OGH 10ObS2355/96p

OGH10ObS2355/96p5.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Zörner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erich K*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Juli 1996, GZ 7 Rs 145/96i-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 12. März 1996, GZ 35 Cgs 82/95k-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26.9.1937 geborene Kläger hat den Beruf des Werkzeugmachers erlernt. In den letzten 15 Jahren war er bei einer Maschinenfabrik als Fertigungsplaner beschäftigt. Als solcher war er mit der computergestützten Planung von Arbeitsabläufen bzw der Erstellung von Fertigungsplänen für ein Werkstück befaßt. Der Weg des Werkstückes mußte vom Zuschnitt bis zur Endbearbeitung genauestens verfolgt und geplant und die Vorgabezeiten mußten für jeden Arbeitsschritt festgelegt werden. Fallweise war es erforderlich, konkrete Fertigungsvorgänge in der Werkstätte an der Bearbeitungsmaschine zu beobachten und Zeitmessungen durchzuführen. Bei dem Bildschirmarbeitsplatz handelt es sich um einen mit dem Großrechner vernetzten Einzelarbeitsplatz. Ein Fertigungsplaner übt seine Tätigkeit überwiegend und zwar bis zu 90 % am Bildschirm aus. Die Bildschirmarbeit bedeutet eine besondere Belastung des Nahsichtbereiches. Die Tätigkeit am Computer wurde durch Zeiten unterbrochen, die der Kläger in den Werkstätten zwecks Überprüfung zu verbringen hatte.

Aufgrund verschiedener gesundheitsbedingter Einschränkungen kann der Kläger nur noch leichte und bis zur Hälfte eines Arbeitstages mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, Gehen und Stehen unter Einhaltung der üblichen Ruhepausen verrichten. Er ist als funktionell einäugig zu bezeichnen, doch besteht diese Beeinträchtigung seit der Kindheit und erschwert die Fortführung der bisherigen Tätigkeit nicht. Der Kläger ist nicht mehr in der Lage, 90 % der Arbeitszeit vor dem Bildschirm zu verbringen, sondern er muß nach einer Arbeitszeit von 50 Min eine Pause von 10 Min einhalten, wobei allerdings gewisse Toleranzen gegeben sind. Unter Einhaltung der arbeitsmedizinisch empfohlenen Pausen ist dem Kläger diese Bildschirmarbeit noch durchaus zumutbar.

Mit Bescheid vom 7.2.1995 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers vom 4.11.1994 auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gemäß § 270 iVm § 253d ASVG ab. Er sei noch imstande, seine Tätigkeit als Fertigungsplaner auszuüben.

Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt, sprach aus, daß der Anspruch des Klägers auf vorzeitige Alterspension dem Grunde nach ab 1.12.1994 zu Recht bestehe und die Beklagte schuldig sei, dem Kläger eine vorläufige Zahlung von S 7.500,-- monatlich zu erbringen. Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, der berufskundliche Sachverständige sei zwar davon ausgegangen, daß dem Kläger die weitere Ausübung des Berufes des Fertigungsplaners im Hinblick auf das medizinische Leistungskalkül zumutbar sei, doch dürfe nicht übersehen werden, daß nach einer Arbeit am Bildschirm von etwa 50 Min Dauer eine Pause von 10 Min anzuschließen sei und eine durchgehende Arbeitszeit am Bildschirm dem Kläger jedenfalls nicht zugemutet werden könne. Die arbeitsmedizinisch empfohlenen Pausen seien derzeit gesetzlich nicht verankert. Wenn es auch zutreffe, daß an manchen Arbeitstagen weniger als 90 % Bildschirmarbeit durchzuführen sei und es toleriert werden müßte, wenn der Kläger nur ein- oder zweimal im Monat beinahe den ganzen Arbeitstag hindurch am Bildschirm zubringen müsse, so bestehe doch keine Sicherheit dafür, daß er im Regelfall die geforderten Pausen einlegen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es sei nicht strittig, daß der Kläger die in letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübte Tätigkeit eines Fertigungsplaners weiter ausüben könne, wenn ihm dabei im Rahmen der zu verrichtenden Bildschirmarbeit nach etwa 50 Min eine Pause von 10 Min oder die Möglichkeit eingeräumt werde, in dieser Zeit eine andere, die Augen nicht in gleicher Weise belastende Tätigkeit auszuüben. § 68 Abs 3 Z 1 ASchG lege unter Strafsanktion fest, daß bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern, die bei einem nicht unwesentlichen Teil ihrer normalen Arbeit ein Bildschirmgerät benutzen, die Tätigkeit so zu organisieren sei, daß die tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten regelmäßig durch Pausen oder durch andere Tätigkeiten unterbrochen werde, die die Belastung durch Bildschirmarbeit verringern. Wenn der berufskundliche Sachverständige die Meinung vertrete, der Kläger könne die Tätigkeit eines Fertigungsplaners weiter ausüben, so bringe er damit zum Ausdruck, daß von den Arbeitgebern bei überwiegender Bildschirmarbeit allgemein die von der Arbeitsmedizin geforderten Pausen im Sinne der genannten Arbeitnehmerschutzbestimmung gewährt würden. Für die Beurteilung des Pensionsanspruches des Klägers komme es aber nicht auf die konkreten Arbeitsbedingungen an seinem letzten Arbeitsplatz an, sondern auf die Anforderungen, die in dem von ihm ausgeübten Beruf allgemein auf dem Arbeitsmarkt gestellt würden. Sei aber davon auszugehen, daß die Arbeitgeber bei überwiegender Bildschirmarbeit die arbeitsmedizinisch und auch nach dem medizinischen Leistungskalkül des Klägers geforderten Pausen gewähren würden, dann sei der Kläger nach den Feststellungen unter dieser Prämisse in der Lage, ohne Gefährdung seiner Gesundheit die Tätigkeit eines Fertigungsplaners weiter auszuüben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung ist nicht berechtigt.

Das gesetzliche Arbeitszeitrecht enthielt keine ausdrücklichen Sonderbestimmungen für Bildschirmarbeit. Das AZG sieht weder spezifische Arbeitszeithöchstgrenzen noch etwa eine maximale Einsatzzeit am Bildschirm oder eine eigene Pausenregelung vor. Arbeitsmedizinische Untersuchungen haben jedoch ergeben, daß Belastungen der Augen sowie Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule und des Rückens bei längerer Bildschirmarbeit, die Ausgangspunkt für Dauerschädigungen sein können, durch Arbeitspausen weitgehend vermieden werden können. Mehrere kurze Pausen sind dabei wirkungsvoller als eine lange. Schon 1982 wurden die Arbeitsinspektorate unter Hinweis auf § 11 Abs 7 AZG vom Sozialministerium in einem Erlaß angewiesen, zusätzliche Pausen bei Bildschirmarbeit vorzuschreiben. Bei zwei- oder mehrstündigen kontinuierlichen Arbeitsperioden am Bildschirmgerät war nach dem Erlaß des BMFSV vom 23.3.1982, Zl 61.720/5-4/82 für 50 Min ununterbrochene Arbeitszeit eine Pause in der Dauer von 10 Min vorzuschreiben. In einem weiteren Erlaß aus demselben Jahr wurde ergänzend hinzugefügt, daß im ersten Zwei-Stunden-Block die nach 50 Min zustehende Pause, sofern dies der Arbeitsablauf erfordere, in die anschließende zweite Stunde verlegt werden könne (vgl dazu Mosler, Bildschirmarbeit und Arbeitsrecht, 53 f; Kellner, Die Vorschreibung zusätzlicher Ruhepausen für Bildschirmarbeit, EDVuR 4/87, 18 f; und die Entscheidung des VwGH vom 29.6.1987, Zl 86/08/0062, EDVuR 4/87, 19 ff).

Seit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, BGBl 1994/450 - ASchG - ist der Dienstgeber nunmehr von sich aus zu einer entsprechenden Arbeits(zeit)gestaltung verpflichtet, während der Arbeitgeber vorher vielfach zuwartete, bis ihm eine Pausenregelung vom Arbeitsinspektorat bescheidmäßig vorgeschrieben wurde (siehe Löschnigg, Neuregelung der Bildschirmarbeit durch das ASchG 1994, EDVuR 1994, 61 ff, Punkt 3.5). § 68 Abs 3 Z 1 ASchG ordnet an, daß bei Beschäftigung von Arbeitnehmern, die bei einem nicht unwesentlichen Teil ihrer normalen Arbeit ein Bildschirmgerät benutzen, die Tätigkeit von den Arbeitgebern so zu organisieren ist, daß die tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten regelmäßig durch Pausen oder durch andere Tätigkeiten unterbrochen wird, die die Belastung durch Bildschirmarbeit verringern. Eine Verletzung der Verpflichtungen betreffend die Bildschirmarbeit ist eine nach § 130 Abs 1 Z 25 ASchG unter Strafdrohung gestellte Verwaltungsübertretung. Zahlreiche arbeitswissenschaftliche und arbeitsmedizinische Untersuchungen gehen nämlich davon aus, daß bei zwei- oder mehrstündigen Arbeitsperioden eine erhöhte Augenbelastung gegeben ist und zum Ausgleich der Verringerung der Sehschärfe eine erholungswirksame Unterbrechung der Bildschirmtätigkeit arbeitsorganisatorisch ermöglicht werden muß: Entweder kann eine andere Tätigkeit ausgeübt werden, wobei auf die Erholungswirksamkeit für die Augen zu achten ist, oder es muß eine echte Arbeitspause gehalten werden. Bei zwei- oder mehrstündigen Arbeitsperioden am Bildschirmgerät ist daher etwa nach 50 Min eine Pause oder andere Tätigkeit in der Dauer von 10 Min vorzusehen (so auch Schramhauser/Heider, ASchG 187 Anm 3 zu § 68). Daraus folgt, daß die arbeitsmedizinisch empfohlenen Pausen nicht nur allgemein anerkannt, sondern nunmehr auch im Arbeitnehmerschutzrecht gesetzlich verankert sind. Der Revisionswerber verweist in diesem Zusammenhang auch auf das steirische Landesbediensteten-Schutzgesetz, in dem normiert sei, daß nach 50 Min kontinuierlicher Bildschirmtätigkeit eine Pause von 10 Min einzuhalten sei. Weiters verweist der Revisionswerber selbst auf die von der Bundesregierung erlassenen Richtlinien für Ruhepausen an Bildschirmarbeitsplätzen für Bundesbedienstete, nach denen eine analoge Regelung zu gewährleisten ist. Er meint jedoch, es bestehe keinerlei Gewähr dafür, daß auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die im Hinblick auf das medizinische Leistungskalkül erforderlichen Pausen auch tatsächlich eingehalten werden. Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden. Hat nämlich ein Arbeitgeber nach einer unter Strafdrohung stehenden gesetzlichen Anordnung die Tätigkeit so zu organisieren, daß die Bildschirmarbeit regelmäßig durch Pausen oder andere Tätigkeiten unterbrochen wird, kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein Arbeitnehmer, der - wie der Kläger - nach einer kontinuierlichen Bildschirmtätigkeit von 50 Min eine Pause von 10 Min einhalten oder 10 Min eine andere augenschonende Tätigkeit verrichten muß, seines Arbeitsplatzes verlustig gehen würde oder auf das besondere Entgegenkommen seines Arbeitgebers angewiesen wäre. Die vom Kläger nach seinem medizinischen Leistungskalkül erforderten Einschränkungen im Hinblick auf die Bildschirmarbeit halten sich nämlich im Rahmen des von der Arbeitsmedizin geforderten und vom Gesetzgeber als Richtschnur zugrunde gelegten Verhaltens.

Da der Kläger also die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübte Tätigkeit eines Fertigungsplaners weiterhin verrichten könnte, liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d ASVG nicht vor.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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