OGH 10ObS319/88

OGH10ObS319/8810.1.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka (Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann S***, Pensionist, 9061 Wölfnitz, St. Martin Nr. 4, vertreten durch Dr. Gerhard Kochwalter, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer

Lände 3, vertreten durch Dr. Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. August 1988, GZ 7 Rs 140/88-47, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 29. Februar 1988, GZ 34 Cgs 143/87-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 4.11.1980 gewährte die beklagte Partei dem Kläger gemäß § 253 b ASVG ab 1.6.1980 die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Mit Bescheid vom 3.7.1985 verfügte sie die Wiederaufnahme des Verfahrens über seinen Anspruch auf vorzeitige Alterspension, hob den Bescheid vom 4.11.1980 auf und sprach aus, daß sein Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer abgelehnt wird. Diesen Bescheid begründete die beklagte Partei damit, daß der Kläger schon am Stichtag und auch später selbständig erwerbstätig gewesen sei und aus dieser Tätigkeit entgegen seinen Angaben im Zuerkennungsverfahren ein Einkommen bezogen habe, das über dem nach § 253 b Abs 1 lit d ASVG nicht zu berücksichtigenden Betrag gelegen sei. Die Wiederaufnahme des Verfahrens wurde rechtskräftig. Mit Bescheid vom 4.3.1987 forderte die beklagte Partei die dem Kläger in der Zeit vom 1.6.1980 bis 31.1.1985 bezahlte Pension in der Höhe von S 423.077,20 zurück. Der Kläger bekämpfte diesen Bescheid mit einer Klage, über die in einem anderen Verfahren zu entscheiden ist. Seit 1.7.1985 wird dem Kläger von der P*** DER

A*** gemäß § 270 iVm § 253 ASVG die Alterspension gewährt. In seiner hier zu behandelnden Klage gegen den Bescheid vom 3.7.1985 begehrte der Kläger, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm ab Antragstellung die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Er sei am Stichtag zwar Inhaber einer Konzession für das Gast- und Schankgewerbe gewesen, habe dieses Gewerbe aber nicht ausgeübt. Das auf Grund der Konzession betriebene Gasthaus sei seit 1960 von seiner Frau auf eigene Rechnung und Gefahr geführt worden. Die beklagte Partei wendete ein, daß der Kläger seit 29.3.1960 als selbständiger Gastwirt erwerbstätig gewesen sei und aus dieser Tätigkeit ein Einkommen erzielt habe, das über den nach § 253 b Abs 1 lit d ASVG maßgebenden Beträgen liege.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei im zweiten Rechtsgang schuldig, dem Kläger für die Zeit vom 1.8.1980 bis 30.6.1985 die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer im gesetzlichen Ausmaß abzüglich der schon geleisteten Zahlungen von S 423.077,20 zu bezahlen. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger war seit 29.3.1960 als selbständiger Gastwirt bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft versichert. Er war vom 29.3.1960 bis 19.6.1985 Inhaber einer Gastgewerbekonzession. In der Zeit vom 4.1.1965 bis 31.7.1980 war er als Vertragsbediensteter für das österreichische Bundesheer tätig. Vorher arbeitete er in der Landwirtschaft seines Bruders. Das Gasthaus, das auf Grund der Konzession des Klägers betrieben wird, führt schon seit 1956 seine Ehefrau. Diese hatte bis 1985 keine Konzession, weil sie hiefür eine Prüfung hätte ablegen müssen. 1985 war sie hievon wegen ihres Alters befreit und es wurde ihr eine Konzession erteilt. Die Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Gasthaus erledigte ausnahmslos die Ehefrau des Klägers; dieser hatte damit nichts zu tun. Die Einkünfte aus dem Gasthaus flossen ausschließlich seiner Ehefrau und nicht ihm zu. Die Jahresabschlüsse und Steuererklärungen wurden von einer anderen Person, die auch die Buchhaltung führte, fertiggestellt. Die Jahresabschlüsse wurden vom Kläger unterschrieben, ohne daß er sie durchgelesen oder auch nur angeschaut hat. Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft, auf der sich das Gasthaus befindet und steuerte aus seinem Einkommen Beträge für die Sanierung der Liegenschaft bei.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Kläger am Stichtag nicht selbständig erwerbstätig gewesen sei, weil er für das Gasthaus keine Arbeitsleistungen erbracht habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nur im Kostenpunkt, nicht jedoch in der Hauptsache Folge. Eine selbständige Erwerbstätigkeit setze entweder eine geistige oder körperliche Leistung, mit der ein Ertrag verbunden sei, oder zumindest voraus, daß dem Pensionsberechtigten Einkünfte zufließen. Beides sei hier nicht der Fall gewesen.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei, in der der Revisionsgrund nicht bezeichnet, inhaltlich jedoch jener der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache ausgeführt wird, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 253 b Abs 1 lit d ASVG setzt der Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer voraus, daß der (die) Versicherte am Stichtag (§ 223 Abs 2) weder selbständig noch unselbständig erwerbstätig ist; eine Erwerbstätigkeit, auf Grund derer ein Erwerbseinkommen bezogen wird, das das nach § 5 Abs 2 lit c jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen nicht übersteigt, bleibt hiebei unberücksichtigt.

Der Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach Ansicht des erkennenden Senates liegt eine solche Erwerbstätigkeit jedenfalls dann vor, wenn der Versicherte nach dem GSVG oder BSVG in der Pensionsversicherung pflichtversichert ist. Dies ergibt sich daraus, daß auch nach § 253 Abs 1 ASVG der Anspruch auf die gewöhnliche Alterspension nicht besteht, wenn der (die) Versicherte in der Pensionsversicherung nach den angeführten Gesetzen pflichtversichert ist. Die im § 253 b Abs 1 lit d ASVG für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer festgelegten Voraussetzungen sind einerseits weiter, weil darunter auch eine selbständige Erwerbstätigkeit fallen kann, die nicht zur Pflichtversicherung nach dem GSVG oder BSVG führt, und andererseits enger, weil die Erwerbstätigkeit unberücksichtigt bleibt, wenn das daraus erzielte Einkommen unter einem bestimmten Betrag liegt. Es besteht aber kein Grund für die Annahme, daß der Gesetzgeber eine Tätigkeit oder ein Rechtsverhältnis, das nach den angeführten Gesetzen die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründet, wohl als Hindernis für den Anspruch auf die gewöhnliche, nicht aber für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer festlegen wollte. Ein Anhaltspunkt für diese Ansicht läßt sich auch aus § 1 GSVG und § 1 BSVG gewinnen, weil es dort heißt, daß die Kranken- und die Pensionsversicherung der im Inland in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen bzw. daß die Kranken- und Pensionsversicherung sowie die Unfallversicherung der im Inland in der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätigen und ihrer mittätigen Angehörigen geregelt werde. Der Gesetzgeber geht also davon aus, daß alle Personen, die auf Grund der näher umschriebenen Tatbestände (vgl. § 2 Abs 1 GSVG und § 2 Abs 1 Z 1 BSVG) pflichtversichert sind, zu den selbständig Erwerbstätigen gehören. Da es sich beim ASVG, GSVG und BSVG um "verwandte Gesetze" (vgl. § 7 ABGB) handelt, kann angenommen werden, daß derselbe Begriff denselben Inhalt hat, zumal sich das Gegenteil weder aus dem Zweck noch aus der Entstehungsgeschichte der in Betracht kommenden Bestimmungen ergibt.

Der Kläger war unbestritten in der für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension maßgebenden Zeit gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG in der Pensionsversicherung pflichtversichert und deshalb selbständig erwerbstätig im Sinn des § 253 b Abs 1 lit d ASVG. Dabei kommt es entgegen der von den Vorinstanzen vertretenen Auffassung nicht darauf an, in welchem Maß er bei der Führung des Gewerbebetriebes mitgewirkt hat (ähnlich schon SSV-NF 2/4). Sein Anspruch auf vorzeitige Alterspension hängt allerdings noch davon ab, ob er aus dem Gewerbebetrieb, auf den seine Versicherungspflicht nach dem GSVG zurückgeht, ein Einkommen "bezogen" hat, welches das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen übersteigt. "Bezogen" im Sinn des § 253 b Abs 1 lit d ASVG ist ein nach dieser Gesetzesstelle zu berücksichtigendes Einkommen schon dann, wenn ein Anspruch auf den aus dem Unternehmen erzielten Gewinn besteht. Nicht entscheidend ist hingegen, für welchen Zweck der Gewinn verwendet wird. Auch wenn der Anspruchsberechtigte den Gewinn zur Gänze einem Dritten überläßt, hat er ihn bezogen. Dabei kommt hier nicht zum Tragen, daß der Anspruch auf Gewinn unter Umständen, also etwa in dem in der Entscheidung SSV-NF 2/4 behandelten Fall einer geschäftsführenden Gesellschafterin einer Gesellschaft mbH, als Einkommen aus Kapitalvermögen außer Betracht zu bleiben hat, weil die hiefür maßgebenden Umstände nicht vorliegen.

Hier wurde das Gewerbe auf einer dem Kläger gehörenden Liegenschaft und auf Grund einer ihm erteilten Gewerbeberechtigung ausgeübt und er wurde auf Grund der daraus erzielten Einkünfte zur Einkommensteuer veranlagt. Nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen ist auch davon auszugehen, daß er Eigentümer des Gewerbebetriebes war. Es besteht unter diesen Umständen kein Grund für die Annahme, daß nicht er den Anspruch auf Gewinn hatte und der Kläger hat konkret auch nichts Gegenteiliges vorgebracht. Obwohl er den ihm zustehenden Gewinn zur Gänze seiner Frau überließ, hat er ihn im Sinn des § 253 b Abs 1 lit d ASVG bezogen. Entscheidend für den Anspruch des Klägers auf vorzeitige Alterspension ist also, ob das aus dem Gewerbebetrieb erzielte Einkommen das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen überstieg. Dabei kommt es nicht nur auf die Verhältnisse am Stichtag an, weil das Klagebegehren auch auf den nachfolgenden Zeitraum gerichtet und ihm deshalb auch stattzugeben ist, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch erst nach dem Stichtag erfüllt sind. Dies ergibt sich aus § 86 ASGG, der insoweit sinngemäß anzuwenden ist. Hier kommt dazu noch, daß die beklagte Partei mit dem bekämpften Bescheid, wie sich aus dessen Begründung ergibt, inhaltlich über den gesamten Zeitraum entschieden hat. Auf Änderungen des Einkommens ist nach § 253 b Abs 2 ASVG Bedacht zu nehmen.

Der Kläger hat zur Höhe seines Einkommens zwar ein Vorbringen erstattet. Dieses wurde von der beklagten Partei aber bestritten, weshalb hiezu Feststellungen notwendig sind. Im Hinblick auf die vom Kläger im Verfahren erster Instanz vertretene Rechtsansicht sei noch angemerkt, daß von dem aus dem Gewerbebetrieb erzielten Einkommen Beträge in der Höhe des Entgelts, das seiner Ehefrau nach dem in Betracht kommenden Kollektivvertrag gebühren würde, nur dann abgezogen werden dürfen, wenn die Bezahlung eines Entgelts in dieser Höhe vereinbart wurde. Bei Ehegatten ist aber eine solche Vereinbarung im allgemeinen nicht anzunehmen (vgl. Arb. 7283; RdW 1988, 394 mwN) und der Kläger hat hiezu konkret auch nichts vorgebracht. Es ist daher davon auszugehen, daß die Ehefrau des Klägers nur gemäß § 98 ABGB einen Anspruch auf angemessene Abgeltung ihrer Mitwirkung im Erwerb des Klägers hat. Dieser mindert aber das durch den Erwerb erzielte Einkommen nicht.

Es sind somit ergänzende Feststellungen über die Höhe des Einkommens notwendig, welche der Kläger in der maßgebenden Zeit aus dem Gasthaus bezogen hat. Für Juni und Juli 1980 könnte außerdem von Bedeutung sein, daß der Kläger nach den Feststellungen des Erstgerichtes unselbständig erwerbstätig war. Die notwendigen Feststellungen sind gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 496 Abs 3 ZPO vom Berufungsgericht zu treffen, weshalb die Rechtssache an dieses zurückzuverweisen war.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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