vor diesem Zeitpunkt erfolgt, mit der Entbindung; ist der Tag der voraussichtlichen Entbindung nicht festgestellt worden, mit dem Beginn der achten Woche vor der Entbindung.
3.1 Mit der 50. ASVG-Novelle (BGBl 1991/676) wurde dem § 120 Abs 1 Z 3 erster Satz ASVG ein weiterer Satz angefügt, wonach darüberhinaus der Versicherungsfall der Mutterschaft bei Dienstnehmerinnen und Bezieherinnen einer Leistung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 in jenem Zeitpunkt und für jenen Zeitraum als eingetreten gilt, in dem diese aufgrund besonderer Vorschriften des Mutterschutzgesetzes im Einzelfall aufgrund des Zeugnisses eines Arbeitsinspektionsarztes oder eines Amtsarztes nicht beschäftigt werden dürfen, weil Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme einer Beschäftigung gefährdet wäre. In den Erläuternden Bemerkungen (vgl RV 284 BlgNR 18. GP 28) wird dazu ausgeführt, dass es sich bei dieser Ergänzung lediglich um eine Klarstellung handelt, um allfällige Zweifel daran auszuschließen, dass bei Vorliegen eines Beschäftigungsverbots iSd § 3 Abs 3 MSchG für werdende Mütter grundsätzlich ein Anspruch auf Wochengeld besteht. Im Übrigen wird ein Zusammenhang mit den Änderungen des § 157 erster Halbsatz ASVG und des § 162 Abs 1 Satz 3 ASVG hergestellt.
3.2 § 157 erster Halbsatz ASVG lautet in der Fassung der 50. ASVG-Novelle: „Der Versicherungsfall der Mutterschaft umfasst den nach seinem Eintritt (§ 120 Abs 1 Z 3) liegenden Zeitraum der Schwangerschaft.“
3.3 Der dritte Satz in § 162 Abs 1 ASVG wurde folgendermaßen geändert:
„Über die vorstehenden Fristen vor und nach der Entbindung hinaus gebührt das Wochengeld ferner für jenen Zeitraum, währenddessen Dienstnehmerinnen und Bezieherinnen einer Leistung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 aufgrund besonderer Vorschriften des Mutterschutzrechtes im Einzelfall aufgrund des Zeugnisses eines Arbeitsinspektionsarztes oder eines Amtsarztes nicht beschäftigt werden dürfen, weil Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme einer Beschäftigung gefährdet wäre.“
Nach den Gesetzesmaterialien (RV 284 BlgNR 18. GP 31f) soll durch diese in einem sachlichen Zusammenhang mit der im Rahmen dieser Novelle ebenfalls vorgeschlagenen Änderung des § 120 Abs 1 Z 3 ASVG stehenden Ergänzungen des § 162 Abs 1 dritter Satz ASVG klargestellt werden, dass ein Anspruch auf Wochengeld im Fall eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz auch für Bezieherinnen einer Leistung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 besteht. Für den sozialen Schutzzweck dieser Norm ist es nämlich belanglos, ob im Einzelfall im Hinblick auf den gesetzlichen Mutterschutz ein Einkommen aus einer Beschäftigung nicht erzielt werden kann, weil eine bisherige Beschäftigung nicht fortgeführt oder weil eine neue Beschäftigung nicht aufgenommen werden kann.
3.4 Mit der 55. ASVG-Novelle (BGBl I 1998/138) wurde in § 120 Abs 1 Z 3 zweiter Satz ASVG sowie in § 162 Abs 1 dritter Satz ASVG jeweils nach dem Ausdruck „Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977“ der Ausdruck „oder nach dem Karenzgeldgesetz (KGG) sowie bei Versicherten gemäß § 43 Abs 2 KGG“ eingefügt. Diese Änderung wurde damit begründet, dass die Bestimmungen über den Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft und über den Anspruch auf Wochengeld an das Karenzgeldgesetz angepasst werden sollen.
3.5 Mit dem BGBl I 2001/103, mit dem ua ein Kinderbetreuungsgeldgesetz erlassen wurde, wurde in § 120 Abs 1 zweiter Satz ASVG sowie in § 162 Abs 1 dritter Satz ASVG jeweils der Ausdruck „nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 oder nach dem Karenzgeldgesetz (KGG)“ durch den Ausdruck „nach dem AlVG, KGG oder KBGG“ ersetzt.
3.6 Nach dieser auch im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung des § 120 Abs 1 zweiter Satz ASVG gilt der Versicherungsfall der Mutterschaft somit darüberhinaus bei Dienstnehmerinnen und Bezieherinnen einer Leistung nach dem AlVG, KGG oder KBGG sowie bei Versicherten nach § 43 Abs 2 KGG in jenem Zeitpunkt und für jenen Zeitraum als eingetreten, in dem im Einzelfall bei Dienstnehmerinnen nach § 4 Abs 2 aufgrund eines arbeitsinspektions- oder amtsärztlichen, bei Dienstnehmerinnen nach § 4 Abs 4 aufgrund eines amtsärztlichen Zeugnisses nachgewiesen wird, dass das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme einer Beschäftigung gefährdet wäre.
Nach § 162 Abs 1 dritter Satz in der hier maßgebenden Fassung gebührt das Wochengeld über die vorstehenden Fristen vor und nach der Entbindung hinaus ferner für jenen Zeitraum, währenddessen Dienstnehmerinnen und Bezieherinnen einer Leistung nach dem AlVG, KGG oder KBGG sowie Versicherte nach § 43 Abs 2 KGG im Einzelfall bei Dienstnehmerinnen nach § 4 Abs 2 aufgrund eines arbeitsinspektions- oder amtsärztlichen, bei Dienstnehmerinnen nach § 4 Abs 4 aufgrund eines amtsärztlichen Zeugnisses nachgewiesen wird, dass das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme einer Beschäftigung gefährdet wäre.
4. Es spricht sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die systematische Auslegung der zitierten Bestimmungen der §§ 120 Abs 1 zweiter Satz, 157 und 162 Abs 1 dritter Satz ASVG für die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Gesetzgeber bei Bezieherinnen von Leistungen nach dem KBGG auch für den Zeitraum eines individuellen Beschäftigungsverbots (§ 3 Abs 3 MSchG) das Wochengeld gewähren wollte. Dies ergibt sich daraus, dass im Falle eines individuellen Beschäftigungsverbots (§ 3 Abs 3 MSchG) in § 120 Abs 1 zweiter Satz ASVG eine Vorverlegung des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft auf den Beginn des individuellen Beschäftigungsverbots vorgesehen ist, der Versicherungsfall der Mutterschaft nach § 157 ASVG, welche Bestimmung den Umfang des Versicherungsschutzes bei Leistungen aus diesem Versicherungsfall regelt, den nach seinem Eintritt (§ 120 Abs 1 Z 3) liegenden Zeitraum der Schwangerschaft, die Entbindung und die sich daraus ergebenden Folgen umfasst und für die Zeit des individuellen Beschäftigungsverbots in § 162 Abs 1 Satz 3 ASVG eine Zahlungspflicht des Krankenversicherungsträgers betreffend das Wochengeld vorgesehen ist.
4.1 Auch die historische Auslegung, welche an den feststellbaren Absichten des Gesetzgebers anknüpft, spricht für die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass in den Gesetzesmaterialien (RV 284 BlgNR 18. GP 31f) zur 50. ASVG-Novelle (BGBl 1991/676) die Einführung eines Anspruchs auf Wochengeld auch für Bezieherinnen einer Leistung nach dem AlVG 1977 damit begründet wurde, dass es für den sozialen Schutzzweck belanglos sei, ob im Einzelfall im Hinblick auf den gesetzlichen Mutterschutz ein Einkommen aus einer Beschäftigung nicht erzielt werden kann, weil eine bisherige Beschäftigung nicht fortgeführt oder weil eine neue Beschäftigung nicht aufgenommen werden kann. Dass Letzteres auch auf die Klägerin zutrifft, wird später noch näher ausgeführt werden.
Auch in den Erläuternden Bemerkungen zur RV 340 BlgNR 24. GP 22 (abgedruckt in Teschner/Widlar/Pöltner, MGA-ASVG 110. Erg-Lfg § 261 Anm 8g) betreffend die Einführung eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes (BGBl I 2009/116) wird im Zusammenhang mit der Anfügung der Z 3 in § 162 Abs 3a ASVG ausdrücklich darauf verwiesen, dass damit für Frauen, die das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens (§ 24a Abs 1 KBGG) in Anspruch nehmen, gewährleistet werden soll, dass sie im Fall des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft (Beginn des absoluten oder individuellen Beschäftigungsverbots) während des Bezugs des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes auch Anspruch auf Wochengeld haben, sofern sie bereits aufgrund der des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldbezugs zugrundeliegenden Entbindung Wochengeld bezogen haben.
4.2 Die von der beklagten Partei gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts aufgrund teleologischer Auslegung vorgebrachten Argumente vermögen nach Ansicht des erkennenden Senats nicht zu überzeugen.
4.2.1 Es hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich beim absoluten Beschäftigungsverbot des § 3 Abs 1 MSchG und dem individuellen Beschäftigungsverbot des § 3 Abs 3 MSchG um Maßnahmen handelt, die dem identen Schutzzweck, nämlich der Hintanhaltung einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind, dienen und auch in ihren Auswirkungen gleich zu behandeln sind (vgl RIS-Justiz RS0070630).
4.2.2 Weiters hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber zwischen „Dienstnehmerinnen“ und „Bezieherinnen einer Leistung nach dem AlVG, KGG oder KBGG“ unterscheidet und damit deutlich zum Ausdruck bringt, dass der Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft nicht von der faktischen Fortdauer bzw der Aufnahme einer Beschäftigung abhängig ist. Der Gesetzgeber unterscheidet innerhalb der Gruppe der „Bezieherinnen einer Leistung nach dem AlVG, KGG oder KBGG“ auch nicht zwischen Bezieherinnen, deren Beschäftigung fortdauert oder die eine solche aufnehmen, und Bezieherinnen, die nur Leistungen nach den genannten Gesetzen erhalten.
4.2.3 Es ist der beklagten Partei zwar darin zu folgen, dass das absolute Beschäftigungsverbot unabhängig von einer Gefährdung für Mutter oder Kind durch eine Weiterbeschäftigung besteht, während das individuelle Beschäftigungsverbot am Gesundheitszustand der konkret betroffenen Schwangeren sowie an individuell bestehenden Gefährdungsmomenten anknüpft (vgl Wolfsgruber in ZellKomm § 3 MSchG Rz 1 und 12). Es trifft aber nicht zu, dass dem individuellen Beschäftigungsverbot im Fall der Klägerin, die sich bei Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft im Karenzurlaub befunden und Kinderbetreuungsgeld bezogen hat, nur theoretische Bedeutung zugekommen sei. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang ebenfalls zutreffend darauf hingewiesen, dass für Bezieherinnen von Leistungen nach dem KBGG auch während eines Karenzurlaubs die Möglichkeit besteht, eine Beschäftigung in einem bestimmten Ausmaß (vgl § 15e MSchG, § 2 Abs 1 Z 3 KBGG) auszuüben. Damit kann aber auch im Einzelfall bei Aufnahme einer Beschäftigung das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind gefährdet werden. Insoweit unterscheidet sich auch die Situation der Klägerin, die aufgrund eines ärztlichen Freistellungszeugnisses vom 11. 5. 2010 während ihres Kinderbetreuungsgeldbezugs keinerlei Beschäftigung ausüben kann, da ansonsten das Leben und die Gesundheit der Klägerin und des Kindes gefährdet wäre, von der Situation einer Bezieherin von Kinderbetreuungsgeld, bei der eine solche Gefährdung nicht vorliegt und die daher einer solchen Einschränkung nicht unterworfen ist.
5. Der erkennende Senat teilt daher zusammenfassend die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass auch der Klägerin als Bezieherin einer Leistung nach dem KBGG bei Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Freistellungszeugnisses nach § 3 Abs 3 MSchG ein vorgezogenes Wochengeld zusteht, da sie in gleicher Weise wie eine von einem Beschäftigungsverbot betroffene erwerbstätige Dienstnehmerin nicht mehr in der Lage war, ohne Gefährdung ihres Lebens und ihrer Gesundheit bzw des Lebens und der Gesundheit ihres Kindes einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen (vgl in diesem Sinne auch Th. Radner in seiner Entscheidungsbesprechung in DRdA 2006/30, 313 [315]; Teschner/Widlar/Pöltner, MGA-ASVG 107. Erg-Lfg § 120 Anm 7c S. 720/7 sowie 103. Erg-Lfg § 162 Anm 4aa S. 872/3 mwN; Knöfler, MSchG und EKUG 110 ff; aA Schober in Sonntag, ASVG² § 162 Rz 12c mwN).
Der Revision der beklagten Partei musste daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG.
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