Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Rechtsmittelkosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Die (am 15. Oktober 1933 geborene) Klägerin übte von April 1973 bis Juni 1975 in Österreich eine selbständige Tätigkeit als Handstrickerin mit Handstrickapparaten aus und erwarb in dieser Zeit insgesamt 27 Beitragsmonate in der gewerblichen Selbständigen-Pensionsversicherung.
Die Klägerin kann aufgrund ihres - im einzelnen näher beschriebenen geistigen und körperlichen Zustands, bei dem eine Rheumaerkrankung im Vordergrund steht - noch leichte, halbzeitig auch mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen in normaler Arbeitszeit mit den üblichen Arbeitspausen verrichten. Der Anmarschweg unter städtischen und nicht allzu schwierigen ländlichen Verhältnissen ist möglich. Auszuschließen sind Arbeiten in Nässe und Kälte oder feuchtkaltem Milieu, wenn ein Kälteschutz nicht geboten werden kann, Arbeiten, bei denen Gummi- oder Kunststoffstiefel getragen werden müssen, und Arbeiten unter ständigem besonderen Zeitdruck oder im Fabriksmilieu.
Die Klägerin kann trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen noch eine Handstrickmaschine bedienen. Zeitweise ist dies jedoch wegen ihres Rheumas nicht möglich. Sie ist deshalb in bestimmten Zeiträumen, die im einzelnen drei Wochen und im Jahr insgesamt acht Wochen nicht überschreiten, arbeitsunfähig und muß sich in den Krankenstand begeben.
Rechtlich war das Erstgericht der Meinung, daß die Klägerin nicht erwerbsunfähig sei, weil sie noch jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen könne, die sie in Österreich ausgeübt hat. Für die Zeit vor Vollendung des 55. Lebensjahres könne sie überdies noch auf die Tätigkeit einer Verkäuferin in einem Kaffeespezialgeschäft oder in einem Süßwarengeschäft, einer Bürobotin und einer Aufseherin verwiesen werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die notwendigen Krankenstände hätten noch nicht ein Ausmaß erreicht, bei dem der der Klägerin verbliebene Rest ihrer Arbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt unverwertbar wäre. Da die Klägerin den bisher ausgeübten Beruf weiterhin ausüben könne, sei sie weder nach dem Abs 1 noch nach dem Abs 2 des § 133 GSVG erwerbsunfähig. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern, oder es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Auf die Ausführungen zur Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens muß nicht eingegangen werden, weil sich schon aufgrund des vom Erstgericht festgestellten und vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen Sachverhalts ergibt, daß die Klägerin gemäß § 133 Abs 1 und 2 GSVG erwerbsunfähig ist.
Der Oberste Gerichtshof hat bisher zwar nur zu den Auswirkungen Stellung genommen, die Krankenstände auf die Arbeitsfähigkeit unselbständig Erwerbstätiger haben. Wie aus seiner Rechtsprechung hervorgeht, können häufige oder länger dauernde Krankenstände bei diesen Versicherten bewirken, daß die Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr bewertet wird und sie daher von diesem ausgeschlossen sind (10 Ob S 101/89 = SSV-NF 3/45 - in Druck ua). Dasselbe gilt aber für selbständig Erwerbstätige, deren Erwerbsunfähigkeit nach § 133 GSVG zu beurteilen ist. Für den Tatbestand des Abs 1 dieser Gesetzestelle spricht dafür schon das Wort "regelmäßig", darüberhinaus aber auch die Erwägung, daß das Verweisungsfeld hier mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident ist (10 Ob S 217/89; 10 Ob S 234/89). Der Tatbestand des Abs 2 erfordert wieder, daß die persönliche Arbeitsleistung des Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war (lit b). Vom Versicherten kann daher nur verlangt werden, daß er die selbständige Tätigkeit, deren Ausübung ihm aufgrund seines körperlichen und geistigen Zustands noch zugemutet werden kann, in einer Form ausübt, bei der seine persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig ist, weil er sonst den Versicherungsschutz verlieren würde. Auf Berufstätigkeiten, bei denen letzteres der Fall wäre, darf ein Versicherter aber nicht verwiesen werden (vgl 10 Ob S 35/89 = SSV-NF 3/29 - in Druck ua). Die Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 2 GSVG ist daher auch dann gegeben, wenn infolge der zu erwartenden Krankenstände die Möglichkeit, den Betrieb durch die persönliche Arbeitsleistung aufrecht zu erhalten, nicht mehr besteht.
Der Oberste Gerichtshof hat bisher bei Krankenständen von durchschnittlich sechs Wochen (10 Ob S 101/89), dreißig Krankenstandstagen (10 Ob S 128/89), dreißig bis vierzig Krankenstandstagen (10 Ob S 153/89) oder dreißig Arbeitstagen (10 Ob S 157/89) im Jahr den Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt verneint. Er hat dies damit begründet, daß im Jahr 1986 in Österreich auf 1.000 Beschäftigte insgesamt 1.056 Krankenstandsfälle und auf jeden Fall 14,6 Krankenstandstage kamen.
Die bei der Klägerin zu erwartenden Krankenstände übersteigen das bisher für unbeachtlich angesehene Ausmaß erheblich. Die Dauer erreicht schon fast das Vierfache der durchschnittlichen Krankenstandstage und übersteigt das Vierfache, wenn man berücksichtigt, daß zu den auf die Leiden zurückzuführenden Krankenständen noch solche kommen können, die durch andere Ursachen, wie Erkältungen, bedingt sind. Unter diesen Umständen ist aber nach Ansicht des erkennenden Senates die Fähigkeit weder zu einer unselbständigen noch zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit gegeben. Die Klägerin ist somit vor der Vollendung des 55. Lebensjahres gemäß § 133 Abs 1 GSVG und nach dessen Vollendung gemäß dem nachfolgenden Abs 2 erwerbsunfähig. Von den weiteren Voraussetzungen für den Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension
(vgl § 132 Abs 1 GSVG) ist aber noch fraglich, ob die Wartezeit gemäß § 120 GSVG erfüllt ist. Dies wäre aufgrund der vom Erstgericht festgestellten Versicherungszeiten nicht der Fall. Aus dem Vorbringen der Klägerin läßt sich aber die Behauptung entnehmen, daß sie auch in der Bundesrepublik Deutschland Versicherungszeiten erworben hat. Da diese gemäß Art 26 Abs 1 des AbkSozSi-BRD bei der Feststellung ihres Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitspension zu berücksichtigen wären, wird das Erstgericht das Verfahren und seine Feststellungen in diesem Punkt zu ergänzen haben.
Der Ausspruch über die Rechtsmittelkosten beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.
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