Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit EUR 333,12 (darin enthalten EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 14. 5. 2001 wurde ausgesprochen, dass der Klägerin das Pflegegeld der Stufe 1 in Höhe von S 2.000 (EUR 145,35) monatlich für den Zeitraum vom 1. Juli 2001 bis 30. Juni 2002 weitergewährt werde. Zur Begründung wies die beklagte Partei darauf hin, dass der Gesundheitszustand der Klägerin nach medizinischer Erfahrung eine Besserung erwarten lasse, die den Wegfall (die Herabsetzung) des Pflegegeldes wahrscheinlich mache. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, der Klägerin das Pflegegeld in der bisherigen Höhe der Stufe 2 (unbefristet) weiterzugewähren. Eine Herabsetzung sei nicht gerechtfertigt, weil der durchschnittliche Pflegebedarf der Klägerin weiterhin mehr als 75 Stunden im Monat betrage.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, der Pflegebedarf der Klägerin betrage zwar mehr als 50 Stunden, aber nicht mehr als 75 Stunden monatlich, weshalb der Klägerin nur Pflegegeld der Stufe 1 gebühre.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ein Pflegegeld der Stufe 1 für den Zeitraum vom 1. 7. 2001 bis 30. 6. 2002 zu bezahlen und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren ab. Es ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass der monatliche Pflegebedarf der Klägerin 72 Stunden betrage, weshalb der Klägerin lediglich Pflegegeld der Stufe 1 gebühre. Eine Begründung für die zeitliche Befristung des zuerkannten Pflegegeldes findet sich im Ersturteil nicht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 1. 7. 2001 - unbefristet - das Pflegegeld der Stufe 1 im Betrag von EUR 145,35 monatlich zu zahlen und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren ab. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes, wonach der monatliche Pflegebedarf der Klägerin 72 Stunden betrage, vertrat aber die Ansicht, dass für einen bloß befristeten Zuspruch des Pflegegeldes keine Grundlage bestehe. Gemäß § 9 Abs 2 BPGG sei das Pflegegeld nämlich nur dann befristet zuzuerkennen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Wegfall einer Voraussetzung für die Gewährung eines Pflegegeldes mit Sicherheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne. Derartige Feststellungen seien dem Ersturteil nicht zu entnehmen und ergäben sich auch aus der gesamten Aktenlage nicht. Eine Besserungstendenz sei konkret überhaupt nur in Bezug auf die gründliche Reinigung der rechten Hand erörtert worden, wobei der hierfür angenommene Zeitaufwand von drei Stunden monatlich für den Anspruch auf das Pflegegeld der Stufe 1 in keiner Weise relevant sei. Im Übrigen werde nur ein (weiterer) Gewöhnungseffekt an die funktionelle Einarmigkeit angesprochen, wobei in keiner Weise nachvollziehbar sei, inwieweit dadurch der Pflegebedarf der Klägerin mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit unter ein Ausmaß von 50 Stunden monatlich absinken soll. Die Überprüfung der Frage, ob ein Pflegegeldträger das Pflegegeld befristet oder unbefristet zu gewähren habe, sei möglich und - mangels einer dem § 256 Abs 3 ASVG vergleichbaren Klagebeschränkung im BPGG - zulässig. Der Versicherte könne also bei rechtzeitiger Klage gegen den betreffenden Bescheid in dem damit eingeleiteten Sozialrechtsverfahren die unbefristete Zuerkennung der ihm gebührenden Leistung durchsetzen. Dieses Urteil wird von der beklagten Partei mit rechtzeitiger Revision insoweit bekämpft, als der Klägerin ein Pflegegeld der Stufe 1 über den 30. 6. 2002 hinaus zuerkannt wurde. Die beklagte Partei macht als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend und beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, dass der Klägerin lediglich für den Zeitraum vom 1. 7. 2001 bis 30. 6. 2002 ein Pflegegeld der Stufe 1 zuerkannt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die beklagte Partei macht erstmals im Revisionsverfahren geltend, der Klägerin sei mit Bescheid vom 5. 12. 2000 die Invaliditätspension für die Zeit vom 1. 7. 2000 bis 30. 6. 2002 befristet zuerkannt worden und es bestehe daher keine Leistungszuständigkeit der beklagten Partei nach dem BPGG über den 30. 6. 2002 hinaus. Da von der beklagten Partei somit über diesen Zeitpunkt hinaus keine weitere Grundleistung, für welche die Gewährung von Pflegegeld nach dem BPGG durch die beklagte Partei Voraussetzung wäre, ausbezahlt werde, entbehre die Auferlegung einer Zahlungsverpflichtung für Pflegegeld der Stufe 1 nach dem BPGG über den 30. 6. 2002 hinaus einer rechtlichen Grundlage.
Dazu ist folgendes auszuführen:
Anspruch auf Pflegegeld haben nach § 3 Abs 1 Z 1 BPGG unter anderem Bezieher einer Pension nach dem ASVG. Richtig ist daher, dass das Pflegegeld in der Regel eine Annexleistung zur Pension darstellt und deren rechtliches Schicksal teilt. Lediglich in hier nicht vorliegenden Ausnahmsfällen wird (Bundes-)Pflegegeld auch ohne Grundleistung gewährt (Gruber/Pallinger BPGG Rz 3 zu § 3; SSV-NF 9/28; 10 ObS 237/00a). Eine Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld fällt daher nicht nur dann weg, wenn kein Pflegebedarf mehr besteht, sondern etwa auch dann, wenn der (an sich weiterhin) Pflegebedürftige keine Grundleistung im Sinne des § 3 Abs 1 BPGG mehr bezieht. Es kann daher nach § 9 Abs 2 BPGG idF BGBl I 1998/111 im Fall einer befristeten Grundleistung auch das Pflegegeld - als Annex - befristet zuerkannt werden. Die befristete Zuerkennung des Pflegegeldes dient in einem solchen Fall zweifellos der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und erübrigt bei gleichzeitigem Wegfall der Grundleistung eine Entziehung durch Bescheid (10 ObS 237/00a mwN).
Einer Berücksichtigung der an sich zutreffenden Rechtsausführungen der beklagten Partei in ihrer Revision steht jedoch im vorliegenden Fall das in Sozialrechtsverfahren ausnahmslos geltende Neuerungsverbot entgegen (ständige Rechtsprechung seit SSV-NF 1/45). Der Umstand, dass die Zuerkennung des Pflegegeldes im Hinblick auf eine befristete Zuerkennung der Grundleistung ebenfalls zu befristen ist, war nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwendung der beklagten Partei wahrzunehmen. Die beklagte Partei hat diese Einwendung erstmals im Revisionsverfahren erhoben. Auch die amtswegige Beweisaufnahme gemäß § 87 Abs 1 ASGG hatte sich innerhalb des Vorbringens der beklagten Partei zu bewegen (SSV-NF 12/148 mwN ua; RIS-Justiz RS0109126). Die beklagte Partei hat im Verfahren erster Instanz die Anspruchsberechtigung der Klägerin nach § 3 Abs 1 Z 1 BPGG nicht bestritten und insbesondere auch nicht geltend gemacht, dass die Anspruchsberechtigung der Klägerin auf Pflegegeld im Hinblick auf eine zeitliche Befristung der der Klägerin als Grundleistung gebührenden Invaliditätspension ebenfalls zeitlich zu befristen sei. Auch im angefochtenen Bescheid wurde die Befristung des der Klägerin zuerkannten Pflegegeldes ausschließlich mit einer möglichen Besserung des Gesundheitszustandes begründet. Das Erstgericht war aber auch nicht verpflichtet, die beklagte Partei zu einem entsprechenden Vorbringen anzuleiten, weil die erhöhte Anleitungspflicht nach § 39 Abs 2 ASGG nur für Parteien gilt, die nicht Versicherungsträger sind und auch nicht durch eine qualifizierte Person vertreten werden. Da sich somit die Verpflichtung der Sozialgerichte zur amtswegigen Beweisaufnahme nicht auf anspruchsvernichtende Umstände (hier: Befristung des Pflegegeldanspruches im Hinblick auf den voraussehbaren Wegfall der Grundleistung) bezieht, für die der Sozialversicherungsträger behauptungspflichtig ist, waren die Vorinstanzen im Hinblick darauf, dass die beklagte Partei im Verfahren erster Instanz entsprechende Behauptungen nicht aufgestellt hat, nicht veranlasst, eine zeitliche Befristung des Pflegegeldanspruches der Klägerin unter diesem Aspekt zu überprüfen (vgl SSV-NF 12/53; 12/78; 12/148; 13/49; 10 ObS 233/00p ua). Die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die getroffenen Feststellungen bildeten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Pflegebedarf der Klägerin durch eine Besserung ihres Gesundheitszustandes mit Sicherheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit unter das Mindestausmaß von mehr als 50 Stunden monatlich herabsinken würde, wird auch in der Revision nicht in Zweifel gezogen.
Es war daher dem Rechtsmittel der beklagten Partei ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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