OGH 10ObS226/92

OGH10ObS226/9213.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Fendrich (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef P*****, Kraftfahrer, *****, vertreten durch Dr.Helmut Valenta, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4020 Linz, Gruberstraße 4, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen S 16.923,60, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.November 1990, GZ 13 Rs 104/90-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.März 1990, GZ 13 Cgs 1011/89-9, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten erster Instanz zu behandeln.

Text

Begründung

Der Kläger stand in der Zeit vom 16.September bis 23.Oktober 1989 bei Dr.Wolfgang D*****, Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Behandlung. Im Zuge dieser Behandlung wurden zwei Metallkeramikkronen, vier Pfeilerkronen aus Metallkeramik, zwei Zwischenglieder aus Metallkeramik und neun Composite-Inlays angefertigt. Das hiefür in Rechnung gestellte Honorar von S 63.480 inklusive 20 % Umsatzsteuer wurde vom Kläger am 8.November 1989 an den Zahnarzt überwiesen. Nunmehr verlangte er von der beklagten Gebietskrankenkasse den Ersatz dieser Kosten für Zahnbehandlung und Zahnersatz; er begehrte die Ausstellung eines bekämpfbaren Bescheides.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 10.November 1989 wurde ausgesprochen, daß gemäß § 153 Abs. 1 ASVG in Verbindung mit § 34 der Satzung der beklagten Partei pro Inlay bzw pro gegossenem Aufbau ein Betrag von S 399,60 inklusive 20 % Mehrwertsteuer ersetzt werde. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, daß § 34 Abs. 1 der Satzung dem Versicherten einen Rechtsanspruch auf konservierende Zahnbehandlung im notwendigen Ausmaß unter Verwendung von einwandfreiem haltbarem Material gewähre. Als einwandfreie haltbare Materialien, die das notwendige Ausmaß nicht übersteigen, kämen alle Arten von Amalgamfüllungen, Silikat- und Steinzemente oder ähnliche, die gleichen Herstellungskosten verursachenden Materialien in Betracht. Für jede Drei- oder Mehrflächenfüllung mit den vorhin angeführten Materialien leiste die Kasse den im Spruch angeführten Betrag; dies gelte analog für Inlays bzw gegossene Aufbauten. Verlange der Versicherte aber die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen sei, so habe er die Mehrkosten selbst zu tragen. Zahnbrücken und Kronen zählten hingegen zum Zahnersatz. Nach § 153 Abs. 2 ASVG sei Zahnersatz eine freiwillige Leistung des Versicherungsträgers und das Begehren auf solche Leistung keine Leistungssache nach § 354 ASVG, weshalb keine Verpflichtung bestehe, über den Kostenersatz für die Zahnbrücken und Kronen bescheidmäßig abzusprechen.

Mit der fristgerechten Klage begehrt der Kläger - nach Einschränkung des Klagebegehrens in der Streitverhandlung vom 9.Februar 1990 - nunmehr den Ersatz der aufgelaufenen Zahnbehandlungskosten für neun Inlays a S 1.900 zuzüglich 20 % Umsatzwertsteuer, ergibt S 20.520 abzüglich der bescheidmäßigen Teilleistung von S 3.596,40, also die Zahlung eines Betrages von S 16.923,60 mit der Begründung, es sei medizinisch notwendig gewesen, die vorhandenen Amalgamfüllungen gegen teurere Füllungen aus anderem Material zu ersetzen. Dieser Anspruch ergebe sich aus § 34 Abs. 1 der Satzung, worin dem Versicherten ein Rechtsanspruch auf konservierende Zahnbehandlung in notwendigem Ausmaß und unter Verwendung von einwandfreiem haltbarem Material eingeräumt werde.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie habe die gesetzliche Pflichtleistung für neun Inlays durch Zahlung des Betrages von S 3.596,40 erbracht und darüber hinaus dem Kläger aus dem Unterstützungsfonds gemäß § 84 ASVG einen Betrag von S 30.000 übergeben, womit die Kosten der konservierenden Zahnbehandlung zur Gänze abgedeckt worden seien. Für Zahnersatz habe sie dem Kläger eine freiwillige Leistung von S 4.800 erbracht.

Der Kläger erwiderte, die Zahlung von 30.000 S habe ausschließlich der Abdeckung seines weiteren Aufwandes für Zahnersatz (von S 38.160) gedient, sich aber nicht auf die Zahnbehandlung bezogen.

Die beklagte Partei behauptete daraufhin die Widmung für Zahnersatz und Zahnbehandlung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Kläger hatte schon längere Zeit gesundheitliche Probleme durch eine erhöhte Quecksilberbelastung. Ein Arzt empfahl ihm, Amalgamfüllungen durch Keramikfüllungen auszutauschen. Sein behandelnder Zahnarzt verwies ihn dann wegen der Frage einer allfälligen Kostenübernahme an das Zahnambulatorium der beklagten Partei. Dessen ärztlicher Leiter und Stellvertreter des leitenden Chefzahnarztes befürwortete von medizinischer Seite in einem Gutachten den Austausch der Amalgamfüllungen durch Keramikinlays und Kronen und hielt einen Zuschuß durch den Unterstützungsfonds als gerechtfertigt. Er verwies den Kläger an den zuständigen Sachbearbeiter der beklagten Partei, der mit dem Kläger gemeinsam einen dann auch von diesem unterfertigten Antrag auf Beihilfe aus Mitteln des Unterstützungsfonds ausfertigte. Der Sachbearbeiter machte dem Kläger bei dem Gespräch klar, daß mit einer allenfalls bewilligten Beihilfe aus dem Unterstützungsfonds die gesamten verbleibenden Kosten abgegolten seien. Dem Kläger wurde dann eine Beihilfe von S 30.000 gewährt. Die dem Kläger tatsächlich entstandenen Kosten beliefen sich auf S 63.480.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Kläger habe konsequenterweise nur den Ersatz der Kosten für die Zahnbehandlung (neun Inlays) und nicht für Zahnersatz begehrt, weil es sich dabei um eine freiwillige Leistung der Krankenversicherung handle. Die vom Kläger behauptete ausdrückliche Widmung der aus dem Unterstützungsfonds gewährten Leistung auf die Kosten des Zahnersatzes sei nicht erwiesen. Sein Antrag auf Gewährung einer Beihilfe habe sich eindeutig auf die Kosten für Zahnersatz und Zahnbehandlung bezogen. Die beklagte Partei sei bei der Gewährung des Unterstützungsbeitrages auch von den Gesamtkosten laut Kostenvoranschlag ausgegangen. Da der begehrte Differenzbetrag aber jedenfalls in der gewährten Beihilfe volle Deckung finde, sei das Klagebegehren selbst bei vorbehaltloser Annahme der medizinischen Notwendigkeit der Verwendung des teureren Materials abzuweisen gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil in der Hauptsache. Es übernahm die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und trat auch im wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei. Die Frage eines Rechtsanspruches des Klägers auf Ersatz der Kosten der Zahnbehandlung mit teureren als den in den Verträgen der beklagten Partei mit den Zahnbehandlern vorgesehenen Füllungsmaterialien (alle Amalgame, Silikat- und Steinzemente oder ähnliche, gleiche Herstellungskosten verursachenden Materialien) könne dahingestellt bleiben. Fest stehe nämlich, daß der Kläger von der beklagten Partei Ersatz der Kosten der Zahnbehandlung und des Zahnersatzes begehre und dafür einerseits die satzungsgemäßen Kosten der Zahnbehandlung und ohne besondere Widmung eine Unterstützung von S 30.000 aus Mitteln des Unterstützungsfonds erhalten habe. Die beklagte Partei habe dabei zu erkennen gegeben, daß sie nicht auf Abschlag einer gesetzlichen Verbindlichkeit aus der Krankenversicherung leiste; andererseits sei ihre Zahlung aber auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu verstehen, daß sie die Beihilfe zusätzlich zu einer gesetzlichen Verpflichtung habe gewähren wollen. Die nicht bloß unter Berücksichtigung der Kostenbelastung des Versicherten hinsichtlich des Zahnersatzes gewährte Beihilfe decke damit selbst im Fall des offengelassenen Kostenerstattungsanspruches bezüglich der Mehrkosten der Zahnbehandlung den damit verbundenen Aufwand jedenfalls zur Gänze ab. Die Zweifelsregeln der §§ 1415, 1416 ABGB könnten zwar nicht unmittelbar angewendet werden; die beschwerlichere Schuld wäre aber jedenfalls jene, bezüglich derer der Gläubiger einen Rechtsanspruch behaupte. Aus diesen Gründen komme daher auch die hilfsweise geltend gemachte verhältnismäßige Anrechnung der Beihilfe nicht in Betracht. Die Zahnbehandlungskosten des Klägers seien zur Gänze durch die Leistung der beklagten Partei abgedeckt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs. 1 Z 1 ASGG zulässig, weil zu den behandelten Rechtsfragen eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt.

Der erkennende Senat hatte gegen die hier anzuwendenden Bestimmungen des § 153 Abs. 1 Satz 1 ASVG aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit sowie der §§ 32 Abs. 1 lit b, 34 Abs. 1 und 3 der Satzung der beklagten Partei aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken. Mit Beschluß vom 30.April 1991, 10 Ob S 63/91, stellte er daher beim Verfassungsgerichtshof nach Art 89 Abs. 2 B-VG die Anträge, § 153 Abs. 1 Satz 1 ASVG als verfassungswidrig und die §§ 32 Abs. 1 lit b und 34 Abs. 1 und 3 der Satzung der beklagten Partei als gesetzwidrig aufzuheben. In der Begründung dieses Aufhebungsantrages wurde unter anderem darauf hingewiesen, daß es nach dem ASVG (wie auch nach dem B-KUVG) weitgehend der Satzung überlassen sei, den Leistungsumfang bei Zahnbehandlung und Zahnersatz zu bestimmen. Hingegen ergebe sich der konkrete Anspruch auf Zahnbehandlung und Zahnersatz nach dem GSVG und BSVG schon unmittelbar aus dem Gesetz. Irgendwelche sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung der Versicherten nach den zitierten Gesetzen sei nicht ersichtlich, sodaß gegen § 153 Abs. 1 Satz 1 ASVG schon aus dem Aspekt der Gleichheitswidrigkeit verfassungsmäßige Bedenken bestünden. Auch sei dem § 153 Abs. 1 Satz 2 ASVG nicht zu entnehmen, welche Leistungen etwa im Rahmen der - hier allein interessierenden - Zahnbehandlung zu erbringen sind; er verweise auf die Satzung, die in ihrem § 32 Abs. 1 zwar die Zahnbehandlung näher umschreibe, in ihrem § 34 Abs. 3 aber inhaltlich auf die jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern verweise. § 153 Abs. 1 ASVG stelle eine verfassungswidrige formalgesetzliche Delegation dar. Ausmaß, Umfang und Charakter der im Rahmen der Zahnbehandlung zu erbringenden Leistungen würden der Regelung durch die Satzung überlassen, ohne die wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung erkennen zu lassen. Diese Bestimmung würde demnach nicht ausschließen, daß die Satzung bestimmte Zahnbehandlungen selbst dann nicht vorsähe, wenn sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsstörungen notwendig wären. Da eine solche Maßnahme bei allen anderen Gesundheitsstörungen schon mit Rücksicht auf § 133 Abs. 2 ASVG undenkbar wäre, bestünden auch insoweit aus dem Gesichtspunkt der Gleichheitswidrigkeit verfassungsrechtliche Bedenken. Sei aber diese Gesetzesstelle verfassungswidrig, dann fehle es an einer gesetzlichen Deckung der Bestimmung der Satzung über die Zahnbehandlung und den Zahnersatz. Darüber hinaus stelle § 34 Abs. 3 der Satzung eine unzulässige dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern und die dort geregelten Leistungen dar. Durch diese Verträge könnte der Umfang der dem Versicherten zu erbringenden Leistungen jeweils erweitert oder eingeschränkt werden, ohne daß sich Anhaltspunkte hiefür aus der Satzung ergäben. Gerade der vorliegende Fall zeige, daß die beklagte Partei die Kosten einer medizinisch zur Abwendung gesundheitlicher Störungen unbedingt notwendigen Zahnbehandlung nur deshalb nicht übernahm, weil die Verträge eine derartige Leistung (die Verwendung eines bestimmten Füllungsmaterials) nicht vorsehen.

Mit Erkenntnis vom 25.Juni 1992, G 245/91-24, V 189/91-24, gab der Verfassungsgerichtshof den Anträgen des erkennenden Senates keine Folge. Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof im wesentlichen aus:

Die Regelung des ersten Satzes des § 153 Abs. 1 ASVG komme nicht einer - Art 18 Abs. 1 und 2 B-VG widersprechenden - formalgesetzlichen Delegation gleich. Nach Art 18 Abs. 2 B-VG dürften Verordnungen nur "auf Grund der Gesetze" erlassen werden. Verordnungen dürften also bloß präzisieren, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (vgl die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes: VfSlg 7945/1976, 9227/1981, 10296/1984, 11859/1988 und 11938/1988; Ringhofer, Die Österreichische Bundesverfassung S 82). Solle ein Gesetz mit Durchführungsverordnungen vollziehbar sein, müßten daraus also alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz: VfSlg 4139/1962, 4662/1964, 7975/1976); eine bloße formalgesetzliche Delegation, die der Verwaltungsbehörde eine den Gesetzgeber supplierende Aufgabe zuweise, stünde mit dem Art 18 Abs. 1 (und 2) B-VG im Widerspruch (siehe VfSlg 4072/1961, 4300/1962, 10296/1984, 11859/1988). Die Grenzen zwischen einer noch ausreichenden materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer formalen Delegation werde in Einzelfällen nicht immer leicht zu bestimmen sein. Entscheidungskriterium sei hier stets die Frage, ob die im Verordnungsweg getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit geprüft werden könne (siehe VfSlg 1932/1950, 4072/1961, 10296/1984). Dabei seien in Ermittlung des Inhaltes des Gesetzes alle zur Verfügung stehenden (Auslegungs-)Möglichkeiten auszuschöpfen: Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen lasse, was im konkreten Fall rechtens sei, verletze die Norm die in Art 18 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl ua VfSlg 8395/1978, 10296/1984). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 2381/1952, 3322/1957, 3993/1961) könne jedoch dann nicht von einer formalgesetzlichen Delegation gesprochen werden, wenn der Gesetzgeber zwar an jener Stelle des Gesetzes, an der er eine Verwaltungsbehörde zur Verordnungssetzung berufe, den Inhalt der Regelung in einer dem Art 18 B-VG entsprechenden Weise nicht bestimme, jedoch an anderer Stelle des Gesetzes den Inhalt der Verordnung ausreichend determiniere. Unter dem zuletzt genannten Aspekt seien im vorliegenden Falle sowohl die in unmittelbarem Konnex mit dem ersten Satz des § 153 Abs. 1 ASVG stehenden, diesem nachfolgenden Sätze und Absätze als auch insbesondere jene Bestimmungen zu beachten, die - ebenso wie § 153 ASVG - im zweiten Teil des ASVG unter dem Titel "Leistungen der Krankenversicherung" in den §§ 116 bis 171 ASVG zusammengefaßt seien.

Der zweite Teil des ASVG sei in zwei Abschnitte gegliedert, wobei der Abschnitt I "Gemeinsame Bestimmungen" über die Leistungen der Krankenversicherung enthalte, während der Abschnitt II die "Leistungen im Besonderen" regle und in mehrere Unterabschnitte, die sich mit den einzelnen im § 116 Abs. 1 ASVG genannten Aufgaben der Krankenversicherung beschäftigen, gegliedert sei. § 116 Abs. 1 ASVG zähle als Fälle der Krankenversicherung, für die Vorsorge zu treffen sei, unter Z 1 die Verhütung und Früherkennung von Krankheiten, unter Z 2 insbesondere die Versicherungsfälle der Krankheit und unter Z 3 die Zahnbehandlung und den Zahnersatz sowie die Hilfe bei körperlichen Gebrechen auf. Die Berücksichtigung der Bestimmungen des gesamten Zweiten Teiles (Leistungen der Krankenversicherung) erscheine insbesondere schon deshalb geboten, weil es sich bei der Zahnbehandlung und dem Zahnersatz eigentlich um ein Konglomerat bestehend aus dem Versicherungsfall der Gesundheitserhaltung (wenn es bloß um die Untersuchung des Zahnzustandes gehe), dem Versicherungsfall der Krankenbehandlung (wenn die Leistung die Zahnbehandlung zum Gegenstand habe) und dem Versicherungsfall der Hilfe bei körperlichen Gebrechen (wenn Zahnersatz gewährt werde) handle. Es sei daher auch zu klären, ob die für die Krankenbehandlung im besonderen getroffenen Bestimmungen des 2. Unterabschnittes (insbesondere des § 133 Abs. 2 ASVG) für die Bestimmung des Inhaltes der angefochtenen Regelung determinierend herangezogen werden können.

Dies sei entgegen der Ansicht des Obersten Gerichtshofes zu bejahen. Der Gesetzgeber unterscheide im § 121 Abs. 1 ASVG (einer für alle Leistungen der Krankenversicherung geltenden Bestimmung) unter der Überschrift "Art der Leistungen" zwischen Pflichtleistungen, auf die ein Rechtsanspruch bestehe, und freiwilligen Leistungen, die auf Grund gesetzlicher oder satzungsmäßiger Regelungen gewährt werden könnten, ohne daß ein Rechtsanspruch bestehe. Pflichtleistungen seien gemäß § 121 Abs. 1 Z 1 ASVG entweder gesetzliche Mindestleistungen oder satzungsmäßige Mehrleistungen; letztere seien nach § 121 Abs. 3 ASVG über die gesetzlichen Mindestleistungen hinausgehende Mehrleistungen, die vom Versicherungsträger unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten innerhalb der gesetzlichen Grenzen in der Satzung vorgesehen werden können. Demgegenüber behalte der erste Satz des § 153 Abs. 1 ASVG die Bestimmung der Ansprüche, die beim Versicherungsfall der Zahnbehandlung zustehen, der Satzung vor. Die im § 121 Abs. 1 ASVG vorgenommene Unterteilung der Pflichtleistungen

Aber auch die Vorwürfe gegen § 34 Abs. 3 der Satzung, er stünde im Widerspruch zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 153 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 133 Abs. 2 und § 153 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 ASVG und enthalte eine dynamische Verweisung auf die jeweils mit den Zahnbehandlern abgeschlossenen geltenden Verträge, würden nicht zutreffen:

§ 34 Abs. 3 der Satzung sei nämlich - im Hinblick auf das Gebot einer möglichen gesetzes-(verfassungs-)konformen Auslegung - im Zusammenhang mit § 37 Abs. 4 lit a der Satzung zu lesen, der bei Inanspruchnahme von Wahlärzten im Falle der Notwendigkeit der chirurgischen oder konservierenden Zahnbehandlung eine Kostenerstattung anordne. Auch dem Vorwurf, § 34 Abs. 3 der Satzung enthalte eine dynamische Verweisung, komme keine Berechtigung zu:

Diese Bestimmung müsse - was ihr Wortlaut in Verbindung mit § 37 Abs. 4 lit a der Satzung nahelege - dahin verstanden werden, daß die Kosten für die notwendige Zahnbehandlung dem Versicherten selbst dann zu ersetzen seien, wenn sie auf Grund der jeweils geltenden Verträge mit dem Zahnbehandler nicht für die Rechnung der Kasse zu gewähren sind; gleiches gelte für die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen sei.

Nach Vorliegen dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ist über die Revision zu entscheiden.

Die Revision ist im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt allerdings nicht vor. Bei der Erörterung der Rechtslage ist davon auszugehen, daß der Austausch der vorhandenen Amalgamfüllungen aus medizinischer Sicht unbedingt notwendig war. Nach den unbekämpften Feststellungen der Tatsacheninstanzen hatte der ärztliche Leiter des Zahnambulatoriums der beklagten Partei und Stellvertreter des leitenden Chefarztes in einem Gutachten den Antrag auf Austausch der Amalgamfüllungen durch Ersatz von Keramik-Inlays von medizinischer Seite befürwortet. Die beklagte Partei hat die medizinische Notwendigkeit des Austausches der Amalgamfüllungen durch Keramik-Inlays im Verfahren auch nicht bestritten. Eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens über die medizinische Notwendigkeit dieser Zahnbehandlung bedurfte es daher nicht.

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache führt der Kläger aus, er habe Anspruch auf konservierende Zahnbehandlung im notwendigen Ausmaß und unter Verwendung von einwandfreiem haltbarem Material. Allfällige Mehrkosten des Materials könnten nicht den Versicherten treffen. Die Einschränkung des § 34 Abs. 3 der Satzung könne nur dahin verstanden werden, daß medizinisch notwendiges Material sicherlich zur Gänze ersetzt werden müsse. Einschränkungen würden daher nur bei Einsatz von Materialien aus optischen oder sonstigen Gründen gesehen werden müssen. Die beklagte Partei habe daher die Mehraufwendungen zu übernehmen.

Diesen Ausführungen ist im wesentlichen beizustimmen. Zunächst ist davon auszugehen, daß im Lichte der oben wiedergegebenen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes die Zahnbehandlung - wie jede Krankenbehandlung - ausreichend und zweckmäßig sein muß, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. So bestimmt § 34 Abs. 1 der Satzung der beklagten Partei, daß der Versicherte für sich und seine Angehörigen Anspruch auf konservierende Zahnbehandlung im notwendigen Ausmaß und unter Verwendung von einwandfreiem, haltbarem Material hat. Wird auf Wunsch des Versicherten (Angehörigen) eine Leistung erbracht, die auf Grund der jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern nicht für Rechnung der Kasse zu gewähren ist, hat zwar der Versicherer (Angehörige) nach § 34 Abs. 3 der Satzung die Kosten hiefür zu tragen. Ist die Leistung in den Verträgen zwar vorgesehen, verlangt der Versicherte (Angehörige) aber die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen ist, hat er die Mehrkosten zu tragen. Wie der Verfassungsgerichtshof in dem oben wiedergegebenen Erkenntnis dargelegt hat, ist aber § 34 Abs. 3 der Satzung im Hinblick auf das Gebot einer möglichen gesetzes-(verfassungs-)konformen Auslegung im Zusammenhang mit § 37 Abs. 4 lit a der Satzung zu lesen, der bei Inanspruchnahme von Wahlzahnärzten (Wahldentisten, Wahleinrichtungen) im Falle der Notwendigkeit der chirurgischen oder konservierenden Zahnbehandlung die Kostenerstattung anordnet. § 34 Abs. 3 der Satzung muß daher in Verbindung mit § 37 Abs. 4 lit a der Satzung dahin verstanden werden, daß die Kosten für die notwendige Zahnbehandlung dem Versicherten selbst dann zu ersetzen sind, wenn sie auf Grund der jeweils geltenden Verträge mit dem Zahnbehandlern nicht für die Rechnung der Kasse zu gewähren sind; gleiches gilt - nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes - für die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen ist.

Der erkennende Senat sieht sich genötigt, der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung des § 34 Abs. 3 der Satzung zu folgen. Nur so läßt sich das unerwünschte Ergebnis vermeiden, daß der Oberste Gerichtshof eine Satzungsbestimmung in einer Weise auslegen würde, die gesetzwidrig wäre, obgleich der Verfassungsgerichtshof die Gesetzwidrigkeit mit der Begründung einer möglichen gesetzes-(verfassungs-)konformen Auslegung verneint hat. Da die gegenständliche Zahnbehandlung medizinisch unbedenklich notwendig war, hat die beklagte Partei dem Kläger für die Inanspruchnahme des Wahlzahnarztes die vollen Kosten zu erstatten, sofern das vom Zahnarzt verrechnete Honorar angemessen war. Mangels Regelung in den jeweils geltenden Verträgen mit den Zahnbehandlern für die dem Kläger angefertigten Keramik-Inlays müßte die beklagte Partei mangels anderer Anhaltspunkte die üblichen Marktpreise für derartige Leistungen ersetzen. Ob das vom Zahnarzt dem Kläger verrechnete Honorar die üblichen Marktpreise übersteigt, wurde bisher nicht erörtert. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die oben dargelegte Rechtsansicht bisher offensichtlich weder von den Vorinstanzen noch von den Parteien bedacht wurde. Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überrascht werden dürfen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie nicht aufmerksam gemacht wurden (SSV-NF 5/134 mit weiteren Nachweisen). Da dies hier der Fall ist, müssen die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben werden, um den Parteien Gelegenheit zu einem der dargestellten Rechtslage entsprechenden Vorbringen und erforderlichenfalls der zum Beweis des Vorbringens notwendigen Anträge zu geben.

Der Auffassung des Berufungsgerichtes, die Zahnbehandlungskosten des Klägers seien zur Gänze durch die Gewährung einer einmaligen Beihilfe aus Mitteln des Unterstützungsfonds in der Höhe von 30.000 S abgedeckt, kann nämlich nicht beigetreten werden. Wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, läßt sich den getroffenen Feststellungen eine Widmung dieser Zahlung nur für die Kosten der Zahnbehandlung (Inlays) nicht entnehmen, bezieht sich doch der Antrag auf eine Beihilfe eindeutig auf die Kosten für Zahnersatz und konservierende Zahnbehandlung; beides lag der Entscheidung der beklagten Partei über die Gewährung des Unterstützungsbeitrages zugrunde, da jeweils von den Gesamtkosten laut Kostenvoranschlag ausgegangen wurde. Die beklagte Partei hat auch nie eine Widmungserklärung in dem einen oder dem anderen Sinn abgegeben. Nach den Feststellungen ist vielmehr davon auszugehen, daß mit der Leistung von 30.000 S die Gesamtkosten des Klägers verringert werden sollten, wobei auch das Argument, der Kläger habe keinen Rechtsanspruch auf Zahnersatz gehabt, nicht durchschlägt: Wie der erkennende Senat mit seiner Entscheidung SSV-NF 4/163 = ZAS 1992, 97 mit zustimmender Besprechung von Binder dargelegt hat, handelt es sich - entgegen den meisten früher vertretenen Auffassungen - auch beim unentbehrlichen Zahnersatz um eine Pflichtleistung, also um eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, die allerdings unter Kostenbeteiligung des Versicherten gewährt werden kann. Es liegen daher keine Anhaltspunkte im Sinne der Anrechnungsregeln der §§ 1415, 1416 ABGB vor, weshalb eine verhältnismäßige Anrechnung stattzufinden hat (Koziol-Welser9 I 274; Reischauer in Rummel ABGB Rz 26 zu § 1416; Gschnitzer in Klang2 VI 386; GlU 0024; SZ 40/119) ein Gedanke, den übrigens schon der Kläger in seiner Berufung vorgetragen hat, wenn er bei mangelnder Widmung von einer anteilsmäßigen Zuordnung auf den Gesamtbetrag sprach. Da die Gesamtkosten des Klägers 63.480 S ausmachten (davon 20.520 S für Zahnbehandlung und 42.960 S für Zahnersatz), die beklagte Partei hierauf insgesamt 8.396,40 S zahlte (davon 3.596,40 S für Zahnbehandlung und 4.800,- S für Zahnersatz), verblieb dem Kläger ein offener Rest von 55.083,60 S; davon entfielen auf Zahnbehandlung 16.923,60 S (entspricht rund 31 % des dem Kläger verbliebenen Anteils) und auf Zahnersatz S 38.160 (entspricht rund 69 % des dem Kläger verbliebenen Anteils). Im selben Verhältnis ist die Zahlung von 30.000 S auf Zahnbehandlung und Zahnersatz anzurechnen; daraus ergibt sich für die vorliegende Klagsforderung, die ausschließlich Zahnbehandlungskosten betrifft, ein anzurechnender Teilbetrag von 9.300 S, der bei der neuerlich zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen sein wird.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 ASGG.

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