OGH 10ObS260/95

OGH10ObS260/9523.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Dorner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Darmstädter (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst Sch*****, vertreten durch den Sachwalter Dr.Robert Bauer, öffentlicher Notar, Hauptplatz 13, 2870 Aspang, dieser vertreten durch Dr.Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, wegen Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.August 1995, GZ 9 Rs 88/95-16, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7.März 1995, GZ 22 Cgs 174/93a-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte anerkannte mit den Bescheiden vom 13.9.1993 bzw. 9.1.1995, mit dem die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes erfolgte den Anspruch des Klägers auf Waisenpension nach dem am 1.2.1992 in Berlin-Spandau verstorbenen versicherten Vater des Klägers ab 28.1.1993. Der am 31.1.1951 geborene Kläger befindet sich stationär im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien. Er hat einen schweren Hirnschaden, der ihn zu keiner vernünftigen Äußerung fähig macht. Zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten wurde ihm mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 6.3.1991 ein Sachwalter beigegeben. Dieser erfuhr erst am 18.1.1993 auf Grund eines Schreibens der Pflegegebührenstelle des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien vom Ableben des Vaters des Klägers am 1.2.1992. Er stellte daraufhin unverzüglich (abgefertigt am 27.1.1993) den Antrag auf Gewährung der Waisenpension.

Der Kläger begehrt die Gewährung der Waisenpension bereits ab 1.2.1992, weil das Versäumnis der Sechs-Monatsfrist des § 86 Abs 3

ASVG ihm im Hinblick auf seine Geisteskrankheit nicht zum Nachteil gereichen könne.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil verspätete Anträge erst zur Leistung ab dem Tag der Antragstellung führen könnten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der Antrag auf Hinterbliebenenleistung erst nach Ablauf von sechs Monaten nach Ableben des Unterhaltspflichtigen gestellt wurde, sodaß die Waisenpension gemäß § 86 Abs 3 Z 1 ASVG erst mit dem Antragstag angefallen sei.

Das Gericht der zweiten Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die durch die 49. und 51. ASVG-Novelle eingeführte Lockerung des Antragsprinzips im Fall des Klägers nicht analog anzuwenden sei. Die analoge Anwendung der vor allem für Vollwaisen vorgesehenen begünstigten Antragstellung bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Erreichung der Volljährigkeit sei in Fällen, wo ein Sachwalter, der über ausreichende juristische Kenntnisse verfüge und von dem eine rechtzeitige Antragstellung zu erwarten sei, nicht möglich. Es bestehe kein unsachlicher Wertungswiderspruch, wenn der Gesetzgeber mit der Regelung des § 86 Abs 3 Z 1 ASVG die besondere Situation der Vollwaisen einer sachlich differenzierten Regelung zuführe, um deren grundsätzlich bestehende Ansprüche zu wahren. Zu einer analogen Anwendung auf Fälle, wo bereits ein Sachwalter bestellt sei, sei keine Veranlassung gegeben. Die Gleichstellung eines Hinterbliebenen, für den ein Sachwalter bestellt sei, mit dem, für den ein Vormund erst bestellt werden müsse, sei nicht gerechtfertigt, weil von der Person des Sachwalters eine zeitgerechte Antragstellung grundsätzlich erwartet werden könne. Die Schwere der geistigen Behinderung des Klägers vermöge eine andere Auslegung nicht zu begründen, weil diesem Umstand ohnedies durch die Bestellung des Sachwalters für alle Angelegenheiten ausreichend Rechnung getragen worden sei. Daß der Versicherte seinen Aufenthalt so wählte, daß der Sachwalter seines Sohnes von seinem Ableben erst später Kenntnis erlangen konnte, sei in dessen Sphäre begründet und stelle keine Schlechterstellung eines unter Sachwalterschaft stehenden Behinderten dar. Die in der Berufung aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken teilte das Berufungsgericht nicht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und mit dem Antrag, nach Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof und Abschluß des Gesetzesprüfungsverfahrens das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Sowohl die 49. (BGBl 1990/294) als auch die 51. Novelle zum ASVG (BGBl 1993/335) brachten über Anregung der Volksanwaltschaft eine Lockerung des Antragsprinzips im Rahmen des Hinterbliebenenpensionsrechtes zu Gunsten von Waisen (1277 Blg NR 17. GP, 18; 932 Blg NR 18. GP, 48; Teschner/Widlar, ASVG 55.ErgLfg 520/1). Um Härtefälle bei verspäteter Antragstellung zu entschärfen, sollte durch die 49. ASVG-Novelle die Antragsfrist des § 86 Abs 3 Z 1 ASVG nicht nur bei einem anhängigen Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft um die Dauer desselben (vgl 41. ASVG-Novelle, BGBl 1986/111; Teschner/Widlar aaO 520/1 f) verlängert werden, sondern auch bis zur Bestellung eines Vormundes. Nach der 51. ASVG-Novelle sollte die Säumigkeit des gesetzlichen Vertreters der Waise, die selbst keine Möglichkeit hatte, einen Antrag auf Waisenpension zu stellen, eine Verlängerung der Antragsfrist bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Erreichung der Volljährigkeit (somit der Vollendung des 19. Lebensjahres) nach sich ziehen (932 Blg NR 18. GP, 48).

Der Revisionswerber erblickt eine unsachliche Regelung darin, daß der Gesetzgeber diese Begünstigungen einer schwerst behinderten Waise, deren Sachwalter keine Kenntnis vom Tod des Vaters hatte, nicht zugesteht.

Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes liegt jedoch nicht vor. Die zu prüfende gesetzliche Regelung bewirkt keine Ungleichbehandlung im Rechtssinn, weil der Gesetzgeber unterschiedliche Rechtsfolgen nicht an vergleichbare Sachverhalte geknüpft hat (Holoubek, Die Sachlichkeitsprüfung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes, ÖZW 1991, 72). Das ASVG regelt nämlich die Fristversäumnis durch Unkenntnis des Todes des Pensionsberechtigten durch die schwerst behinderte Waise oder deren Sachwalter nicht. Die Überlegung geht vielmehr dahin, ob im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation die analoge Anwendung der gesetzlichen Regelung auf den hier nicht geregelten konkreten Fall geboten ist.

Während die Verlängerung der Antragsfrist im Falle eines Verfahrens auf Feststellung der Vaterschaft des verstorbenen vermutlichen Vaters mit dem vorliegenden Sachverhalt überhaupt nicht vergleichbar ist, liegt den durch die 49. ASVG-Novelle entschärften Härtefällen zugrunde, daß vor der Vormundbestellung kein Antragsberechtigter vorhanden ist. Es fehlt hier eine Antragsbefugnis für die minderjährige Waise. Daher könnten durch Fristversäumungen Rechtsverluste eintreten, denen vorgebeugt werden sollte. Ob die Behörde bei der Bestellung des Vormundes säumig ist, ist nicht entscheidend, weil die gesetzliche Regelung den Rechtsverlust durch verspätete Antragstellung in diesen geregelten Fällen ungeachtet ihres Grundes vermeiden will.

Im vorliegenden Fall ist für den Kläger bereits ein Sachwalter bestellt, sodaß eine Säumigkeit bei seiner Bestellung außer Betracht zu bleiben hat. Ob eine analoge Anwendung der durch die 51. ASVG-Novelle geschaffenen Verlängerung der Antragsfrist bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Erreichung der Volljährigkeit bei Versäumung der Antragsfrist auch im Falle einer unter Sachwalterschaft stehenden Person in Frage kommt, braucht hier bei der im Jänner 1993 erfolgten Antragstellung nicht geprüft zu werden.

Diese Bestimmung trat nämlich mit 1.7.1993 in Kraft (§ 551 Abs 1 Z 1 ASVG). Sie war daher mangels Rückwirkungsanordnung auf den vor diesem Zeitpunkt gestellten Antrag nicht anzuwenden.

Daß jeder Grund einer verspäteten Antragstellung zu einer Verlängerung der Antragsfrist führen sollte, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Gerade der Umstand, daß der Gesetzgeber die Ausnahmsfälle des § 86 Abs 3 Z 1 ASVG sehr genau und detailliert umschrieb, spricht dafür, daß die sonst nur bei einer Antragstellung innerhalb von sechs Monaten entstehenden Rechtswirkungen bei einer danach gelagerten Antragstellung nur auf diese Fälle erstreckt werden sollten. Ein allgemeiner Grundsatz läßt sich aus diesen Ausnahmeregelungen nicht ableiten.

Deshalb fiel die Waisenpension erst mit dem Tag der Antragstellung an, was aber sachlich durch das in der Pensionsversicherung geltende Antragsprinzip gerechtfertigt ist (SSV-NF 8/126).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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