OGH 10ObS240/99p

OGH10ObS240/99p5.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Christa Marischka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Virgil F*****, Pensionist, *****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Entziehung des Hilflosenzuschusses, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 1998, GZ 7 Rs 370/98b-123, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Juni 1998, GZ 10 Cgs 100/94g-116, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die bisherige pflegebezogene Geldleistung (Hilflosenzuschuß) von S 900,-- monatlich mit den entsprechenden gesetzlichen Aufwertungen auch über den 31. 7. 1994 hinaus weiterhin zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10. 1. 1936 geborene Kläger bezog von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter seit dem Jahr 1988 einen Hilflosenzuschuß, der unter Berücksichtigung des zwischenstaatlichen Kürzungsfaktors zuletzt im Jahr 1994 S 900,-- monatlich betrug.

Mit Bescheid vom 27. 6. 1994 sprach die beklagte Partei aus, daß die Pension des Klägers mit Ablauf des Monates Juli 1994 um den auf den Hilflosenzuschuß entfallenden Betrag herabgesetzt werde, da die Voraussetzungen für den Anspruch auf Hilflosenzuschuß nicht mehr vorliegen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren, ihm den bisher gewährten Hilflosenzuschuß in der gesetzlichen Höhe weiterhin zu zahlen.

Das Erstgericht gab diesem - während des Verfahrens nie geänderten - Klagebegehren dahin statt, daß es die Beklagte schuldig erkannte, dem Kläger über den 31. 7. 1994 hinaus das Pflegegeld der Stufe 1 weiter zu gewähren. Es stellte dazu folgenden Sachverhalt fest:

Bei der Gewährung im Jahr 1988 bestand beim Kläger ein erheblich ataktisches Gangbild bei Polyneuropathie, er war außerdem desorientiert und litt an den typischen Syndromen der Korsakov-Psychose. Unter Berücksichtigung der damaligen Diagnose benötigte er zur Ganzkörperreinigung fremde Hilfe, er konnte den Wohnraum nicht instand halten, konnte keine Speisen zubereiten, keine Nahrungsmittel herbeischaffen, weder den Arzt noch die Apotheke aufsuchen und benötigte auch fremde Hilfe zu sämtlichen schwierigen Verrichtungen wie grober Wohnungsreinigung und das Waschen der großen Wäsche. Im März 1994 wurde eine Besserung seines Zustandsbildes festgestellt. Der Kläger kann sich seither allein an- und ausziehen, sich waschen, den Wohnraum oberflächlich instand halten und einfache Speisen durch Wärmen vorgefertigter Speisen oder Tiefkühlkost zubereiten. Er kann Speisen allein zu sich nehmen, kann sich nach dem Aufsuchen der Toilette selbst reinigen, braucht aber Hilfe bei der Herbeischaffung des Brennmaterials, beim Einholen von Nahrungsmitteln und bei sämtlichen schwierigen Verrichtungen wie Großreinemachen der Wohnung, wie Fensterputzen, Waschen der Großwäsche; er bedarf aber auch der Hilfe beim Kochen ordentlicher Mahlzeiten. Hinweise einer Korsakov-Psychose bestehen nicht mehr.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich dahin, daß der Kläger auch nach dem 31. 7. 1994 fremder Hilfe beim Kochen, beim Einkaufen, Waschen der großen Wäsche, bei der groben Wohnungsreinigung und bei der Zurverfügungstellung des Heizmaterials bedürfe. Daraus zeige sich, daß hiefür ein Pflegeaufwand entsprechend dem Pflegegeld der Stufe 1 weiter gebühre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Ungeachtet des Umstandes, daß der Kläger seit Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland (Jugoslawien) habe, richte sich die Entziehung der ihm gewährten pflegebezogenen Leistung ausschließlich nach § 9 BPGG wonach das Pflegegeld zu entziehen sei, wenn eine Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld wegfalle. Dem Erstgericht sei beizupflichten, daß der verbleibende Aufwand an fremder Hilfe nach den Pflegegeldkriterien zu beurteilen sei und nicht nach dem außer Kraft getretenen § 105a ASVG, weil die Perpetuierung des alten Rechtszustandes nur für den Personenkreis nach § 5a OFG ausdrücklich normiert worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung dahin, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zum Teil berechtigt.

Während das durch das Bundespflegegeldgesetz BGBl 1993/110 mit 1. 7. 1993 eingeführte Pflegegeld grundsätzlich nicht exportiert wird, konnten frühere bundesgesetzlich pflegebezogene Geldleistungen wie etwa der Hilflosenzuschuß nach dem früheren § 105a ASVG durchaus auch im Ausland bezogen werden. Soweit diese Leistungen mit der Neuregelung abgeschafft wurden, hätte Pflegebedürftigen, die sich überwiegend im Ausland aufhalten, ein Verlust des bisherigen Anspruches gedroht. Die Bestimmung des § 46 BPGG wollte daher diesem Personenkreis ermöglichen, die bisherige pflegebezogene Geldleistung weiterhin zu beziehen. Er ordnete an, daß Personen, denen zum 30. 6. 1993 eine bisherige pflegebezogene Leistung rechtskräftig zuerkannt war und die am 1. 7. 1993 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, diese Leistungen für die Dauer dieses Aufenthaltes im bisherigen Ausmaß weiterhin zu erbringen sind; diese Leistungen gelten als rechtskräftig zuerkannt (vgl SSV-NF 11/88). Die Beträge sind mit Wirkung vom 1. 1. 1994 und in der Folge mit Wirkung vom 1. Jänner jeden Jahres mit dem Anpassungsfaktor des § 108 f ASVG zu Vervielfachen und gemäß § 18 Abs 3 BPGG auf volle Schillingbeträge zu runden. Der Vervielfachung sind die für das jeweils vorangegangene Jahr ermittelten und gerundeten Beträge zugrundezulegen. Im übrigen gelten die jeweiligen Bestimmungen der in § 3 BPGG genannten Normen in der zum 30. 6. 1993 geltenden Fassung (§ 46 Abs 1 BPGG; vgl dazu Gruber/Pallinger BPGG Anm 1 und 2 zu § 46; Pfeil, BPGG 297 mit Hinweis auf Gesetzesmaterialien).

Wie die Revisionswerberin zutreffend darlegt, ist der zitierten Bestimmung eindeutig zu entnehmen, daß der dort genannte Personenkreis keinen Anspruch auf Pflegegeld erwirbt oder tradiert, sondern der bereits rechtskräftige Anspruch auf eine pflegebezogene Leistung (im gegenständlichen Fall der Hilflosenzuschuß nach § 105a ASVG) perpetuiert wird. Dies ergibt sich aus dem Ausdruck "diese pflegebezogene Leistung", aus der Formulierung "für die Dauer dieses Aufenthaltes" und aus der Feststellung der Aufwertung der pflegebezogenen Leistung mit dem Anpassungsfaktor des § 108a ASVG, wie er etwa für das Pflegegeld nicht vorgesehen ist.

Da der Kläger sohin bei Inkrafttreten des BPGG am 1. 7. 1993 nicht Pflegegeld, sondern die bisher gewährte pflegebezogene Leistung, bei der es sich ihrer Rechtsnatur nach um einen Hilflosenzuschuß nach § 105a ASVG handelte, erhalten hat, kann bei der Entziehung eine allfällige wesentliche Besserung auch nur nach den Kriterien des Hilflosenzuschusses festgestellt werden. Dies ergibt sich aus dem bereits zitierten letzten Satz des § 46 Abs 1 BPGG, wonach die Bestimmungen, die zum 30. 6. 1993 galten, weiterhin anzuwenden sind. Daher besteht keine Rechtsgrundlage dafür, die Beklagte schuldig zu erkennen, dem Kläger über den 31. 7. 1994 hinaus Pflegegeld der Stufe 1 weiter zu gewähren. Der Sinn der Bestimmung des § 46 Abs 1 BPGG kann darin erblickt werden, wohl erworbene Rechte eines Leistungsbeziehers dauerhaft zu wahren. Entscheidend ist daher im vorliegenden Fall, ob sich seit Zuerkennung des Hilflosenzuschusses eine wesentliche Besserung im Zustand des Klägers ergeben hat, der dazu führt, daß der Bedarf an Wartung und Hilfe nicht mehr die Höhe des durchschnittlichen Hilflosenzuschusses erreicht (so die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum § 105a ASVG, vgl SSV-NF 1/46 = SZ 60/223 ua). Würden also die Voraussetzungen für die Gewährung eines Hilflosenzuschusses nach § 105a ASVG an den Kläger ab August 1994 nicht mehr vorliegen, dann wäre im Sinne der §§ 97 und 99 ASVG seine Pension um den auf den Hilflosenzuschuß entfallenden Betrag (zuletzt S 900,-- monatlich) herabzusetzen (siehe SSV-NF 6/75).

Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin sind jedoch die Voraussetzungen für die den Kläger gewährte Leistung ungeachtet einer gewissen Besserung seines Gesundheitszustandes nicht weggefallen. Der von den Tatsacheninstanzen festgestellte erforderliche Aufwand des Klägers besteht in fremder Hilfe beim Kochen, beim Einkaufen, Waschen der großen Wäsche bei der groben Wohnungsreinigung und bei der Herbeischaffung des Heizmaterials. Dies entspricht im Sinne der früheren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes einem monatlichen Stundenaufwand von insgesamt etwa 40 Stunden woraus sich bei einem bereits im Jahr 1992 als durchaus realistischen Stundenlohn einer Hilfskraft von S 80,-- angenommenen Satz insgesamt ein monatlicher Aufwand des Klägers errechnet, der den begehrten Hilflosenzuschuß des Klägers erreicht.

Daraus folgt, daß die Beklagte dem Kläger die bisherige pflegebezogene Geldleistung nämlich S 900,-- monatlich auch über den Entziehungszeitraum hinaus weiter zu gewähren hat. Hingegen besteht keine gesetzliche Grundlage dafür, dem Kläger nunmehr ein (von ihm auch gar nicht begehrtes) Pflegegeld der Stufe 1 zuzusprechen. In diesem Sinne waren die Urteile der Vorinstanzen in teilweiser Stattgebung der Revision der Beklagten abzuändern.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht entstanden.

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