OGH 10ObS367/90

OGH10ObS367/9020.11.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Stefan Seper und Dipl.Ing. Walter Holzer (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann O***, Pensionist, 9113 Ruden, Dobrowa 12, vertreten durch Dr. Karl Safron, Dr. Franz Großmann und Dr. Leopold Wagner, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei S*** DER B*** (L*** K***),

1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Feststellung einer Berufskrankheit und Leistung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Mai 1990, GZ 7 Rs 11/90-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 20. Dezember 1989, GZ 32 Cgs 170/89-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 27. 6. 1989 lehnte die beklagte Partei die Gewährung einer Leistung aus der Unfallversicherung für die Folgen der angezeigten Erkrankung nach § 177 Abs 1 ASVG mit der Begründung ab, daß eine Berufskrankheit im Sinne der Anlage 1 zum ASVG nicht vorliege.

Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage richtete sich auf die Feststellung, daß es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine Berufskrankheit handle, und auf Gewährung einer Leistung aus der Unfallversicherung für die Folgen dieser Erkrankung. Sie stützte sich auf ein Asthma bronchiale, das nach LfdNr 30 der Anlage 1 zum ASVG als Berufskrankheit gelte.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie wendete ein, daß ein berufskausaler Zusammenhang mit dem Leiden nicht zu objektivieren gewesen sei.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Nach seinen Feststellungen besteht beim Kläger seit etwa 15 Jahren ein allergisches Asthma bronchiale, dessen allergene Genese durch positive Prickaustestung für Hausstaub- und Mehlmilbe diagnostiziert wurde. Diese Diagnose wurde durch die Rastuntersuchung einwandfrei bestätigt. Andere relevante Allergien sind nicht bekannt bzw nicht nachgewiesen. Bei der Hausstaub- bzw Mehlmilbe handelt es sich um ubiquitär (= überall) vorhandene Spinnentiere, die zum normalen Ökosystem einer Wohnung gehören. Es handelt sich auf keinen Fall um berufsspezifische Allergene der Landwirtschaft, so daß ein kausaler Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht besteht. Die von ihm glaubwürdig behauptete Verkettung von landwirtschaftlichen Tätigkeiten und Asthmaanfällen ist dadurch zu erklären, daß bei der Auslösung eines Asthmaanfalls auch andere Faktoren maßgeblich beteiligt sind; insbesondere wirken sich körperliche Anstrengung und lokale mechanische und chemische Reizwirkung von Staubinhalation auf der Grundlage der Hyperreaktivität des Bronchialbaumes und der allergischen Grundmechanismen auslösend aus. Beim Kläger besteht ein Asthma bronchiale, das jedoch in keinem kausalen Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als Landwirt steht.

Deshalb könne die Krankheit des Klägers nicht nach § 177 Abs 1 ASVG als Berufskrankheit gelten.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es führte im wesentlichen aus, entscheidend sei, ob das allergische Asthma bronchiale ursächlich auf eine Tätigkeit des (gemeint "im") geschützten Lebensbereich(es) zurückzuführen sei. Nun stehe unbedenklich fest, daß die Hausstaub- bzw Mehlmilbe keine berufsspezifischen Allergene der Landwirtschaft seien, sondern überall vorkämen und zum normalen Ökosystem einer Wohnung gehörten. Der Versicherungsschutz setze voraus, daß die Einwirkungen mit dem Beruf zusammenhängen und zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit zwingen. Da die genannten Spinnentiere überall vorkämen, lasse sich das Asthma bronchiale auch nicht mit der Aufgabe der landwirtschaftlichen Tätigkeit beseitigen. Deshalb könne nicht gesagt werden, daß die landwirtschaftliche Tätigkeit eine wesentliche Bedingung für diese Erkrankung sei, die daher nicht ursächlich auf eine Tätigkeit im geschützten Lebensbereich zurückzuführen sei.

Dagegen richtet sich die unbeantwortet gebliebene Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren auf "Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß" (richtig wohl einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß) stattgegeben werde, oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Das nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Rechtsmittel ist nicht berechtigt. Die in der Anlage 1 zum ASVG unter der LfdNr 30 bezeichneten Erkrankungen an Asthma bronchiale gelten, wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Erwerbstätigkeiten zwingen, nur dann als Berufskrankheiten im Sinne des § 177 Abs 1 ASVG, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem Unternehmen verursacht worden sind (Tomandl, Grundriß4 Rz 148; ders. SV-System 4. ErgLfg 271), im vorliegenden Fall im Hinblick auf § 2 Abs 1 Z 1 und § 3 Abs 1 Z 1 BSVG durch die Beschäftigung in einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb im Sinne des LandarbeitsG 1984.

Der Kläger hat also nach den auch in Sozialrechtssachen, die keine Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 und Z 5 ASGG sind (§ 87 Abs 4 leg cit), geltenden allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung (SSV-NF 1/48; 2/65) zu beweisen, daß sein Asthma bronchiale durch Ausübung dieser land(forst)wirtschaftlichen Beschäftigung verursacht worden ist. An diesen Kausalitätsbeweis dürfen allerdings keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden, weshalb - ähnlich wie für die Haftungsbegründung in Schadenersatzfällen - der Beweis eines (sehr) hohen Wahrscheinlichkeitsgrades genügt (vgl Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 I 327; Reischauer in Rummel, ABGB Rz 3 zu § 1295;

Harrer in Schwimann, ABGB Rz 30 zu § 1295; SZ 36/45; RZ 1983/14;

JBl 1988, 244; SSV-NF 2/65). In diesem Sinne reicht es für den sogenannten Anscheinsbeweis aus, daß der Beweisbelastete bestimmte Tatsachen beweist, aus denen sich nach der Lebenserfahrung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf andere Tatsachen schließen läßt (Reischauer aaO Rz 4 zu § 1296; SSV-NF 2/65). Eines der wichtigsten Anwendungsgebiete des Anscheinsbeweises liegt dort, wo formelhafte, typische Kausalabläufe bestehen, also beim Beweis des Kausalzusammenhanges. Um Härten eines unzumutbaren Beweisnotstandes für den Versicherten zu vermeiden, wie sie besonders bei Ansprüchen aus Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten auftreten, muß die Regel des Anscheinsbeweises umsomehr auch hier (modifiziert) angewendet werden. Ist erwiesen, daß ein Arbeitsunfall vorlag und sind in der Folge eingetretene Gesundheitsschäden typische Folgen solcher Unfälle, dann muß dies im Sinne der objektiven Beweislast für eine diesbezügliche Feststellung ausreichen, wenn der volle Beweis für die Kausalität nicht erbracht werden kann. Entsprechendes gilt für Berufskrankheiten, wo es ausreichen muß, wenn die Krankheit typischerweise eine Folge der konkreten Berufsausübung sein kann (Fasching in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 728/15 unter Bezugnahme in FN 7 auf 10 Ob S 23/88 = SSV-NF 2/65). Die Entkräftung des Anscheinsbeweises, der nur eine auflösend bedingte Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche, mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang stehende Tatsache ist, geschieht durch den Beweis, daß der typisch formelhafte Geschehensablauf im konkreten Fall nicht zwingend ist, sondern daß die ernstliche Möglichkeit eines atypischen Ablaufes besteht. Hat der Gegner diese Möglichkeit dargetan, dann fällt die Beweisthemenverschiebung weg und der Beweisführer muß die gesetzlich geforderten Tatbestandsmerkmale streng beweisen (Fasching, ZPR2 RZ 894 f; SZ 50/136; ZVR 1984/246;

JBl 1988, 244; SSV-NF 2/65). Ob in einem bestimmten Fall ein Anscheinsbeweis zulässig ist, ob also die Voraussetzungen dafür vorliegen, daß anstelle eines vom Gesetz geforderten Tatbestandsmerkmales (zunächst) ein anderes bewiesen werden darf, kann als Frage der rechtlichen Beurteilung auch vom Obersten Gerichtshof geprüft werden. Ob der Anscheinsbeweis erbracht oder erschüttert worden ist, ist hingegen eine vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbare Beweiswürdigungsfrage (Fasching, Komm III 236 f; ders, ZPR2 Rz 897; Reischauer aaO Rz 6 zu § 1296; JBl 1972, 426; JBl 1988, 244; SSV-NF 2/65).

Im vorliegenden Fall wurde vom Erstgericht verneint, daß das durch die Hausstaub- bzw Mehlmilbe ausgelöste Asthma bronchiale des Klägers typischerweise eine Folge seiner die Versicherung begründenden Beschäftigung in der Landwirtschaft ist. Das Berufungsgericht hat sich dem angeschlossen. Damit haben die Tatsacheninstanzen den Anscheinsbeweis als nicht erbracht angesehen und damit eine vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbare Beweiswürdigung vorgenommen.

Infolgedessen hätte der Kläger beweisen müssen, daß sein Asthma bronchiale durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung im landwirtschaftlichen Betrieb verursacht (wesentlich mitverursacht) worden ist.

Dieser Beweis ist ihm jedoch nicht gelungen.

Mangels eines solchen festgestellten Kausalzusammenhanges kann die genannte Krankheit jedoch nicht als Berufskrankheit im Sinne des § 177 Abs 1 ASVG gelten.

Da sich die Rechtsrüge, die insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt wurde, als sie unzulässigerweise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen versucht, somit als nicht berechtigt erweist, war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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