Spruch:
Im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 24.12.1951 geborene Klägerin hat das Universitätsstudium der Ethnologie und Afrikanistik mit Doktorat abgeschlossen, ebenso eine landwirtschaftliche Facharbeiterausbildung mit Diplom. In Afrika war sie in der Entwicklungshilfearbeit mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft beschäftigt. Zuletzt war sie von 1985 bis 1991 als alleinverantwortliche Geschäftsführerin eines Vereins im Waldviertel mit 20 Land- und Forstarbeitern sowie fünf Angestellten tätig, um Langzeitarbeitslose im ländlichen Raum wieder in das Erwerbsleben zu integrieren.
Die Klägerin leidet an Blutdrucklabilität, Entzündung der Magenschleimhaut (Antirheumatika-Dauerbehandlung), Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. Bereits am 13.1.1973 hatte sie noch während ihrer Studienzeit als Sportstudentin der Universität Innsbruck einen Schiunfall erlitten, bei dem es zu einer zentralen Hüftgelenksverrenkung links und multiplen Beckenringbrüchen kam, wobei im Rahmen des nachfolgenden stationären Aufenthaltes auch ein Randkantenbruch des IV LWKS festgestellt wurde. Hinsichtlich des hieraus in der Folge erforderlichen Heilungsaufwandes wird auf die Feststellungen in Seite 4 und 5 des Berufungsurteils (= AS 221 f) verwiesen. Bei der Klägerin bestehen derzeit ein Zustand nach Implantation einer Totalendoprothese nach mehreren Hüftoperationen, eine Hüftbeugeeinschränkung, eine muskuläre Insuffizienz im Bereich der linken Hüfte und ein Zustand nach Arthroskopie und Teilmenesektomie des rechten Knies. Mit einer besonderen Häufung von Krankenständen ist derzeit nicht zu rechnen, was sich aber bei Auftreten von Lockerungszeichen im Bereich der Totalendoprothese ändern kann; in diesem Fall ist eine neue Krankenstandsprognose erforderlich. Die Klägerin vermag physikalische und sonstige präventive Therapien auch außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen. An sich positive Erfolge zeitigende vierwöchige Kuren sind im Hinblick auf den stabilisierten Zustand aus medizinischer Sicht nicht unbedingt jährlich erforderlich.
Die Klägerin kann mit öffentlichen Verkehrsmitteln den Arbeitsplatz erreichen, die Gehstrecke ist jedoch eingeschränkt auf 500 m, die Gehgeschwindigkeit auf 2 km pro Stunde (zufolge eines zehnminütigen Pausenerfordernisses nach 500 m).
Mit den üblichen Pausen sind der Klägerin leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen in sitzender Stellung zumutbar, wobei ein Spezialstuhl mit links geteilter, absenkbarer Fläche notwendig ist, um der Beugehemmung entgegenwirken zu können. Nach zwei Stunden Sitzen ist eine Haltungsänderung und Bewegung erforderlich. Auszuschließen sind Arbeiten auf Leitern sowie ein öfteres Stiegensteigen am Tag (zB Berufe mit ständigem Stiegensteigen). Zumutbar sind im Rahmen der Bürotätigkeit das Gehen von einem Stock zum anderen. Die Klägerin vermag mehr zu gehen als zu stehen. Sie ist einsetzbar als Geschäftsführerin in Non-Profit-Organisationen (Vereine, gemeinnützige Betriebe, insbesondere im Bereich der Land- und Forstwirtschaft), zB im Bereich der Führung von Beschäftigungsprojekten aus der Arbeitsmarktpolitik.
Mit Bescheid vom 25.11.1992 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 16.9.1992 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab. Hiegegen richtet sich die Klage mit dem Begehren, ihr eine Berufsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe ab 1.10.1992 zu gewähren.
Das Erstgericht hat - nunmehr nach Aufhebungsbeschluß (ON 21) auch im zweiten Rechtsgang - das Klagebegehren abgewiesen und rechtlich gefolgert, daß die am allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Kalkülsüberschreitung in diversen Bereichen als Geschäftsführerin noch einsetzbare Klägerin nicht berufsunfähig sei.
Das Berufungsgericht hat - nach Beweisergänzung durch Einholung weiterer Gutachten der Sachverständigen Primar Dr.A***** R***** und Amtsrat W***** H***** (berufskundliches Gutachten) - das Urteil des Erstgerichtes bestätigt. Die eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Feststellungen wurden dabei rechtlich dahingehend gewürdigt, daß die Klägerin nicht als berufsunfähig im Sinne des § 273 ASVG angesehen werden könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit, Aktenwidrigkeit und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.
Rechtliche Beurteilung
Das nicht beantwortete Rechtsmittel ist gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässig; es ist jedoch nicht berechtigt.
1. Als nichtig im Sinne des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO wird das angefochtene Urteil deshalb bekämpft, weil das Berufungsgericht im Rahmen seiner Entscheidungsgründe einerseits das (nach Beweisergänzung eingeholte) Gutachten des Sachverständigen Amtsrat W***** H***** (AS 191 ff) als schlüssig und überzeugend bezeichnet, andererseits jedoch dessen schlüssige und überzeugende Ausführungen nicht als Feststellungen übernommen habe, ohne hiefür Gründe anzugeben. Damit wird jedoch tatsächlich keiner der in § 477 Abs 1 Z 9 ZPO aufgezählten Nichtigkeitsgründe releviert, sondern vielmehr versucht, die in Seite 6 des Berufungsurteils (= AS 225) wiedergegebene - und entgegen dem Vorwurf der Rechtsmittelwerberin auch inhaltlich begründete - Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes zu bekämpfen, welche dem Revisionsgericht zu überprüfen jedoch entzogen ist (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 503); dies gilt auch für die im Rahmen der Rechtsrüge (vorletzte Seite des Rechtsmittels = AS 235) bekämpfte Feststellung, wonach die Klägerin mit öffentlichen Verkehrsmitteln den Arbeitsplatz erreichen könne. Die Revision war daher insoweit mit Beschluß zurückzuweisen (§§ 471 Z 5, 473 Abs 1, 513 ZPO; Kodek, aaO Rz 1 zu § 510).
2. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie eine dem Berufungsgericht unterlaufene Aktenwidrigkeit liegen ebenfalls nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Die Revisionsausführungen zum letztgenannten Revisionsgrund erschöpfen sich im übrigen weitgehend in einer bloßen Wiederholung der Ausführungen zum bereits behandelten Revisionsgrund der Nichtigkeit. Daß das Berufungsgericht tatsächliche Feststellungen (hier: zur Arbeitsplatzerreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln) durch Schlußfolgerungen gewonnen hat, welche nach Auffassung der Rechtsmittelwerberin allerdings unrichtig seien, beruht wiederum auf einer vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbaren beweiswürdigungsmäßigen Beurteilung, nicht jedoch auf einer rügefähigen Aktenwidrigkeit (Fasching IV 318 f Anm 18; ders, Lehrbuch2 Rz 1771 aE; JBl 1976, 642 [644]). Daß es dem vom Berufungsgericht beigezogenen Sachverständigen Primar Dr.A***** R***** als Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie an der mangelnden Sach- und Fachkunde gefehlt habe, ist nicht zu erkennen.
3. Den Schwerpunkt des Rechtsmittels bildet dessen Rechtsrüge, in der zunächst einleitend alle Ausführungen zu den vorangegangenen Revisionsgründen pauschal wiederholt werden. Die gegenständliche Revision gebe dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit, sich (erstmals) mit der Kritik von Firlei in ZAS 1992, 135 zu beschäftigen. Den Ausführungen des genannten Autors sowie dem Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen folgend, hätte das Berufungsgericht auf der Tatsachenebene die Feststellung treffen müssen, daß die Revisionswerberin deshalb vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei, weil die Bedingung einer zehnminütigen Pause mit Sitzgelegenheiten nach einer Wegstrecke von 500 m auch unter städtischen Gegebenheiten nicht mehr gewährleistet sei und ihr auch bei Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht in jedem Waggon ein Behindertensitz zur Verfügung stehe. In Großstädten habe der Lenker eines öffentlichen Verkehrsmittels auch gar nicht die Möglichkeit, einzelnen Pesonen in den verschiedenen Waggons Plätze zuzuweisen, und sei sonstiges Personal (mit Ausnahme von Kontrolloren) hiefür auch nicht vorhanden.
Diese Ausführungen bieten indes keinen Anlaß, von der bisherigen Auffassung des erkennenden Senates zur Beurteilung der Frage der Anforderungen beim Weg zur und von der Arbeit eines Invaliditätspensionswerbers abzugehen. Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen - soweit die Klägerin hievon abweicht, bringt sie ihr Rechtsmittel nicht zur gesetzmäßigen Darstellung - kann sie den Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehsmitteln erreichen, ist hiebei jedoch auf eine Gehstrecke von 500 m (mit zehnminütigem Pausenerfordernis) sowie eine Gehgeschwindigkeit von 2 km/h beschränkt. In seiner Grundsatzentscheidung vom 24.1.1989, 10 ObS 301/88 (veröffentlicht in SSV-NF 3/10 = ZAS 1992/17 = SVSlg 35.515) hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß ein Versicherter, der zwar nach einer Wegstrecke von 500 m 10 bis 15 Minuten lang sitzen muß, aber ein öffentliches Verkehrsmittel benützen kann, nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Von einer solchen von Firlei in seiner Entscheidungsbesprechung ZAS 1992, 136 ff als "erhebliche Verschlechterung des Zugangs der Versicherten zu Invaliditätspensionen" kritisierten und im Ergebnis abgelehnten Festlegung eines Weggrenzwertes von 500 m war der Oberste Gerichtshof dabei auch schon vorher in mehreren Entscheidungen ausgegangen (SVSlg
35.512 = SSV-NF 2/105, SVSlg 35.515, 35.516), sodaß von einer insoweit bereits gefestigten Judikatur ausgegangen werden kann. Dem von Firlei im wesentlichen erhobenen Vorwurf, der Oberste Gerichtshof habe insbesondere zur Frage des Vorliegens ausreichender Sitzmöglichkeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln nur aus der Rechts-, nicht aber auch aus der Tatsachenlage Schlußfolgerungen gezogen - wie dies auch in der vorliegenden Revision etwa bezogen auf das fehlende sitzzuweisende Personal getan wird - , wurden bereits in der Entscheidung SSV-NF 6/109 die eingangs der Entscheidungsbegründung zu 10 ObS 301/88 dargestellten und auch in den beiden erstgenannten oa Publikationen abgedruckten empirischen Erhebungsdaten, welche der genannte Autor übergangen hat, entgegengehalten (in diesem Sinne auch SSV-NF 2/105 und SVSlg 35.513). Tatsächlich kann davon ausgegangen werden, daß sich die für die Großstadt Wien - in welcher die Klägerin ihren Wohnsitz hat - erhobenen Daten (nämlich Durchschnittsweg von höchstens 500 m von der Wohnung zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels bereits 1988 zu 98,2 %!) seither nicht nach unten, sondern nach oben verändert haben (Ausbau etwa des U-Bahn-Netzes etc). Bezüglich der in der zitierten Grundsatzentscheidung detailliert angegebenen und österreichweit erhobenen Normativgrundlagen für die (ausreichende) Bereitstellung von Sitzplätzen für behinderte Personen in öffentlichen Verkehrsmitteln ist in diesem Zusammenhang ergänzend - und der Aktualität halber - auch auf die hiezu derzeit in Geltung stehenden Beförderungsbedingungen der VOR, gültig ab 1.1.1994, Abschnitt L Ziffer 2, weiters die Anlage 2 zur DV BUS/OBUS der Wiener Stadtwerke-Verkehrsbetriebe, Ausgabe 1978, Punkt 3.1, sowie die Anlage 1 zur DV STRAB der Wiener Stadtwerke-Verkehrsbetriebe, Ausgabe 1978, Punkt 2.1, zu verweisen. Daß auf die Einhaltung dieser Bestimmungen durch das Fahrpersonal seit dem Bestehen schaffnerloser Beförderungsmittel nur mehr erschwert Bedacht genommen werden kann, ist hiebei eine Erfahrungstatsache, die der Oberste Gerichtshof - entgegen der Darstellung Firleis - durchaus auch schon in seinen Vorentscheidungen entsprechend mitberücksichtigt hat.
Daraus folgt aber - zusammengefaßt - , daß weder für die von dem genannten Autor am Ende seiner Glosse noch von der Klägerin selbst im hier vorliegenden Rechtsmittel geforderte "Revision der Wegeproblematik" durch den Obersten Gerichtshof Anlaß besteht. Das angefochtene Urteil war daher frei von rechtlicher Fehlbeurteilung vollinhaltlich zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.
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