OGH 10ObS71/97g

OGH10ObS71/97g18.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Zeitler und Dr.Michael Braun (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst St*****, vertreten durch Dr.Heinz Wechsler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1053 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Bachmann & Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.November 1996, GZ 7 Rs 288/96s-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25.Juni 1996, GZ 2 Cgs 134/95z-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 11.12.1941 geborene Kläger war nach Ausbildung zum Industrie- und Bürokaufmann in den letzten fünf Jahren als Taxiunternehmer ohne Beschäftigte in Wien tätig. Nach seinem medizinischen Leistungskalkül ist er nur mehr für leichte und mittelschwere Arbeiten ohne kniende Position, ohne schwere Hebe- und Trageleistungen in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen geeignet. Die Hebe- und Trageleistungen sind auch gelegentlich mit bis zu 25 kg beschränkt. Er ist in der Lage, alle geistigen Arbeiten der Ausbildung gemäß bei jeglichem Zeitdruck auszuüben. Handgeschicklichkeit und Fingerfertigkeit sind nicht beeinträchtigt. Die Anlernfähigkeit, Einordenbarkeit und Vermittelbarkeit sind gegeben. Die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt. Der Zustand besteht seit Antragstellung.

Mit diesen Leistungseinschränkungen ist der Kläger weiterhin in der Lage, als Taxiunternehmer ohne Beschäftigte tätig zu sein. Das medizinische Leistungskalkül ohne schwere Hebe- und Trageleistungen wird nicht überschritten, weil der Kläger in der Lage ist, fallweise kurzfristig bis zu 25 kg zu heben.

Mit dem bekämpften Bescheid vom 12.7.1995 wies die beklagte Partei seinen Antrag vom 8.3.1995 auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 132 GSVG ab.

In seiner Klage stellte er das Begehren, ihm ab dem Stichtag (1.4.1995) die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Das Erstgericht wies dieses Klagebegehren ab. Es traf die eingangs zusammengefaßt wiedergebenen Feststellungen und führte darüber hinaus aus, daß der Kläger Fuhren mit Gepäck ablehnen könne und es ihm durchaus möglich sei, nur Taxistandplätze anzufahren, weil er dort sofort sehe, ob jemand Gepäck hat oder nicht und Fuhren mit schwerem Gepäck ablehnen kann.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß beim Kläger die Voraussetzungen des § "193" (richtig: § 133) Abs 2 GSVG nicht erfüllt seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte hinsichtlich der Gewichtsbelastung und des Berufsanforderungsprofils eines Taxilenkers ergänzend (im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung) aus, es möge zwar sein, daß er im Einzelfall auch schweres Gepäck transportieren müsse, dies könne jedoch bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG keine Berücksichtigung finden. Daß der Kläger derartiges Gepäck nicht nur auszuladen, sondern bis an die Gehsteigkante bzw in den Hausflur zu transportieren habe, finde in der maßgeblichen Wiener Taxi-, Mietwagen- und Gästewagen-Betriebsordnung keine Deckung.

Rechtliche Beurteilung

Die auf die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte, gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige und von der beklagten Partei beantwortete Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

1. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO): Der Revisionswerber macht hierin nämlich nicht einen Widerspruch zwischen Feststellungen des Erstgerichtes und den Prozeßakten, sondern einen solchen zwischen den Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen einerseits und des orthopädisch-chirurgischen Sachverständigen andererseits geltend. Damit wird in Wirklichkeit die Beweiswürdigung des Erstgerichtes (samt der vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen desselben) bekämpft, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof im Revisionsverfahren entzogen ist (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 1 zu § 503).

2. Auch der weitere Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 503 Z 2 iVm § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO): Die Verletzung einer Anleitungspflicht (als Mangel in der Prozeßleitung), eine Ergänzung und Erweiterung der eingeholten Sachverständigengutachten sowie die Einholung einer Stellungnahme der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien, Sektion Verkehr, waren in der Berufung als Verfahrensmangel nicht geltend gemacht worden. Es entspricht der seit SSV-NF 1/68 ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates, daß Verfahrensmängel erster Instanz, die im Berufungsverfahren nicht gerügt wurden, im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden können (ebenso auch 10 ObS 217/95, 10 ObS 2367/96b uva).

3. An sich kann dann, wenn in der Berufung keine Rechtsrüge erstattet wurde (geltend gemacht war insoweit als Berufungsgrund lediglich "unrichtige Sachverhaltsfeststellung"), eine solche in der Revision nicht mehr nachgetragen werden (SSV-NF 1/28, 10 ObS 30/96, 10 ObS 2367/96b uam). Tatsächlich waren jedoch die Ausführungen in der Berufung inhaltlich (§ 84 Abs 2 ZPO) als Rechtsrüge zu werten und wurden daher auch vom Berufungsgericht - zutreffend - als solche behandelt. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist indes richtig, sodaß es gemäß § 48 ASGG grundsätzlich genügen kann, hierauf zu verweisen. Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers hiezu noch folgendes zu erwidern:

Nach den für den Obersten Gerichtshof maßgeblichen Feststellungen der Tatsacheninstanzen ist der Kläger bei der Beförderung (also in Ansehung des reinen Fahrbetriebs) als selbständiger Taxiunternehmer keinen Einschränkungen unterworfen. Insoweit ist damit kein (medizinisch indiziertes) Hindernis für die Erfüllung der im Bundesland Wien für das Taxi-Gewerbe in § 24 Abs 1 der Wiener Taxi-, Mietwagen- und Gästewagen-Betriebsordnung, LGBl 1993/71, statuierten grundsätzlichen Beförderungspflicht gegeben. Ob für die in diesem Zusammenhang vom Erstgericht angenommene (und bereits in der Berufung als Rechtsfrage bekämpfte) Möglichkeit, Personen (Fuhren) mit schwerem Gepäck abzulehnen, eine Rechtsgrundlage besteht, kann im vorliegenden Fall unerörtert bleiben. Der Revisionswerber entfernt sich nämlich diesbezüglich von den für den Obersten Gerichtshof allein relevanten Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes, wonach er sogar in der Lage ist, fallweise und kurzfristig auch Gepäckstücke bis zu 25 kg (allein) zu heben und insoweit Hebe- und Trageleistungen auch nur gelegentlich mit bis zu 25 kg beschränkt sind. Daß derartige Zusatzleistungen von einem Taxilenker ständig und permanent gefordert sind, ist lebensfremd und gerichtsbekanntermaßen (§ 269 ZPO) auszuschließen. Es besteht vielmehr keinerlei Hindernis, einem Fahrgast selbst, einer Begleitperson desselben oder etwa (zB bei Fahrten von oder zu einem Hotel) einem dort tätigen Portier udgl zuzumuten, ihrerseits mitzuhelfen, sollten tatsächlich überschwere Gepäckstücke vereinzelt von der Beförderungspflicht im Rahmen des Fahrbetriebes mitumfaßt sein. Sofern argumentiert wird, daß auch bei der ebenfalls im § 27 Abs 1 leg cit normierten Hilfestellung gegenüber älteren und körperlich behinderten Fahrgästen beim Ein- und Aussteigen "ein regelmäßig erforderlicher Kraftaufwand" von bis über 25 kg erforderlich sei, ist auch hiezu zu erwidern, daß derartige Transporte - im Gesamttagesablauf gesehen - keineswegs permanent zu erwarten sind und im übrigen dem Kläger auch diesbezüglich gelegentliche Hebeleistungen keineswegs vom medizinischen Leistungskalkül her versagt sind.

Daraus folgt - zusammenfassend -, daß die Annahme der Vorinstanzen, beim Kläger sei Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG zu verneinen, auf keiner rechtlichen Fehlbeurteilung beruht, weshalb seiner Revision ein Erfolg zu versagen war. Auf die in der Revisionsbeantwortung angeschnittenen Verweisungsberufe (eines Schulbusunternehmers, von Krankentransporten, Boten- und Zustelldiensten - vgl hiezu jüngst 10 ObS 73/97a) braucht damit nicht weiter eingegangen zu werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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