OGH 10ObS240/02w

OGH10ObS240/02w16.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Friedrich Heim (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Traudlinde T*****, vertreten durch Dr. Franz-Christian Sladek und Dr. Michael Meyenburg, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. März 2002, GZ 8 Rs 38/02w-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2. Oktober 2001, GZ 10 Cgs 117/00v-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf deren Gesamtrechtsnachfolgerin "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Novelle, BGBl I 2002/1). Mit Bescheid vom 3. 5. 2000 lehnte die beklagte Partei den Antrag vom 30. 11. 1999 der am 24. 8. 1944 geborenen Klägerin auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab, weil die Klägerin nicht berufsunfähig im Sinne des Gesetzes sei.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 12. 1999 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin absolvierte 1969 erfolgreich das Studium der Archäologie an der Universität Wien. Sie war in den letzten 15 Jahren vor der Antragstellung eineinhalb Monate als Schlossführerin in Schönbrunn aufgrund einer Anstellung beim Bund tätig. Sie hatte lediglich Informationen über das Schloss Schönbrunn auf Basis eines spezifischen Skriptums zu vermitteln. Sie hatte keine Fremdenführerausbildung.

Aufgrund der im Einzelnen festgestellten Leiden kann die Klägerin nur noch leichte Arbeiten, die im Sitzen, Gehen und Stehen zu verrichten sind, in der üblichen Arbeitszeit, mit den üblichen Arbeitspausen verrichten. Einschränkungen in Bezug auf das Arbeitsplatzmilieu und die Anmarschwege bestehen nicht. Arbeiten an höhenexponierten Stellen, an denen Absturzgefahr besteht, und Arbeiten mit ständig besonderem Zeit- und Leistungsdruck sind nicht zumutbar. Halbzeitig besonderer Zeitdruck ist möglich. Die Klägerin ist für Arbeiten mit gehobenem psychischem Anforderungsprofil umschulbar und unterweisbar. Mengenleistungstätigkeit sind ihr zumutbar. Die Einordenbarkeit ist gegeben. Die Fingerfertigkeit ist für Fein-, Feinst-, Gröber- und Grobmanipulation ausreichend. Zu vermeiden sind Arbeiten in gebückter Haltung oder Heben als wesentlicher Bestandteil, Arbeiten über Kopf und vor dem Körper ohne Abstützen der Arme, Arbeiten überwiegend im Gehen oder Stehen als wesentlicher Arbeitsbestandteil, Arbeiten in vorgegebener Zwangshaltung, die statische Dauerbelastung ohne die Möglichkeit von frei wählbaren Ausgleichsbewegungen. Die Tätigkeit als Schlossführerin scheidet bei ganztägiger Berufsausübung wegen des Geh- und Steharbeitscharakters aus. Am allgemeinen Arbeitsmarkt entsprechen dem medizinischen Leistungskalkül der Klägerin Informationsdienstberufstätigkeiten (Rezeptionistenbeschäftigung) im Großbetrieben in diversen Branchen und auch in öffentlichen Institutionen.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, die Klägerin könne unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustands noch Berufstätigkeiten ausüben, die ihrer Qualifikation entsprächen, sodass Berufsunfähigkeit nicht vorliege.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Rechtlich führte es aus, für einen Verweisungsberuf seien gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie im bisher ausgeübten Beruf vorgesehen. Dies sei beim Verweisungsberuf einer Informationsdienstberufstätigkeit gegeben. Auch in Rezeptionen großer Firmen, von Behörden, Museen, staatlichen und privaten Einrichtungen seien sowohl ein Fremdsprachenwissen als auch ein guter Umgang mit den Ratsuchenden gefragt. Dies werde die Klägerin aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit mit Sicherheit in eine neue Tätigkeit einbringen können.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen - wie hier - bereits das Berufungsgericht verneinte, können auch in Sozialrechtssachen im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg neuerlich geltend gemacht werden (SSV-NF 11/15; 7/74 uva). Die Frage, ob die eingeholten Sachverständigengutachten die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigen, gehört ebenso in das Gebiet der irrevisiblen Beweiswürdigung wie jene, ob die eingeholten Sachverständigengutachten erschöpfend sind oder ob noch weitere Gutachten oder noch andere Kontrollbeweise zu demselben Beweisthema aufzunehmen gewesen wären (RIS-Justiz RS0043163 [T 6, T 9]).

Der Vorwurf des rechtlichen Feststellungsmangels kann nicht erfolgreich erhoben werden, wenn zu einem bestimmten Thema ohnehin Feststellungen von den Vorinstanzen getroffen werden, diese den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers aber zuwiderlaufen (RIS-Justiz RS0043480 [T 15, T 19]). In Wahrheit bekämpft die Revisionswerberin unter Punkt 2.1. und 2.2. ihrer Rechtsmittelschrift die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof jedoch nicht überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0043061 [T 10]). Die Rechtsrüge ist im Ergebnis berechtigt.

Nach dem Inhalt des Anstaltsakts hat die Klägerin Versicherungsmonate nur in der Pensionsversicherung der Angetellten erworben. Sie ist damit der Pensionsversicherung der Angestellten leistungszugehörig (§ 245 Abs 2 ASVG). Ob bei ihr ein Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit eingetreten ist, ist nach § 273 Abs 1 ASVG zu beurteilen. Die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 2 iVm § 255 Abs 4 ASVG erfüllt nämlich die noch vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz 57 Jahre alt gewordene Klägerin nicht, weil sie in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 12. 1999) nur eineinhalb Monate eine Tätigkeit ausübte, sodass die besondere Leistungsvoraussetzung einer Tätigkeit, die 120 Kalendermonate vor dem Stichtag hindurch ausgeübt wurde, nicht gegeben ist.

Nach § 273 Abs 1 ASVG gilt die Versicherte als berufsunfähig, deren Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs handelt es sich bei der Pensionsversicherung der Angestellten um eine Berufs-(Gruppen-)Versicherung, deren Leistungen einsetzen, wenn die Versicherte infolge ihres körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf ihrer Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von dem Angestelltenberuf auszugehen, den die Versicherte - nicht bloß vorübergehend - zuletzt ausgeübt hat (SSV-NF 2/92, 8/45, 8/101, 10/11, 11/113, 12/86 ua). Dies gilt auch dann, wenn die Versicherte ihren letzten Beruf nicht aus freier Wahl, sondern wegen einer Krankheit, einem Unfall oder drohender Kündigung aufgegeben hat (SSV-NF 10/11, 12/123). Zur Sachgerechtheit dieser Auffassung wurde darauf hingewiesen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, einer (einem) Angestellten den Berufsschutz einer Berufsgruppe zuzubilligen, der sie (er) nur während einer nach den Umständen des Einzelfalls nicht nennenswerten Zeit angehört hat (SSV-NF 7/51). Der zuletzt nicht bloß vorübergehend ausgeübte Beruf bestimmt das Verweisungsfeld. Darunter sind alle Berufe zu verstehen, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (SSV-NF 9/53, 12/86 mwN uva). Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Revisionswerberin war die zuletzt lediglich eineinhalb Monate ausgeübte Tätigkeit der Klägerin als Schlossführerin nur vorübergehend, sodass sie nicht als der das Verweisungsfeld bestimmende Beruf angesehen werden kann. Da Feststellungen über den zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübten Beruf der Klägerin fehlen, ist eine Aufhebung unumgänglich. Da es offenbar einer Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war an das Erstgericht zurückzuverweisen. Im fortgesetzten Verfahren wird die Berufslaufbahn der Klägerin zu klären sein, um den zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübten Angestelltenberuf der Klägerin feststellen zu können. Aufgrund dieses werden die Verweisungsmöglichkeiten und dann weiter zu prüfen sein, ob die Verweisung zu einem sozialen Abstieg führte, der eine Verweisung unzulässig machen würde (siehe dazu zB SSV-NF 14/129, 12/32, 10/11).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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