OGH 10ObS65/91

OGH10ObS65/9126.3.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Stefan (Arbeitgeber) und Peter Pulkrab (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Renate D*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Steflitsch, Rechtsanwalt in Oberwart, wider die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Gewährung von Wochengeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Oktober 1990, GZ 32 Rs 170/90-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6.April 1990, GZ 16 Cgs 908/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Rechtsmittelkosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin, die als Dienstnehmerin in der Krankenversicherung pflichtversichert war, bezog nach der Geburt ihres ersten Kindes am 12.3.1988 zunächst Wochengeld und dann bis zum 12.3.1989 Karenzurlaubsgeld gemäß den §§ 26 ff AlVG in der Höhe von 150,80 S täglich. Am 18.8.1989 wurde sie von einem weiteren Kind entbunden. Aus dem vom zuständigen Amtsarzt ausgestellten Zeugnis ergab sich, daß sie ab 1.3.1989 gemäß § 3 Abs 3 MSchG nicht mehr beschäftigt werden durfte, weil bei Fortdauer der Beschäftigung ihr Leben und ihre Gesundheit und das Leben und die Gesundheit ihres Kindes gefährdet gewesen wären. In der Zeit vom 13. bis 18.3.1989 verbrauchte die Klägerin einen Urlaub. Sie wurde deshalb von ihrem Arbeitgeber bei der beklagten Gebietskrankenkasse als Vollversicherte angemeldet und bezog während der angeführten Zeit ein Entgelt von 4.153,33 S brutto und 2.805,- S netto.

Die beklagte Partei gewährte der Klägerin ab 13.3.1989 ein Wochengeld von 271,44 S täglich, das sie gemäß § 41 Abs 1 letzter Satz AlVG in der Höhe des um 80 % erhöhten Karenzurlaubsgeldes berechnete.

Die Klägerin begehrte, die beklagte Partei zur Bezahlung eines höheren Wochengeldes schuldig zu erkennen, wobei sie unter Hinweis auf § 162 Abs 3 Satz 3 lit a und b ASVG die Meinung vertrat, daß das Wochengeld nicht auf Grund des Karenzurlaubsgeldes, sondern auf Grund jenes Arbeitsverdienstes berechnet werden müsse, den sie vor der Geburt des ersten Kindes bezog.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei unter Abweisung des Mehrbegehrens schuldig, der Klägerin für die Zeit vom 13.3. bis 13.10.1989 ein Wochengeld von 271,44 S täglich zu gewähren, und sprach aus, daß der Anspruch auf Wochengeld vom 13. bis 18.3.1989 (gemäß § 166 Abs 1 Z 3 ASVG) ruht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Beide Vorinstanzen vertraten unter Anwendung des § 162 Abs 3 ASVG die Meinung, daß für die Berechnung des der Klägerin gebührenden Wochengeldes das Karenzurlaubsgeld heranzuziehen sei, das sie in den letzten drei Kalendermonaten vor dem auf den 13.3.1989 fallenden Eintritt des Versicherungsfalles und somit in den Monaten Dezember 1988 sowie Jänner und Februar 1989 bezog.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs- oder Erstgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist rechtzeitig. Der Klägerin wurde auf Grund des Antrags, den sie nach Zustellung des Urteils des Erstgerichtes stellte, die Verfahrenshilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigegeben. Diesem wurde das Berufungsurteil am 22.10.1990 zugestellt. Obwohl der Rechtsanwalt nicht bloß für das Berufungsverfahren beigegeben wurde, beantragt die Klägerin in einem am 14.11.1990 zur Post gegebenen Schriftsatz neuerlich die Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Beigebung eines Rechtsanwalts. Dieser Antrag wurde vom Erstgericht bewilligt und das Urteil des Berufungsgerichtes wurde dem nunmehr beigegebenen Rechtsanwalt zugleich mit dem Bescheid über die Bestellung am 29.11.1990 zugestellt. Dieser Rechtsanwalt gab die Revision am 20.12.1990 zur Post.

Die erste Beigebung des Rechtsanwalts war zwar auch für das Revisionsverfahren wirksam (vgl EvBl 1961/407; EvBl 1963/364; RZ 1968, 109), zumal der hierüber ergangene Beschluß die in der Praxis oft vorkommende Einschränkung auf das Berufungsverfahren - über deren Zulässigkeit und Wirksamkeit hier nicht abzusprechen ist - nicht enthielt. Der Oberste Gerichtshof hat die Frage verschieden gelöst, wann die Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt, wenn einer Partei neuerlich ein Rechtsanwalt beigegeben wird, obwohl dies schon früher geschah und der früher beigegebene Rechtsanwalt noch zur Vertretung der Partei befugt ist. In den Entscheidungen 6 Ob 161/64 und RZ 1968, 109 wurde die Auffassung vertreten, daß durch die neue Beigebung eines Rechtsanwalts keine neue Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt werde. In den Entscheidungen 8 Ob 182/70, 8 Ob 14/71 und 1 Ob 194-196/71 heißt es hingegen, daß die Bestellung eines neuen Vertreters zwar nicht dem Gesetz entspreche, daß sie aber doch "als Tatsache" hingenommen werden müsse, weshalb die Rechtsmittelfrist gemäß § 464 Abs 3 ZPO (in der damals noch anzuwendenden, im wesentlichen aber unverändert gebliebenen Fassung vor dem VerfahrenshilfeG BGBl 1973/569) mit der Zustellung der Entscheidung an den neuen Rechtsanwalt zu laufen beginne.

Nach Ansicht des erkennenden Senates ist der zweiten Meinung der Vorzug zu geben, weil sie besser dem Wortlaut des § 464 Abs 3 ZPO entspricht. Daraus ist nämlich abzuleiten, daß grundsätzlich jeder Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts die Wirkung der Unterbrechung der Rechtsmittelfrist hat. Die Erwägungen, die den Obersten Gerichtshof in der Entscheidung RZ 1987/9 veranlaßt haben, eine neue Unterbrechung abzulehnen, wenn ein früherer Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts rechtskräftig abgewiesen wurde, treffen hier nicht zu. Die Partei kann zwar auch in dem hier erörterten Fall dadurch den Ablauf der Rechtsmittelfrist ungerechtfertigt hinausschieben, daß sie neuerlich die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt. Dies kann sie aber auch in anderen Fällen, also etwa auch dann, wenn der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Hinblick auf ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse als aussichtslos anzusehen ist. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, daß der Ablauf der Rechtsmittelfrist durch einen ungerechtfertigten Antrag verzögert wird, offensichtlich in Kauf genommen.

Da dem zweiten Rechtsanwalt, der der Klägerin im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegeben wurde, der Bescheid über die Bestellung und die schriftliche Ausfertigung des Berufungsurteils am 29.11.1990 zugestellt wurden, begann die Frist für die Revision der Klägerin somit gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 464 Abs 3 ZPO an diesem Tag und ihre Revision wurde deshalb noch fristgerecht erhoben.

Die Revision ist auch berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in der bisher nicht veröffentlichten Entscheidung vom 23.10.1990, 10 Ob S 216/90, ausführlich mit der Höhe des Wochengeldes bei einem individuellen Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 3 MSchG auseinandergesetzt und dort ebenso wie schon in der Entscheidung SSV-NF 4/19 die in der Revision vertretene Meinung, es müsse in einem solchen Fall die im § 162 Abs 3 Satz 3 lit a und b ASVG getroffene Sonderregelung angewendet werden, abgelehnt. Er hat darin aber ferner die Ansicht vertreten, daß der im § 162 Abs 3 ASVG festgelegte Beobachtungszeitraum von 13 Wochen oder drei Kalendermonaten auch bei einem individuellen Beschäftigungsverbot vom Beginn der Schutzfrist von acht Wochen an zurückzurechnen ist, wobei, soweit die Versicherte in dieser Zeit kein Entgelt bezieht, von jenem Arbeitsverdienst auszugehen ist, auf den sie Anspruch gehabt hätte. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird unter Hinweis auf den im § 15a OGHG idF BGBl 1991/20 festgelegten Anspruch, Abdrucke hievon zu erhalten, hingewiesen.

Der Sachverhalt, der der angeführten Entscheidung zugrundelag, unterschied sich von dem hier zu beurteilenden allerdings insofern, als die Versicherte damals vor Beginn des individuellen Beschäftigungsverbotes durch etwas mehr als einen Monat die die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung tatsächlich ausübte. Dieser Unterschied ist jedoch aus folgenden Gründen nicht wesentlich:

Wie schon in der Entscheidung 10 Ob S 216/90 hervorgehoben wurde, darf die Versicherte durch das individuelle Beschäftigungsverbot nicht schlechter gestellt werden soll als eine Versicherte, deren Anspruch auf Wochengeld nur während des generellen Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 1 MSchG besteht. Unter diesem Gesichtspunkt ist es für die Höhe des Wochengeldes ohne Bedeutung, wenn die Versicherte wegen des individuellen Beschäftigungsverbotes die Beschäftigung nach Ende des Karenzurlaubs nicht wieder aufnehmen konnte, solange nur feststeht, daß dies ohne das Beschäftigungsverbot geschehen wäre. Ihr Anspruch auf Wochengeld für die Zeit nach Ende des Karenzurlaubs richtet sich in einem solchen Fall nach der Höhe des Entgelts, das sie in dem von Beginn der achtwöchigen Schutzfrist an zurückzurechnenden Beobachtungszeitraum von 13 Wochen oder drei Kalendermonaten voraussichtlich bezogen hätte, was bedeutet, daß sich auch ein zunächst gemäß § 41 Abs 1 AlVG mit 180 % des Karenzurlaubsgeldes zu berechnendes Wochengeld entsprechend ändert. Schon die Vorinstanzen haben daher zutreffend den Anspruch der Klägerin aufgrund des § 162 Abs 3 ASVG beurteilt, weil er die Zeit nach dem Ende des Karenzurlaubes betrifft. Dabei muß nicht erörtert werden, welche Bedeutung es im Hinblick auf § 40 Abs 1 AlVG auf die Verpflichtung der beklagten Partei zur Leistung des Wochengeldes hat, daß der Beginn des Beschäftigungsverbotes in den Karenzurlaub fiel, und auch nicht, wann der Versicherungsfall eintrat, weil die beklagte Partei die passive Klagelegitimation nicht bestritt.

Hier ist mangels gegenteiliger Verfahrensergebnisse davon auszugehen, daß die Klägerin ohne das Beschäftigungsverbot ihre Beschäftigung nach dem Ende des Karenzurlaubs wieder aufgenommen hätte, zumal sie von ihrem Dienstgeber wieder als Vollversicherte angemeldet wurde.

Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren daher Feststellungen darüber zu treffen haben, welches Entgelt ihr in dem auf die dargestellte Art errechneten Beobachtungszeitraum gebührt hätte, wenn sie ihrer Beschäftigung nachgegangen wäre, und welche gesetzlichen Abzüge hievon vorzunehmen gewesen wären.

Der Ausspruch über die Rechtsmittelkosten beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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