European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00037.15M.0519.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Die Klägerin bezog aus Anlass der Geburt ihrer Tochter am 4. 10. 2012 bis 3. 10. 2013 einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld. Sie hatte mit ihrem Dienstgeber einen Karenzurlaub bis zum 3. 10. 2014 vereinbart.
Die Klägerin wurde erneut schwanger. Der voraussichtliche Entbindungstermin war der 19. 8. 2014. Am 24. 2. 2014 wurde ein individuelles Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 3 MSchG ausgesprochen. Sie brachte am 23. 7. 2014 Zwillinge zur Welt.
Mit Bescheid vom 16. 6. 2014 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Auszahlung eines vorzeitigen Wochengeldes ab 24. 2. 2014 ab.
Das Berufungsgericht änderte das klagsstattgebende Urteil des Erstgerichts im klagsabweisenden Sinn ab.
Rechtliche Beurteilung
In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
1. Das Wochengeld aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach dem ASVG ist eine Geldleistung aus der Krankenversicherung (vgl § 117 Z 4 lit d ASVG). Der Versicherungsfall der Mutterschaft wird durch § 120 Z 3 ASVG mit dem Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung festgelegt; erfolgt die Entbindung aber vor diesem Zeitpunkt, mit der Entbindung, oder mit dem Beginn eines besonderen Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs 3 MSchG.
2. Gemäß § 122 Abs 1 ASVG ist Voraussetzung einer Leistung aus der Krankenversicherung, dass der Versicherungsfall während der Versicherung oder vor dem auf das Ende der Versicherung nächstfolgenden Arbeitstag eingetreten ist. Dies ist im vorliegenden Fall unstreitig nicht gegeben, weil die Pflichtversicherung (nach § 8 Abs 1 Z 1 lit f ASVG) am 3. 10. 2013 endete (Ende des Kinderbetreuungsgeldbezugs), der Versicherungsfall aber erst am 24. 2. 2014 (Beginn des individuellen Beschäftigungsverbots) eintrat.
3. § 122 Abs 3 ASVG regelt eine Verlängerung des Versicherungsschutzes für jene Fälle, in denen der Versicherungsfall der Mutterschaft (Beginn der achten Woche vor der Entbindung) nach Beendigung der Pflichtversicherung eintritt (vgl 10 ObS 312/98z, SSV‑NF 13/1). Danach sind ‑ über die Bestimmungen des § 122 Abs 2 ASVG hinaus ‑ Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft auch zu gewähren, wenn
‑ der Versicherungsfall nach dem Ende der Pflichtversicherung eintritt,
‑ der Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalls in den Zeitraum des Bestands der beendeten Pflichtversicherung fällt und
‑ die Pflichtversicherung mindestens 13 Wochen bzw drei Kalendermonate ununterbrochen bestanden hat.
4. Der Schutzfristfall des § 122 Abs 3 ASVG eröffnet somit den Anspruch auf Wochengeld auch solchen werdenden Müttern, bei denen zwar („ungefähr“) bei Eintritt ihrer Schwangerschaft, nicht aber bei Eintritt des Versicherungsfalls eine aufrechte Pflichtversicherung bestand (10 ObS 59/14w).
5. In ihrer außerordentlichen Revision stellt die Klägerin nicht in Frage, dass der Beginn der 32. Woche vor dem Beginn der achten Woche vor der Entbindung (also der Eintritt der Schwangerschaft am Beginn der 40. Woche vor der Geburt der Tochter) nicht in den Zeitraum des Bestands der beendeten Pflichtversicherung fällt.
Dennoch sieht sie eine erhebliche Rechtsfrage darin, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 59/14w wegen der Verwendung des Klammerausdrucks „ungefähr“ offenkundig nicht davon ausgehe, dass die im Gesetz genannten Fristen (insbesondere „Beginn der 32. Woche vor Eintritt des Versicherungsfalls“) absolut seien. Es sei daher zu klären, welche Überschreitung des Zeitraums von 32 Wochen noch als „ungefähr“ anzusehen sei.
Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass nach der bereits zitierten Bestimmung des § 122 Abs 3 ASVG ein Wochengeldanspruch auch dann in Betracht kommt, wenn der Versicherungsfall der Mutterschaft ‑ der nach § 120 Z 3 ASVG grundsätzlich mit dem Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung als eingetreten gilt ‑ zwar nach dem Ende der Pflichtversicherung eintritt, aber der Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalls (also der für die Konzeption angenommene Zeitpunkt) noch in den von der Pflichtversicherung erfassten Zeitraum fällt. Die Dauer der Schwangerschaft wird vom Gesetzgeber grundsätzlich mit 40 Wochen festgelegt. Die Regelung des § 122 Abs 3 ASVG verlangt daher im Ergebnis, dass der Beginn der Schwangerschaft in die Zeit des aufrechten Bestands einer für gewisse Zeit bestehenden Pflichtversicherung fallen muss. Mit dem in § 122 Abs 3 ASVG genannten Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft ist somit der in § 120 Z 3 erster Halbsatz geregelte Grundfall des Eintritts dieses Versicherungsfalls (= Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung) gemeint.
Aus dem Zusammenhang der Ausführungen in der Entscheidung 10 ObS 59/14w ergibt sich daher, dass die Verwendung des Ausdrucks „ungefähr“ den Umstand reflektiert, dass der Gesetzgeber im Regelungszusammenhang (§ 120 Z 3 und § 122 Abs 3 ASVG) grundsätzlich die Dauer der Schwangerschaft mit 40 Wochen festlegt und der ‑ maßgebliche ‑ errechnete Beginn der Schwangerschaft nicht der tatsächliche sein muss. Die Klägerin wäre rund 46 Wochen schwanger gewesen, wenn sie noch während des Bestands der Pflichtversicherung schwanger geworden wäre.
6. Das Berufungsgericht hat demnach zu Recht das Begehren auf Wochengeld abgewiesen. Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der relevanten Gesetzeslage vermögen die Ausführungen der Revisionswerberin nicht zu erwecken. Wenn der Gesetzgeber den Anspruch auf eine Leistung aus einem Versicherungsfall daran knüpft, dass ein für den Eintritt des Versicherungsfalls notwendiges Ereignis während des Bestands einer Pflichtversicherung eingetreten ist, so widerspricht dies nicht dem aus Art 7 B‑VG abgeleiteten Sachlichkeitsgebot, ist es doch Ausdruck des Versicherungsprinzips. Das Argument der Klägerin, es hätte für ihren Anspruch auf Wochengeld genügt, wenn sie am Tag des dann bestätigten individuellen Beschäftigungsverbots vorher bei ihrem Dienstgeber den Dienst wieder angetreten und sie ihren Dienst sofort nach Vorliegen der Bestätigung der Gebietskrankenkasse über ihre Anmeldung wegen des Beschäftigungsverbots faktisch wieder beendet hätte, ist schon deshalb nicht zielführend, weil die Regelung des § 122 Abs 3 ASVG auch voraussetzt, dass die Pflichtversicherung mindestens 13 Wochen bzw drei Kalendermonate gedauert haben muss. Darüber hinaus ist die Schutzfristverlängerung des § 122 Abs 3 ASVG für die Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft gegenüber der Regelung für die Versicherungsfälle der Krankheit für die Anspruchsberechtigten insofern günstiger, als eine gegenüber § 122 Abs 2 ASVG längere Fortwirkung der Versicherung nach Ende der Pflichtversicherung angeordnet wird. Sind die in § 122 Abs 3 ASVG genannten Voraussetzungen erfüllt, ist es grundsätzlich gleichgültig, wie lange der Zeitraum zwischen dem Ende der Pflichtversicherung und dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft ist (vgl Windisch‑Graetz in SV‑Komm § 122 Rz 22).
Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass nach herrschender Auffassung der Eintritt eines absoluten Beschäftigungsverbots bei einer neuerlichen Schwangerschaft während eines Karenzurlaubs diesen jedenfalls beendet. Ein Karenzurlaub kann nämlich für jene Zeiträume, für die ein Beschäftigungsverbot nach den §§ 3 und 5 MSchG besteht, nicht in Anspruch genommen werden. Es wird daher bei einer neuerlichen Schwangerschaft mit dem Beginn des Beschäftigungsverbots der Karenzurlaub verdrängt (vgl Wolfgruber in Zellkomm² § 15 MSchG Rz 20 f mwN; 10 ObS 77/11p, SSV‑NF 25/79; RIS‑Justiz RS0070590). Die Frage, ob einer schwangeren Angestellten, die keinen Anspruch auf Wochengeld hat, nach der Entbindung für sechs Wochen eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber zusteht, ist im vorliegenden Fall nicht zu beurteilen (vgl dazu 9 ObA 132/87 = RIS‑Justiz RS0027973; ARD 6412/20/2014: Die „Wochengeldfalle“).
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