OGH 10ObS261/90

OGH10ObS261/9018.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Trabauer (AG) und Gerhard Gotschy (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ingeborg B***, Pensionistin, 1190 Wien, Hungerbergstraße 22, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung eines Überbezuges, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14.Dezember 1988, GZ 31 Rs 310/88-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.Mai 1988, GZ 16b Cgs 144/86 (richtig: 10 Cgs 5002/88)-24, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 und Abs 3 B-VG den

Antrag, gemäß Art 140 B-VG auszusprechen, daß § 94 ASVG in den Fassungen der 36. ASVGNov BGBl 1981/282 bis zur 40. ASVGNov BGBl 1984/484 idF des Art I Z 18 verfassungswidrig war.

Text

Begründung

Sachverhalt:

Mit Bescheid vom 29.September 1986 stellte die beklagte Partei fest, daß die Witwenpension der Klägerin ab 1. Mai 1982 wegen Zusammentreffens mit Erwerbseinkommen nach § 94 ASVG teilweise ruhe und forderte den Überbezug von 32.654,70 S nach § 107 Abs 1 leg cit zurück.

Die rechtzeitige Klage richtete sich auf Unterlassung der Rückforderung des 11.666,70 S übersteigenden Überbezuges (von 20.988 S) und stützte sich im wesentlichen darauf, daß die Klägerin der beklagten Partei im Jänner 1984 ein monatliches Bruttoentgelt von 8.321 S und den Bezug der Familienbeihilfe für ein Kind gemeldet habe. Die Verletzung der Meldepflicht sei daher nur für die Überbezüge bis Jänner 1984 und für die späteren Überbezüge nur insoweit kausal gewesen, als sie durch ein das im Jänner 1984 gemeldete übersteigendes Bruttoentgelt entstanden seien. Der rückforderbare Überbezug betrage daher nur 11.666,70 S. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und die Verpflichtung der Klägerin zum Rückersatz von 32.654,70 S. Sie wendete im wesentlichen ein, daß der vom Februar 1984 bis Juli 1986 entstandene Überbezug auch unter Berücksichtigung eines gemeldeten Bruttoentgeltes von 8.321 S geringer als 20.988 S wäre, weil die Klägerin vom Bruttoüberbezug ausgehe, während nur der Nettoüberbezug rückforderbar sei. Bei einem variablen Entgelt sei jede Änderung zu melden, so daß jede Verletzung der Meldepflicht einen neuen Rückforderungstatbestand schaffe. Die Meldung eines Bruttoentgelts von 8.321 S im Jänner 1984 sei übrigens unrichtig gewesen, weil die Klägerin damals 8.345 S verdient habe.

Aufgrund dieser Einwendungen modifizierte die Klägerin ihr Begehren in der Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 2. März 1987 dahin, daß die beklagte Partei schuldig sei, die Rückforderung des Überbezuges soweit zu unterlassen, als er "den Betrag 32.657,70 S (richtig 32.654,70 S) minus 20.988 S vermindert um Krankenversicherungsbeitrag und Lohnsteuer übersteigt". Im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht die beklagte Partei schuldig, die Rückforderung eines Überbezuges von 826,40 S (für Februar 1984) zu unterlassen, wies das Mehrbegehren, die Rückforderung eines weiteren Überbezuges von 31.828,30 S zu unterlassen, ab und verpflichtete die Klägerin, der beklagten Partei diesen Betrag "an Rückersatz zu leisten".

In der wegen unrichtiger rehtlicher Beurteilung erhobenen Berufung bekämpfte die Klägerin lediglich die Berechtigung der beklagten Partei zur Rückforderung eines Teiles des seit März 1984 entstandenen Überbezuges.

Das Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, die Rückforderung eines Überbezuges von 1.206 S (für Februar und März 1984) zu unterlassen, das Mehrbegehren, die beklagte Partei auch schuldig zu erkennen, die Rückforderung eines Überbezuges von 30.908,70 S zu unterlassen, aber abwies und die Klägerin schuldig erkannte, der beklagten Partei diesen Betrag "an Rückersatz zu leisten".

Gegen den bestätigenden Teil des Berufungsurteils richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die beklagte Partei schuldig sei, die Rückforderung des Überbezuges, soweit er 30.908,70 S minus 19.332 S (vermindert um Krankenversicherungsbeitrag und Lohnsteuer) übersteigt, zu unterlassen.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision wurde vom Berufungsgericht mit Recht als nach § 46 Abs 2 Z 1 ASGG (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der WGN 1989) für zulässig erklärt.

Antragsvoraussetzungen:

Hat der Oberste Gerichtshof gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken, so hat er nach Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Ist die anzuwendende Rechtsvorschrift bereits außer Kraft getreten, so hat der Antrag an den Verfassungsgerichtshof nach Abs 3 leg cit die Entscheidung zu begehren, daß die Rechtsvorschrift verfassungswidrig war. Diese Anträge sind von dem zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufenen Senat einzubringen.

Gegenstand der vorliegenden Sozialrechtssache ist keine Rechtsstreitigkeit über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen des Anspruchs der Klägerin auf Witwenpension im Sinne des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG - dabei würde es sich um eine wiederkehrende Versicherungsleistung handeln -, sondern ausschließlich eine Rechtsstreitigkeit über die Pflicht der Klägerin zum Rückersatz von Teilen der unbestrittenermaßen von ihr zu Unrecht empfangenen Witwenpension im Sinne der Z 2 der letztzitierten Gesetzesstelle. Ein solches Verfahren fällt nicht unter § 45 Abs 5 ASGG (Kuderna, ASGG § 45 Erl 18; SSV-NF 2/1). Der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschied, übersteigt nicht 30.000 S, weil das Berufungsgericht nur über die Pflicht zum Rückersatz der (um die Krankenversicherungsbeiträge und Lohnsteuer zu vermindernden) Überbezüge für die Zeit von März 1984 bis Juli 1986 im Ausmaß von 20.160 S entschied.

Nach § 107 Abs 1 ASVG hat der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger (§ 106) bzw der Leistungsempfänger den Bezug durch bewußt unwahre Angaben, bewußte Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften (§ 40) herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Ob es sich bei den von der beklagten Partei zurückgeforderten Pensionsleistungen um "zu Unrecht erbrachte" Geldleistungen iS des § 107 Abs 1 ASVG handelt, hängt zunächst einmal davon ab, inwieweit die Witwenpension der Klägerin nach § 94 ASVG (in seinen hier maßgeblichen, bereits außer Kraft getretenen Fassungen) ruhte. Der Oberste Gerichtshof hat gegen die von ihm anzuwendende, für die Entscheidung über diese Revision präjudiziellen Ruhensbestimmung des § 94 ASVG in den hier maßgeblichen Fassungen verfassungsrechtliche Bedenken:

Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 7.3.1989 10 Ob S 167/88 beim Verfassungsgerichthof beantragt zu entscheiden, daß § 94 ASVG in den vom 1.6.1981 bis 31.12.1985 geltenden Fassungen der 36., 39. und 40. ASVGNov verfassungswidrig war, und diese Gesetzesstelle in der seit 1.1.1986 (nach der diesem Beschluß nachfolgenden 48. ASVGNov bis 31.12.1989) geltenden Fassung der 40. ASVGNov als verfassungswidrig aufzuheben.

In diesem Anfechtungsantrag und in den dieselbe Gesetzesstelle betreffenden weiteren Anträgen zu 10 Ob S 7, 30, 32, 41, 42, 61, 73 und 220/89 führte der erkennende Senat nach Darstellung der Entwicklung dieser Ruhensbestimmung bis zur 40. ASVGNov zur damals letzten Fassung aus:

"Die einschneidendste Verschärfung erfolgte durch die 40. ASVG-Nov BGBl 1984/484. Das bisherige Pensionsberechnungssystem:

Grundbetrag, Grundbetragszuschlag und progressive Steigerungsbeträge wurden durch ein neues System ersetzt, das in der Kombination von linearen Steigerungsbeträgen sowie von Zurechnungszuschlägen und von Kinderzuschlägen, für weibliche Versicherte besteht. Wird neben einem Pensionsanspruch aus der Pensionsversicherung mit Ausnahme der Ansprüche auf Knappschaftspension und Knappschaftssold sowie Waisenpension noch Erwerbseinkommen erzielt, so ruhen grundsätzlich 40 % der Pension mit dem Betrag, um den das im Monat gebührende Erwerbseinkommen 3.200 S (1988 3.694 S) übersteigt, höchstens jedoch mit dem Betrag, um den die Summe aus Pension zuzüglich Hilflosenzuschuß und Erwerbseinkommen im Monat den Betrag von 7.000 S (1988 8.079 S) übersteigt. Die günstigere Regelung für Witwen- (Witwer-) und Invaliditätspensionen wurde beibehalten und noch dadurch ergänzt, daß die Voraussetzung des Vorliegens von 36 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung entfällt, sofern der Versicherte Beitragsmonate der Pflichtversicherung erwirbt und ihm in dieser Zeit ein Freibetrag aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 65 vH nach § 106 des Einkommensteuergesetzes 1972 BGBl Nr. 440 gebührt. Die Neuregelung, die bei Ermittlung des Ruhensbetrages von der Bruttopension ausgeht, die anstelle des früheren Grundbetrages trat, brachte für einen Großteil der Pensionsbezieher mit gleichzeitigem Erwerbseinkommen eine empfindliche Verschärfung. Durch die 41. ASVG-Nov BGBl 1986/111 wurden auch die in § 23 Abs 1 des Bezügegesetzes angeführten Bezüge in die Ruhensbestimmungen einbezogen.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen VfSlg 3836/1960 und 5241/1966 ausgesprochen, daß der Gesetzgeber durchaus im Rahmen des Kompetenztatbestandes gemäß Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG "Sozialversicherungswesen" bleibe, wenn er gewisse Rentenbeträge, auf die ansonsten ein Anspruch besteht, wegen anderweitiger Einkünfte des Versicherten zum Ruhen bringt. Der Gesetzgeber könne also grundsätzlich Ruhensbestimmungen normieren, die grundsätzliche Differenzierung zwischen Rentenberechtigten, die über ein gewisses Einkommen verfügen und anderen, die ein solches anderweitiges Einkommen nicht haben, sei nicht als gleichheitswidrig anzusehen. Es komme aber auf die konkrete Verwirklichung an. Andererseits könne aber auch das Fehlen von Ruhensbestimmungen nicht als mit dem Wesen der Sozialversicherung unvereinbar bezeichnet werden.

Der erkennende Senat ist der Ansicht, daß eine neuerliche Überprüfung der Verfassungsgemäßheit der Ruhensbestimmungen im ASVG deshalb erforderlich ist, weil sich seit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17.März 1966, VFSlg 5241/1966, in welchem § 94 ASVG in der damaligen Fassung nicht als gleichheitswidrig erkannt wurde, einerseits die Ruhensbestimmungen des § 94 ASVG (und jene der anderen Sozialversicherungsgesetze), wie sich aus der eingangs dargelegten Entwicklung ergibt, bedingt durch die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und budgetären Erfordernisse grundlegend geändert haben und andererseits diese Bestimmungen einer Überprüfung im Lichte des Erkenntnisses vom 16. März 1988, G 184-194, 200/87, über die Verfassungsmäßigkeit des § 40 a Pensionsgesetz bedürfen.

Das Erkenntnis vom 17.3.1966 baut entscheidend darauf auf, daß die Sozialversicherung von dem Grundgedanken getragen sei, daß die Angehörigen der einzelnen Sozialversicherungsgemeinschaften eine Riskengemeinschaft bilden, in der der Versorgungsgedanke im Vordergrund stehe, weshalb Sozialversicherungspensionen überwiegend als Versorgungsrenten zu charakterisieren seien. Geschlossen wird dies daraus, daß in allen Sozialversicherungsgesetzen die Aufgabe der versicherten Tätigkeit Voraussetzung für die Alterspension ist, sozialpolitische Erwägungen der Behandlung der Ersatzzeiten als Versicherungszeiten zugrundelagen und auch die Aufwertungsfaktoren und die Pensionsdynamik sowie der erhebliche Bundeszuschuß dafür sprächen, daß die Pensionen Versorgungscharakter hätten. Hier ist zunächst darauf zu verweisen, daß der Gesetzgeber, was die Aufgabe der versicherten Tätigkeit anlangt, nicht konsequent ist. Das Nichtbestehen einer Pflichtversicherung am Stichtag ist zwar Voraussetzung für die Gewährung einer Alterspension. Eine schon am nächsten Tag aufgenommene versicherungspflichtige Beschäftigung führt aber im Regelfall nur zum teilweisen Ruhen der Pension. Auch werden nunmehr gerade jene Pensionen im Rahmen der Ruhensbestimmungen günstiger behandelt, bei denen der Versorgungsgedanke besonders stark ausgeprägt ist, wie etwa Witwenund Witwerpensionen, aber auch Invaliditätspensionen, bei denen die Beitragsleistung der Versicherten naturgemäß weit geringer ist als jene der Alterspensionisten. Soweit letztere 540 Versicherungsmonate erreicht haben, führt eine weitere aktive Tätigkeit zwar zu keiner Steigerung ihrer Pension, streben sie jedoch eine solche an, dann gelten für sie die schärferen Ruhensbestimmungen des § 94 Abs 1

ASVG, wenn sie nach dem Stichtag wieder eine Erwerbstätigkeit ausüben. Es ist auch bemerkenswert, daß durch die dargelegte Entwicklung des Pensionsrechtes zweifellos in den letzten Jahren eine Verschiebung in der Richtung eines weitaus stärkeren Hervortretens von versicherungsrechtlichen Elementen eingetreten ist. Besonders der Wegfall des Grundbetrages und des Grundbetragszuschlages und die neue Pensionsberechnung in Form von linearen Steigerungsbeträgen wirken in dieser Richtung. Auf derselben Linie liegt die wesentliche Einschränkung der Anrechnung von Studienzeiten für die Bemessung der Leistung. Auch wird der Kreis der Personen, die in den Genuß der Ersatzzeitenregelung gelangen, mit fortschreitender Zeit immer kleiner; es seien hier etwa die Ersatzzeiten für Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft oder Zeiten der Beschäftigung als Arbeiter vor dem 1.1.1939 beispielsweise genannt.

Unter diesen Voraussetzungen bestehen aber erhebliche Bedenken gegen die sachliche Rechtfertigung der Ruhensbestimmungen in ihrer bestehenden Form. Wenn der Gesetzgeber bestimmten ASVG-Pensionisten, nämlich solchen, die ein Erwerbseinkommen beziehen, einen Teil ihrer Pension ruhend stellt, sie also gegenüber Pensionisten ohne gleichzeitiges Erwerbseinkommen schlechter stellt, so muß dieser Eingriff in die bestehende Rechtsposition sachlich zu rechtfertigen sein. Die Ruhensbestimmungen erfuhren im wesentlichen durch die 39. und 40. ASVG-Nov ihre heutige Ausprägung. Der Gesetzgeber hat - wie dargestellt - diese Regelung damit begründet, daß sie einerseits der Sicherung der Arbeitsplätze dienen und andererseits eine Entlastung des Bundeshaushaltes bewirken sollte (80 BlgNR 16. GP). Es kann bezweifelt werden, daß diese Ziele durch die bestehenden Ruhensbestimmungen auch nur annähernd erreicht werden. Nach der vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zuletzt für das Jahr 1986 verlautbarten Statistik betrug die Zahl der gemäß § 94 ASVG ruhenden Pensionen

21.807. Hievon waren nur 4.021 Alterspensionen, dagegen 15.797 Witwen- und Witwerpensionen und 1989 Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Statistisches Handbuch für die Republik Österreich 1988, 171). Es zeigt sich also, daß bei der weit überwiegenden Zahl jener Pensionen das Ruhen wegen Erwerbstätigkeit besonders häufig vorkommt, bei denen die Aufgabe der Erwerbstätigkeit schon begrifflich keine Voraussetzung des Eintrittes des Versicherungsfalles ist. Da es sich bei den aus diesem Grunde ruhenden Witwen(Witwer)Pensionen naturgemäß in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle um solche handelt, wo die Empfänger der Leistung schon bisher (neben ihrem verstorbenen Ehegatten) berufstätig waren, können durch die Ruhensbestimmungen kaum Arbeitsplätze freigemacht werden. Bei diesen bleibt es daher bei der Budgetentlastung, die der Gesetzgeber aber durch die für solche Pensionen weit günstigere Regelung des § 94 Abs 2 ASVG selbst wieder teilweise zunichte gemacht hat. Die Zahl der ruhenden Alterspensionen ist dagegen in Anbetracht der Zahl von 352.484 Arbeiter-, 243.052 Angestellten- und 9.306 Bergarbeiterpensionisten aus dem Versicherungsfall des Alters (im Jahr 1986, die Zahlen für 1987 sind noch höher) eine geradezu verschwindend geringe (Statistisches Handbuch 1988, 171). Unter diesen Umständen kann das Ruhen der Alterspensionen weder eine nennenswerte Entlastung des Bundeshaushaltes noch die Sicherung von Arbeitsplätzen bewirken. Es muß hier - wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 16.3.1988 zu § 40 a Pensionsgesetz dargetan hat - berücksichtigt werden, daß den geringen Budgeteinsparungen in Form des aliquot auf diese Pensionen entfallenden Bundeszuschusses erhebliche Mehrausgaben für den Vollzug der Ruhensbestimmungen und Mindereinnahmen zufolge des Kaufkraftverlustes dieser versicherten Gruppe sowie der Entfall der Sozialversicherungsbeiträge gegenüber stehen. Auch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind sicher nicht so erheblich, um damit die Ruhensbestimmungen rechtfertigen zu können. Hier muß berücksichtigt werden, daß Pensionisten häufig Beschäftigungen ausüben, die von anderen Arbeitskräften nicht ohne weiters übernommen werden können, wie etwa besonders qualifizierte Angestellte, die im Ruhestand als Konsulenten weiter tätig sind. Soweit Pensionisten eine selbständige Tätigkeit ausüben, nehmen sie überhaupt niemandem einen Arbeitsplatz weg, sondern schaffen vielmehr häufig durch ihre Tätigkeit sogar zusätzliche Arbeitsplätze. Auch darf nicht übersehen werden, daß die Ruhensbestimmungen häufig dazu führen, daß der Pensionist in nicht gemeldete Erwerbstätigkeiten ausweicht, was nicht nur schwer kontrollierbar ist, sondern auch zu einem weiteren Entfall von Einnahmen des Staates führt. Es ist daher insgesamt äußerst zweifelhaft, ob die derzeitigen Ruhensbestimmungen geeignet sind, die vom Gesetzgeber erwarteten Ziele zu erreichen. Wäre dies jedoch nicht der Fall, dann könnten sie sowohl gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 2 StGG als auch möglicherweise wegen ihrer die freie Erwerbstätigkeit einschränkenden Wirkung gegen Art 6, allenfalls auch gegen Art 5 StGG verstoßen.

Dazu kommt noch, daß die Ruhensbestimmungen in ihrer vollen Härte gerade die Alterspensionisten treffen, bei denen der Versicherungsgedanke weit stärker ausgeprägt ist als bei den durch § 94 Abs 2 ASVG begünstigten Gruppen. Auch diese Regelung ist daher unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit verfassungsrechtlich bedenklich. Aber auch die Unterscheidung innerhalb des § 94 Abs 2 lit b ASVG in Pensionisten, die neben der Pension Erwerbseinkommen aus einer Erwerbstätigkeit beziehen, zu deren Ausübung sie durch Maßnahmen der Rehabilitation befähigt wurden und solche, bei denen dies nicht der Fall war, ist bedenklich. Es ist nicht ohne weiters einzusehen, warum invalide Pensionisten, die aus eigener Kraft die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß schaffen, schlechter gestellt werden als solche, denen dies mit Hilfe der den Sozialversicherungsträger kostenmäßig belastenden Rehabilitation gelungen ist. Schließlich muß in diesem Zusammenhang aber auch auf die Übergangsbestimmung des Art IV Abs 3 der 40. ASVG-Nov verwiesen werden, wonach die durch diese Novelle eingetretene entscheidende Verschärfung der Ruhensbestimmungen für jene Pensionisten, deren Pension im Dezember 1984 geruht hat, solange nicht gilt, solange das zum Ruhen führende Erwerbseinkommen aufgrund ein und derselben Erwerbstätigkeit weiterhin erzielt wird. Damit werden einerseits jene Pensionisten schlechter behandelt, die - wie dies etwa bei Witwen und Witwern häufig der Fall ist - nach der neuen Regelung zum Ruhen führende Tätigkeiten schon vor dem Anfall der Pension ausgeübt haben, andererseits jene Pensionisten, die ihren bisherigen Arbeitsplatz ohne eigenes Verschulden verloren haben und sich daher einen neuen Arbeitsplatz suchen mußten.

Schließlich erscheinen die Ruhensbestimmungen des § 94 ASVG aber auch im Hinblick auf die inzwischen erfolgte Aufhebung des § 40 a Pensionsgesetz verfassungsmäßig bedenklich.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 16.März 1988, G 184-194, 200/87, die Verfassungsmäßigkeit des § 40 a Pensionsgesetz unter anderem im Hinblick auf den nicht erreichten Regelungszweck, wonach sich Pensionisten einer Berufstätigkeit enthalten sollen, damit vorhandene Arbeitsplätze für Arbeitsuchende frei werden, die Entlastung des Bundeshaushaltes und daß auch Bundespensionisten einen Akt der Solidarität zur Arbeitsproblematik "ungeachtet allfälliger Unterschiede im Tatsächlichen zwischen Beamtenpensionen und Pensionen nach dem ASVG" leisten sollen, verneint, und daher eine gleichheitsrechtliche Beurteilung durch Vergleich der Lage von ASVG-Pensionisten und Bundespensionisten nicht vorgenommen. Tomandl hat in seiner Kritik dieses Erkenntnisses (ZAS 1988, 181) dargetan, daß zwischen der Alterssicherung der Beamten und jener der privaten Arbeitnehmer, sieht man von der unterschiedlichen Konstruktion ab, im Tatsächlichen eine weitgehende Übereinstimmung besteht. Beide Pensionsarten sollen eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahekommende Versorgung sichern, weisen also im Tatsächlichen insoweit keine wesentlichen Unterschiede auf. Es sei nicht verkannt, daß Beamte einem Sonderrecht unterstehen, in ein besonderes Gewaltverhältnis zum Dienstgeber treten, der die Pensionsleistung zu erbringen hat und Verpflichtungen übernehmen, die über die Pflichten eines privaten Dienstnehmers hinausgehen und die zum Teil auch für die Zeit der Pensionierung gelten. Die Ansicht, der Ruhegenuß des öffentlich Bediensteten sei seinem Wesen nach kein Versicherungsanspruch, der auf solidarischen Leistungen einer entsprechend großen Riskengemeinschaft beruht, es handle sich dabei vielmehr um ausschließliche Dienstgeberleistungen, die der Staat als Dienstgeber dem Beamten erbringe, damit sei der Widmungszweck der Zuwendungen des Bundes an die Pensionsversicherung und an die Ruhegenüsse der pensionierten Beamten ein völlig verschiedener (VfSlg 3389/1958; Korinek in ÖJZ 1965, 113), kann nach den Veränderungen und der Entwicklung in den letzten 20 Jahren in dieser Form nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Der Eigenbeitrag der Beamten zur Alterssicherung wurde vom Gesetzgeber, der damit eine immer stärkere Angleichung an den Arbeitnehmerbeitrag in der Pensionsversicherung anstrebte, sukzessive soweit angehoben, daß er nun nur mehr geringfügig unter jenem der Arbeitnehmer im privaten Bereich liegt. Auch der Beamte trägt also in nahezu gleicher Weise selbst zu seiner Alterssicherung bei. Andererseits ist der Staat gezwungen, auch zu den Pensionsversicherungen einen jährlich größer werdenden Beitrag zu leisten, um die Pensionen sicherzustellen, so daß auch hier nicht mehr von einer reinen Riskengemeinschaft der Angehörigen der einzelnen Sozialversicherungsgemeinschaften zur Erfüllung der Ansprüche der Einzelnen gesprochen werden kann. Eine Abgrenzung, in welchem Umfang der Staat Leistungen als Dienstgeber erbringt und in welchem darüber hinausgehenden Ausmaß - ebenso wie bei der Pensionsversicherung - Zuschüsse zur Erfüllung der Versorgungsaufgaben erforderlich sind, ist mangels getrennter Ausweisung nicht möglich. Wie eng die Pensionssysteme tatsächlich verknüpft sind, ergibt sich aus den Bestimmungen des Abschnittes VII des Vierten Teiles des ASVG über die Aufnahme in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis und das Ausscheiden aus einem solchen (§§ 308 f). Es bleibt dem Dienstnehmer überlassen, die Zeiten zu bestimmen, die ihm der Dienstgeber als Ruhegenußvordienstzeiten anrechnet (Gehrmann-Rudolf-Teschner-Fürböck ASVG 35. ErgLfg, 1488). Der Versicherungsträger hat für bestimmte angerechnete Dienstzeiten bei Eintritt in ein pensionversicherungsfreies Dienstverhältnis einen Überweisungsbetrag zu leisten. Hinsichtlich solcher "übernommener Beitragszeiten" aus einem anderen Versicherungssystem kann wohl nicht davon gesprochen werden, daß der dadurch erworbene Teil des Ruhegenußanspruches Entgelt für dem Dienstgeber Staat geleistete Dienste sei. Nach § 11 des Pensionsgesetzes erlischt der Anspruch auf Ruhegenuß durch Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, Verzicht, Austritt, Ablösung, Verhängung der Disziplinarstrafe des Verlustes aller aus dem Dienstverhältnis fließenden Rechte und Ansprüche und durch Verurteilung durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe. Auch der Ruhestandsbeamte unterliegt nach den Bestimmungen der §§ 153 und 154 der Dienstpragmatik der Disziplinarbehandlung. Daß ähnliches mit dem Zweck der Sozialversicherung unvereinbar wäre, hat der Verfassungsgerichtshof als einen der hauptsächlichsten Unterschiede im Tatsächlichen zwischen Sozialversicherungspensionen und Beamtenruhegenüssen bezeichnet. Tomandl (aaO 188) hat darauf verwiesen, daß aufgrund disziplinärer oder strafgerichtlicher Verurteilung der Anspruch auf die Beamtenpension verlorengehen kann, sich die Pension dann aber in den niedereren Unterhaltsbetrag gemäß § 50 Pensionsgesetz umwandelt, so daß die wirtschaftliche Existenz jedenfalls gesichert ist. Vielmehr noch zeigt sich die vom Gesetzgeber gewollte Gleichbehandlung aller Versicherungszeiten unter Abbau von Unterschieden im Tatsachenbereich in der Bestimmung des § 311 ASVG. Ist ein Dienstnehmer aus einem nach dem ASVG pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnis ausgeschieden oder scheidet er aus einem solchen Dienstverhältnis aus, ohne daß aus diesem ein Anspruch auf einen laufenden Ruhe(Versorgungs)Genuß erwachsen ist, so hat der Dienstgeber dem Pensionsversicherungsträger, der aus dem Dienstverhältnis zuletzt zuständig gewesen wäre, einen Überweisungsbetrag zu leisten. Für die Leistung des Überweisungsbetrages ist es gleichgültig, aus welchem Grund beim Ausscheiden aus dem pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnis kein Anspruch auf einen laufenden Ruhe(Versorgungs)Genuß angefallen ist. Der Überweisungsbetrag ist daher auch zu leisten, wenn aus disziplinären Gründen kein Ruhe(Versorgungs)Genuß anfiel. Ebenso sind im Überweisungsbetrag auch Zeiten zu berücksichtigen, die im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis aus disziplinären Gründen für den Ruhe(Versorgungs)Genußanspruch nicht angerechnet wurden (Gehrmann-Rudolf-Teschner-Fürböck, ASVG, 35. ErgLfg, 1505). All dies könnte dafür sprechen, daß die Unterschiede zwischen Beamtenpensionen und Sozialversicherungspensionen in höherem Maße nur in der rechtlichen Konstruktion liegen, nicht aber so wesentlich im Tatsächlichen, daß die nunmehrige Regelung, wonach bei Zusammentreffen einer Pension mit Erwerbseinkommen Sozialversicherungspensionen Ruhensvorschriften unterworfen werden, während Beamtenpensionen keinerlei Schmälerung erfahren, dem Gleichheitsgebot der Verfassung nicht gerecht wird."

Der Oberste Gerichtshof hält es daher für geboten, dem hiefür ausschließlich zuständigen Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu geben, die angefochtene Bestimmung auf ihre Verfassungsgemäßheit zu überprüfen und stellt daher nach Art 89 Abs 2 und Abs 3 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den aus dem Spruch ersichtlichen Antrag.

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