OGH 10ObS4/01p

OGH10ObS4/01p3.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hoch sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Lang (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Agnes Maria G*****, vertreten durch Dr. Günther Sulan, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Bundespensionsamt, Barichgasse 38, 1031 Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen Pflegegeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2000, GZ 7 Rs 218/00f-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. April 2000, GZ 32 Cgs 211/99z-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO). Die Klägerin hat die Tatsachengrundlage des Ersturteils nämlich gar nicht bekämpft und in ihrer Berufungsbeantwortung auch nicht ausgeführt, welche Feststellungen "hinsichtlich der ... Pflegestufe 6" noch zu treffen gewesen wären bzw zu welchen Beweisanboten für das "diesbezügliche" Vorbringen sie anzuleiten gewesen wäre.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung des Pflegegeldes in einem höheren Ausmaß als der Pflegestufe 5 nicht erfüllt ist zutreffend; es kann daher auf dessen Ausführungen verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist jedoch Folgendes festzuhalten:

Mit 1. 1. 1999 ist das Bundesgesetz über die Änderung des Bundespflegegeldgesetzes (BGBl I 1998/111) in Kraft getreten. Ab 1. 1. 1999 sind daher die Bestimmungen des BPGG in der novellierten Fassung anzuwenden. Die neue Einstufungsverordnung, BGBl II 1999/37, ist mit 1. 2. 1999 in Kraft getreten, die alte EinstV wurde mit 31. 1. 1999 aufgehoben (§ 9 EinstV nF). Die Anwendung der neuen Rechtslage (§ 4 Abs 2 BPGG nF) führt jedoch zu keinem anderen Ergebnis, weil die gesetzlichen Neudefinitionen in Anlehnung an die Judikatur des Obersten Gerichtshofes (RV 1186 BlgNR 20. GP 11) erfolgten (SSV-NF 13/19; RIS-Justiz RS0106363 [T9]):

Anspruch auf Pflegegeld für Personen, deren Pflegebedarf durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt besteht demnach nunmehr in Höhe der Stufe 5: wenn ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand erforderlich ist (dieser liegt auch nach § 6 der neuen EinstV dann vor, wenn die dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist); Stufe 6:

wenn 1. zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen erforderlich sind und diese regelmäßig während des Tages und der Nacht zu erbringen sind oder 2. die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht erforderlich ist, weil die Wahrscheinlichkeit der Eigen- oder Fremdgefährdung gegeben ist; und schließlich Stufe 7: wenn 1. keine zielgerichteten Bewegungen der vier Extremitäten mit funktioneller Umsetzung möglich sind oder 2. ein gleichzuachtender Zustand vorliegt (SSV-NF 13/19).

Was nun die Voraussetzungen der Pflegestufe 7 betrifft, legt das Berufungsgericht die stRsp des erkennenden Senates zugrunde, wonach dann, wenn einem Pflegebedürftigen noch zielgerichtete Bewegungen mit funktioneller Umsetzung möglich sind, keine "praktische Bewegungsunfähigkeit" und auch kein dieser gleichzuachtender Zustand im Sinne des § 4 Abs 2 (Stufe 7) BPGG - in der hier allerdings nicht mehr anzuwendenden Fassung - vorliegt. Dem Argument der Revisionswerberin, die Zuerkennung der Pflegestufe 7 bei nach diesen Grundsätzen bewegungsunfähigen Personen würde dazu führen, dass diese Personen taub und blind sein müssten, weil letztendlich auch für die Sprache und auch für das Sehen (infolge Fokussierens des Auges) willentliche Bewegungen notwendig seien, kann nicht beigetreten werden. Dabei wird nämlich - wie der erkennende Senat bereits zu 10 ObS 231/00v ausgesprochen hat - außer Acht gelassen, dass es richtigerweise auf zielgerichtete Bewegungen der vier Extremitäten ankommt, wie dies im geltenden Gesetzestext des § 4 Abs 2 BPGG nF ausdrücklich klargestellt ist.

Das Berufungsgericht hat daher zutreffend darauf verwiesen, dass bei der Klägerin nach den getroffenen Feststellungen an den oberen Extremitäten eine gewisse Restbeweglichkeit erhalten ist, wobei die Klägerin zwar "keine Schnabeltasse halten oder einen Knopf drücken kann", das Drücken einer Quietschpuppe als Rufeinrichtung für den Betreuungsbedarf jedoch möglich ist. Dass die Klägerin nur mehr in der Lage ist, diese eine Bewegung auszuführen, ändert nichts daran, dass ihr eben diesbezüglich noch ein zielgerichteter Bewegungsablauf möglich ist (sie ist auf diese Weise etwa im Stande, eine Hilfsperson herbeizurufen, die sich nicht im selben Raum befindet). Dem in der Revision erörterten Umstand, dass die Klägerin nicht mehr zu "mehreren unterschiedlichen" derartigen Bewegungen fähig ist, kommt hingegen keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu; wurde doch in § 4 Abs 2 BPGG nF als Erfordernis der höchsten Pflegestufe (auch) klargestellt, dass "keine zielgerichteten Bewegungen der vier Extremitäten mit funktionaler Umsetzung möglich sind....", sodass schon der ein der Klägerin noch möglicher Bewegungsablauf dieser Qualität die Zuerkennung von Pflegegeld dieser Stufe ausschließt.

Es wurden aber auch die Voraussetzungen für Pflegegeld der Stufe 6 zutreffend verneint. Nach § 4 Abs 2 BPGG ist (bzw war) für die Erlangung von Pflegegeld der Stufe 6 neben dem hier unbestrittenen Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden erforderlich:

Gemäß § 4 Abs 2 aF: die dauernde Beaufsichtigung oder ein gleichzuachtender Pflegebedarf;

gemäß § 4 Abs 2 nF: 1. zeitlich unkoordinierte Betreuungsmaßnahmen, die regelmäßig während des Tages und der Nacht zu erbringen sind oder

2. die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht, weil die Wahrscheinlichkeit einer Eigen- oder Fremdgefährdung gegeben ist (vgl zur Neufassung: 10 ObS 135/00a mwN).

Während die Z 1 im § 4 Abs 2 Stufe 6 BPGG nF eine Ausweitung gegenüber der alten Rechtslage darstellt, entspricht die Z 2 trotz anderer Wortwahl dem Fall der "dauernden Beaufsichtigung oder einem gleichzuachtenden Pflegeaufwand" nach der alten Rechtslage (RIS-Justiz RS0112072). Die Voraussetzungen dafür liegen nach ständiger Rechtsprechung dann vor, wenn die weitgehend permanente Anwesenheit einer Pflegeperson im Wohnbereich bzw in unmittelbarer Nähe des Pflegebedürftigen notwendig ist. Dies wird vor allem dann erforderlich sein, wenn im Einzelfall besonders häufig und/oder besonders dringend (zB wegen sonstiger Selbstgefährdung) ein Bedarf nach fremder Hilfe auftritt (10 ObS 135/00a mit Hinweis auf RIS-Justiz RS0107442; RS0106362 mwN).

Der bei der Klägerin unbestritten gegebene außergewöhnliche Pflegebedarf der Stufe 5 erfordert hingegen die dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson. Dies ist dahin zu verstehen, dass der Pflegebedürftige jederzeit Kontakt mit der Pflegeperson aufnehmen und diese in angemessener Zeit die erforderliche Betreuung und Hilfe leisten kann oder die Pflegeperson von sich aus in angemessenen Zeitabständen Konktakt mit dem Pflegebedürftigen aufnimmt (10 ObS 113/00s mwN).

Da die Klägerin aber nach den getroffenen Feststellungen ca eine Stunde allein gelassen werden kann, und die Betreuungsmaßnahmen zeitlich im Voraus koordiniert werden können, sodass sonst offenbar die Rufbereitschaft einer Pflegeperson ausreicht, sind die Voraussetzungen der Pflegestufe 6 auch nach neuem Recht nicht erfüllt (10 ObS 113/00s und 10 ObS 135/00a mwN).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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