Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde mit Anfang Mai 1994 zum Leiter einer Bankzweigstelle im siebenten Wiener Gemeindebezirk bestellt. In dem Unternehmen war es üblich, daß neue Zweigstellenleiter anläßlich ihrer Einführung in ihre Position einen abendlichen Empfang für ausgewählte Kunden der Bank veranstalten. Die für den Empfang am 3.5.1994 erforderlichen Vorbereitungsarbeiten, insbesondere die Adaptierung und Dekoration der Räume und die Zubereitung eines Buffets wurden vom Kläger zusammen mit seiner Ehegattin und den Mitarbeitern der Zweigstelle am 2.5.1994 durchgeführt. Der Kläger fuhr mit seiner Ehegattin gegen 23.30 Uhr mit einem Taxi zu seiner Wohnung im fünften Wiener Bezirk, wobei er zwei Plastiksäcke mit Lebensmitteln für die Zubereitung von Salaten mit sich führte. Nach der Ankunft vor seinem Wohnhaus war der Kläger gerade im Begriff, die Eingangstüre seines Wohnhauses aufzusperren, als plötzlich ein Mann auf seine Frau zutrat, ein Messer gegen ihren Bauch richtete und "Money, money" sagte. Da die völlig überraschte Überfallene nicht sofort reagierte, riß ihr der Unbekannte die Handtasche von der Schulter und lief damit davon. Der Kläger, der mit dem Türschloß beschäftigt gewesen war, hatte den Unbekannten nicht herankommen gesehen, sondern wurde erst durch dessen Worte auf den Vorgang aufmerksam. Er zog erst den Schlüssel wieder ab und lief dann dem Täter nach. Nach 10 oder 12 m stolperte er über ein Hindernis auf dem Gehsteig und kam zu Sturz, wobei er sich Frakturen beider Schlüsselbeine und Serienrippenbrüche zuzog. Die Ermittlungen nach dem Täter blieben erfolglos.
Mit Bescheid vom 16.5.1995 lehnte die beklagte Partei die Gewährung einer Versehrtenrente an den Kläger für die Folgen des Unfalles vom 3.5.1994 mit der Begründung ab, daß dieses Ereignis nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfaßt gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Gewährung einer Versehrtenrente zu verpflichten. In der Tasche, die seiner Ehegattin geraubt worden sei, hätten sich auch die Schlüssel zur Bankfiliale befunden, so daß der Versuch, die Handtasche wiederzuerlangen in Zusammenhang mit der die Versicherungspflicht begründenden Erwerbstätigkeit gestanden sei.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es seiner Entscheidung zugrundelegte, daß nicht erwiesen sei, daß sich die Geschäftsschlüssel in der geraubten Handtasche befanden. Der Versicherungsschutz des Klägers habe sich auf den gesamten Heimweg von der Bankfiliale bis vor die Eingangstür des Wohnhauses erstreckt und hätte grundsätzlich auch die Folgen tätlicher Angriffe Dritter umfaßt. Tatsächlich sei jedoch nicht der Kläger, sondern seine Gattin beraubt worden. Der Entschluß des Klägers, den Täter zu verfolgen, sei von eigenwirtschaftlichen Motiven getragen gewesen; der Unfall habe sich nicht auf dem Heimweg vom Arbeitsplatz, sondern auf einem privat motivierten Abweg ereignet, der nicht in Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden sei und überdies eine Risikoerhöhung mit sich gebracht habe, weil damit zu rechnen gewesen sei, daß sich der Täter bei der Ergreifung mit einer Waffe zur Wehr setzen werde. Der Vorfall könne auch nicht dem Tatbestand des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG unterstellt werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und sprach mit Zwischenurteil aus, daß das Begehren des Klägers dem Grunde nach zu Recht besteht. Es erachtete die Beweisrüge, mit der sich der Kläger vor allem dagegen wandte, daß das Erstgericht nicht als erwiesen annahm, daß sich die Schlüssel der Bankfiliale in der geraubten Tasche befunden hätten, nicht für berechtigt und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, kam jedoch zu dem Schluß, daß die Voraussetzungen für das Bestehen des Versicherungsschutzes nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG erfüllt seien. Nach dieser Gesetzesstelle seien den Arbeitsunfällen Unfälle gleichgestellt, die sich bei der Rettung eines Menschen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr oder dem Versuch einer solchen Rettung, bei der Herbeiholung eines Arztes oder einer Hebamme zu einer dringenden Hilfeleistung, bei der Suche nach vermißten Personen, bei der Hilfeleistung in sonstigen Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not, bei der Herbeiholung eines Seelsorgers zu einem in Lebensgefahr befindlichen Erkrankten oder Verunglückten oder bei der Heranziehung zu Blutspenden oder bei angemessener Unterstützung der Amtshandlung eines Sicherheitsorganes ereignen, in allen Fällen jedoch nur, wenn keine besondere rechtliche Verpflichtung zu diesen Leistungen besteht. Grundsätzlich dürften wohl die von der Gesetzesstelle umfaßten Gefahrenlagen noch nicht beendet sein; davon könne aber solange nicht gesprochen werden, als die Möglichkeit einer sinnvollen Hilfe noch nicht ausgeschlossen werden könne; Voraussetzung sei aber die Unmittelbarkeit der Gefahrensituation. Nach Gesetzesmaterialien sollten durch die Bestimmung Tätigkeiten, die aus altruistischen Beweggründen im Interesse der Allgemeinheit unternommen würden, in den Versicherungsschutz einbezogen werden; Personen, die sich aus eigener Initiative oder über Aufforderung der Sicherheitsorgane in die Verfolgung und Festnahme eines Täters einschalten, sollten geschützt werden. Hier sei die Gattin des Klägers von einem Straftäter mit einem Messer bedroht worden, was emotionell und reaktionsmäßig rasches Handeln erfordert habe, ohne daß in der kurzen Zeit die Möglichkeit bestanden habe, abzuwägen, welche verschiedenen Möglichkeiten einer sinnvollen Hilfe bestehen könnten. Die Verfolgung des Täters habe sich im Rahmen der Hilfeleistung des Klägers für seine Ehegattin ereignet, weil der Täter sich noch unmittelbar in der Nähe des Tatortes befunden habe. Er sei wohl auf der Flucht gewesen, doch lasse die Geschwindigkeit des Ablaufes der kriminellen Handlung in Sekundenbruchteilen keinen verläßlichen Schluß darauf zu, ob der Angriff bereits beendet sei; es sei jedenfalls nicht mit Sicherheit ausschließbar gewesen, daß der Gewalttäter sich nochmals wenden und eine neue Attacke starten könne. Die Gefahrensituation sei in der kurzen Zeit noch nicht abgeschlossen gewesen, zumal der Täter noch nicht weit entfernt gewesen sei, so daß das Nachlaufen immer noch eine Handlung zum Schutz der überfallenen Frau darstelle. Es sei daher das Vorliegen des Versicherungsschutzes nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG erster Fall ASVG zu bejahen. Die Verfolgung habe aber auch unterbewußt dem Versuch gedient, einen Straftäter zu ergreifen und den Nachteil der Beraubung durch den Versuch der Wiedererlangung des Eigentums hintanzuhalten. Der Unfall des Klägers sei daher vom Schutz der Unfallversicherung umfaßt; im weiteren Verfahren werde die Höhe der durch die Folgen des Unfalles bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit zu prüfen sein.
Gegen dieses Zwischenurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Nach dem ersten Fall des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG sind Arbeitsunfällen Unfälle gleichgestellt, die sich bei der Rettung eines Menschen aus einer tatsächlichen oder vermuteten Lebensgefahr ereignen. Voraussetzung für den Schutz ist, daß es sich um eine akute Gefahr für die betroffene Person handelt, daß die Lebensgefahr gegenwärtig, die Gefahrenlage noch nicht abgeschlossen ist. In diesem Sinne wurde in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SSV-NF 2/63 das Vorliegen der Voraussetzungen für den Versicherungsschutz nach dieser Gesetzesstelle bejaht. Nach dem dort zu beurteilenden Sachverhalt hatte ein Mann in einem finsteren Hof um Mitternacht ein Mädchen niedergerungen und zu einem Gebüsch gezerrt, wobei alle Anzeichen für ein geplantes Notzuchtsdelikt sprachen. Nachdem sich der (dortige) Kläger genähert und gefragt hatte, was los sei, flüchtete der Täter und verbarg sich im Innenhof. Bei der Verfolgung wurde der Kläger vom Täter über eine niedere Mauer gestoßen und dabei verletzt. Der Oberste Gerichtshof führte dazu aus, daß der Angriff nicht damit beendet gewesen sei, daß der Täter infolge Dazwischentreten des Klägers von seinem Opfer abgelassen und sich im finsteren Hof versteckt hatte. Es sei nämlich nach den Umständen keineswegs auszuschließen gewesen, daß der möglicherweise bewaffnete Gewalttäter sich ohne das weitere Einschreiten des Klägers wieder auf sein Opfer gestürzt hätte, so daß die Gefahrensituation für die überfallene Frau weiter angedauert habe.
Der Sachverhalt, den die Vorinstanzen hier feststellten, unterscheidet sich jedoch von dem der zitierten Entscheidung zugrundeliegenden wesentlich. Der Täter, der die Ehegattin des Klägers vorerst bedroht und Geld verlangt hatte, hatte seinem Opfer die Handtasche entrissen und war damit geflüchtet. Wenn sich die Gattin des Klägers auch vorerst in einer lebensbedrohlichen Situation befand, weil sie der Angreifer unmittelbar mit einem Messer bedrohte, so war diese Gefahrensituation jedoch in dem Zeitpunkt beendet, in dem der Täter die Tasche entrissen hatte und davonlief. Es bestand keinerlei Anhaltspunkt für eine Gefahr, daß der Täter noch einmal umkehren und einen neuerlichen Angriff auf die Gattin des Klägers unternehmen könnte; gegen diese Annahme spricht vielmehr, daß es der Angreifer offenbar auf die Handtasche abgesehen hatte und nachdem er diese an sich gebracht und sein Ziel erreicht hatte, mit seiner Beute flüchtete. Ab dem Zeitpunkt, zu dem der Täter zu flüchten begann, bestand jedenfalls für die Ehegattin des Klägers keine Lebensgefahr, noch bestanden Anhaltspunkte für die Annahme in dieser Richtung. Selbst wenn man den dramatischen Ablauf der Ereignisse in Betracht zieht, war jedenfalls ab Beginn der Flucht des Täters auch ohne weitwendige Überlegungen erkennbar, daß der Angriff auf die Frau beendet war. Die Verfolgung des Täters durch den Kläger diente daher - in diese Richtung ging auch das Vorbringen des Klägers - nicht der Abwehr einer solchen Gefahr, sondern war offenbar von dem Vorhaben geprägt, die Handtasche wiederzuerlangen. Der Tatbestand nach § 176 Abs 1 Z 2 erster Fall ASVG ist daher nicht erfüllt.
Aber auch die weiteren vom Berufungsgericht zur Begründung der Berechtigung des Anspruches des Klägers herangezogenen Argumente sind nicht tragfähig. Die Worte "oder bei angemessener Unterstützung der Amtshandlung eines Sicherheitsorganes" wurden durch die 44. ASVGNov BGBl 609/1987 in den letzten Teil des Textes des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG eingefügt. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage 324 BlgNR 17.GP, 35 f sollten durch diese Änderungen vor allem Personen geschützt werden, die sich aus eigener Initiative oder über Aufforderung der Sicherheitsorgane in die Verfolgung und Festnahme eines Täters einschalten. Grundsätzlich sei festzuhalten, daß bei der Überwältigung oder Anhaltung eines Verdächtigen je nach Fallgestaltung mehrere durch den Einschreiter begangene strafbare Handlungen in Betracht kämen, vor allem Nötigung, Freiheitsentziehung und Körperverletzungsdelikte. Das Handeln des Einschreitenden werde dabei grundsätzlich nur bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes gerechtfertigt und damit rechtmäßig. Hiebei sei vor allem auf Fälle hinzuweisen, in denen eine Privatperson in Abwesenheit eines Sicherheitsorganes festgehalten werde. Der Zweck des Anhalterechtes nach § 86 Abs 2 StPO sei ein begrenzter und diene vor allem öffentlichen Interessen. Er solle gewährleisten, daß ein Tatverdächtiger alsbald den Strafverfolgungsorganen überstellt werde, dies aber nicht um jeden Preis, sondern nur, soweit die Festnahme mit angemessenen Mitteln, dh ohne vorsätzliche Verletzung des Tatverdächtigen möglich sei. Dies bedeute, daß im allgemeinen nicht qualifizierte Freiheitseingriffe (bis hin zu § 99 und zu § 105 StGB) zulässig seien, zB Festhalten, Einschließen, Abdrängen des Fluchtwagens und Androhung von bestimmten Nachteilen, etwa einer Anzeige.
Kainzbauer/ Peterka/ Rudolf/ Sourhada (SozSi 1988, 4 ff [11]) führen zu diesem Punkt der 44. ASVGNov aus, die Ergänzung beruhe auf einem Vorschlag des Innenministeriums, der damit begründet worden sei, daß jene Personen, die einem Sicherheitsorgan freiwillig bei einer Amtshandlung beistehen, im Interesse der Allgemeinheit geschützt werden sollten.
Während der Gesetzestext nur die angemessene Unterstützung der Amtshandlung eines Sicherheitsorganes in den Versicherungsschutz einbezieht, wofür grundsätzlich vorauszusetzen wäre, daß eine Amtshandlung eines Sicherheitsorganes bereits im Gange ist (in diese Richtung gehen auch die zitierten Ausführungen in SozSi 1988, 4 ff), setzen sich die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage auch mit Fällen auseinander, in denen eine Privatperson in Abwesenheit eines Sicherheitsorganes festgehalten wird, ohne daß ausdrücklich ausgesprochen wird, daß die Erstreckung des Versicherungsschutzes auch auf solche Fälle vorgesehen ist. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Materialien der diesbezüglich einschränkend gehaltene Gesetzestext in diesem weiten Sinn interpretiert werden kann, kann hier allerdings unerörtert bleiben. Aus dem Verfahren ergibt sich nämlich kein Hinweis darauf, daß der Kläger den Täter in der Absicht verfolgt hätte, ihn dingfest zu machen und ihn den Sicherheitsorganen zu übergeben. Eine in diese Richtung gehende Absicht wäre aber jedenfalls Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsschutzes. Der Kläger selbst hat sich sowohl in der Klage wie auch in seiner Aussage nur darauf berufen, daß er den Täter verfolgt habe, um sich in den Besitz der Handtasche zu setzen, die dieser seiner Ehegattin entrissen hatte. Ein Unfall, der sich bei einer zu diesem Zweck unternommenen Verfolgung ereignete, kann aber auch bei der weitest in Frage kommenden Auslegung dem letzten Fall des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG nicht subsumiert werden.
Da der Unfall des Klägers daher nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, war das angefochtene Zwischenurteil im Sinne einer Wiederherstellung des abweisenden Urteiles des Erstgerichtes abzuändern.
Gründe, die einen Kostenersatzanspruch des Klägers aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht, noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.
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