Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es lautet:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab 7.Dezember 1988 den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz selbst zu tragen."
Die klagende Partei hat auch die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 7.Dezember 1988 den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und erlegte der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung von monatlich S 2.500 auf.
Es stellte im wesentlichen fest, daß die 1944 geborene Klägerin an einem ausgeprägten Minderwuchs und seit ihrer Geburt an einer Hüftgelenksluxation leidet. In der Folge entwickelte sich eine Beinlängenverkürzung rechts von etwa 2 cm und eine höchstgradige Verkrümmung vor allem der Brustwirbelsäule, die zu einer massiven Atembehinderung mit herabgesetzter Ventilationskapazität führte. Seit 4.August 1988 ist die Klägerin berufsunfähig.
Die Klägerin ist in der Lage, sich allein an- und auszuziehen und die Toilette aufzusuchen. Das Tragen von Lasten von mehr als 2 bis 3 kg ist über eine längere Strecke unzumutbar. Die Zubereitung und Einnahme von unkomplizierten kleinen kalten Mahlzeiten bietet kein Problem. Nach 15minütigem Stehen muß dieses durch entsprechende Bewegung oder eine Sitzpause von 10 bis 15 Minuten unterbrochen werden. Ständiges Stehen von einer halben Stunde bis zu einer dreiviertel Stunde sind nicht möglich. Die Klägerin ist weder bettlägerig noch beim Fortbewegen in und außer Haus auf Hilfe angewiesen. Die zumutbare Gehzeit variiert zwischen 15 und 45 Minuten je nach Verfassung. Nach längeren Geschäftsgängen zum Einkaufen, bei denen die Klägerin auch im Geschäft warten muß, bedarf sie einer längeren Erholungspause. Das Geschirr kann gewaschen werden, oberflächliche Reinigung der Kleider und der Wohnung sind möglich. Die Klägerin benötigt jedoch Hilfe beim Wechseln der Bettwäsche, beim Staubsaugen und groben Putzen. Beaufsichtigung im eigentlichen Sinn wird nicht benötigt. Die Klägerin ist nicht in der Lage, Wäsche aufzuhängen, Schwierigkeiten ergeben sich beim Haare waschen und der Körperreinigung im Rückenbereich.
Die Klägerin bewohnt eine 38 m2 große Garconniere in Salzburg. Die Wohnung ist über eine steile Stiege zu erreichen und wird mit Nachtstromspeicher beheizt. Das nächste Geschäft ist etwa 10, die Apotheke 15 Gehminuten entfernt. Die Klägerin wird neben einer Putzfrau einmal wöchentlich von einer Tante beim Kochen, Wäschewaschen, Bügeln und bei der Körperpflege unterstützt. Aus diesem Sachverhalt folgerte das Erstgericht rechtlich, die Klägerin benötige zur Unterstützung beim Einkaufen, beim Aufräumen der Wohnung, Bügeln und Wäschewaschen fremde Hilfe für etwa ein- bis eineinhalb Stunden täglich. Gehe man von den in Salzburg üblicherweise zu bezahlenden Stundensätzen von S 80 netto für eine Hilfskraft aus, so überstiegen die im Monatsdurchschnitt aufzuwendenden Beträge die Höhe des Hilflosenzuschusses. Dieser stehe ihr daher zu.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei keine Folge und erachtete eine Hilfestellung in der Dauer von etwa ein- bis eineinhalb Stunden täglich, im wöchentlichen Durchschnitt für erforderlich, um die Klägerin bei der Körperpflege (Waschen von Haaren und Rücken), beim Zubereiten warmer Mahlzeiten, beim Aufräumen, Einkaufen, Wäschewaschen und Putzen zu unterstützen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist berechtigt.
Ein Anspruch auf Hilflosenzuschuß besteht nur, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen üblicherweise aufzuwendenden Kosten annähernd so hoch sind, wie der begehrte Hilflosenzuschuß, wobei die Häufigkeit, in welcher die lebensnotwendigen Verrichtungen, die der Anspruchswerber nicht selbst ausführen kann und die in seinem Lebenskreis üblicherweise vorkommen und der erforderliche Kostenaufwand für fremde Hilfe nach den Grundsätzen des § 273 ZPO zu ermitteln sind (SSV-NF 1/46; 2/44; 2/132 ua). Diese Einschätzung kann daher im Rahmen der rechtlichen Beurteilung überprüft werden. Es kommt nicht, wie die Vorinstanzen dies im vorliegenden Fall getan haben, darauf an, in welchem Umfang ein Anspruchswerber tatsächlich fremde Hilfe in Anspruch nimmt, sondern vielmehr darauf, inwieweit solche Hilfe nach dessen körperlichem und geistigem Zustand auch unbedingt erforderlich ist. Es steht fest, daß die Klägerin sich in und außer Haus bewegen und ohne Unterbrechung im ungünstigsten Fall 15 Minuten gehen sowie Lasten von 2 bis 3 kg auch tragen kann. Es ist daher keineswegs einsichtig, warum ihr die nicht einmal täglich erforderlichen Einkaufsgänge zu dem nur 10 Minuten von der Wohnung entfernten Geschäft nicht zugemutet werden können. Daß die Klägerin bei Einkaufsgängen, bei denen Wartezeiten im Geschäft anfallen, anschließend einer längeren Erholungspause bedarf, vermag daran nichts zu ändern.
Zumindest im städtischen Bereich ist es kaum mehr üblich, Wäsche auf hohen Wäscheleinen aufzuhängen (die Klägerin bewohnt eine nur 38 m2 große Garconniere!), es werden vielmehr überwiegend leicht zusammenklappbare Wäscheständer verwendet, die in Arbeitshöhe beschickt werden können (10 Ob S 278/88). Eine allgemein übliche Ausstattung des Haushaltes mit geeigneten Geräten, die keinen besonderen Kostenaufwand erfordern, muß aber bei der Beurteilung zugrundegelegt werden. Den "Schwierigkeiten bei der Reinigung des Rückens", die auch sonst körperlich gesunde Menschen in höherem Alter, in dem die Beweglichkeit nachläßt, zu bewältigen haben, kann durch Benützung einer Stielbürste leicht abgeholfen werden. Das Haarewaschen wiederum ist keineswegs täglich, sondern nur in größeren Zeitabständen erforderlich. Auch das Zubereiten von warmen Mahlzeiten ist nicht mit längerem ununterbrochenem Stehen von mehr als 15 Minuten verbunden, ein Haltungswechsel auch in kürzeren Abständen als 15 Minuten ist schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne weiteres möglich.
Es ergibt sich daher, daß die Klägerin fremde Hilfe nur für die nur in größeren Zeitabständen, keineswegs aber täglich anfallenden groben Hausarbeiten, das Wechseln der Bettwäsche und zum Haarewaschen benötigt. Selbst wenn man ihr fremde Hilfe auch für zwei- bis dreimal wöchentlich anfallende Einkaufsgänge zubilligen würde, ist mit Sicherheit auszuschließen, daß die insgesamt aufzuwendenden notwendigen Kosten auch nur annähernd die Höhe des Mindesthilflosenzuschusses, auch ohne Berücksichtigung von Sonderzahlungen, erreichen.
Da Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG daher nicht vorliegt, war das Klagebegehren abzuweisen.
Die Entscheidungen über die Verfahrenskosten beruhen auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG. Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit bestand im Hinblick auf die umfangreiche, veröffentlichte ständige Judikatur des Obersten Gerichtshofes keine Grundlage.
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