Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.
Text
Begründung
Der am 23.8.1940 geborene Kläger ist Maturant und arbeitete in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Versicherungsangestellter mit der Bezeichnung "Bereichsleiter Vertrieb". Als solcher führte er alle Aufgaben durch, die mit der Überprüfung, Verwaltung und Einhaltung von Versicherungsverträgen anfallen. Dabei bediente er sich einer EDV-Anlage. Er übernahm von Außendienstmitarbeitern ausgestellte Anträge, überprüfte, ob die Angaben des Kunden den Versicherungsbedingungen entsprechen und überprüfte auch die Werte der versicherten Anlagen sowie die Angaben über Alarmanlagen und Sicherheitseinrichtungen. Er schloß Rückversicherungen mit anderen Versicherungsgesellschaften ab und übergab die fertiggestellten Polizzen der EDV-Abteilung zur weiteren Bearbeitung der Daten an die Inkassoabteilung. Er war mit Mahnverfahren an Kunden sowie der Vorbereitung der Anträge auf gerichtliche Einziehung der ausständigen Prämien befaßt. Auch die Abwicklung der Auszahlung im Schadensfall nach allfälliger Überprüfung durch Schadensbeamte stand ihm zu. Er hatte mit der Einstellung und Führung von Mitarbeitern mehrerer Ebenen zu tun, für die Ausbildung der ihm unterstellten Mitarbeiter zu sorgen und er verfügte auch über die Kompetenz, Dienstverhältnisse von Mitarbeitern zu beenden. Sein ihm unterstellter Personalstand umfaßte 15 bis 18 hauptberufliche und etwa 50 nebenberufliche Mitarbeiter. Hauptaufgabe war es, die Erreichung vorgegebener Prämienzuwachsziele selbständig mit den Mitarbeitern zu planen und für deren Verwirklichung durch Aktionen und Wettbewerbe zu sorgen. Der Kläger war in der Stufe 26 des Gehaltsschemas für Büroangestellte zum Kollektivvertrag für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen eingereiht; sein Gehalt betrug unter Außerachtlassung der Zulagen, Provisionen und Kilometergelder S 25.610,-- brutto.
Der Kläger leidet seit Antragstellung an einer Bluthochdruckfehlregulation und an einem neurastenisch-depressiven Zustandsbild mit vegetativer Labilität. Er ist in der Lage, alle leichten und mittelschweren Arbeiten zu den normalen Arbeitszeiten mit den üblichen Arbeitspausen zu leisten. Er ist unterweisbar und kann eingeordnet werden. Arbeiten unter einem dauernden besonderen Zeitdruck (Band- und Akkordarbeiten) sind nicht möglich. Nach einer Stunde Bildschirmarbeit soll der Kläger 15 bis 20 Minuten eine andere Tätigkeit verrichten. Mehr als 50 % Bildschirmtätigkeiten verteilt über den Tag kann der Kläger keineswegs verrichten. Er kann keine Dispositionen in bezug auf die Prosperität eines Unternehmens treffen, ist aber in der Lage, Mitarbeiter einzuführen, einzuschulen, zu beaufsichtigen und anzuleiten.
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 1.7.1992 wurde der Antrag des Klägers vom 24.1.1992 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgelehnt.
Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 31.12.1992 sowie eine vorläufige Zahlung von monatlich S 7.000,-- zu leisten. Es stellte weiters fest, die vom Kläger bisher ausgeführte Tätigkeit sei "der Verwendungsgruppe 5" zuzuordnen. Sachbearbeiter der Versicherung seien in der Verwendungsgruppe 3 oder 4 eingestuft. Eine tägliche Bildschirmarbeit von mehr als 50 % könne für einen solchen Sachbearbeiter nicht ausgeschlossen werden. Das Anfangsgehalt eines Sachbearbeiters liege zwischen S 12.000,-- und S 20.000,-- brutto. Rechtlich folgerte das Erstgericht aus diesem Sachverhalt, daß der Kläger berufsunfähig nach § 273 Abs 1 ASVG sei. Tätigkeiten, wie sie einer Führungskraft entsprechen, könnten von ihm nicht mehr geleistet werden. Auch eine Verweisungstätigkeit als Versicherungsangestellter scheide aufgrund des Leistungskalküls sowie der Tatsache der hohen Entlohnung und des damit verbundenen sozialen Abstieges für den Kläger aus. Auch andere Tätigkeiten im Bereich des Basismanagements schieden aus, weil hiebei ebenso Führungstätigkeiten zu verrichten wären, die vom festgestellten Leistungskalkül nicht mehr umfaßt seien.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nur dahin Folge, daß es den Leistungsbeginn (Stichtag) vom 31.12.1992 auf 1.1.1993 abänderte, wie dies auch dem Klagebegehren entspricht. Es teilte die Auffassung, daß die Tätigkeit des Klägers einer solchen der Beschäftigungsgruppe 5 des Kollektivvertrags für Handelsangestellte entspreche. Dazu zählten auch Angestellte, die regelmäßig und dauernd mit der verantwortlichen Führung und der Weisung und Beaufsichtigung von größeren Angestelltengruppen beauftragt seien. Der Kläger sei als Bereichsleiter Vertrieb in einem relativ weiten Bereich selbständig tätig gewesen, ihm habe der Abschluß von Versicherungsverträgen, auch von Rückversicherungen, die Einstellung, Beaufsichtigung und Entlassung bzw Kündigung von den ihm unterstellten Mitarbeitern oblegen. Zwar müßten geringere Einkommenseinbußen in Kauf genommen werden, eine Einkommenseinbuße von rund 25 % oder mehr, wie sie sich für eine andere Tätigkeit als Sachbearbeiter ergeben würde, ginge jedoch über den Rahmen der Zumutbarkeit hinaus. Dies gelte "nach dem berufskundlichen Sachverständigengutachten" auch für allgemeine Angestelltentätigkeiten außerhalb der Versicherungsbranche.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung eines Klagebegehrens, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung.
Der Kläger erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne ihres Eventualbegehrens berechtigt.
Der Kollektivvertrag für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmungen kennt ebensowenig wie der entsprechende Kollektivvertrag für Angestellte des Außendienstes eine Einordnung der Dienstnehmer in Verwendungsgruppen, wenn man von der Einteilung in Büroangestellte und Kanzleigehilfen und bei beiden Gruppen in die allgemeine und in die besondere Bezugsklasse im Gehaltsschema des Kollektivvertrags für Angestellte des Innendienstes absieht (SSV-NF 6/118). Sieht der für einen Angestellten maßgebliche Kollektivvertrag (bzw die Lohntafel) die Einreihung in ein Verwendungsgruppenschema nicht vor, so kann für die Frage der Verweisung eines Versicherten auf andere Tätigkeiten der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten analog herangezogen werden (SSV-NF 8/49). In der Beschäftigungsgruppe 4 dieses Kollektivvertrags sind Angestellte mit selbständiger Tätigkeit zusammengefaßt, beispielsweise Filialleiter, die selbständig über Waren, Lagerhaltung und sonstige Betriebsmittel Verfügungen treffen, Lagerleiter, die für Wareneingang, Lagererhaltung und Lagerausgang verantwortlich sind, aber auch Abteilungsleiter kleinerer Abteilungen und Stellvertreter von Abteilungsleitern größerer Abteilungen. In der Beschäftigungsgruppe 5 sind Angestellte mit Dispositions- und/oder Anweisungstätigkeiten, die schwierige Arbeiten selbständig oder verantwortlich ausführen sowie Angestellte, die Tätigkeiten, wofür Spezialkenntnisse und praktische Erfahrung erforderlich sind, selbständig und verantwortlich ausführen, zusammengefaßt, beispielsweise selbständige Leiter von Zweigniederlassungen, Leiter eines organisatorisch selbständigen Lagers mit Dispositionstätigkeit und mindestens 20 ständig unterstellten Arbeitnehmern sowie Abteilungsleiter größerer Abteilungen. Der Auffassung der beklagten Partei, die Tätigkeit des Klägers entspräche nicht den für die Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 5 geforderten Kriterien, kann nicht beigetreten werden. Berücksichtigt man vor allem, daß der Kläger als Bereichsleiter des Vertriebsbereiches der Vorgesetzte von 15 bis 18 hauptberuflichen und 50 nebenberuflichen Mitarbeitern war, daneben auch die Kompetenz hatte, Personal einzustellen, für die Ausbildung der ihm unterstellten Mitarbeiter zu sorgen, aber auch Dienstverhältnisse von Mitarbeitern, die nicht entsprachen, zu beenden, dann ist seine Stellung derjenigen eines Abteilungsleiters größerer Abteilungen im Sinne der Beschäftigungsgruppe 5 des genannten Kollektivvertrages durchaus gleichzustellen. In diesem Zusammenhang hat der Kläger darauf verwiesen, daß ein Teil seiner Mitarbeiter der Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrages (Reisende mit und ohne Provision) zuzuordnen war, woraus sich gleichfalls ergibt, daß er als Vorgesetzter dieser Mitarbeiter einer höheren Beschäftigungsgruppe zuzuordnen ist. Insgesamt können dem Kläger Dispositions- und Anweisungstätigkeiten, damit aber eine leitende Funktion nicht abgesprochen werden.
Gemäß § 273 Abs 1 ASVG gilt der Versicherte als berufsunfähig, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen und geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich-geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. In diesem Rahmen muß sich ein Versicherter grundsätzlich auch auf andere, geringere Anforderungen stellende und geringer entlohnte Berufe verweisen lassen, sofern damit nicht ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist. Der soziale Abstieg ist unzumutbar, wenn die Verweisungstätigkeit in den Augen der Umwelt ein wesentlich geringeres Ansehen genießt. Die Einstufung einer Tätigkeit in einen Kollektivvertrag bildet dabei einen Anhaltspunkt für die Einschätzung des sozialen Wertes und wird daher nach ständiger Rechtsprechung zur Beurteilung des sozialen Abstieges herangezogen. Die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe entsprechen, die der bisherigen Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordnet ist, wird in ständiger Rechtsprechung für zulässig erachtet; durch eine solche Verweisung werden die Unzumutbarkeitsgrenzen nicht überschritten (SSV-NF 4/16, 6/135 uva).
Zutreffend wird von der Revisionswerberin darauf hingewiesen, daß ein Versicherungsangestellter im allgemeinen auch auf Tätigkeiten verwiesen werden kann, die von kaufmännischen Angestellten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen ausgeübt werden, und zwar nicht nur in Versicherungsunternehmungen, sondern auch in anderen Betrieben, die vergleichbare kaufmännische Angestellte beschäftigen (SSV-NF 6/118). Die Feststellungen reichen nicht aus, um die Frage abschließend beantworten zu können, ob der Kläger auf Angestelltentätigkeiten verwiesen werden kann, die solchen der Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs entsprechen. Das Erstgericht hatte bei Prüfung der Verweisbarkeit offenbar lediglich Sachbearbeiter von Versicherungsunternehmen im Auge, hinsichtlich derer eine tägliche Bildschirmarbeitszeit von mehr als 50 % nicht ausgeschlossen werden könne. Ohne entsprechende Tatsachengrundlage meinte das Berufungsgericht, die Nichtverweisbarkeit des Klägers gelte auch für allgemeine Angestelltentätigkeiten außerhalb der Versicherungsbranche. Dabei bezog es sich auf die Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen, wonach "rein theoretisch" aufgrund der vom Kläger abgelegten AHS-Matura die Verweisung in allgemeine Angestelltentätigkeiten "eingestuft in 3 maximal 4" möglich wäre, der Kläger aber bei Neubeginn mit einem Anfangsgehalt von etwa S 12.000,-- bis S 20.000,-- brutto rechnen müßte. Die geringere Entlohnung stellt jedoch für sich allein wie oben ausgeführt kein Kriterium für einen unzumutbaren sozialen Abstieg dar: Könnte der Kläger auf Tätigkeiten verwiesen werden, die der Beschäftigungsgruppe 4 des mehrfach genannten Kollektivvertrages entsprechen, dann würde von einem unzumutbaren sozialen Abstieg keine Rede sein. In diesem Sinne erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig, weil entgegen der Auffassung der Revisionswerberin nicht davon auszugehen ist, daß die Verweisbarkeit des Klägers der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht und daher als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden kann. Sollte sich aufgrund ergänzend zu treffender Feststellungen ergeben, daß der Kläger noch in der Lage ist, ihm aufgrund seines Leistungskalküls zumutbare Angestelltentätigkeiten auch außerhalb der Versicherungsbranche auszuüben, dann würde Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG nicht vorliegen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
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