Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die am 12. 2. 1957 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 6. 2011) war sie von Oktober bis November 1996 als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Seither ist sie arbeitslos.
Während die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen in der Zeit vom 1. 6. 2011 bis Anfang März 2012 fallweise auch mittelschwere Arbeiten verrichten konnte, ist sie seither nur mehr in der Lage, leichte Arbeiten unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses im Freien und in geschlossenen Räumen täglich acht Stunden mit den üblichen Unterbrechungen in jeder Körperhaltung zu verrichten. Zu vermeiden sind Arbeiten mit erhöhter psychischer und physischer Belastung; Akkord‑, Fließband‑ und Schichtarbeiten; Arbeiten im Knien, Bücken oder Hocken; Arbeiten über Kopf sowie Tätigkeiten, die eine häufige Dorsalflexion des Kopfes erforderlich machen; Arbeiten an höhenexponierten Stellen sowie auf Leitern und Gerüsten; Tätigkeiten an Arbeitsplätzen mit Verletzungsgefahr (zB an schnelllaufenden Maschinen) sowie Tätigkeiten, die hohe Anforderungen an die Frustrationstoleranz stellen. Hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte im landesüblichen Ausmaß bestehen keine Einschränkungen. Die Klägerin kann öffentliche Verkehrsmittel benützen. Bei Einhaltung dieses Leistungskalküls sind leidensbedingte regelmäßige jährliche Krankenstände nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Die Klägerin begann im Mai 2012 eine Tripletherapie zur Behandlung ihrer Hepatitis C‑Erkrankung. Da sie die Medikamente zuerst nicht vertrug, musste die Therapie unterbrochen werden. Im Juni 2012 setzte die Klägerin die Therapie fort; mittlerweile verträgt sie die Medikamente relativ gut. Ab Therapiebeginn ist mit mittlerer bis hoher Wahrscheinlichkeit eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin von einem Jahr zu erwarten. Durch die Therapie erscheint eine Verbesserung des Leistungskalküls insofern möglich, als die Klägerin dann wieder für leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten eingesetzt werden kann.
Die Klägerin ist ‑ unter Außerachtlassung der mit der Hepatitis C‑Therapie verbundenen Ein‑ schränkungen ‑ trotz ihres eingeschränkten Leistungskalküls noch in der Lage, die Tätigkeiten als Portierin, Museumsaufseherin, Telefonistin, Bürobotin oder Tischabräumerin in Selbstbedienungsrestaurants auszuüben. Arbeitsplätze in den genannten Verweisungsberufen sind in ausreichender Anzahl vorhanden.
Mit Bescheid vom 31. 8. 2011 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin vom 24. 5. 2011 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab, weil Invalidität nicht vorliege.
Das Erstgericht wies das auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1. 6. 2011 gerichtete Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dahin, dass die Klägerin im Hinblick auf die ihr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglichen Verweisungstätigkeiten nicht invalid iSd § 255 Abs 3 ASVG sei. Den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit während der Therapie wertete das Erstgericht als einmaligen, länger dauernden Krankenstand, der keine Invalidität iSd § 254 Abs 1 Z 2 ASVG begründe. Ohne Therapieantritt wäre die Klägerin auch im Zeitraum ab Mai bzw Juni 2012 zur Ausübung verschiedener zumutbarer Verweisungstätigkeiten in der Lage gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Es führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, dass im Berufungsverfahren nur die Rechtsfrage strittig sei, ob die festgestellte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin während der einjährigen Therapiedauer als Invalidität iSd § 254 Abs 1 Z 2 ASVG zu qualifizieren sei. Es sei im konkreten Fall der medizinischen Begutachtung und den darauf gegründeten Feststellungen des Erstgerichts nicht mit ausreichender Klarheit zu entnehmen, ob mit der festgestellten „Arbeitsunfähigkeit“ der Klägerin tatsächlich eine Verminderung des Leistungskalküls während der Therapiedauer oder nur die faktische Unmöglichkeit, gleichzeitig die Therapie zu absolvieren und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, gemeint sei. Das Verfahren erweise sich in dieser Frage als ergänzungsbedürftig.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Frage, inwieweit auch einmalige Krankenstände von mehr als sechsmonatiger Dauer Invalidität begründen könnten, keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung beantragt.
Die beklagte Partei hat keine Rekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zwar zulässig, aber nicht berechtigt.
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, ihre Invalidität sei gemäß §§ 254 Abs 1 Z 2, 255 Abs 3 ASVG schon deshalb gegeben, weil der für die Therapie notwendige und medizinisch indizierte Krankenstand mehr als sechs Monate andauere.
Dazu ist Folgendes auszuführen:
1. Es ist auch im Rekursverfahren nur die Rechtsfrage strittig, ob die vom Erstgericht festgestellte „Arbeitsunfähigkeit“ der Klägerin während der einjährigen Therapiedauer eine Invalidität iSd §§ 254 Abs 1 Z 2, 255 Abs 3 ASVG begründet.
2. Nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG idF BGBl I 2010/111 setzt der Anspruch auf Invaliditätspension unter anderem voraus, dass „die Invalidität (§ 255) voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern würde“. Die Minderung der Arbeitsfähigkeit muss daher nicht auf unbestimmte Zeit andauern. Voraussetzung ist vielmehr, dass sie voraussichtlich sechs Monate andauert bzw andauern würde. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen damit Leistungen aus der Pensionsversicherung nur dann eingreifen, wenn eine bestimmte Mindestdauer eines (allenfalls „einmaligen“) Leidenszustands erreicht wird; unterhalb dieser Schwelle sind typischerweise Leistungen aus der Krankenversicherung zu erbringen (vgl 10 ObS 66/09t; 10 ObS 126/05k, SSV‑NF 20/7).
2.1 Eine Invalidität der Versicherten nach der für die Klägerin maßgebenden Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG liegt vor, wenn die Versicherte infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.
3. In der Entscheidung 10 ObS 21/11b (SSV‑NF 25/29) war der Fall eines damals 23‑jährigen Klägers, der nach seiner Entlassung aus der Strafhaft eine insgesamt sechsmonatige stationäre Psychotherapie für Suchtkranke absolviert hatte, zu beurteilen. Der erkennende Senat verneinte damals einen Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 3 ASVG im Wesentlichen mit der Begründung, der damalige Kläger wäre auch während des stationären Aufenthalts in der Lage gewesen, die näher angeführten Verweisungsberufe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten und damit auch die gesetzliche Lohnhälfte iSd § 255 Abs 3 ASVG zu erzielen. Der erkennende Senat verwies in dieser Entscheidung auch darauf, dass eine „Arbeitsunfähigkeit“ iSd § 120 Abs 1 Z 2 ASVG, also wenn der Versicherte infolge einer Krankheit nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, in der Lage ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit zu verrichten (vgl RIS‑Justiz RS0106774), nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen einer Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG ist.
4. In diesem Sinne ist das Verfahren nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts ergänzungsbedürftig. Es wird daher vom Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren näher festzustellen sein, ob unter der bisher festgestellten „Arbeitsunfähigkeit“ der Klägerin während der Therapiedauer (nur) eine „Arbeitsunfähigkeit“ der Klägerin iSd § 120 Abs 1 Z 2 ASVG („Krankenstand“) oder (auch) eine darüber hinausgehende Invalidität der Klägerin iSd § 255 Abs 3 ASVG zu verstehen ist, bei der die Klägerin auch nicht mehr in der Lage wäre, zumindest halbtägig leichte Arbeiten zu verrichten und damit die gesetzliche Lohnhälfte iSd § 255 Abs 3 ASVG zu erzielen (vgl 10 ObS 27/03y). Sollte bei der Klägerin während der unbestritten medizinisch indizierten einjährigen Hepatitis C‑Therapie eine Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG vorliegen, wird ihr für die Dauer dieser Therapie eine zeitlich befristete Invaliditätspension zuzuerkennen sein.
5. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ein Versicherter vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, wenn in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer Krankenbehandlung leidensbedingte Krankenstände in einer Dauer von sieben Wochen und darüber im Jahr zu erwarten sind (vgl RIS‑Justiz RS0084855 [T7]; RS0084898 [T12] ua). Es wird auch von der Klägerin zu Recht nicht in Zweifel gezogen, dass entsprechend der ständigen Rechtsprechung Zeiten von „einmaligen“, wenn auch länger dauernden Krankenständen, im Regelfall nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einbezogen werden (vgl 10 ObS 21/11b, SSV‑NF 25/29; 10 ObS 66/09t; 10 ObS 24/09s, SSV‑NF 23/15 mwN ua).
Da aus den zu Punkt 4. dargelegten Erwägungen eine Verfahrensergänzung in erster Instanz notwendig ist, war der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts zu bestätigen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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