Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die dem Klagebegehren stattgebende Entscheidung der ersten Instanz zur Gänze wieder hergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.054,08 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 675,68 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 23. Juni 1939 geborene Kläger hat die Studienrichtung Gesteinshüttenwesen an der damaligen Montanistischen Hochschule (heute Universität) in Leoben absolviert und ist Diplomingenieur und Doktor der montanistischen Wissenschaften. Er war von 1969 bis 1973 als wissenschaftliche Hilfskraft, danach bis 1976 als Universitätsassistent tätig. Neben seiner seit 1976 ausgeübten Tätigkeit als wissenschaftlicher Beamter am Institut für Gesteinshüttenkunde der Montanuniversität Leoben war er auch bis 1996 als Lehrbeauftragter dieser Universität im Studienfach Gesteinshüttenwesen im Angestelltenverhältnis tätig. Als Beamter befindet er sich bereits seit 1998 wegen Dienstunfähigkeit im vorzeitigen Ruhestand.
Lehrbeauftragte von Universitäten im Fachgebiet Gesteinshüttenwesen sind für die Ausbildung der Studenten zu Gesteinshütteningenieuren zuständig. Sie halten Vorlesungen im theoretischen Bereich (mit körperlich leichter Beanspruchung) und praktische Übungen, die mit mittelschweren körperlichen Belastungen und ebensolchen Bück- und Hebearbeiten verbunden sind. In Österreich bestehen für Lehrbeauftragte im Studienfach Gesteinshüttenwesen nur etwa 10 Arbeitsplätze. Diplomingenieure für "Gesteinskunde" (Gesteinshüttenwesen), die nur leichte körperliche Tätigkeit verrichten müssen, etwa bei Bergbehörden, werden in der Verwendungsgruppe 6 eingereiht; für diese Berufsgruppe bestehen in Österreich nur 30 bis 40 Arbeitsplätze. Diplomingenieure für "Gesteinskunde" (Gesteinshüttenwesen) in der Verwendungsgruppe 5 haben jedenfalls mittelschwere Arbeiten zu verrichten.
Auf Grund verschiedener Leidenszustände sind dem Kläger nur noch leichte Arbeiten im Sitzen und Gehen zumutbar. Nach 30 bis 45 Minuten muss ein Haltungswechsel möglich sein. Reine Steharbeiten, Arbeiten auf höheren exponierten Lagen, Überkopfarbeiten, Bück- und Hebearbeiten, Arbeiten mit extremer Kälteexposition sowie Akkord-, Fließband- und Nachtarbeiten scheiden aus. Arbeiten in kniender und hockender Stellung dürfen nur gelegentlich auftreten.
Nach diesem Leistungskalkül ist der Kläger nicht mehr in der Lage, allen Anforderungen gerecht zu werden, die an einen Lehrbeauftragten für Gesteinshüttenwesen gestellt werden.
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 20. 12. 1998 wurde der Antrag des Klägers vom 16. 9. 1998 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension abgewiesen. Der Kläger könne noch seine bisherige Tätigkeit als Lehrbeauftragter oder eine ähnliche Tätigkeit verrichten.
Das Erstgericht erkannte mit Urteil, dass das dagegen erhobene Klagebegehren auf Zahlung der Berufsunfähigkeitspension ab dem 1. 10. 1998 dem Grunde nach zu Recht bestehe und trug der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von S 7.000,- monatlich auf.
Es führte in rechtlicher Hinsicht aus:
Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines Lehrbeauftragten einer Universität im Fachgebiet Gesteinshüttenwesen weiterhin auszuüben, zumal bei diesen Tätigkeiten mit einer mittelschweren körperlichen Belastung bei eben solchen Bück- und Hebearbeiten zu rechnen sei. Dies überschreite sein medizinisches Leistungskalkül. Verweisungstätigkeiten existierten für den Kläger nicht, sodass er berufsunfähig im Sinne des § 273 ASVG sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab.
Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, teilte aber nicht dessen Rechtsansicht. Von einem (für die Verweisung) ausreichenden Arbeitsmarkt könne zwar grundsätzlich erst dann geprochen werden, wenn österreichweit zumindest 100 Arbeitsplätze in einem Verweisungsberuf zur Verfügung stünden. Ein Versicherter könne nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden, die auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr oder fast nicht mehr vorkommen. Tätigkeiten, die er abstrakt gesehen ausüben könnte, die ihm aber schon deshalb kein Erwerbseinkommen verschaffen würden, weil es keine oder nur wenige Arbeitsplätze gebe, hätten daher außer Betracht zu bleiben (SSV-NF 6/56 mwN). Dies gelte aber etwa dann nicht, wenn einem Pensionswerber infolge seines Gesundheitszustandes nur mehr ein regionaler Arbeitsmarkt offen stehe: Dann genüge in der betreffenden Region eine solche Anzahl von Arbeitsplätzen, welche die Annahme rechtfertigten, ein Arbeitsfähiger und Arbeitswilliger könne einen solchen Arbeitsplatz auch erlangen (SSV-NF 8/43). Der Kläger habe sich von vornherein für eine Berufstätigkeit entschieden, für die österreichweit nur etwa zehn Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Damit könne schon von vornherein für diese Tätigkeit von einem - mit anderen Berufen vergleichbaren - Arbeitsmarkt keine Rede sein. Die Unfähigkeit zur Ausübung des bisherigen Berufes mache den Kläger nicht "berufsunfähig", weil für die in Betracht kommende Verweisungstätigkeit eines Diplomingenieurs für "Gesteinskunde" (gemeint offenbar Gesteinshüttenwesen) mit leichter körperlicher Belastung österreichweit immerhin 30 bis 40 Arbeitsplätze existierten, also das Drei- bis Vierfache der Zahl in seiner "Kerntätigkeit". Das Fehlen von 100 Arbeitsplätzen stehe daher einer Verweisung des Klägers nicht entgegen. Er sei demnach nicht berufsunfähig nach § 273 Abs 1 ASVG. Aus diesem Grunde brauche auch nicht erörtert zu werden, ob er sich allenfalls auf derartige Arbeitsplätze im europäischen Ausland verweisen lassen müsse. Das Berufungsgericht vertrete aber hier die Ansicht, dass die für das Unterhaltsrecht entwickelten Grundsätze der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 26. 2. 1997, 3 Ob 7/97v, wonach die Arbeitsplatzsuche und damit wohl auch die Verweisbarkeit auf andere Mitgliedstaaten der EU auszudehnen sei, auch hier gelten müssten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung seines Klagebegehrens, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung an die erste oder zweite Instanz.
Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision des Klägers ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) liegt nicht vor; diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner Begründung.
Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt der Kläger aus: Das zumutbare Verweisungsfeld an Tätigkeiten mit ähnlicher Ausbildung bestehe nicht nur aus Arbeitsplätzen der Verwendungsgruppe VI, sondern auch solchen der Verwendungsgruppe V. In beiden Verwendungsgruppen zusammen gebe es unzweifelhaft wesentlich mehr als 100 Arbeitsplätze für Arbeitnehmer mit ähnlicher Ausbildung wie sie der Kläger habe, die grundsätzlich seinem Berufsbild entsprächen. Erst durch das medizinisch stark eingeschränkte Leistungskalkül sinke die Zahl der ihm noch offen stehenden Arbeitsplätze auf ein so geringes Ausmaß herab, dass von einem rechtlich relevanten Arbeitsmarkt nicht mehr gesprochen und der Kläger nicht mehr verwiesen werden könne. Die als "obiter dictum" vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, die Arbeitsplatzsuche sei auch auf andere Mitgliedstaaten der EU auszudehnen, sei mit dem sozialversicherungsrechtlichen Territorialitätsprinzip nicht vereinbar.
Der Argumentation des Revisionswerbers, wonach er mangels Fähigkeit zur Ausübung eines geeigneten Verweisungsberufes auf dem österreichweiten Arbeitsmarkt nicht verweisbar sei, ist beizustimmen.
Der Kläger hat die Studienrichtung Gesteinshüttenwesen absolviert und ist Doktor der montanistischen Wissenschaft (vgl Universitäts-Studiengesetz-UniStG, BGBl I 1997/48 samt Anlagen 1 bis 3; Verordnung des BMWF vom 30. 4. 1971 über die Studienordnung für die Studienrichtung Gesteinshüttenwesen, BGBl 1971/208, auf Grund der Anlage 3 Z 22 des UniStG bereits außer Kraft getreten). Auszugehen ist weiters davon, dass der Kläger seinen versicherten Angestelltenberuf als Lehrbeauftragter für Gesteinshüttenwesen nicht mehr ausüben kann; als Beamter ist er bereits seit 1998 im Ruhestand und bezieht eine Beamtenpension.
Für den Anspruch auf die begehrte Berufsunfähigkeitspension ist nach § 273 Abs 1 ASVG entscheidend, ob die Arbeitsfähigkeit des Klägers infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlichen und geistigen gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. In diesem Rahmen muss sich ein Versicherter grundsätzlich auch auf andere, geringere Anforderungen stellende und geringer entlohnte Berufe verweisen lassen, sofern damit nicht ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist. Der soziale Abstieg ist unzumutbar, wenn die Verweisungstätigkeit in den Augen der Umwelt ein wesentlich geringeres Ansehen genießt. Die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag bildet dabei einen Anhaltspunkt für die Einschätzung des sozialen Wertes und wird daher nach ständiger Rechtsprechung zur Beurteilung des sozialen Abstieges herangezogen. Die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe entsprechen, die der bisherigen Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordnet ist, wird in ständiger Rechtsprechung für zulässig erachtet; durch eine solche Verweisung werden die Unzumutbarkeitsgrenzen nicht überschritten (SSV-NF 10/85 mwN ua).
Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichtes kommt es auf den Arbeitsmarkt im bisher ausgeübten Beruf nicht an: Könnte der Kläger den zuletzt ausgeübten Beruf eines Lehrbeauftragten im Studienfach Gesteinshüttenwesen weiterhin ausüben, würde die Zahl der Arbeitsplätze in diesem oder einem Verweisungs-Beruf überhaupt keine Rolle spielen (10 ObS 158/98b = SSV-NF 12/72 mwN). Die Frage der Verweisbarkeit stellt sich dann gar nicht (10 ObS 117/99z uva). Da der Kläger aber seinen bisherigen Beruf eben nicht mehr ausüben kann, ist hier seine Verweisbarkeit zu prüfen, und zwar nicht als "Lehrbeauftragter", sondern als akademisch ausgebildeter Fachmann (Diplomingenieur) des Gesteinshüttenwesens (ähnlich wie im Fall SSV-NF 7/124: ein als Rechtskundelehrer nicht mehr arbeitsfähiger Jurist wurde nicht der Berufsgruppe der Lehrer, sondern jener der Juristen zugeordnet; vergleichbar auch 10 ObS 249/95 - nicht veröffentlicht: die dortige Klägerin konnte innerhalb ihrer Berufsgruppe der Juristen verwiesen werden).
Nach den Feststellungen müssen Diplomingenieure des Gesteinshüttenwesens in Verwendungsgruppe V (und offenbar darunter) jedenfalls mittelschwere Arbeiten verrichten (informativ auch das Berufslexikon des AMS Bd IV - Akademische Berufe:
"Gesteinshüttenwesen": der Beruf verlangt oft auch ein hohes Maß an physischer Belastbarkeit (Hüttenarbeit) sowie Mobilität und Bereitschaft zu beruflichen Einsätzen auch im Ausland, zum Teil unter extremen Klimabedingungen). Lediglich bei einer Beschäftigung in der Verwendungsgruppe VI könnte sich der Kläger auf leichte Tätigkeiten zurückziehen, dort gäbe es allerdings nur 30 bis 40 Arbeitsplätze, also keinen ausreichenden "Arbeitsmarkt" im Sinne der oben zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofes (weitere Nachweise RIS-Justiz RS0084743).
Der Ansatz des Berufungsgerichtes, diese Arbeitsplätze in ein Verhältnis zu denen im ausgeübten Beruf zu setzen ("...das drei- bis vierfache seiner Kerntätigkeit"), ist jedoch verfehlt. In Wahrheit gibt es für eine Verweisung des Klägers auf den Beruf eines Diplomingenieurs des Gesteinshüttenwesens in Österreich zwar durchaus einen ausreichenden Arbeitsmarkt mit offenkundig mehr als 100 Arbeitsplätzen in den hier maßgeblichen Verwendungsgruppen V und VI. In einem so umfassenden Sinn kann der Kläger aber den Verweisungsberuf nicht ausüben, weil dies über sein körperliches Leistungskalkül hinausginge. Der Kläger könnte wie gesagt nur mehr Tätigkeiten der Verwendungsgruppe VI verrichten, für die aber in Österreich kein ausreichender Arbeitsmarkt besteht.
Dass sich der Kläger - ob bewusst oder unbewusst, wurde nicht festgestellt, ist aber auch rechtlich nicht relevant - für eine Berufstätigkeit entschieden hat, für die es in Österreich nur etwa zehn Arbeitsplätze gibt, kann ebenfalls bei der Beurteilung seiner Verweisbarkeit nicht ausschlaggebend sein. Solange er seinen Beruf noch ausüben kann, spielt die Zahl der auf dem Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsstellen aus den bereits aufgezeigten Gründen keine Rolle; kann er aber diesen Beruf gesundheitsbedingt nicht mehr ausüben, dann ist er im Sinne der ständigen Rechtsprechung nur auf einen anderen Beruf verweisbar, für den ihm infolge einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen (wenigstens 100) ein rechtserheblicher Arbeitsmarkt mehr offen steht. Diesem Ergebnis stehen die Entscheidungen SSV-NF 12/146 = SZ 71/187 (Berufsfußballspieler) und SSV-NF 8/43 (über den regionalen Arbeitsmarkt) nicht entgegen.
Die vom Berufungsgericht bereits in einem "obiter dictum" (also in einer für die Entscheidung des Falles nicht unbedingt notwendigen und daher das Ergebnis nicht tragenden Begründungserwägung) bejahte Frage, ob sich der Kläger auf den Arbeitsmarkt im (zumindest deutschsprachigen) EU-Ausland, also insbesondere in Deutschland verweisen lassen müsse und ob es dort einen entsprechenden Arbeitsmarkt gäbe, braucht hier schon deshalb nicht beantwortet zu werden, weil ein derartiger - mit der gesamten bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes zum österreichweiten Arbeitsmarkt im Gegensatz stehender - Einwand von der beklagten Partei gar nicht erhoben wurde. Die Verpflichtung der Sozialgerichte zur amtswegigen Beweisaufnahme bezieht sich nicht auf anspruchsvernichtende Umstände, für die der Sozialversicherungsträger behauptungspflichtig ist, wenn er solche Behauptungen nicht aufgestellt hat (SSV-NF 12/78). Es kann daher unerörtert bleiben, ob und unter welchen Umständen die Grundsätze der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur sogenannten Anspannungstheorie im Unterhaltsrecht (3 Ob 7/97v = SZ 70/36 = JBl 1997, 650 - zust. Hoyer) auf die Verweisbarkeit eines Pensionswerbers zu übertragen oder auch nur nutzbar zu machen wären.
Der Revision war daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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