Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 30. Juli 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 26. Mai 1986 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab.
Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und verurteilte die beklagte Partei zur Gewährung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Juni 1986. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Die am 13. August 1938 geborene Klägerin war nach der Volksschule ca. 3 Jahre lang als Magd auf mehreren Bauernhöfen beschäftigt. Ab Ende 1955 arbeitete sie als Serviererin im Gastgewerbe und war in der Folge auf Saisonstellen beschäftigt, teilweise als Stubenmädchen, überwiegend aber als einzige Servicebedienstete in einfacheren Landgasthäusern. Von 1978 bis Juni 1980 war sie selbständige Pächterin einer Imbißstube in Maishofen. Anfang 1980 legte sie die Konzessionsprüfung für das Gastgewerbe ab. Die Klägerin hat durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die denen im erlernten Kellnerberuf gleichzuhalten sind. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag arbeitete sie als unselbständige Erwerbstätige in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate im angelernten Beruf als Kellnerin.
Die Klägerin ist in der Lage, leichte Arbeiten in vorwiegend sitzender Haltung, nämlich zu etwa zwei Drittel der Arbeitszeit, sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen bei Vermeidung von Nässe und starken Kälteexpositionen zu verrichten. Nach einer Stunde des Sitzens sollte die Klägerin die Möglichkeit haben, für etwa fünf bis zehn Minuten ihre Stellung zu ändern. Am günstigsten wäre eine Tätigkeit, bei der die Klägerin selbständig die Stellung wechseln könnte. Zu vermeiden sind häufige Bückbelastungen sowie das Heben und Tragen von Lasten mit einem Gewicht von mehr als 7,5 kg. Arbeiten an exponierten Stellen sowie auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten unter stärkerem Zeitdruck (Fließband oder Akkordarbeiten) sind nicht möglich. Die Gehstrecke zur Arbeitsstätte sollte eine halbe Stunde nicht überschreiten.
Die im Beruf einer Kellnerin gestellten Anforderungen übersteigen die Leistungsfähigkeit der Klägerin. Als dem Kellnerberuf artverwandter Beruf käme jener einer Küchenkassierin und Sitzkassierin in Frage. Der Beruf einer Sitzkassierin ist jedoch weniger qualifiziert und erfordert nicht die Kenntnisse einer Kellnerin, in dieser Tätigkeit werden ungelernte Arbeitnehmerinnen beschäftigt. Der Beruf einer Küchenkassierin wird zunehmend durch Umstellung auf EDV ersetzt. Derzeit gibt es zwar noch über 200 Stellen in ganz Österreich, wobei als Küchenkassierinnen beschäftigte Arbeitnehmerinnen in vielen Betrieben nur noch zu bestimmten Zeiten zB während der Speisengänge in der Mittagszeit im Tätigkeitsbereich der Küchenkassierinnen eingesetzt werden. Zu den übrigen Zeiten werden solche Beschäftigte zu verschiedenen anderen Tätigkeiten, wie etwa in der Anrichte oder zum Servieren herangezogen. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um stehende Tätigkeiten. Die Zahl von Arbeitsplätzen für Küchenkassierinnen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt, die ausschließlich die sitzende Kontrolltätigkeit ausüben, liegt jedenfalls unter 200. In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, die Klägerin genieße Berufsschutz als angelernte Kellnerin. Nach dem medizinischen Leistungskalkül komme als artverwandte Tätigkeit nur jene einer Küchenkassierin in Frage. Voraussetzung für die Verweisung sei jedoch eine repräsentative Anzahl von Arbeitsplätzen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Seien in ganz Österreich weniger als 200 Arbeitsplätze für Küchenkassierinnen vorhanden, könne von einer ausreichenden Anzahl nicht mehr die Rede sein. Die Klägerin sei daher invalid im Sinne des § 255 Abs. 1 ASVG. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung der Klage ab. Der gerügte Verfahrensmangel wegen nicht ausreichender Klärung, ob die Klägerin tatsächlich jene Kenntnisse und Fähigkeiten erworben habe, wie sie dem gelernten Beruf eines Kellners entsprächen, könne auf sich beruhen, weil aus rechtlichen Gründen die Klage auch abzuweisen sei, falls der Klägerin Berufsschutz zukomme. Eine 100 deutlich übersteigende aber 200 nicht erreichende Anzahl von Arbeitsplätzen genüge, um eine Verweisung auf den Arbeitsmarkt zuzulassen. Ob die Klägerin einen solchen Arbeitsplatz tatsächlich erlangen könne, sei für die Beurteilung der Invalidität belanglos. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.
Rechtliche Beurteilung
Der Revision kommt keine Berechtigung zu.
Bei der Beurteilung der Verweisbarkeit haben nur Tätigkeiten außer Betracht zu bleiben, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr vorkommen oder die speziell dem Versicherten nicht offen stehen, weil sie ausschließlich Angehörigen des jeweils anderen Geschlechtes vorbehalten sind. Nur wenn es keine oder nur wenige Arbeitsplätze gibt, haben diese bei Beurteilung der geminderten Arbeitsfähigkeit außer Betracht zu bleiben. Auf alle anderen Tätigkeiten, die dem Leistungskalkül des Versicherten entsprechen, kann dieser grundsätzlich verwiesen werden (SSV-NF 1/4). Nach den Feststellungen sind im Gastgewerbe jedenfalls unter 200 Küchenkassierinnen - also bevorzugt Frauen - beschäftigt. Zutreffend hat das Berufungsgericht unter Hinweis auch auf die Entscheidung des erkennenden Senates 10 Ob S 85/88 ausgeführt, daß bei einer solchen Anzahl von dem freien Wettbewerb zugänglichen Stellen - jedenfalls deutlich über 100 - noch nicht gesagt werden kann, die genannte Tätigkeit einer Küchenkassierin sei auf dem österreichischen Arbeitsmarkt so wenig gefragt, daß die Klägerin mangels nennenswerter Anzahl von Arbeitsplätzen nicht mehr verwiesen werden dürfte.
Die Beurteilung des Sachverhaltes aber ist auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz abzustellen, so daß auf eine mögliche künftige negative Entwicklung abstrakt verfügbarer Arbeitsplätze, weil vielleicht der Einsatz von EDV verstärkt werden wird, derzeit nicht Bedacht genommen werden kann. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.
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