OGH 10ObS71/04w

OGH10ObS71/04w14.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Jörg Krainhöfner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gottfried Winkler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Ernst Eugen V*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. März 2004, GZ 7 Rs 5/04s-35, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 2. Dezember 1932 geborene Kläger wurde am 7. Mai 1971 bei einer Plasmaspende in der Spendenstelle der Firma S***** Gesellschaft mbH in Wien mit Hepatitis C infiziert. Der Kläger führte die Plasmaspende in seiner damaligen Funktion als Staatssekretär unter medialer Beteiligung durch. Zum Zweck der TV-Berichterstattung wurden Filmaufnahmen angefertigt.

Beim Kläger besteht eine chronische Hepatitis C mit derzeit niedriger entzündlicher Aktivität. Aus medizinischer Sicht bedingt die direkte Symptomatik der Hepatitis C eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH. Auf die chronische Lebererkrankung hat sich beim Kläger durch diese eine Autoimmunerkrankung in Form einer seronegativen primär-chronischen Polyarthritis aufgepfropft, weshalb die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit ab dem Erkrankungsausbruch im Anschluss an die Infektion durch die Plasmaspende bis zum heutigen Tag 60 vH beträgt. Der Zeitpunkt des Ausbruchs der Erkrankung ist mit dem Zeitpunkt der Infektion mit dem Hepatitis C-Virus durch die Plasmaspende 1971 gleichzusetzen.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2001 hat die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter die Plasmaspende vom 7. Mai 1971 gemäß § 90 B-KUVG als Dienstunfall anerkannt und dem Kläger aufgrund seines am 22. 2. 2000 bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt eingelangten Antrags ab diesem Tag eine Dauerrente im Ausmaß von 60 vH der Vollrente "einschließlich" Zusatzrente für Schwerversehrte gewährt. Als Bemessungsgrundlage zum 7. 5. 1971 wurde gemäß § 93 Abs 1 bis 4 B-KUVG der Betrag von 26.299 ATS (= 1.906,14 EUR) festgestellt. Im Hinblick auf die zwischenzeitige Erhöhung wurde festgehalten, dass die Bemessungsgrundlage ab 1. 1. 2001 100.284 ATS (= 7.287,92 EUR) beträgt und die Dauerrente ab 22. 2. 2000 eine monatliche Höhe von 47.192,60 ATS (= 3.429,62 EUR) und ab 1. 1. 2001 eine monatliche Höhe von 48.136,30 ATS (= 3.498,20 EUR) hat.

Das Erstgericht wiederholte im Wesentlichen den Inhalt des angefochtenen Bescheides und wies das auf Zuerkennung einer Versehrtenrente "im gesetzlichen Ausmaß, jedenfalls aber mehr als 60 vH" für die Folgen der Berufskrankheit, die er sich als Blutplasmaspender bei der Firma S***** GmbH in der Plasmapheresestelle in *****, zugezogen habe, unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage bezogen auf das Jahr 1973 gerichtete Klagemehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus: Der Unfallversicherungsschutz nach dem B-KUVG sei auf die Bedürfnisse der Versicherungsgruppe der Beamten zugeschnitten. Obwohl es entsprechend dem ASVG ausgerichtet sei, seien Abweichungen dort geboten, wo Vorfragen im öffentlich-rechtlichen Dienstrechte anders beantwortet werden als im Arbeitsrecht. Der Klarstellung halber betone der Gesetzgeber, dass der geschützte Lebensbereich in dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder in der die Versicherung begründenden Funktion zu erblicken sei. Ebenso wie § 175 ASVG enthalte § 90 B-KUVG in Abs 1 eine Generalklausel in Bezug auf Arbeitsunfälle und in Abs 2 eine Aufzählung weiterer Arbeitsunfälle, wobei die Bezugnahme auf häusliche Dienste, Deputate und Tätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft nicht übernommen worden sei, weil sie keine Bedeutung für den Geltungsbereich des B-KUVG habe. Wie § 176 ASVG regle § 91 B-KUVG Arbeits- bzw Dienstunfällen gleichgestellte Unfälle.

Die Unfallversicherung nach dem ASVG schütze zum einen ihre Versicherten vor den Gefahren, denen sie in ihrer Rolle als Erwerbstätige ausgesetzt seien, weiters Schüler und Studenten bei Schulbesuch und Studium, zum anderen Personen bei Handlungen im Fremdinteresse, wie Hilfeleistung in Notfällen, bei institutionalisierter Gefahrenhilfe und bei (freiwilligen) Blutspenden. Da bereits das ASVG den Schutz von Handlungen im Fremdinteresse umfassend geregelt gehabt habe, habe das B-KUVG grundsätzlich darauf verzichten und sich auf den Schutz der Erwerbstätigkeit seiner Versicherten an sich beschränken können. Auch das BSVG enthalte in § 148d keine korrespondierende Regelung. Daraus folge, dass eine regelwidrige Lücke im B-KUVG keineswegs vorliege, zumal öffentlich Bedienstete im Falle von Handlungen im Fremdinteresse in den Unfallversicherungsschutz des ASVG einbezogen seien.

Da der Kläger im Jahre 1971 unstrittig in seiner Funktion als Staatssekretär und nicht als Privatmann Blutplasma gespendet habe, könne kein Zweifel daran bestehen, dass er dies unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem B-KUVG getan habe. Wäre eine private Aktion des Klägers vorgelegen und wäre die durch seine Plasmaspende ausgelöste Hepatitis C nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG eine Berufskrankheit, wäre für seinen Standpunkt insofern nichts zu gewinnen, weil dann nicht die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, sondern die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt zuständiger Versicherungsträger wäre und seine Bemessungsgrundlage nach §§ 179, 181a, 182 ASVG mit der Höchstbeitragsgrundlage gedeckelt wäre.

Gesundheitsschädigungen durch Unfälle und Berufskrankheiten würden sich dadurch unterscheiden, dass Berufskrankheiten Konsequenzen längerdauernder gesundheitsschädigender Einwirkungen der Erwerbsarbeit seien, während Arbeitsunfälle punktuelle Ereignisse seien. Bei Berufskrankheiten sei daher der Nachweis des inneren Zusammenhangs mit der ausgeübten Tätigkeit sehr schwer zu erbringen. Daher habe sich der Gesetzgeber für die Enumerationsmethode entschieden und die abstrakten Berufskrankheiten in einer Liste zusammengefasst. Bei sämtlichen Formen der Infektionskrankheiten zeige sich eine strukturelle Überschneidung der Tatbestände von Arbeitsunfall und Berufskrankheit, weil diese durch ein zeitlich begrenztes Ereignis ausgelöst würden, weshalb sie auch als Arbeitsunfälle anzuerkennen seien. Da der konkrete Infektionsvorgang - anders als im vorliegenden Fall - nur selten beweisbar sei, habe der Gesetzgeber Infektionskrankheiten auf bestimmte Unternehmen beschränkt, um nicht die Unfallversicherung für praktisch jede Infektionskrankheit einstehen zu lassen. Sowohl aus § 177 Abs 1 ASVG als auch aus § 92 Abs 1 B-KUVG iVm lfdNr 38 der Anlage 1 zu § 177 ASVG ergebe sich, dass der Schutzbereich der Infektionskrankheiten nur jene Personen umfasse, die in den im Gesetz aufgezählten Unternehmen bzw Dienststellen tätig seien. Der Sinn der Nr 38 bestehe darin, jene Personen Schutz zu bieten, die aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in besonderen Ansteckungsgefahren schweben. Damit habe der Gesetzgeber jede Infektionskrankheit von Personen, die in nicht geschützten Unternehmen bzw Dienststätten arbeiten, ausgeschlossen. Da der Kläger weder seine Funktion als Staatssekretär in der Firma Seroplas ausgeübt noch seine Dienststätte in der Spendenstelle gehabt habe, könne schon aus diesem Grund seine Hepatitis C keine Berufskrankheit nach § 92 Abs 1 B-KUVG sein.

Letztlich wäre auch mit einer Berufskrankheit nach lfdNr 38 der Anlage 1 zu § 177 ASVG für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen, weil nach den Feststellungen der Beginn der Krankheit mit dem Beginn der rentenbegründenden Minderung der Erwerbsfähigkeit im Jahr 1971 zusammengefallen sei, weshalb es bei der Bemessungsgrundlage 1971 zu bleiben habe.

Gründe für eine Revisionszulassung seien nicht zu erkennen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, da es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Dienstunfall (§ 90 Abs 1 B-KUVG), Arbeitsunfall nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG und Berufskrankheit (§ 92 Abs 1 B-KUVG) im Zusammenhang mit einer Blutplasmaspende fehlt.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Grundsätzlich kann auf die zutreffenden Rechtsausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Der Kläger hat sich der Blutplasmaspende in seiner Funktion als Staatssekretär unterzogen. Dass daraus einerseits der Schluss gezogen werden müsse, dass ein Dienstunfall nicht vorliege, und andererseits, dass ein Anspruch bestehe, "dass die Hepatitis C in analoger Anwendung des § 176 Abs 1 Z 2 als Berufskrankheit festzustellen" sei, ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes gerade nicht richtig.

Als Unfall ist ganz allgemein ein zeitlich begrenztes Ereignis anzusehen, das zu einer Körperschädigung geführt hat (10 ObS 123/88 = SSV-NF 2/112 = ZAS 1990/8, Tomandl; 10 ObS 150/94 = SSV-NF 9/17; 10 ObS 224/98h = SZ 71/107 = SSV-NF 12/89; Tomandl in Tomandl, SV-System 13. ErgLfg 271 mwN in FN 18). Das schadensstiftende Ereignis muss nicht unbedingt ein mechanischer Vorgang sein, sondern kann - wie bei Krankheiten - auch ein chemo-physikalischer Vorgang sein (R. Müller, Herzinfarkt als Arbeitsunfall, DRdA 1998, 335 [Anmerkung zu 10 ObS 325/97k, DRdA 1998/35]). In diesem Sinn kann auch ein Insektenstich während der Arbeit oder ein Biss durch einen tollwütigen Hund einen Arbeitsunfall darstellen, wenn durch die Einwirkung eine Gesundheitsschädigung hervorgerufen wird (Brackmann/Krasney, SGB VII § 8 Rz 15).

Das Berufungsgericht hat die Abgrenzung zwischen einem Dienstunfall und einer Handlung im Fremdinteresse gemäß § 176 Abs 1 Z 2 ASVG zutreffend vorgenommen und das Vorliegen eines Dienstunfalls bejaht. Auch wenn er für die Plasmaspende keine unmittelbare materielle Be- oder Entlohnung erhalten hat, hat der Kläger Blutplasma im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit und Ausübung seiner politischen Funktion als Regierungsmitglied, nicht als Privatperson gespendet, sodass er dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem B-KUVG unterliegt.

Der Kläger unterliegt damit dem für Dienstunfälle geltenden Regime der §§ 90 ff B-KUVG, nicht aber dem § 176 Abs 1 Z 2 ASVG, der auf Tätigkeiten abstellt, die von einer Person außerhalb ihrer Erwerbstätigkeit erbracht werden. Insofern besteht eine klare gesetzliche Abgrenzung, was sich auch darin zeigt, dass eine dem § 176 Abs 1 Z 2 ASVG vergleichbare Norm im B-KUVG entbehrlich ist. Es ist ausgeschlossen, durch Behaupten punktueller Lücken und darauf aufbauenden (wiederum nur punktuellen) systemübergreifenden Analogien zu einer Art Meistbegünstigung zu gelangen. Die Frage, wo sich die "Dienststätte" des Klägers (iSd § 92 Abs 1 B-KUVG) befunden hat, ist auf den angeführten Prämissen nicht von Belang.

Hinter diesen rechtlichen Erwägungen wird nicht übersehen, dass die Konsequenzen der seinerzeitigen Plasmaspende tragisch sind; sie können aber keinen Anlass für eine besondere, dem Sozialversicherungsrecht widersprechende Sonderbehandlung bilden.

Im Hinblick auf die eindeutige Gesetzeslage ist der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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