European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00072.22V.0621.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Gegenstand des Rekursverfahrens ist die Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedsstaat nach den dortigen unfallversicherungsrechtlichen Bestimmungen anerkannter Arbeitsunfall unter Anwendung des Art 5 lit b VO 883/2004 einen Anspruch auf eine Gesamtrente iSd § 210 Abs 1 ASVG begründen kann, wenn dieser nach österreichischem Recht dem ASVG unterliegen würde, oder ob ein solcher ausländischer Arbeitsunfall stets nur zu einem Anspruch auf „Stützrente“ nach § 210 Abs 3 ASVG führen kann.
[2] Der Kläger erlitt am 16. Mai 2014 in Deutschland einen Arbeitsunfall. Aus diesem Unfall ist beim Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 15 % verblieben.
[3] Am 11. März 2019 erlitt der Kläger in Österreich einen Arbeitsunfall, als er bei Ladetätigkeiten aus einer Höhe von ca 2 m vom LKW‑Auflieger auf den rechten Fuß stürzte und sich einen Bruch des Fersensporns rechts zuzog. Dem Kläger wurde auf Grund dieses Arbeitsunfalls in Österreich eine vorläufige Versehrtenrente von 20 % bis 1. März 2020 zuerkannt. Ab 2. März 2020 bis 31. Mai 2020 bestand beim Kläger noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % und ab 1. Juni 2020 von 5 % auf Dauer. In Umsetzung der VO 883/2004 wurde dem Kläger im Zeitraum von 2. März 2020 bis 31. Mai 2020 eine Stützrente in Höhe von 10 % und ab 1. Juni 2020 eine Dauerrente in Höhe von 5 % gewährt.
[4] Es kam zu einer Verschlechterung der Beschwerden und Funktionseinschränkungen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aus dem Arbeitsunfall vom 11. März 2019 beträgt ab 14. Februar 2021 15 %. Für die Zukunft ist sowohl eine Verbesserung als auch eine Verschlechterung möglich.
[5] Mit Bescheid vom 24. Februar 2021 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt sowohl den Antrag des Klägers vom 14. Februar 2021 auf Erhöhung der Dauerrente von 5 % der Vollrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11. März 2019 als auch den Antrag vom 17. Februar 2021 auf Zuerkennung einer Gesamtrente unter Berücksichtigung des Arbeitsunfalls (in Deutschland) vom 16. Mai 2014 ab. Im Zustand der Folgen des Unfalls vom 11. März 2019 sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Da es sich beim Unfall vom 16. Mai 2014 um keinen Versicherungsfall nach dem ASVG, sondern um einen Versicherungsfall nach dem (deutschen) SGB VII handle, bestehe kein Anspruch auf eine Gesamtrente.
[6] Dagegen richtet sich die Klage mit dem zuletzt gestellten Begehren, der klagenden Partei ab Antragstellung einerseits für die Folgen des Arbeitsunfalls in Österreich vom 11. März 2019 eine 5 % übersteigende Versehrtenrente wegen Verschlechterung zu gewähren und darüber hinaus unter Berücksichtigung der Folgen des Arbeitsunfalls in Deutschland vom 16. Mai 2014 eine Gesamtdauerrente von zumindest 30 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Es sei eine wesentliche Änderung (Verschlechterung) eingetreten. Aufgrund der VO (EG) 883/2004 sei Österreich überdies für die Gewährung einer Gesamtrente zuständig, weil sich der letzte Arbeitsunfall in Österreich ereignet habe.
[7] Die Beklagte bestritt. Eine Verschlimmerung sei nicht eingetreten. Eine Entschädigung fremder Versicherungsfälle durch die Beklagte infolge Bildung einer Gesamtrente sei gemäß § 210 Abs 1 ASVG gesetzlich in Österreich nicht vorgesehen. Gemäß dem Äquivalenzgrundsatz in Art 5 VO (EG) 883/2004 sei der Vorunfall in Deutschland bei der Gewährung einer Stützrente berücksichtigt worden.
[8] Das Erstgericht sprach dem Kläger gestützt auf § 210 Abs 3 ASVG eine Dauerrente von 15 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu und wies das Begehren auf Gewährung einer Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG ab. In den Unfallfolgen sei eine wesentliche Verschlechterung iSd § 183 Abs 1 ASVG eingetreten. Eine Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG setze zumindest zwei Arbeitsunfälle nach dem ASVG voraus. Die österreichische Rechtsordnung sehe die Miteinbeziehung des Arbeitsunfalls in Deutschland und die Bildung einer Gesamtrente nicht vor.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Zuständiger Träger sei die Beklagte, sodass sich die Frage, ob und in welcher Höhe ein Entschädigungsanspruch wegen eines Arbeitsunfalls bestehe, nach österreichischem Recht richte. Frühere Arbeitsunfälle in anderen Mitgliedstaaten seien nach Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 zu berücksichtigen, als hätten sie sich nach den eigenen Rechtsvorschriften oder auf dem eigenen Staatsgebiet ereignet, sofern es sich um gleichartige Verhältnisse oder entsprechende Sachverhalte handle. Das Erstgericht habe jedoch zur Frage, ob der Kläger einer nach § 210 Abs 1 ASVG für die Gesamtrente erforderlichen (fiktiven) Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlegen wäre, keine Feststellungen zur konkreten Tätigkeit des Klägers getroffen.
[10] Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zur Klarstellung zu.
[11] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der vom Kläger beantwortete Rekurs der Beklagten, mit dem sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
[13] 1.1. Nach § 210 Abs 1 ASVG ist, wenn ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit geschädigt wird und die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit aus Versicherungsfällen nach dem ASVG mindestens 20 % erreicht, spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des letzten Versicherungsfalls an eine Gesamtrente festzustellen. In diesen Fällen ist nicht für jeden Versicherungsfall eine Einzelrente auf Basis der jeweils verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit zuzuerkennen und auch nicht einfach der Grad der Versehrtheit durch die einzelnen Verletzungen zu beurteilen und dann eine Addition vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0084384 [T3]). Es ist vielmehr die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit durch die mehreren Arbeitsunfälle insoweit zu berücksichtigen, als sich die Unfallverletzungen in ihrer Gesamtheit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken (RS0084384). Durch das Zusammentreffen von Folgen mehrerer Unfälle ist auf Dauer eine für die Bemessung maßgebliche Änderung der Verhältnisse eingetreten (RS0084384 [T2]).
[14] 1.2. Eine solche Gesamtrente setzt mehrere Versicherungsfälle nach dem ASVG voraus (RS0123628). Gegen diese Regelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (RS0123629), weil den jeweiligen Leistungsrechten unterschiedliche Zielsetzungen zugrunde liegen (10 ObS 67/08p SSV‑NF 22/42).
[15] 1.3. Beim Arbeitsunfall des Klägers vom 11. März 2019 handelt es sich unstrittig um einen Versicherungsfall nach dem ASVG. Nach den Behauptungen der Beklagten erlitt der Kläger den (früheren) Arbeitsunfall am 16. Mai 2014 jedoch als in Deutschland Versicherter. Die Voraussetzungen des § 210 Abs 1 ASVG für die Gewährung einer Gesamtrente sind nach dem Wortlaut dieser Bestimmung somit nicht erfüllt.
[16] 2. Die Beklagte wendet sich im Rekurs gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, nach dem der Arbeitsunfall vom 16. Mai 2014 aufgrund der Gleichstellungsregel des Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 wie ein Versicherungsfall nach dem ASVG zu berücksichtigen sein könnte.
[17] 2.1. Die Beklagte bestreitet dabei weder, dass aufgrund des Arbeitsunfalls während der vormaligen Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaats (Deutschland) der für die Anwendung der VO (EG) 883/2004 erforderliche Unionsbezug vorliegt (vgl Spiegel in Fuchs, Europäisches Sozialrecht8 Art 2 VO 883/2004 Rz 15) noch, dass der persönliche (Art 2 VO 883/2004 ) und sachliche (Art 3 Abs 1 lit f VO [EG] 883/2004) Anwendungsbereich im vorliegenden Fall eröffnet ist.
[18] 2.2.1. Zuständiger Mitgliedstaat ist nach Art 1 lit s VO (EG) 883/2004 der Mitgliedstaat, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat. Zuständiger Träger wiederum ist der Träger, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen versichert ist (Art 1 lit q VO [EG] 883/2004). Der für Leistungen bei Arbeitsunfällen zuständige Träger ist daher nach den Art 11 ff zu ermitteln (Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht8 Art 36 VO [EG] 883/2004 Rz 3). Personen, für die die VO (EG) 883/2004 gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Art 11 Abs 1 VO [EG] 883/2004). Eine Person, die – wie der Kläger – in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats (Art 11 Abs 3 lit a VO [EG] 883/2004). Dies gilt für Geldleistungen aus der Unfallversicherung nach Art 21 Abs 1 iVm Art 36 Abs 3 VO (EG) 883/2004 auch dann, wenn der Versicherte – wie der in Deutschland wohnhafte Kläger – in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt; auch in diesem Fall richtet sich der Anspruch nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften (Art 21 Abs 1 VO [EG] 883/2004).
[19] 2.2.2. Die Frage, welche Leistungen dem Kläger zustehen, richtet sich somit ausschließlich nach österreichischem Recht. Damit gilt bei Arbeitsunfällen der Grundsatz, dass der aktuelle Versicherungsstaat für alle Leistungen einschließlich der Unfallrenten zuständig ist. Dabei ist es unerheblich, wie lange und wie knapp zuvor die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegolten haben (Spiegel in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm Vor § 210 ASVG Rz 6).
[20] 2.3. Bei der Anwendung österreichischen Rechts ist daher die Sachverhaltsgleichstellung nach der VO 883/2004 zu beachten.
[21] 2.3.1. Vor Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004 sah Art 61 Abs 5 VO 1408/71 eine Gleichstellung von früher, nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats eingetretenen oder festgestellten Arbeitsunfällen ausdrücklich vor, soweit dies nach nationalem Recht bei der Bemessung des Grades der Erwerbsminderung, der Begründung des Leistungsanspruchs oder der Festsetzung des Leistungsbetrags vorgesehen war. Diese Bestimmung wollte dem Arbeitnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat Opfer eines Arbeitsunfalls wurde, die gleiche Behandlung zukommen lassen wie dem Arbeitnehmer, der sich in gleicher Lage befindet und den Mitgliedsstaat des zuständigen Trägers nicht verlassen hat (EuGH C‑173/78 , C‑174/78 , ECLI:EU:C:1979:134, Villano und Barion). Anders als im Fall später nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats eingetretenen oder festgestellten Arbeitsunfällen nach Art 61 Abs 6 VO 1408/71 (s dazu unten Punkt 2.3.3) verlangte Art 61 Abs 5 VO 1408/71 nicht, dass aus einem Versicherungsfall nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats kein Leistungsanspruch bestand.
[22] 2.3.2. Diese Rechtsfolge des vormaligen Art 61 Abs 5 VO 1408/71 leitet sich nunmehr aus Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 ab (Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht8 Art 40 VO 883/2004 Rz 4). Das Gebot der Tatbestandsgleichstellung nach Art 5 VO 883/2004 bedeutet, dass jeder Mitgliedstaat (bzw dessen zuständiger Träger) bei der Anwendung und Auslegung des eigenen Rechts der sozialen Sicherheit die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats verwirklichten Rechtstatbestände oder die in einem anderen Mitgliedstaat verwirklichten Sachverhalte berücksichtigt, als hätten sich diese nach den eigenen Rechtsvorschriften oder auf dem eigenen Staatsgebiet ereignet, sofern es sich um gleichartige Verhältnisse oder entsprechende Sachverhalte handelt. Wenn daher nach den nationalen Bestimmungen frühere Versicherungsfälle Einfluss auf die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die Begründung eines Leistungsanspruchs oder die Leistungshöhe haben, müssen diese Arbeitsunfälle aus anderen Mitgliedstaaten – an sich uneingeschränkt (Spiegel in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm Vor § 210 ASVG Rz 11) – berücksichtigt werden (Stockinger, Europäische Union und gesetzliche Unfallversicherung, SozSi 2019, 450 [454]). Dementsprechend sieht auch Art 39 lit a der Durchführungsverordnung VO 987/2009 vor, dass der zuständige Träger in den dort genannten Fällen den durch den früheren Arbeitsunfall verursachten Grad der Erwerbsminderung für die Begründung des Anspruchs und die Festsetzung des Leistungsbetrags nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zu berücksichtigen hat.
[23] 2.3.3. Demgegenüber sieht Art 40 Abs 3 VO (EG) 883/2004 (bzw sah früher Art 61 Abs 6 VO 1408/71 ) für nachträglich nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats eingetretene Versicherungsfälle eine Gleichstellung nur unter der Einschränkung vor, dass weder der (nach dem anwendbaren Recht zu beurteilende) frühere Arbeitsunfall einen Leistungsanspruch auslöste noch aufgrund des (nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats zu beurteilenden) späteren Arbeitsunfalls ein Leistungsanspruch besteht. Diese Regelung ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil es nicht um einen solchen nachträglich eingetretenen „fremden“ Versicherungsfall geht, macht aber deutlich, dass bei der Frage der Behandlung früherer Arbeitsunfälle im Umkehrschluss nicht zu prüfen ist, ob ein Leistungsanspruch für die einzelnen Versicherungsfälle nach dem jeweils anwendbaren Recht bestünde.
[24] 2.3.4. Der (frühere) Arbeitsunfall des Klägers vom 16. Mai 2014 ist daher grundsätzlich für die Begründung eines Leistungsanspruchs (mit) zu berücksichtigen, auch wenn der Kläger damals nach dem deutschen SGB VII versichert war. Dass § 210 Abs 1 ASVG (auch) beim früheren Arbeitsunfall voraussetzt, dass dieser dem ASVG unterlag, schadet aufgrund der Sachverhaltsgleichstellung nicht, wenn das aufgrund des damaligen Beschäftigungsorts des Klägers dem SGB VII unterlegene Dienstverhältnis – als anspruchsbegründender Sachverhalt – bei einem Beschäftigungsort im Inland (§ 3 ASVG) dem ASVG zu unterstellen gewesen wäre (aA Stockinger, SozSi 2019, 454). Das von der Beklagten vertretene gegenteilige Ergebnis würde es einem Mitgliedstaat ermöglichen, das Gleichstellungsgebot des Art 5 VO (EG) 883/2004 auszuhebeln, indem auf eine Beschäftigung im Inland abgestellt wird.
2.3.5. Das Argument der Beklagten, dass damit ein „fremder“ Versicherungsfall zu entschädigen sei, obwohl „für diesen Unfall“ keine Beiträge (in Österreich) geleistet worden seien, vermag an der insofern klaren Rechtslage nichts zu ändern, die eine vergleichbare Prüfung vorsieht (vgl EuGH Rs C‑523/13 , Larcher, Rn 52 ff). Auch die von der Beklagten angeführte Regelung des Art 40 Abs 3 VO (EG) 883/2004 zeigt, dass der Unionsgesetzgeber „fremde“ Versicherungsfälle wie eigene behandelt wissen wollte, und zwar unabhängig von einer Beitragsleistung in einem der beiden Mitgliedstaaten. Der zuständige Träger muss bei der Berechnung einer Geldleistung nach Art 21 VO (EG) 883/2004 Vorversicherungszeiten und Entgelte in anderen Mitgliedstaaten vielmehr grundsätzlich anerkennen (Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht8 Art 21 VO [EG] 883/2004 Rz 28); Ausnahmen dazu ergeben sich aus Art 21 Abs 2 bis 4 VO (EG) 883/2004 (nur) für die Berücksichtigung ausländischer Erwerbseinkommen, Beitragsgrundlagen oder Bezugszeiträume, was bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach den §§ 178 ff ASVG, nicht aber bei der hier relevanten Frage der Bemessung der Minderung der Erwerbstätigkeit bzw der Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG eine Rolle spielt. Die Sichtweise der Beklagten würde demgegenüber dazu führen, dass ausländische Versicherungsfälle, für die im Inland keine Beiträge gezahlt wurden, nicht berücksichtigt werden könnten, und würde damit letztlich gegen jegliche Gleichstellung nach Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 sprechen, insbesondere auch gegen die – von der Beklagten aber befürwortete – Gewährung einer Stützrente nach § 210 Abs 3 ASVG. Eine solche Auslegung, die das Gleichstellungsgebot letztlich unanwendbar macht, verbietet sich jedoch.
[25] 2.3.6. Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass eine Entschädigungsverpflichtung des Mitgliedsstaats, nach dessen Recht der frühere Versicherungsfall zu beurteilen war, für diesen Versicherungsfall in der VO (EG) 883/2004 nicht ausgeschlossen wird. Die von der Beklagten im Rekurs herangezogenen Regelungen im Pensionsversicherungsrecht sind im vorliegenden Fall allerdings nicht einschlägig. Der Frage, ob nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats ein Leistungsanspruch in der Unfallversicherung besteht, kann im Rahmen des Art 40 Abs 3 VO (EG) 883/2004 Bedeutung zukommen (oben Pkt 2.3.3.), der hier aber nicht zur Anwendung gelangt. Dass im Fall des Klägers aufgrund der Sachverhaltsgleichstellung gleichartige Leistungen zusammentreffen, was Gegenstand des Art 10 VO (EG) 883/2004 wäre, ist im Verfahren nicht hervorgekommen (der deutsche Träger verneinte einen auf § 56 dSGB VII gestützten Leistungsanspruch des Klägers für den Versicherungsunfall vom 16. Mai 2014). Die Frage, welchen Einfluss eine Entschädigungspflicht des anderen Mitgliedstaats für den gleichen Arbeitsunfall auf den hier strittigen österreichischen Anspruch hätte, stellt sich daher nicht.
[26] 2.3.7. Die Befürchtung der Beklagten, die Gleichstellung des „fremden“ Versicherungsfalls könnte sich auch auf andere Leistungen (insbesondere Sachleistungen) erstrecken, ist nicht berechtigt. Die Koordinierung (und allfällige Erstattung) von anderen Leistungen, insbesondere Sachleistungen richtet sich nach eigenen Regeln, die hier nicht gegenständlich sind.
[27] 2.3.8. Dieses Ergebnis diskriminiert – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – österreichische Versicherte, die nicht dem ASVG unterliegen, auch nicht gegenüber ausländischen Versicherten, weil auch ausländische Versicherte nur unter der Voraussetzung gleichgestellt werden, dass sie einer dem ASVG gleichartigen Versicherung unterliegen. Die Berücksichtigung „fremder“ Versicherungsfälle verhindert vielmehr eine Diskriminierung bloß aufgrund der Tatsache, dass eine Person die Dienstnehmerfreizügigkeit in Anspruch genommen hat und einen Arbeitsunfall im Rahmen eines nicht dem österreichischen ASVG unterliegenden Versicherungs-verhältnisses erlitt.
[28] 3. Dem Berufungsgericht ist somit darin zu folgen, dass die aufgrund des Arbeitsunfalls vom 16. Mai 2014 verbliebene Minderung der Erwerbsfähigkeit dann bei der Bemessung einer Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG zu berücksichtigen ist, wenn sich dieser Arbeitsunfall im Rahmen einer Beschäftigung ereignete, die – wäre sie im Inland (§ 3 ASVG) ausgeübt worden – dem ASVG unterlegen wäre. Die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht ist somit nicht zu beanstanden. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz, sodass er nicht überprüfen kann, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (RS0042179; RS0043414).
[29] 4. Dem Rekurs der Beklagten ist daher ein Erfolg zu versagen.
[30] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50, 52 ZPO iVm § 2 ASGG.
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