Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin, die beklagte Partei zur Zahlung des Hilflosenzuschusses ab 6. August 1986 zu verpflichten, ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Die am 13. September 1915 geborene Klägerin leidet an einer Polyarthrose der Finger mit erheblichen Bewegungseinschränkungen und Behinderungen der Greiffunktion. Weil sie nicht ohne weiteres Wasser an- und aufdrehen bzw. Schalter bei Elektro- oder Gasherden betätigen kann, ist ihr nur die tägliche Zubereitung von einfachen Speisen wie Tee oder Eierspeise zuzutrauen. Sie wäre aber in der Lage, fertige Speisen aufzuwärmen und könnte auch notdürftig Geschirr abwaschen. Einen mit Wasser gefüllten Kochtopf könnte sie nur in der Form tragen, daß sie diesen an den Außenwänden mit beiden Händen ergreift. Da sie auch im Faustschluß behindert ist, kann sie die Griffe nicht sehr gut in die Hand nehmen. Die Klägerin kann sich Hände und Gesicht allein waschen und sich auch allein frisieren. Sie erreicht beim Waschen auch die unteren Körperpartien und die Füße. Sie kann eine Sitzbadewanne oder Dusche benützen und allein auf das Klosett gehen. Das An- und Auskleiden ist erschwert. Die Klägerin ist in der Lage, größere Knöpfe oder Schlingen zu öffnen und zu schließen, dagegen nicht ohne weiteres kleine Knöpfe oder Reißverschlüsse einzufädeln. Sie kann Strümpfe und Schuhe im Sitzen anziehen. Zum Ausgehen benötigt sie orthopädische Schuhe, könnte aber an und für sich trotz bestehender Ödeme im Unterschenkel Schlüpfschuhe benützen. Schuhbänder kann sie nicht selbst binden. Einen zu Boden gefallenen Gegenstand kann sie im Sitzen aufheben. Sie ist auch in der Lage, leichte Aufräumarbeiten wie Zimmer zusammenkehren, Zusammenkehren des Kehrichts auf eine Mistschaufel und notdürftiges Aufbetten zu verrichten. Sie ist auch notdürftig in der Lage, den Feuerbrand in einem Holz- oder Kohleofen zu unterhalten und den Ofen zu entaschen. Es besteht aber die Gefahr, daß sie nicht in der Lage ist, aus dem Ofen zu Boden fallende Glutstücke sofort zu beseitigen. Brennmaterial könnte die Klägerin aus dem Vorratsraum nur in kleineren Mengen herbeischaffen. Einen nur teilweise mit Wasser gefüllten Kübel könnte sie in der Form tragen, daß sie den Henkel über den Unterarm hängt. Die kleine Wäsche kann die Klägerin selbst waschen, ebenso eine Waschmaschine bedienen. Für die Großwäsche und gröbere Hausarbeiten wie Fenster putzen und Teppich klopfen benötigt sie dagegen fremde Hilfe. Die nähere Umgebung ihres Wohnhauses kann die Klägerin erreichen, es ist ihr auch ein täglicher Einkaufsweg zum nächsten Kaufmann zuzumuten. Soweit sie keine größeren festeren Nahrungsmittel zu schneiden hat, kann sie auch allein essen und trinken. Sie ist nicht in der Lage, größere Stücke Fleisch allein zu schneiden. Die Klägerin ist einsichtig, alle der Hygiene dienenden Maßnahmen zu erkennen. Die teilweise Anwesenheit einer anderen Person ist zur Überwachung des Feuerbrandes und beim Kochen von Wasser notwendig. Ansonsten bedarf es nicht der ständigen Anwesenheit einer anderen Person. Es wäre aber günstig, daß eine solche zumindest einmal pro Tag anwesend ist, beispielsweise um die Zubereitung des Frühstücks zu überwachen. Wegen der eingeschränkten Fingerbeweglichkeit hätte die Klägerin Schwierigkeiten beim Aufsetzen von Teewasser, dem Ausgießen des Teewassers in einen Teekessel oder auch dadurch, daß sie etwas verschütten könnte. Obwohl eine ständige Aufsichtsperson nicht notwendig ist, wäre es günstig, wenn jemand der Klägerin beistehen könnte.
Rechtlich leitete das Erstgericht aus diesen Feststellungen ab, die Klägerin sei nicht hilflos im Sinne des § 105 a ASVG, weil jene Tätigkeiten, die sie nicht mehr allein ausführen könne, aufschiebbare Angelegenheiten seien. Wartung und Hilfe seien nicht ständig erforderlich.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Nach ausführlicher Darlegung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Hilflosenzuschuß (SSV-NF 1/46) kam es zu dem Ergebnis, die als fehlend gerügten Feststellungen über die Wegstrecke zum nächsten Kaufmann seien entbehrlich, weil die Klägerin in einer Kleinstadt wohne und daher die Feststellung, daß ein täglicher Einkaufsweg zumutbar sei, ausreiche. Das Erstgericht habe zwar keine konkreten Feststellungen über die Lebensumstände getroffen, der festgestellte Sachverhalt reiche aber für die Beurteilung der Streitsache aus. Durch die Behinderung der Greiffunktion sei nur ein erhöhter Zeitaufwand für eine Reihe von Verrichtungen, nicht aber die Unmöglichkeit, diese überhaupt auszuführen, gegeben. Da die Klägerin vorbereitete Speisen zubereiten könne, sei deren Argument, sie wäre auf einseitige Kost angewiesen, nicht stichhaltig. Selbst wenn die Klägerin die Beheizung ihrer Wohnung mit festen Brennstoffen vornehmen sollte, begründe der Umstand, daß sie aus dem Ofen gefallene Glutstücke nicht sofort beseitigen könne noch keine Hilflosigkeit, auch ein gesunder Mensch benötige hiezu eine gewisse Zeitspanne. Da die Klägerin in der Lage sei, Kehricht auf eine Mistschaufel zu kehren, sei nicht daran zu zweifeln, daß sie auch Glutstücke in einem Zeitraum bergen könne, der noch keine Gefährdung bedeute. Für die erforderliche Hilfe bei groben Hausarbeiten, beim gründlichen Geschirr waschen und allenfalls beim nicht täglich erforderlichen Einkaufen sei aber nur ein Aufwand nötig, der nicht annähernd den monatlichen Durchschnitt des Hilflosenzuschusses von S 2.840 erreiche. Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG liege daher nicht vor.
Der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision der Klägerin kommt keine Berechtigung zu.
Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß die Klägerin in einer Kleinstadt wohnt und die auf das Sachverständigengutachten gestützte Feststellung, daß ihr ein Einkaufsweg zum nächsten Kaufmann zuzumuten ist, ausreicht. Die Behinderungen der Klägerin beziehen sich zum größten Teil auf die Greifleistung der Finger, daß sie beim Gehen erheblich eingeschränkt wäre, hat das Verfahren nicht ergeben. Daß die Klägerin aber einen wesentlich weiteren Weg zum nächsten Kaufmann zurückzulegen hätte, als dies in einer Kleinstadt durchschnittlich üblich ist, wurde gar nicht behauptet. Selbst wenn die Klägerin mit festen Brennstoffen heizen sollte, bedeutet das nur verlangsamt mögliche Bergen von aus dem Ofen gefallener Glut noch nicht, daß während der Heizperiode ständig eine Aufsichtsperson erforderlich wäre. Das Herausfallen von Glut aus einem Ofen ist keine permanente Gefahr, sondern kann nur auftreten, wenn der Ofen geöffnet wird. Einer möglichen Gefahr eines Zimmerbrandes könnte leicht dadurch vorgebeugt werden, daß vor dem Ofen eine handelsübliche Metalltasse gelegt oder beim Ofen ein Wasserkübel, den die Klägerin nach den Feststellungen tragen kann, bereitgestellt wird.
Zu Recht aber verweist die Klägerin darauf, daß ihr nicht zuzumuten ist, nur einfachste Speisen wie Eierspeise oder ausschließlich aufgewärmte Speisen zu sich zu nehmen. Für eine dem allgemeinen Standard angepaßte menschengerechte Lebensführung ist zumindest einmal täglich die Einnahme einer ordentlich gekochten Mahlzeit erforderlich (10 Ob S 156/88). Zu einer ordentlichen Mahlzeit zählen aber auch in großer Vielfalt angebotene handelsübliche Tiefkühlkost oder Konserven, die nur gewärmt werden müssen. Die Verwendung solcher Speisen ist der Klägerin, wenn auch nicht ständig, so doch in größerem Umfang zuzumuten, sodaß fremde Hilfe zum Kochen nur im Abstand von mehreren Tagen erforderlich ist. Auch wenn man berücksichtigt, daß die Klägerin darüber hinaus für die nur in größeren Zeitabständen anfallende grobe Hausarbeit und Wäsche fremde Hilfe benötigt, ist damit auszuschließen, daß die dafür insgesamt erforderlichen Kosten auch nur annähernd die Höhe des monatlichen Mindesthilflosenzuschusses erreichen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.
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