Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 294,62 (darin enthalten EUR 49,10 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 17. 5. 1946 geborene Kläger hat nach Absolvierung der Pflichtschule den Beruf eines Malers erlernt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 11. 2002) war der Kläger 70 Monate als unselbständiger Autowäscher und 17 Monate als unselbständiger Vertreter nach dem ASVG pflichtversichert. Seit Mai 1998 betreibt der Kläger die Waschstraße, in der er zuvor beschäftigt war, als selbständiger Unternehmer und ist nach dem GSVG pflichtversichert. Der Kläger führt als selbständiger Betreiber einer Waschstraße die gleichen manuellen Tätigkeiten aus wie zuvor als unselbständiger Autowäscher. Es sind jedoch die für die selbständige Tätigkeit notwendigen administrativen Arbeiten (Erstellen von Abrechnungen usw) dazugekommen. Weiters wurde zusätzlich eine Selbstbedienungswaschanlage errichtet.
Der Kläger kann auf Grund seines näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls die von ihm überwiegend ausgeübte Tätigkeit eines Autowäschers nicht mehr verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kommen für ihn noch die Tätigkeiten eines Adjustierers oder eines Portiers in Betracht.
Mit Bescheid vom 20. 2. 2003 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 8. 10. 2002 auf Gewährung der Invaliditätspension ab, weil Invalidität im Sinn des § 255 ASVG nicht vorliege.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1. 11. 2002 gerichtete Klage ab. Die Voraussetzungen des § 255 Abs 3 ASVG seien nicht erfüllt, weil der Kläger noch in der Lage sei, die genannten Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Der Kläger erfülle auch nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach § 255 Abs 4 ASVG, weil er in den letzten 180 Kalendermonaten vor Vollendung des 57. Lebensjahres (das ist der 17. 5. 2003) nicht mindestens 120 Kalendermonate hindurch „eine Tätigkeit" ausgeübt habe. Es sei zwar zutreffend, dass der Kläger als unselbständiger Autowäscher vor Mai 1998 und danach als Betreiber einer Autowaschstraße gleichartige Tätigkeiten ausgeübt habe, die nach dem GSVG erworbenen Versicherungszeiten (62 Beitragsmonate) seien jedoch nicht anzurechnen, da jeder Versicherungsträger nur eigenes Recht anzuwenden habe und die Prüfung der Frage der geminderten Arbeitsfähigkeit nur auf der Grundlage der in diesem Versicherungszweig versicherten Tätigkeiten zu erfolgen habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es sprach aus, dass der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension ab 1. 6. 2003 dem Grunde nach zu Recht bestehe, die Leistung jedoch erst anfalle, wenn der Kläger seine Tätigkeit als Autowäscher aufgebe. Der beklagten Partei wurde die Erbringung einer vorläufigen Zahlung an den Kläger von EUR 660,-- monatlich ab Aufgabe seiner Tätigkeit als Autowäscher bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides aufgetragen. Das Mehrbegehren auf Gewährung der Invaliditätspension für den Zeitraum vom 1. 11. 2002 bis 31. 5. 2003 wurde abgewiesen.
Es führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, dass die mit dem SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, eingeführte Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) den Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessern sollte. Während Anspruchsvoraussetzung für die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gemäß § 253d Abs 1 Z 3 ASVG gewesen sei, dass der Versicherte „in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt habe", werde in § 255 Abs 4 ASVG nunmehr verlangt, dass der Versicherte außerstande sei, einer Tätigkeit, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt habe, nachzugehen. Das in der Vorgängerbestimmung enthaltene Erfordernis des Vorliegens einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit innerhalb eines Versicherungszweiges sei in der neuen Bestimmung nicht mehr enthalten. Diese Änderung des Gesetzeswortlautes lege nahe, dass nach dem Willen des Gesetzgebers nunmehr Invalidität dann vorliege, wenn der Versicherte innerhalb des Rahmenzeitraumes von 180 Kalendermonaten mindestens 120 Kalendermonate hindurch eine bestimmte Tätigkeit unabhängig davon, in welchem Versicherungszweig dadurch Versicherungszeiten begründet worden seien, ausgeübt habe.
In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (10 ObS 115/04s) sei die Berücksichtigung von Zeiten unselbständiger Beschäftigung für das Erreichen der in § 133 Abs 2 GSVG geforderten 60 Kalendermonate einer Tätigkeit im Wesentlichen deshalb abgelehnt worden, weil zwischen selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten selbst bei gleichen Berufsbezeichnungen nur in Teilbereichen, vor allem im manuellen Bereich, übereinstimmende Anforderungen gestellt würden, vor allem im dispositiven Bereich aber eine selbständige Tätigkeit andere Qualifikationen erfordere als eine unselbständige Tätigkeit. Wenn aber der Invaliditätsbegriff des § 255 Abs 4 ASVG maßgebend sei, könne es dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, dass er die von ihm mehr als 10 Jahre hindurch ausgeübte Tätigkeit als Autowäscher zeitweise auch selbständig ausgeübt habe und in dieser Zeit über die manuellen Tätigkeiten hinaus auch die mit der Selbständigkeit verbundenen administrativen Aufgaben zu verrichten gehabt habe. Für die Einbeziehung der in einem anderen Versicherungszweig erworbenen Zeiten spräche auch der Umstand, dass sich die Arbeitswelt in den letzten Jahren in vielfacher Hinsicht gewandelt habe, die einstmals klare rechtliche Grenze zwischen unselbständiger und selbständiger Tätigkeit zunehmend diffuser geworden sei und - wie im vorliegenden Fall - in zunehmendem Ausmaß Berufsverläufe aufträten, in denen eine ursprünglich unselbständig ausgeübte Tätigkeit in Form eines „Ein-Mann-Betriebes" selbständig ausgeübt werde. Beim Kläger sei daher das Vorliegen der Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG zum Stichtag 1. 6. 2003 zu bejahen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt noch nicht vorliege und der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Rechtsfrage eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukomme.
Gegen den stattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage, ob für die Erfüllung des im § 255 Abs 4 ASVG vorgesehenen Tätigkeitszeitraumes von mindestens 120 Kalendermonaten in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag auch gleichartige, nach dem GSVG versicherte selbständige Tätigkeiten zu berücksichtigen sind, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes noch nicht vorliegt. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin macht geltend, die Ansicht des Berufungsgerichtes, es könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, dass er die von ihm mehr als 10 Jahre hindurch ausgeübte Tätigkeit als Autowäscher teilweise auch selbständig ausgeübt habe und in dieser Zeit über die manuellen Tätigkeiten hinaus auch die mit der Selbständigkeit verbundenen administrativen Aufgaben erledigt habe, lasse den Willen des Gesetzgebers, verschiedene Sozialversicherungssysteme gesonderten Regelungen zu unterziehen, unberücksichtigt. Es sei daher unzulässig, Versicherungszeiten des Klägers auf Grund seiner Tätigkeit als selbständiger Gewerbetreibender mit allen die Selbständigkeit definierenden Elementen (Betriebsmittel, Weisungsungebundenheit etc) den nach dem ASVG erworbenen Versicherungszeiten hinzuzuzählen und alle Versicherungszeiten der Rechtslage nach dem ASVG zu unterstellen. So wie nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in der Frage der Begründung eines Berufsschutzes im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG Zeiten selbständiger Erwerbstätigkeit außer Betracht zu bleiben hätten, müssten diese Erwägungen auch im Bereich des § 255 Abs 4 ASVG gelten. Die Interpretation des § 255 Abs 4 ASVG in dem Sinne, dass unter „einer Tätigkeit" jede gleiche oder gleichartige im Regelungsbereich des ASVG, GSVG oder BSVG ausgeübte Tätigkeit zu verstehen sei, hätte einen vom Gesetzgeber nicht gewollten Bruch der Rechtssysteme zur Folge.
Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:
Hat ein Versicherter Versicherungszeiten sowohl nach dem ASVG als auch in der Pensionsversicherung nach dem GSVG oder nach dem BSVG erworben, so richten sich die Ansprüche und ihre Berechnung nach § 251a ASVG (Wanderversicherung). Danach ist jener Pensionsversicherungsträger für die Leistungen zuständig, bei dem der Antragsteller in den letzten 15 Jahren versichert war. War er in den letzten 15 Jahren bei verschiedenen Pensionsversicherungsträgern versichert, ist jener Versicherungsträger zuständig, bei dem die meisten Versicherungsmonate vorliegen. Die Leistungen bestimmen sich dabei nach den Regelungen, die im Bereich jener Pensionsversicherung bestehen, die der zuständige Träger zu administrieren hat. Bei Feststellung der Leistungsansprüche hat dieser nur eigenes Recht anzuwenden. Ist danach ein Wanderversicherter der Pensionsversicherung der Arbeiter leistungszugehörig, kann für ihn somit nur der Versicherungsfall der Invalidität nach § 255 ASVG, nicht aber jener der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 GSVG in Frage kommen, weil der letztgenannte Versicherungsfall im Leistungsrecht nach dem ASVG nicht vorgesehen ist, da Gegenstand der Pensionsversicherung nach dem ASVG unselbständige Erwerbstätigkeiten sind (SSV-NF 16/19, 15/31, 15/83 mwN ua).
Die Leistungszugehörigkeit des Klägers zur Pensionsversicherung der Arbeiter ist nicht strittig, weshalb sein Leistungsanspruch unbestritten nach § 255 ASVG zu prüfen ist.
Nach § 255 Abs 1 ASVG gilt ein Versicherter, der überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistigen gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Als überwiegend im Sinne des soeben zitierten Abs 1 gelten solche erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) ausgeübt wurden (§ 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG). Das Verweisungsfeld für Versicherte, die keinen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt haben (§ 255 Abs 3 ASVG) und damit auch keinen Berufsschutz genießen, ist mit dem Arbeitsmarkt ident. Sie dürfen nach § 255 Abs 3 ASVG auf alle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewerteten - unselbständigen - Tätigkeiten verwiesen werden, die sie infolge ihres körperlichen und geistigen Zustandes noch ausüben können und die ihnen unter billiger Berücksichtigung der von ihnen ausgeübten Tätigkeiten zumutbar sind (SSV-NF 14/76 mwN).
Durch die 35. ASVG-Nov (BGBl 1980/585) bzw 39. ASVG-Nov (BGBl 1983/590) wurde für ältere Dienstnehmer ein leichterer Zugang zur Invaliditätspension eröffnet. Nach § 255 Abs 4 ASVG idF BGBl 1983/590 galt der Versicherte auch als invalid, wenn er
a) das 55. Lebensjahr vollendet hat,
b) am Stichtag 180 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben hat,
c) in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt wurde und
d) infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit (lit c) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.
Mit der durch die 51. ASVG-Nov (BGBl 1993/335) ab 1. 7. 1993 eingeführten vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) wurde eine neue Leistung der Pensionsversicherung geschaffen, die jedoch weitgehend die besonderen Anspruchsvoraussetzungen der Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 4 ASVG (aF) und der Berufsunfähigkeitspension gemäß § 273 Abs 3 ASVG (aF) zu einer vorzeitigen Alterspension zusammenfasste. § 253d Abs 1 bis 3 ASVG idF ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, lautete wie folgt:
„Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit hat der Versicherte nach Vollendung des 57. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn er (sie)
1.) die Wartezeit erfüllt hat (§ 236),
2.) innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 72 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nachweist
3.) in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat".
Die zitierten Bestimmungen des § 255 Abs 4 ASVG (aF) und § 253d Abs 1 ASVG enthielten somit jeweils die ausdrückliche Regelung, dass der Versicherte in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate „nach diesem Bundesgesetz" während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt haben muss. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Versicherte während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate „nach diesem Bundesgesetz" (= ASVG) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausübte, waren daher nach dem klaren Gesetzeswortlaut Beitragszeiten nach dem BSVG und dem GSVG nicht zu berücksichtigen.
Durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 (SVÄG 2000, BGBl I 2000/43) wurden die Regelungen über die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit mit Wirkung ab 1. 7. 2000 aufgehoben. Diese Aufhebung wurde allerdings durch eine Anpassung der Bestimmungen über die Invaliditäts- und Erwerbsunfähigkeitspension „abgefedert".
Nach § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000 gilt als invalid auch der Versicherte, der das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.
Nach den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit- und Soziales, AB 187 BlgNR XXI. GP 3 f) soll als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit unter einem der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden. Können diese Personen auf Grund einer Krankheit (oder eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufs- bzw erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann.
Das Berufungsgericht leitet nun aus der Tatsache, dass in § 255 Abs 4 ASVG (nF) das noch in den Vorgängerbestimmungen enthaltene Erfordernis der Ausübung einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nicht mehr enthalten ist, ab, dass nach dem Willen des Gesetzgebers nunmehr Invalidität vorliegt, wenn der Versicherte innerhalb des unverändert gebliebenen Rahmenzeitraumes von 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt hat, und zwar unabhängig davon, in welchem Versicherungszweig (ASVG, GSVG, BSVG) dadurch Versicherungszeiten erworben wurden. Den zitierten Gesetzesmaterialien ist eine solche Absicht des Gesetzgebers zwar nicht ausdrücklich zu entnehmen, doch stellen der Gesetzeswortlaut und auch die Gesetzesmaterialien für das Vorliegen von Invalidität ganz allgemein darauf ab, ob der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, einer bestimmten durch längere Zeit hindurch ausgeübten Tätigkeit nachzugehen. Hingegen findet sich weder im Gesetzestext noch in den Materialien eine den beiden Vorgängerbestimmungen vergleichbare Einschränkung dahingehend, dass bei Beurteilung des „Tätigkeitsschutzes" ausschließlich Zeiten der Pflichtversicherung nach dem ASVG zu berücksichtigen seien. Bei der Frage der Auslegung der Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG ist, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, auch die bereits seit geraumer Zeit bestehende und weiter zunehmende „Flexibilisierung der Arbeitswelt" zu berücksichtigen. Dieses Phänomen zeigt sich vor allem darin, dass im Laufe eines Erwerbslebens mehrere unterschiedliche Berufstätigkeiten ausgeübt werden und damit die Kontinuität der Berufsausübung im Rahmen eines „Berufsstandes" verloren geht (erste Fallgruppe), dieselbe Erwerbstätigkeit in unterschiedlicher Rechtsform (Dienstvertrag, freier Dienstvertrag, Werkvertrag) ausgeübt wird und daher im Zeitablauf unterschiedlichen sozialversicherungsrechtlichen Kategorien unterliegt (zweite Fallgruppe) sowie dieselbe Erwerbstätigkeit mehr oder weniger gleichzeitig in unterschiedlichen Rechtsformen ausgeübt wird (dritte Fallgruppe). In die zweite Fallgruppe fallen insbesondere Dienstnehmer, die im Zuge der wirtschaftlichen Umstrukturierungen in ihrer Branche ein bestehendes Dienstverhältnis (freiwillig oder unfreiwillig) beenden und in weiterer Folge im Wesentlichen dieselbe früher langjährig in einem Dienstverhältnis ausgeübte Tätigkeit in den Rechtsformen des freien Dienstvertrages im Sinn des § 4 Abs 4 ASVG oder der neuen Selbständigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG fortsetzen. Der Unterschied zwischen unselbständig Beschäftigten und freien Dienstnehmern im Sinn des § 4 Abs 4 ASVG liegt vor allem in der geringeren persönlichen Abhängigkeit des freien Dienstnehmers. Freie Dienstnehmer, die eine weitergehende Selbständigkeit aufweisen und deshalb über eine betriebliche Infrastruktur verfügen, gelten dagegen bereits als „neue Selbständige" im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG, wobei die Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Beschäftigungsformen im Allgemeinen nicht ohne weiteres eindeutig vorgenommen werden können (Bergauer/Urbanek, Pensionsrechtliche Fragen bei flexiblen Arbeitsverhältnissen, ZAS 2004/19, 105 ff). Der Gesetzgeber hat dieser Entwicklung am Arbeitsmarkt auf der Beitragsseite dadurch Rechnung getragen, dass er auch diese „neuen" Beschäftigungsformen in die solidarische Beitrags- und Leistungsgemeinschaft eingebunden hat. So wurden mit dem Arbeits- und Sozialrechtsänderungsgesetz 1997 (ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139) ab 1. 1. 1998 auch neue Selbständige und freie Dienstnehmer in die Schutz- und Beitragspflicht der gesetzlichen Sozialversicherung einbezogen (vgl dazu ua Schmid, Vertragstypen im Sozial- und Arbeitsrecht, SozSi 1999, 304 ff).
Wie Bergauer/Urbanek aaO 110 zutreffend aufzeigen, können bei der Beurteilung der Frage, was als „eine" Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG anzusehen ist, auch inhaltlich zumindest teilweise als selbständig anzusehende Tätigkeiten herangezogen werden. So können nämlich zweifellos Beitragsmonate auf Grund eines freien Dienstvertrages gemäß § 4 Abs 4 ASVG für § 255 Abs 4 ASVG herangezogen werden, weil durch sie die Pflichtversicherung im leistungszuständigen ASVG-System begründet wird. So kann ein Arbeitnehmer, der es nach Verlust des Arbeitsplatzes relativ rasch schafft, seine bisherige Tätigkeit wenigstens als freier Dienstnehmer weiter auszuüben, in den Genuss der Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG gelangen, wenn er in beiden ASVG-versicherungspflichtigen Tätigkeiten auf 120 Monate (in den letzten 180 Kalendermonaten) kommt.
Darüber hinaus befürworten Bergauer/Urbanek eine Zusammenrechnung der Ausübungszeiten „einer" Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG auch dann, wenn die „eine" Tätigkeit in ihren wesentlichen körperlichen und geistigen Anforderungen seit geraumer Zeit lediglich in verschiedenen Rechtsformen (zB Dienstvertrag, Werkvertrag) ausgeübt wurde. In diesem Fall sollte beim Schritt der Feststellung der „einen" Tätigkeit die vom Versicherten bewiesene Flexibilität dadurch berücksichtigt werden, dass auch außerhalb des ASVG die Typizität der Tätigkeit aufgesucht wird. Eine Begründung dafür sei darin zu sehen, dass in den Inhalten einer als ASVG-Dienstnehmer, freier Dienstnehmer oder auch neuer Selbständiger ausgeübten Tätigkeit meist genauso viele oder sogar weniger signifikante Unterschiede liegen als in den von der Rechtsprechung dem Ausdruck „einer" Tätigkeit unterstellten ASVG-versicherungspflichtigen Tatbeständen (Bergauer/Urbanek aaO ZAS 2004, 110 f).
Unter Berücksichtigung dieser soeben dargelegten Ausführungen teilt der erkennende Senat die Auslegung des Berufungsgerichtes, der Kläger erfülle die Voraussetzung der Ausübung „einer" Tätigkeit mindestens 120 Kalendermonate hindurch im Rahmenzeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG, da er dieselbe Erwerbstätigkeit im erforderlichen zeitlichen Ausmaß - wenn auch in unterschiedlichen Rechtsformen (zunächst als Beschäftigter nach dem ASVG und zuletzt als Selbständiger nach dem GSVG) - ausgeübt hat. Diese Auslegung steht mit dem Gesetzeswortlaut im Einklang und entspricht vor allem dem Zweck der gesetzlichen Regelung, älteren Erwerbstätigen, die eine bestimmte Tätigkeit durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag ausgeübt haben, durch die Einräumung eines „Tätigkeitsschutzes" den Zugang zu einer Pensionsleistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu erleichtern.
Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu der in der Entscheidung 10 ObS 115/04s vom Obersten Gerichtshof vertretenen Auffassung, wonach Zeiten einer unselbständigen Beschäftigung für das Erreichen der im § 133 Abs 2 GSVG geforderten 60 Kalendermonate nicht zu berücksichtigen sind, weil in § 133 Abs 2 GSVG - ebenso wie in der § 255 Abs 4 ASVG vergleichbaren Bestimmung des § 133 Abs 3 GSVG - ausdrücklich auf eine „selbständige Erwerbstätigkeit" abgestellt wird und eine selbständige Erwerbstätigkeit über die bloße Verrichtung manueller Arbeiten hinausgehende Qualifikationen (etwa auch kaufmännische, betriebsorganisatorische und planerische Kenntnisse und Fähigkeiten) erfordert (10 ObS 115/04s). Auch der weitere Hinweis der Revisionswerberin auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach in der Frage des Berufsschutzes Zeiten einer selbständigen Tätigkeit nicht als Zeiten einer überwiegenden Berufsausübung im Sinn des § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG angesehen werden können, vermag in diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen, weil in § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG ausdrücklich nur auf erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten abgestellt wird, wenn sie mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden. Gerade eine solche Einschränkung auf Versicherungszeiten nach dem ASVG ist jedoch, wie bereits mehrfach ausgeführt, in der Regelung des § 255 Abs 4 ASVG nicht (mehr) enthalten. Dass die von der Revisionswerberin geforderte strikte Trennung der von einem Versicherten in den verschiedenen Sozialversicherungssystemen (ASVG, GSVG, BSVG) ausgeübten Erwerbstätigkeiten im Einzelfall zu sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen führen kann, hat im Übrigen die beklagte Pensionsversicherungsanstalt selbst in dem der Entscheidung SSV-NF 15/31 zugrundeliegende Verfahren zu Recht aufgezeigt und hat der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung auch ausgesprochen, dass es für die Verweisbarkeit eines Versicherten nach § 255 Abs 1 ASVG keinen Unterschied machen kann, ob er sich die für die Verweisungstätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten als unselbständig Erwerbstätiger oder im Rahmen der Vorbereitung zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im erlernten Beruf erworben hat.
Auf Grund dieser Erwägungen musste die Revision erfolglos bleiben.
Der Zuspruch der vom Kläger für seine Revisionsbeantwortung verzeichneten Kosten (§ 405 ZPO) gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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