OGH 10ObS65/14b

OGH10ObS65/14b17.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger und Mag. Claudia Gründel (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. H*****, vertreten durch MMag. Johannes Pfeifer, Rechtsanwalt in Liezen, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65‑67, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 20. Februar 2014, GZ 6 Rs 20/14d‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00065.14B.0617.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG haben in Streitsachen unter anderem nach dem GSVG alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber anzugehören. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung auch für Sozialrechtssachen, die Angelegenheiten der Unfallversicherung der gewerblich selbstständig tätigen Personen betreffen (RIS‑Justiz RS0085526). Dagegen hat das Erstgericht verstoßen, weil dem erkennenden Senat ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehörte, was die Entscheidung nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO nichtig macht (RIS‑Justiz RS0042176). Gemäß § 37 Abs 1 ASGG ist aber § 260 Abs 4 ZPO sinngemäß anzuwenden, wenn die Parteien zur Zeit des Verstoßes durch qualifizierte Personen (§ 40 Abs 1 ASGG) vertreten waren. Eine unrichtige Senatsbesetzung kann daher nicht mehr berücksichtigt werden, wenn die Parteien zur Zeit des Verstoßes qualifiziert vertreten waren und sich in die Verhandlung zur Hauptsache eingelassen haben, ohne diesen Umstand geltend zu machen (RIS‑Justiz RS0085526 [T1]). Da die Klägerin im Verfahren erster Instanz in der mündlichen Streitverhandlung durch einen Rechtsanwalt und damit durch eine qualifizierte Person (§ 40 Abs 1 Z 1 ASGG) vertreten war, ist die in der unrichtigen Senatsbesetzung gelegene Nichtigkeit geheilt. Ist die unrichtige Senatsbesetzung nicht mehr zu berücksichtigen, zeigt die Revisionwerberin mit ihrem Vorbringen, das Berufungsgericht habe nicht erkannt, dass das Erstgericht infolge der unrichtigen Zusammensetzung des Senats nicht über die nötige berufliche Erfahrung und Fachkenntnis verfügt habe, um die Frage der Einholung weiterer Gutachten sowie die Schlüssigkeit des Gutachtens richtig zu beurteilen, keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

2. Mittels Rechtsrüge sind Gutachtensergebnisse nur bekämpfbar, wenn dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze, (sonstige) Erfahrungssätze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0043404; RS0043168). In ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin aber nur geltend, der Schluss des Sachverständigen, die Kalkeinlagerungen und zystischen Entwicklungen im Ansatz der Sehne im Schulterbereich seien bei ihr Folge der degenerativen Veränderungen im Bereich der Rotatorenmanschette, sei nicht überzeugend, weil sie zum Unfallszeitpunkt erst 38 Jahre alt gewesen sei, sich in sonst gutem allgemeinen Gesundheitszustand befinde und eine gesicherte Korrelation zwischen degenerativen Rotatorenmanschettenrupturen und steigendem Lebensalter nicht existiere. Nicht überzeugend seien auch die weiteren Schlussfolgerungen des Sachverständigen, nach denen die Gefühlsstörungen im Bereich der rechten Hand und die Veränderungen der Rotatorenmanschette degenerativ bedingt seien. Mit diesen Ausführungen wird aber weder ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze im Sinne einer unlogischen Widersprüchlichkeit des Gutachtens (10 ObS 135/94), noch ein Widerspruch gegen zwingende Gesetze sprachlichen Ausdrucks aufgezeigt. Beschränkt sich der Sachverständige im Rahmen seiner Erkenntnisquellen und Schlussfolgerungen ‑ wie hier ‑ auf die Beurteilung naturwissenschaftlicher, medizinischer Fragen, so liegt darin kein Verstoß gegen die Denkgesetze (RIS‑Justiz RS0043168 [T6]). Die Revisionsausführungen der Klägerin stellen sich inhaltlich vielmehr als unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung der Vorinstanzen dar. Das Berufungsgericht hat die Beweiswürdigung des Erstgerichts mit nachvollziehbaren Überlegungen geprüft. Es liegt daher auch insoweit keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor.

2. Besondere Situationen können im Einzelfall eine Abweichung von der medizinischen Minderung der Erwerbsfähigkeit und die angemessene Berücksichtigung der Ausbildung und des bisherigen Berufs zur Vermeidung unbilliger Härten rechtfertigen (RIS‑Justiz RS0043587). Ein Härtefall liegt aber nur vor, wenn den Versicherten infolge der Aufgabe oder erheblichen Einschränkung der bisherigen Tätigkeit beträchtliche Nachteile in finanziell-wirtschaftlicher Hinsicht treffen und eine Umstellung auf andere Tätigkeiten unmöglich ist oder ganz erheblich schwerfällt. Im Interesse der Vermeidung einer zu starken Annäherung an konkrete Schadensberechnung ist der Maßstab der Rechtsprechung aber streng und macht die Anwendung der Härteklausel zu einer Ausnahme (RIS‑Justiz RS0086442 [T1]). Selbst die Unmöglichkeit den bisherigen Beruf weiter auszuüben, stellt für sich allein noch kein Kriterium eines Härtefalls dar (RIS‑Justiz RS0086439).

Mit diesen Grundsätzen der Rechtsprechung steht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Einklang, die Klägerin habe eine von der durchschnittlichen Betrachtungsweise abweichende, besondere Situation, die eine Beurteilung als Härtefall rechtfertigen könnten, gar nicht vorgebracht. Auch mit ihrem nunmehr in der Revision erstatteten Vorbringen, „de facto“ könne sie ihren Beruf als Physiotherapeutin durch die Einschränkungen in der rechten Schulter und der rechten Gebrauchshand nicht mehr ausüben, weshalb sie „durch die Aufgabe oder erhebliche Einschränkung ihrer bisherigen Tätigkeit beträchtliche finanzielle Nachteile erleide“, macht sie keine Umstände geltend, die eine Anwendung der Härteklausel erforderlich machen könnten.

Mangels erheblicher, für die Entscheidung des Verfahrens relevanter Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

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