European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00059.16Y.0628.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der 1965 geborene Kläger leidet infolge von Komplikationen bei der Geburt an einer hochgradigen, links betonten spastischen Tetraparese mit Sprachstörung.
Mit Bescheid vom 16. 7. 2015 entzog die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern die dem Kläger über das 18. Lebensjahr hinaus gewährte Waisenpension mit Ablauf des Kalendermonats August 2015 mit der Begründung, dass nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchung eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers nicht mehr gegeben sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Weitergewährung der Waisenpension gerichtete Klage mit dem Vorbringen, der Kläger sei seit seiner Geburt erwerbsunfähig. Gegenüber dem körperlichen Zustand bei Gewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus sei keine Veränderung eingetreten. Die Tatsache, dass er seit November 1997 laufend Einkünfte aus einem Beschäftigungsverhältnis beziehe, ändere nichts am Fehlen einer Erwerbschance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Seine Beschäftigung sei nur auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers infolge nachbarschaftlicher Bekanntschaft und des Verkaufs einer Liegenschaft zurückzuführen. Am allgemeinen Arbeitsmarkt wäre er nicht in der Lage, das aktuell monatlich bezogene Einkommen zu erzielen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, anlässlich einer Nachuntersuchung im Juni 2015 sei festgestellt worden, dass der Kläger nunmehr wieder ganztägig leichte Arbeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Im Vergleich zum Zustand im Zeitpunkt der Weitergewährung der Waisenpension sei eine wesentliche Besserung eingetreten. Da der Kläger nicht mehr infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig iSd § 124 BSVG sei, sei die Waisenpension gemäß § 63 BSVG zu entziehen gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:
„Der Kläger stand zum Zeitpunkt der Weitergewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus beim Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung (somit am „zweiten Arbeitsmarkt“) in einem Beschäftigungsverhältnis. Seit 3. November 1997 ist er am allgemeinen Arbeitsmarkt in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis als Angestellter (Bürokaufmann) berufstätig. Er bezieht aktuell ein monatliches Gehalt von EUR 3.078 brutto, dies entspricht monatlich EUR 2.014,07 netto 14mal jährlich. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Der Kläger erledigt am Computer die Dokumentation für die von seinem Dienstgeber verkauften Maschinen. Den Weg zu seinem Arbeitsort legt er mit seinem PKW selbst zurück.“
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, in Anbetracht des aufrechten Dienstverhältnisses und des erzielten Monatseinkommens liege beim Kläger keine Erwerbsunfähigkeit im Sinne der Bestimmung des § 119 Abs 2 Z 3 BSVG vor. Es entspreche dem Grundgedanken der Waisenpension, dass diese erst dann subsidiär zur Sicherung des Lebensunterhalts des Waisen herangezogen werden solle, wenn und solange dieser nicht durch den Waisen selbst gedeckt werden könne. Sei der Unterhalt durch eigene Einkünfte gesichert, sei eine Sicherung der Lebenshaltung in Form der Weitergewährung der Waisenpension nicht länger erforderlich und müsse wegfallen. Eine Klarstellung in dieser Hinsicht sei durch die am 1. 7. 2014 in Kraft getretene neue Bestimmung des § 119 Abs 3 BSVG durch die Novelle BGBl I 2014/56 erfolgt. Nach § 119 Abs 3 BSVG lebe die Kindeseigenschaft, die wegen Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit weggefallen sei, mit Beendigung dieser Erwerbstätigkeit wieder auf, wenn Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens weiterhin vorliege. Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung gehe der Gesetzgeber somit davon aus, dass für die Dauer der Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit der Anspruch auf Waisenpension „wegfalle“. Spätestens seit dieser Novellierung sei kein Platz mehr für die in Rechtsprechung und Lehre zum Teil vertretene Annahme, dass neben einem sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnis mit einem die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernden Einkommen auch eine Waisenpension wegen Erwerbsunfähigkeit über das 18. Lebensjahr hinaus parallel bezogen werden könne. Die Ansicht, der Begriff der Erwerbsunfähigkeit in § 119 Abs 2 Z 3 BSVG (§ 252 Abs 2 Z 3 ASVG) sei ausschließlich nach medizinischen Gesichtspunkten ohne Bedachtnahme darauf zu beurteilen, in welchem Umfang das Kind dennoch weiterhin Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit beziehe, sei abzulehnen. Stehe der Kläger seit 18 Jahren in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-verhältnis als Angestellter und beziehe ein Entgelt von monatlich 3.078 EUR brutto 14mal jährlich, komme es nicht darauf an, ob eine wesentliche Besserung des körperlichen oder geistigen Zustands als Voraussetzung für die Entziehung der Leistung eingetreten sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Rechtlich ging es davon aus, dass mangels einer Übergangsregelung die durch die Novelle BGBl I 2014/56 geschaffene neue Rechtslage für die Beurteilung der Kindeseigenschaft des Klägers bereits maßgeblich sei. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, § 119 Abs 3 BSVG gehe davon aus, dass bei Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Tätigkeit die Kindeseigenschaft wegfalle, sei zutreffend. Die Regelung verfolge den Zweck, die Kindeseigenschaft von Menschen mit Behinderungen nach gescheiterten Arbeitsversuchen wieder aufleben zu lassen. Medizinische Aspekte spielten bei der Erwerbsausübung nach dieser Bestimmung offenbar keine Rolle. Für den Wegfall der Kindeseigenschaft bei Ausübung einer pflichtversicherten Tätigkeit komme es nicht auf eine Änderung (Besserung) des Gesundheitszustands an, weil die Regelung einen durchgehenden Zustand der Erwerbsunfähigkeit wegen Krankheit oder Gebrechen („weiterhin vorliegt“) anspreche. Werde während eines Zustands der gesundheitlichen Erwerbsunfähigkeit dennoch eine pflichtversicherte Erwerbstätigkeit ausgeübt, falle die Kindeseigenschaft weg und lebe bei unverändertem Gesundheitszustand nach deren Aufgabe wieder auf. Dieses Verständnis des § 119 Abs 3 BSVG stehe im Einklang mit den generellen Bestrebungen der Sozialgesetzgebung, die Effizienz und Treffsicherheit von Sozialversicherungsleistungen zu steigern und nicht zu rechtfertigende Überversorgungen zu beseitigen. Der Parallelbezug einer Waisenpension neben einem – wie beim Kläger – überdurchschnittlichen Erwerbseinkommen sei auch mit dem abgeleiteten Unterhaltscharakter der Waisenpension nicht vereinbar.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Auslegung der Bestimmung des § 119 Abs 3 BSVG noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
In seiner Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, § 119 Abs 3 BSVG sei keineswegs so zu verstehen, dass bei Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit die Waisenpension ex lege und unabhängig vom Gesundheitszustand wegfallen würde. Durch die Einfügung des § 119 Abs 3 BSVG sollte vielmehr eine Absicherung und somit ein Anreiz für Behinderte geschaffen werden, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch eine verfassungsgemäße Interpretation spreche gegen das von den Vorinstanzen erzielte Auslegungsergebnis. Messe man dieser Regelung das von den Vorinstanzen vertretene Verständnis bei, so wäre ein schwerwiegender und plötzlicher Eingriff in erworbene Rechtspositionen gegeben, auf deren Bestand der Normunterworfene mit guten Gründen habe vertrauen können. Da keine Übergangsregelung bestehe, die zusätzliche Dispositionsmöglichkeiten einräume und das Gewicht des Eingriffs fühlbar mindern würde, wäre die Gesetzesänderung unverhältnismäßig und verstieße gegen den Vertrauensgrundsatz. Eine Entziehung der Waisenpension dürfe nur erfolgen, wenn sich zwischen dem Zeitpunkt ihrer Zuerkennung und dem Zeitpunkt ihrer Entziehung die Verhältnisse wesentlich geändert hätten, sodass keine Erwerbsunfähigkeit mehr gegeben sei.
Der erkennende Senat hat dazu erwogen:
1. Gemäß § 129 BSVG kommt nach dem Tod des Versicherten den Kindern im Sinne des § 119 Abs 1 Z 1 bis 4 und Abs 2 BSVG Anspruch auf Waisenpension zu. Während der Anspruch auf Waisenpension bis zum vollendeten 18. Lebensjahr an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist, setzt dieser Anspruch nach Vollendung des 18. Lebensjahres eine besondere Antragstellung voraus, weil geprüft werden muss, ob die besonderen Voraussetzungen nach § 119 Abs 2 BSVG vorliegen (§ 129 BSVG). Nach § 119 Abs 2 Z 1 BSVG kommt für die Verlängerung der Kindeseigenschaft vor allem eine die Arbeitskraft überwiegend beanspruchende Schul‑ oder Berufsausbildung in Betracht. Nach § 119 Abs 2 Z 3 BSVG besteht die Kindeseigenschaft nach der Vollendung des 18. Lebensjahres auch dann weiter, wenn und solange das Kind seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in Z 1 (Schul‑ oder Berufsausbildung) oder Z 2 (Teilnahme am Freiwilligen Sozialjahr, am Freiwilligen Umweltschutzjahr, am Gedenkdienst oder Friedens‑ oder Sozialdienst im Ausland nach dem Freiwilligengesetz) genannten Zeitraums infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist (vgl dazu auch die gleichlautenden Bestimmungen des § 252 Abs 2 Z 3 ASVG und § 128 Abs 2 Z 2 GSVG).
2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist erwerbsunfähig im Sinne des § 119 Abs 2 Z 3 BSVG und der angeführten Parallelbestimmung, wer infolge Krankheit oder Gebrechen nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen nennenswerten Verdienst zu erzielen (RIS‑Justiz RS0085536). Erwerbsunfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Gebrechen liegt vor, wenn jemand wegen des nicht nur vorübergehenden Zustands der körperlichen und geistigen Kräfte und nicht etwa nur wegen der ungünstigen Lage des Arbeitsmarkts oder wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen nennenswerten Erwerb zu erzielen (RIS‑Justiz RS0085536 [T2]; RS0085556). Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach der hier maßgeblichen Gesetzesstelle kommt es also darauf an, ob das Kind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einem Erwerb nachgehen kann (10 ObS 206/92, SSV‑NF 6/102).
2.2 Es muss aber auch noch eine weitere Voraussetzung erfüllt sein. Die Erwerbsunfähigkeit nach dieser Gesetzesstelle muss bereits vor den beiden genannten Zeitpunkten (Vollendung des 18. Lebensjahres oder Ablauf des in Z 1 und Z 2 genannten Zeitraums) eingetreten sein und über diese Zeitpunkte hinaus andauern. Die ständige Judikatur sieht die Absicht des Gesetzgebers darin, Versorgungsansprüche eines Kindes zu erhalten, nicht aber Versorgungsansprüche für Personen neu zu schaffen, die erst später ihre Erwerbsfähigkeit verloren haben. War im Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit die Kindeseigenschaft nicht mehr gegeben, so kann sie nicht wieder aufleben (RIS‑Justiz RS0113891).
2.3 Bürgerlich‑rechtliche Vorschriften über die Unterhaltsberechtigung eines Kindes sind zur Auslegung des Erwerbsunfähigkeitsbegriffs nicht heranzuziehen, weil das Gesetz bewusst die Kindeseigenschaft als Voraussetzung für die Waisenpension anders regelt (RIS‑Justiz RS0085546; RS0085159). Anders als nach dem ASVG, in dem bis zur 29. Novelle BGBl 1973/31 noch eine deutliche Annäherung an die zivilrechtliche Unterhaltsregelung erkennbar war (indem darauf abgestellt wurde, ob das Kind „wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen“), wurde der Begriff der Erwerbsunfähigkeit aufgrund Krankheit oder Gebrechens bereits in der Stammfassung des BSVG (BGBl 1978/559) im damaligen § 119 Abs 2 Z 2 BSVG eigenständig definiert.
2.4 Ausschlaggebend für den Begriff der Erwerbsunfähigkeit sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte, dies ohne Bedachtnahme darauf, ob und in welchem Umfang das Kind nicht dennoch – etwa auf Kosten seiner Gesundheit oder mit Hilfe anderer Personen – weiterhin ein Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit bezieht ( Panhölzl in SV‑Komm [119. Lfg] § 252 ASVG Rz 69 mwN; 10 ObS 206/92, SSV‑NF 6/102 ua; RIS‑Justiz RS0085536; vgl auch Schrammel in Tomandl , SV‑System [28. Erg.Lfg] 129 ff, wonach die Judikatur im Bereich der Angehörigeneigenschaft einen eigenständigen Erwerbsunfähigkeitsbegriff entwickelt habe, der mit dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Selbständigen nur den Namen gemeinsam habe und Erwerbsunfähigkeit im Zusammenhang mit der Angehörigeneigenschaft die infolge Ausfalls körperlicher oder geistiger Funktionen bestehende Unfähigkeit bedeute, durch Arbeit einen nennenswerten Verdienst zu erzielen).
2.5 Ist eine Erwerbstätigkeit demnach nur um den Preis möglich, dass dadurch der Leidenszustand negativ beeinflusst wird, oder unter der Voraussetzung, dass der Dienstgeber dem Erwerbstätigen über den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Rahmen hinaus entgegenkommt, so liegt dennoch Erwerbsunfähigkeit vor, wenn die Erwerbstätigkeit dem Versicherten unter Berücksichtigung seines Leidenszustands nicht zumutbar ist (Panhölzl in SV‑Komm [119. Lfg] § 252 ASVG Rz 70).
3. Im vorliegenden Fall ist aufgrund des beiderseitigen Parteivorbringens davon auszugehen, dass der Kläger im Zeitpunkt der Zuerkennung der Waisenpension erwerbsunfähig war. Dennoch hat er viele Jahre hindurch gleichzeitig Waisenpension und Arbeitsentgelt aus einer Berufstätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt bezogen, wobei dieser „Parallelbezug“ – seinem Standpunkt nach – darin begründet war und ist, dass bei ihm Erwerbsunfähigkeit aus medizinischer Sicht fortbestand (und weiterhin fortbesteht) und ihm die Ausübung seiner Berufstätigkeit nur infolge eines besonderen Entgegenkommens seines Arbeitgebers ermöglicht wird.
4.1 Am 1. 7. 2014 traten die durch das Bundesgesetz BGBl I 2014/56 vorgenommenen Änderungen des § 252 ASVG, § 128 GSVG und § 119 BSVG in Kraft. Dem § 119 BSVG wurde ein dritter Absatz angefügt, nach dem die Kindeseigenschaft nach § 119 Abs 2 Z 3 BSVG, die wegen Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit weggefallen ist, mit der Beendigung dieser Erwerbstätigkeit wieder auflebt, wenn Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens weiterhin vorliegt.
4.2 Da sich zu § 119 Abs 3 BSVG idF BGBl I 2014/56 keine Übergangsbestimmungen finden (§ 347 BSVG), ist diese Regelung für Stichtage ab dem 1. 7. 2014 – somit auch für den vorliegenden Fall – zur Anwendung zu bringen (RIS‑Justiz RS0031419).
4.3 In den Gesetzesmaterialien (AB 236 BlgNR 25. GP 1) wird zu § 119 Abs 3 BSVG (und das Parallelrecht) ausgeführt;
„Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten (Tageswerkstätten, fähigkeitsorientierte Arbeit, Beschäftigungs‑ und Arbeitstherapie) tätig werden, erhalten für ihre Tätigkeit lediglich ein Taschengeld; eine Pflichtversicherung in der Sozialversicherung wird dadurch nicht begründet. Aus diesem Grund besteht in solchen Fällen die Angehörigeneigenschaft nach § 252 Abs. 2 Z 3 ASVG samt Parallelrecht über das 18. Lebensjahr hinaus weiter; ein allfälliger Anspruch auf Waisenpension bleibt aufrecht. Problematisch ist, dass es bei Arbeitsversuchen am offenen Arbeitsmarkt zu einem Wegfall der Angehörigeneigenschaft kommt und eine solche bei Scheitern des Arbeitsversuches – trotz aller Bemühungen – nicht wieder auflebt. Lediglich im Bundesland Wien gibt es den ‚Arbeitskreis Rückversicherung‘, wonach bei einem gescheiterten Arbeitsversuch sowohl die erhöhte Familienbeihilfe als auch die Waisenpension wieder aufleben. Die vorgeschlagene Änderung soll sicherstellen, dass die wegen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in solchen Fällen beendete Kindeseigenschaft in weiterer Folge wieder auflebt, wenn die Voraussetzungen nach § 252 Abs. 2 Z 3 ASVG samt Parallelrecht, nämlich Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens, weiterhin vorliegen. Bei einer beendeten Erwerbstätigkeit knüpft das Wiederaufleben der Kindeseigenschaft an den Familienbeihilfenanspruch nach § 8 Abs. 5 letzter Satz des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 an (Erforderlichkeit einer aktuellen Bescheinigung der Selbsterhaltungsunfähigkeit). Die vorgeschlagene Regelung entspricht der Verwaltungspraxis der Pensionsversicherungsträger.“
Damit im Zusammenhang steht auch eine Novelle des FLAG (BGBl I 2014/53). Um die Befürchtungen nicht selbsterhaltungsfähiger behinderter Menschen auszuräumen, dass sie die erhöhte Familienbeihilfe dauerhaft verlieren könnten, sollte ein Arbeitsversuch am offenen Arbeitsmarkt scheitern, wurde mit Wirksamkeit ab 2. 8. 2014 gesetzlich klargestellt, dass auch dann, wenn das Einkommen über mehrere Jahre hinweg die Zuverdienstgrenze übersteigt, der Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe wieder auflebt, wenn das Einkommen wieder unter die Zuverdienstgrenze sinkt. Voraussetzung ist, dass das Sozialministeriumservice einmal die Erwerbsunfähigkeit als Dauerzustand festgestellt hat. Ein neuerliches Sachverständigengutachten ist nicht erforderlich. Zeiten, in denen die Einkommensgrenze überschritten wurde, gelten in diesem Fall als erfolgloser Arbeitsversuch ( Lindmayr , Änderung des ASVG ua – BGBl, ARD 6410/21/2014).
4.4.1 Im Schrifttum weist Sonntag in Sonntag , ASVG 6 § 252 Rz 30a unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien darauf hin, dass es bei Arbeitsversuchen von Menschen mit Behinderungen am offenen Arbeitsmarkt bisher zu einem Wegfall der Angehörigeneigenschaft gekommen sei und bei Scheitern des Arbeitsversuchs die Angehörigeneigenschaft nicht wieder auflebte. Dies werde ab 1. 7. 2014 durch die Neuregelung verhindert.
4.4.2 Panhölzl in SV‑Komm [119. Lfg] § 252 ASVG Rz 71 führt aus, dass durch die Novelle die Kindeseigenschaft nach Abs 2 Z 3, die wegen Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit weggefallen sei, mit Beendigung dieser Erwerbstätigkeit wieder auflebt, wenn Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens weiterhin vorliege. Mit dieser Anpassung sei die Härte beseitigt worden, dass selbst gescheiterte Arbeitsversuche – bei Fortbestehen der Erwerbsunfähigkeit – zum endgültigen Verlust einer Waisenpension führen können.
4.4.3 Ficzko/Schruf, Praxiskommentar zum GSVG [15. Lfg] § 128 GSVG, weisen darauf hin, dass der mit BGBl I 2014/56 erfolgten Gesetzesänderung eine Praxis der Pensionsversicherungsanstalt zugrunde liege, die von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in dieser Form nicht ausgeübt werde. Nach Auffassung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft sei bei Waisenpensionen ein Wegfall wegen Aufnahme einer pflichtversicherten Erwerbstätigkeit nicht vorgesehen. Es wäre lediglich eine Entziehung möglich, wenn Erwerbsunfähigkeit nicht mehr vorliege. Damit fehle der Anwendungsbereich für diese Regelung innerhalb der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft. Aus systematischen Gründen sei sie aber neben dem ASVG auch in die Sondergesetze aufgenommen worden.
4.4.4 Auch in Radner, BSVG³ [1. Lfg – 2016] § 119 Anm 13 wird darauf hingewiesen, dass nach der Praxis der Sozialversicherungsanstalt der Bauern von einem Ende der Kindeseigenschaft erst dann ausgegangen worden sei, wenn der Arbeitsversuch definitiv als gelungen angesehen werden konnte.
5. Dem von den Vorinstanzen erzielten Auslegungsergebnis, § 119 Abs 3 BSVG habe eine Änderung der Voraussetzungen der Kindeseigenschaft dahingehend bewirkt, dass diese mit der Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit in jedem Fall – unabhängig von der Besserung des Gesundheitszustands – wegfallen, kann aus folgenden Erwägungen nicht beigetreten werden:
5.1 Wie bereits dargelegt, liegt der Gesetzesänderung offenbar eine Praxis der Pensionsversicherungsanstalt zugrunde, wonach es bereits bei Arbeitsversuchen am offenen Arbeitsmarkt wegen der Aufnahme einer pflichtversicherten Erwerbstätigkeit zu einem Wegfall der Angehörigeneigenschaft und damit auch der Waisenpension gekommen ist und der Anspruch auf Waisenpension auch nach Scheitern des Arbeitsversuchs nicht wieder auflebte. Die vorgeschlagene Änderung soll daher nach den Ausführungen im Ausschussbericht (AB 236 BlgNR 25. GP 1) sicherstellen, dass die – nach der geschilderten Praxis der Pensionsversicherungsanstalt – wegen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in solchen Fällen beendete Kindeseigenschaft in weiterer Folge wieder auflebt, wenn die Voraussetzungen nach § 252 Abs 2 Z 3 ASVG (samt Parallelrecht), nämlich Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens, weiterhin vorliegen. Für den Versicherten soll daher durch die Regelung ein Anreiz geschaffen werden, sich in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren, ohne bei Scheitern seiner Bemühungen einen Verlust des Waisenpensionsanspruchs befürchten zu müssen.
5.2 Die Annahme der Vorinstanzen, der Gesetzgeber hätte mit der Bestimmung des § 119 Abs 3 BSVG angeordnet, dass die Waisenpension bei jeglicher Aufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit entfalle, findet weder im Gesetz selbst Deckung, noch lässt sie sich aus dem Ausschussbericht und der Antragsbegründung entnehmen. Mit der Bestimmung des § 119 Abs 3 BSVG wurden die in § 119 Abs 2 Z 3 BSVG für die Gewährung der Waisenpension allgemein vorgesehenen Voraussetzungen nicht geändert. Es wurde lediglich eine Klarstellung im Sinne der bereits von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft und der Sozialversicherungsanstalt der Bauern geübten Praxis getroffen, damit das Risiko eines Pensionsentzugs im Gefolge eines (gescheiterten) Arbeitsversuchs vermieden wird. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen steht auch im Widerspruch zu den zitierten Gesetzesmaterialien, aus denen sich eindeutig der Zweck ableiten lässt, Beziehern von Waisenpensionen vermehrten Schutz zu gewähren und Härten zu beseitigen. Ausgehend von diesem Schutzzweck kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, gleichzeitig die Ansprüche von Beziehern von Waisenpensionen wesentlich beschneiden zu wollen. Zutreffend weist der Revisionswerber weiters darauf hin, dass auch eine verfassungskonforme Interpretation gegen das von den Vorinstanzen erzielte Auslegungsergebnis spricht, weil ohne entsprechende Begründung und ohne Übergangsfrist ein schwerwiegender Eingriff in Pensionsansprüche erfolgen würde, auf deren Fortbestand deren Bezieher vertrauen durften.
6.1 Von dem hier zu beurteilenden Fall sind jene Sachverhalte zu unterscheiden, bei denen Erwerbsarbeit und Berufs‑ oder Schulausbildung nebeneinander bestehen (§ 119 Abs 2 Z 1 BSVG; § 252 Abs 2 Z 1 ASVG). Geht die Waise neben ihrer Schulausbildung einer Erwerbstätigkeit nach, ist das Verhältnis zwischen der Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung und der Beanspruchung durch die Erwerbstätigkeit maßgebend. Überwiegt die Inanspruchnahme durch die Erwerbstätigkeit, so fehlt es an der vom Gesetz geforderten überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung, sodass die Kindeseigenschaft zu verneinen ist. Dahinter steht die Wertung, dass die Arbeitskraft desjenigen, der sich einer ihn überwiegend beanspruchenden Schul‑ oder Berufsausbildung unterzieht, in der Regel so in Anspruch genommen ist, dass ihm eine die Selbsterhaltungsfähigkeit garantierende Berufstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Bei einer Vollzeitbeschäftigung im Rahmen einer 40‑Stunden-Woche kann daher ein daneben betriebenes Studium die Arbeitskraft nicht überwiegend in Anspruch nehmen (10 ObS 120/15t mwN) und führt deshalb zum Verlust des Anspruchs auf Waisenpension. Diese Rechtsprechung betrifft aber lediglich die Frage der Verlängerung der Kindeseigenschaft durch eine Berufs- bzw Schulausbildung und das Verhältnis zwischen der Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung und die Erwerbstätigkeit nach § 119 Abs 2 Z 1 BSVG, nicht aber den vorliegenden Fall einer Erwerbsunfähigkeit aufgrund Krankheit oder Gebrechens nach § 119 Abs 2 Z 3 BSVG.
6.2 Zu der Ansicht des Berufungsgerichts, ein Parallelbezug einer Waisenpension neben einem – im Fall des Klägers überdurchschnittlichen – Erwerbseinkommen sei auch mit dem abgeleiteten Unterhaltscharakter der Waisenpension nicht vereinbar, ist auszuführen, dass, wie bereits dargelegt, bürgerlich-rechtliche Vorschriften über die Unterhaltsberechtigung des Kindes zur Auslegung nicht heranzuziehen sind, weil das Gesetz bewusst die Kindeseigenschaft als Voraussetzung für die Waisenpension anders regelt (RIS-Justiz RS0085546). Die Bestimmung des § 119 Abs 2 Z 3 BSVG regelt die Verlängerung der Kindeseigenschaft nicht nach individuellen Bedürfnissen, sondern sehr formalisiert. Das Merkmal der Unterhaltsbedürftigkeit wird durch das Merkmal der Erwerbsunfähigkeit ersetzt (R. Müller, Richterliche Rechtsfortbildung im Leistungsrecht der Sozialversicherung, DRdA 1995, 465 [473]).
Für die Annahme eines Ruhens der Waisenpension beim Zusammentreffen mit Erwerbseinkommen für die Dauer der Erwerbstätigkeit bietet das Gesetz keine Grundlage. Auch in der durch das SRÄG 1991, BGBl 1991/157, aufgehobenen Bestimmung des § 57 BSVG war der Anspruch auf Waisenpension vom Ruhen des Pensionsanspruchs während der Erwerbstätigkeit ausgenommen. Diese Ausnahmebestimmung für Waisenpensionen war schon in der Stammfassung des ASVG mit der Begründung vorgesehen, dass in diesen Fällen vom Ruhen der Waisenpension Abstand genommen werden sollte, weil „offenbar nur kleine Verdienste in Betracht kämen“ (vgl 10 ObS 87/87, SSV-NF 1/39 mwN). Der Gesetzgeber hat sich jedenfalls bisher – anders als beispielsweise beim Anspruch auf Waisenversorgungsgenuss (vgl § 17 Abs 4 PG) – nicht veranlasst gesehen, eine Ruhensbestimmung für den Fall des Zusammentreffens einer Waisenpension mit einem Erwerbseinkommen einzuführen.
7. Auch nach der Novellierung des BSVG durch das BGBl I 2014/56 sind demnach für den Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 119 Abs 2 Z 3 BSVG ausschließlich medizinische Gesichtspunkte ausschlaggebend, dies ohne Bedachtnahme darauf, ob und in welchem Umfang das Kind nicht dennoch etwa auf Kosten seiner Gesundheit oder aufgrund eines besonderen Entgegenkommens seines Arbeitgebers weiterhin ein Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit bezieht.
Ausgehend von ihrer – vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten – Rechtsansicht haben die Vorinstanzen bisher im Verfahren die Frage, ob der Kläger – wie er vorbringt – weiterhin erwerbsunfähig im oben dargelegten Sinn ist oder ob er – wie die beklagte Partei behauptet – infolge Besserung seines Gesundheitszustands nunmehr in der Lage ist, leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, nicht geprüft. Dies wird im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen sein.
Die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen ist daher unumgänglich.
8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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