Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil der ersten Instanz wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die einschließlich 1.061,12 S Umsatzsteuer mit 6.366,72 S bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung und der Revision zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 17.2.1986 anerkannte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension wegen vorübergehender Invalidität vom 1.1.1985 an. Diesem Bescheid lagen ein Befund der aus drei Personen, darunter einem Chirurgen und einem Internisten, bestehenden Invaliditätskommission erster Instanz XVI in Belgrad vom 6.6.1985 und eine chefärztliche Stellungnahme durch den Facharzt für innere Medizin Dr. Engelbert M*** vom 4.9.1985 zugrunde, der einen Zustand nach Oberschenkelnagelung nach pertrochanter und supracondylärer Fraktur rechts bei Entfernung des Osteosynthesematerials im Dezember 1984, eine Bewegungseinschränkung der rechten Hüfte und des rechten Knies und ein depressives Syndrom diagnostizierte und den Kläger vom Antrag an vorübergehend für invalid erachtete und eine Nachuntersuchung im Mai 1986 vorschlug. Mit Bescheid vom 11.4.1988 entzog die beklagte Partei die Invaliditätspension mit Ablauf des Monates Mai 1988 unter Berufung auf § 99 ASVG.
In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage behauptete der Kläger, sein Gesundheitszustand habe sich seit dem Antrag nicht wesentlich gebessert, und beantragte die Weitergewährung der Pension. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, daß der Heilungsverlauf bereits abgeschlossen sei, das Osteosynthesematerial sei schon entfernt.
Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht der Klage statt. Nach seinen wesentlichen Feststellungen erlitt der am 18.11.1945 geborene Kläger, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag immer als Hilfsarbeiter gearbeitet hatte, am 17.2.1982 einen Verkehrsunfall mit schwerer Gehirnerschütterung, Unterkieferbruch, Oberschenkelbruch rechts und Lidverletzung rechts mit anschließender Abflußbehandlung. Deshalb war er drei Monate in einer chirurgischen Universitätsklinik und anschließend vier Monate in einem Rehabilitationszentrum. Am 9.11.1983 war die Behandlung noch nicht beendet. Am 21.12.1984 wurde das Osteosynthesematerial entfernt. Danach war der Kläger bis März 1985 in einem Rehabilitationszentrum. Am 4.3.1985 war die Behandlung noch nicht abgeschlossen. Bei der erwähnten Untersuchung am 6.6.1985 wurden diagnostiziert: Verkürzung des rechten Beines gegenüber dem linken von 4-5 cm, angedeutete Hypotrophie der Muskulatur des gesamten rechten Beines, insbesondere des Unterschenkels, deutliche Reduktion der Beweglichkeit des Hüft- und Kniegelenkes, Schmerzempfindung auch bei passiven Bewegungen, ausgeprägte Osteoporose des Knochengewebes. Am 1.1.1985 - kurz nach Entfernung des Osteosynthesematerials - fand sich folgender Zustand: erhebliche Schmerzen in den Hüft- und Kniegelenken, Verkürzung des rechten Beines um 4-5 cm gegenüber dem linken, Fixierung der Hüfte in einer Fehlstellung bei 160o, Versteifung des Kniegelenkes, Osteoporose im unteren Drittel des Oberschenkels. Mit diesem Zustand konnte der Kläger zum 1.1.1985 leichte und mittelschwere Arbeiten, vorwiegend im Sitzen, mit zeitweisem Gehen und Stehen bei Ausschluß von Hebe- und Tragearbeiten, Arbeiten an erhöht exponierten Stellen und von Pedalarbeiten mit dem rechten Bein verrichten. Wegen der Osteoporose und des Infekts war eine Belastung des rechten Beines jedoch nicht möglich, weshalb der Kläger nicht die Kraft hatte, längere Strecken zu gehen, und daher einen Arbeitsplatz nicht erreichen konnte. Am 6.6.1985 war die Belastbarkeit des rechten Beines jedoch wieder gegeben, weil die Entfernung des Osteosynthesematerials schon sechs Monate zurücklag und besondere Komplikationen des Heilungsverlaufes nicht eingetreten waren. Umsomehr war die Belastbarkeit des rechten Beines am 17.2.1986 wieder gegeben. Zum 31.5.1988 bestanden chirurgisch ein Zustand nach operativ versorgtem Bruch des rechten Oberschenkels, eine Totalversteifung des rechten Hüftgelenkes in einem Winkel von 160o mit geringer Außenrotation, eine Einengung der Kniegelenksbeweglichkeit rechts und eine Verkürzung des rechten Beines um 5 cm. Unter Berücksichtigung des weiters festgestellten internen, neurologischen, opthalmologischen und otologischen Zustandes konnte der Kläger zum 31.5.1988 leichte und mittelschwere Arbeiten, vorwiegend im Sitzen, mit zeitweisem Gehen und Stehen, in normaler Arbeitszeit mit den üblichen Pausen leisten. Ausgeschlossen waren alle Hebe- und Tragearbeiten, Arbeiten an höher exponierten Arbeitsstellen und Pedalarbeit mit dem rechten Fuß. Die statische Insuffizienz könnte durch einen Höhenausgleich des rechten Beines gebessert werden. Bei den Arbeiten muß berücksichtigt werden, daß das Gehör unter Verwendung eines Hörgerätes für Umgangssprache auf einen Bereich zwischen ein bis zwei Metern eingeschränkt ist. Arbeiten unter ständiger besonderer Rauch- und Staubentwicklung, ständiger Kälte und Nässe und ständigem besonderem Zeitdruck sind zu vermeiden. Mit dieser Leistungsfähigkeit kann der Kläger auch sämtliche Tischarbeiten, die keine Fließbandarbeiten sind, ausüben. Daraus zog das Erstgericht den Schluß, daß gegenüber dem Gesundheitszustand im Gewährungszeitpunkt (Datum des Zuerkennungsbescheides 17.2.1986) keine wesentliche Änderung eingetreten sei.
Ihre Berufung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung begründete die beklagte Partei im wesentlichen damit, daß es beim Vergleich der Gesundheitszustände nicht auf das Datum des Zuerkennungsbescheides sondern auf den Pensionsbeginn (1.1.1985) ankäme.
Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und wies die Klage ab.
Zeitpunkt der Gewährung der Leistung sei nicht der Zeitpunkt der Bescheiderlassung sondern der Zeitpunkt, zu dem die Anspruchsvoraussetzungen zutreffen und der Leistungsbeginn anerkannt worden sei, im vorliegenden Fall also der 1.1.1985. Damals sei kurz nach der Entfernung des Osteosynthesematerials im Dezember 1984 eine Belastung des rechten Beines und damit die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes nicht möglich gewesen, im Entscheidungszeitpunkt jedoch schon. Der Kläger sei im Rahmen seines Leistungskalküls verweisbar. Deshalb seien die Entziehungsvoraussetzungen zu bejahen. Es könne der beklagten Partei nicht zum Nachteil gereichen, daß sie dem Kläger nicht eine befristete Leistung gewährt oder die Leistung nicht schon früher entzogen habe.
Dagegen richtet sich die unbeantwortet gebliebene Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 ASGG zulässige Revision ist berechtigt. Sind die Voraussetzungen des Anspruches auf eine laufende Leistung nicht mehr vorhanden, so ist die Leistung nach § 99 Abs 1 ASVG zu entziehen, sofern nicht der Anspruch gemäß § 100 Abs 1 leg cit ohne weiteres Verfahren erlischt. Die Entziehung einer Leistung wird, wenn der Entziehungsgrund in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes des Anspruchsberechtigten gelegen ist, mit dem Ablauf des Kalendermonates wirksam, der auf die Zustellung des Bescheides folgt (Abs 2 der erstzitierten Gesetzesstelle).
Nach stRsp des erkennenden Senates (SSV-NF 1/27, 43, 44; 2/43, 90 mit weiteren Nachweisen) setzt die Entziehung eine wesentliche (entscheidende) Änderung der Verhältnisse zur Zeit der Entziehung gegenüber der Zeit der Leistungszuerkennung voraus. Eine Entziehung ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des Anspruches bei Leistungszuerkennung vorhanden waren. Die nachträgliche Erkenntnis, daß das nicht der Fall war, rechtfertigt die Entziehung nicht, weil dies gegen die Rechtskraft des Gewährungsbescheides und damit gegen den Vertrauensschutz und gegen die Rechtssicherheit verstoßen würde. Unter den "Verhältnissen zur Zeit der Leistungszuerkennung" sind nicht die Verhältnisse an dem Tag zu verstehen, von dem an die Leistung zuerkannt wird.
Ob es im vorliegenden Fall auf die Verhältnisse zur Zeit der Befundaufnahme für das für die Zuerkennung der laufenden Leistung maßgebliche Gutachten, nämlich auf die ärztliche Untersuchung am 6.6.1985, oder auf die Verhältnisse zur Zeit der Erlassung des Zuerkennungsbescheides am 17.2.1986 ankommt, kann deshalb dahingestellt bleiben, weil davon auszugehen ist, daß die durch die Nichtbelastbarkeit des rechten Beines bedingte Nichterreichbarkeit eines Arbeitsplatzes und damit der die vorübergehende Invalidität begründende Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt schon am 6.6.1985 so weit behoben waren, daß der Kläger einen Arbeitsplatz hätte erreichen können. Dies ist eine wesentliche Besserung seines Gesundheitszustandes, weil er seither nicht mehr als invalid im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG gilt. Deshalb hätte er ab Juni 1985 keinen Anspruch auf die ihm seit 1.1.1985 wegen vorübergehender Invalidität gebührende Invaliditätspension gehabt, so daß ihm diese Leistung nach § 256 ASVG nur für eine bestimmte Frist zuzuerkennen gewesen wäre, die zur Zeit des Zuerkennungsbescheides vom 17.2.1986, zu der der Kläger schon mehrere Monate nicht mehr invalid war, schon längst abgelaufen war.
Gegenüber der Zeit der Leistungszuerkennung hat sich, gleichgültig, ob man vom Datum des Bescheides oder vom Zeitpunkt der diesem Bescheid zugrundeliegenden ärztlichen Gutachten ausgeht, der Gesundheitszustand des Klägers nicht mehr wesentlich geändert, weshalb ihm die Invaliditätspension nicht nach § 99 ASVG entzogen werden durfte. Deshalb gereicht es der beklagten Partei - entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes - zum Nachteil, daß sie dem Kläger damals nicht eine befristete Leistung gewährt hat. Der bei der Zuerkennung der unbefristeten Invaliditätspension unterlaufene Irrtum kann nicht im Wege der Entziehung dieser Leistung berichtigt werden.
Daher war das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung der der Klage stattgebenden Entscheidung erster Instanz abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG (Kostenbemessungsgrundlage 50.000 S).
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